Jeden Tag werden 7 Menschen aus Österreich abgeschoben. Das Asylrecht ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich abgebaut worden – Getragen wurden diese Verschlechterungen von allen Parlamentsparteien, von manchen mehr, von manchen weniger. Als im Jahr 2007 die Schülerin Arigona Zogaj mit ihrer Familie in den Kosovo hätte abgeschoben hätte werden sollen, tauchte sie unter und veröffentlichte Videos, in denen sie ihre verzweifelte Lage dem ganzen Land schilderte.
von Sebastian Kugler, Sozialistische LinksPartei SLP, österreichische Sektion des Committee for a Workers‘ International
Es ging ein Ruck durch viele Schichten der Gesellschaft. Wie schon ein paar Jahre zuvor, als der nigerianische Asylwerber Markus Omofuma bei seiner Abschiebung getötet wurde, wurde die Brutalität der Abschiebepraxis des österreichischen Staates wieder sichtbar: Menschen werden vollkommen willkürlich abgeschoben. Selbst die, die alle Schikanen des Staats über sich ergehen lassen, die trotz der Steine, die ihnen in den Weg gelegt werden, sich hier jahrelang über Wasser halten können – Selbst die „Integrierten“ werden gnadenlos abgeschoben. In solchen Fällen bekommt die anonyme Abschiebepraxis plötzlich ein Gesicht – aus Zahlen werden Menschen, aus Statistiken werden Schicksale.
Öffentliche Kampagnen als Druckmittel
Der Fall Zogaj ist deswegen von besonderer Wichtigkeit, da sich die stille Solidarität der Bevölkerung erstmals plötzlich in aktive Unterstützung wandelte. Ihre MitschülerInnen organisierten große Demonstrationen, in Wien beteiligt sich die SLP an der Organisation eines Schulstreiks. Nach einem langen und harten Kampf erhielt Arigona im Februar 2012 das Aufenthaltsrecht.
Das Beispiel machte Schule. In den letzten Jahren sehen wir einen konstanten Anstieg von erfolgreichen Anti-Abschiebungskampagnen im ganzen Land. Der SLP kommt im Kampf für Bleiberecht in Österreich eine besondere Rolle zu. Seit nun mehreren Jahren ist sie die mit Abstand aktivste politische Organisation in diesem Bereich. Unsere Methoden, nämlich die der öffentlichen Kampagne, des politischen Druckaufbaus, der Einbindung von Gewerkschaften etc. waren in der bis dahin autonom dominierten Anti-Abschiebungs“bewegung“ komplett neu – und konnten sofort einige spektakuläre Erfolge erzielen.
Im Dezember 2010 stellte die SLP innerhalb von nur 10 Tagen die Kampagne „Ousmane muss bleiben“ auf die Beine, die gegen die Abschiebung des Uni-Aktivisten Ousmane C. nach Guinea kämpfte. Alle NGOs hatten seinen Fall bereits aufgegeben, verzweifelt wendete sich ein Freund von ihm an die SLP. Demonstrationen, Kundgebungen und Störaktionen im Wiener Stadtrat wurden durchgeführt. In der Nacht der Abschiebung fanden sich trotz eisiger Kälte und Schneefalls um 2 Uhr knapp 150 Menschen vor dem Abschiebegefängnis ein, um die Abschiebung zu blockieren. Mit großer Mühe brachte die Polizei Ousmane aus dem Gefängnis, doch AktivistInnen verfolgten sie bis zum Flughafen und besorgten sich Tickets für den Flug. Ousmane, wissend, dass er eine starke Kampagne hinter sich hatte und die Augen der Öffentlichkeit auf seinen Fall gerichtet waren, wehrte sich selbst passiv gegen seine Abschiebung und konnte dem Piloten auf französisch seine Situation erklären – Der Pilot weigerte sich zu fliegen. Zum ersten mal wurde in Österreich eine Abschiebung während der Durchführung verhindert. Die SLP initiierte sofort das „Solidaritätskomittee Ousmane“, das neben antirassistischen NGOs auch gewerkschaftliche Strukturen einband. Ousmane wurde auf Kaution freigelassen und kann sich nun, vom Komitee unterstützt, in Österreich aufhalten. Einige Verfahren laufen noch und der Staat versucht ständig, sich für die peinliche Niederlage zu rächen – doch währenddessen ist auch die Bewegung weiter angewachsen und Ousmane kann weiterhin auf massive Solidarität zählen.
Schulen gegen Abschiebungen
Es ist hier nicht der Platz, um auf all die Anti-Abschiebungskampagnen und -Initiativen, die die SLP in den letzten Jahren initiiert bzw. geleitet hat, einzugehen. Eine besondere Wichtigkeit kam jedoch Kampagnen an Schulen zu. Im Herbst 2010 sollte die Schülerin Araksya nach Rumänien abgeschoben werden sollen. Sie entkam der Polizei in der Schule und tauchte unter. Die SchülerInnen der Schule mobilisierten sofort Unterstützung und die SLP brachte die Idee eines wienweiten Schulstreiks ein. Fast 2000 SchülerInnen folgten unserem Aufruf. Die Abschiebung Araksyas wurde durch den Druck der Straße verhindert.
Im Winter 2011/12 drohte den serbischen SchülerInnen Denis und Jovana ebenfalls die Abschiebung. SchülerInnen-AktivistInnen der SLP besuchten sofort, nach dem der Fall ans Tageslicht kam, die Schule von Denis und organisierten mit ihm, dem Direktor seines Schulzweiges und der SchülerInnenvertretung eine Kampagne. Eine Schulvollversammlung wurde einberufen, über 600 SchülerInnen zwängten sich in den zum Platzen vollen Turnsaal der Schule. Die Initiative der SLP für eine Demonstration wurde enthusiastisch aufgenommen. Trotz der kurzen Mobilisierungsfrist von knapp 2 Tagen demonstrierten über 500 SchülerInnen gegen die Abschiebung. Da Denis leidenschaftlich Basketball spielt, solidarisierte sich der Wiener Basketballverband mit ihm, der größte Wiener Basketballverein widmete ihm sogar ein Spiel, auf dem es einen eigenen „Denis muss bleiben“ Fanblock gab. Der Fall kam in die Schlagzeilen fast aller Medien – Denis wurde von der Gratiszeitung „Heute“ gar zum „Wiener der Woche“ gekührt. Der Staat sah sich gezwungen, den Fall neu aufzurollen – Im Juni dieses Jahres bekam die ganze Familie Bleiberecht. Denis sandte uns eine SMS: „Danke, ihr wart eine große Hilfe im Kampf für das Bleiberecht!“
Die SLP versucht, breitere und längerfristigere Strukturen aufzubauen, die gegen Abschiebungen kämpfen können. Das Netzwerk „Schule gegen Abschiebung“ ging direkt aus der Kampagne rund um Denis hervor und vernetzt LehrerInnen aller Schultypen, die gegen Abschiebungen ihrer SchülerInnen aktiv werden wollen.
„Familien und FreundInnen gegen Abschiebung“
Im Juni versuchten wir mit ca. 40 AktivistInnen, die Abschiebung von Omar, eines Flüchtlings aus Gambia, der seit 8 Jahren hier lebte und einen kleinen Sohn hier hat, noch am Flughafen zu verhindern. Wir verteilten Flugblätter an die Passagiere und diskutierten mit ihnen, warum sie sich gegen die Abschiebung wehren sollten. Leider wurde die Abschiebung trotz Protesten von Passagieren durchgeführt. Gleichzeitig hätte jedoch Zekerye Y., ein Aktivist der türkischen ArbeiterInnenbewegung abgeschoben werden sollen – durch Zufall trafen wir seine Lebensgefährtin, als wir Omars Abschiebung verhindern wollten. Sofort liefen AktivistInnen zum Schalter von Turkish Airlines und überzeugten Passagiere, sich gegen die Abschiebung zu wehren. Diesmal ging die Taktik auf: Ermutigt vom Protest der Passagiere stand Zekerye auf und verließ das Flugzeug.
Auch Zekerye hat ein kleines Kind. Sein Fall, die Kampagne für Omar und die Kampagne für das Bleiberecht von Yaya, ebenfalls aus Gambia, ebenfalls Vater eines Kleinkindes, brachten uns dazu, die Initiative „Familien und FreundInnen gegen Abschiebung“ ins Leben zu rufen. Sie setzt sich zum Ziel, vor allem das soziale Umfeld von Abschiebung Betroffener – FreundInnen, Verwandte, KollegInnen etc. zu aktivieren. Aktuell mobilisiert diese Initiative für einen großen Protesttag am 27.9. vor dem Innenministerium.
Ein sozialer Kampf
In Österreich gibt es mehr MillionärInnen als AsylwerberInnen. Es ist genug Geld da, um die Vorraussetzungen für ein gutes Leben für alle, die hier leben wollen, zu schaffen: Gratis Gesundheitsvorsorge, soziale Absicherung, sichere Jobs etc. – Die Frage des Asyls ist eine Frage der Verteilung. Deswegen kämpft die SLP für eine massive Umverteilung von oben nach unten. AslywerberInnen müssen das Recht haben zu arbeiten – Der ÖGB muss seine Aufgabe wahrnehmen und für gleiche Rechte für alle ArbeitnehmerInnen zu kämpfen. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich schafft genügend Vollzeitarbeitsplätze und ist ein effektiver Schritt gegen die prekären Arbeitsverhältnisse, in die MigrantInnen überdurchschnittlich oft gedrängt werden. Der Kampf gegen Abschiebungen ist besonders in Österreich, wo die FPÖ weite Teile der öffentlichen Diskussion mit ihrer rassistischen Hetze dominiert, ein integraler Bestandteil des Kampfes der ArbeiterInnenklasse für ihre Rechte.