Bewegung gegen Zwangsräumungen in Minneapolis stellt sich gegen Banken, Politiker und die Polizei
von Ginger Jentzen & Ty Moore, Socialist Alternative (UnterstützerInnen des CWI in den USA)
Der Kampf um das Haus der Familie Cruz in einem gepflegten Arbeiterviertel im Süden von Minneapolis wurde im Mai und Juni zur zentralen Auseinandersetzung der entstehenden bundesweiten Anti-Zwangsräumungs-Bewegung.
Alle Mitglieder der Familie Cruz arbeiten. Jahrelang haben sie die Raten für ihre Hypothek vollständig und rechtzeitig bezahlt. Aber als wegen eines Computerfehlers bei der Bank ihre Online-Zahlung an die PNC nicht ankam, forderte die Bank dreist zwei Raten plus Mahngebühren. Als die Familie diese Forderung nicht rechtzeitig bezahlen konnte, wurde das Haus gepfändet und die Hypothek wurde an Freddie Mac [eine große Hypothekenbank, AdÜ] verkauft.
Sheriffs [Beamte der Polizei auf Kommunalebene, AdÜ] brachten Ende April eine Räumungsankündigung an der Tür von Alejandra und David Cruz an, und die Familie lud Occupy Homes MN zu einer permanenten Blockade des Hauses gegen Räumungsversuche ein. Während des friedlichen ersten Monats diente das Haus der Familie Cruz als Gemeindezentrum, es gab Teach-Ins, Grillfeste für die Nachbarschaft und Treffen von Occupy Homes. Aber schließlich begann die lang erwartete Schlacht.
Mittwoch, 23. Mai: Erster Räumungsversuch
Sheriffs des Kreises Hennepin County versuchten zum ersten Mal ernsthaft, das Haus zu räumen. Mehrere BesetzerInnen ketteten sich sofort in betongefüllten Fässern an, um die Beamten aufzuhalten. Über einen SMS-Verteiler wurden UnterstützerInnen informiert, und binnen kurzer Zeit kamen 100 Menschen, die zur Hauptverkehrszeit die vielbefahrene Cedar Avenue blockierten, bis die Sheriffs abzogen.
Freitag, 25. Mai: Verteidigung im Morgengrauen
Um 4:00 morgens kamen die Beamten mit einem Presslufthammer und einem Rammbock zurück. Während die Sheriffs mit dem Presslufthammer die Betonfässer zerschlugen um die angeketteten AktivistInnen festnehmen zu können, konnten durch die Verzögerung 40 Menschen mobilisiert werden.
Für die BesetzerInnen schien die Situation hoffnungslos, bis jemand vorschlug die Sheriffs, die nur die Vorderseite des Hauses bewachten zu umgehen. AktivistInnen rannten durch einen Durchgang, sprangen über den Zaun an der Rückseite des Grundstücks und besetzten es wieder. Angesichts der Entschlossenheit der BesetzerInnen und aus Angst vor den politischen Folgen von Massenfestnahmen zogen die Sheriffs erneut ab. BesetzerInnen entfernten vor die Türen genagelte Sperrholzplatten und eroberten das Haus zurück.
75 AktivistInnen zogen zum Hauptquartier der Sheriffs und zum Büro des Bürgermeisters, um ihnen die vom Rammbock zerstörte Haustür der Cruz“ zu zeigen. Bürgermeister Rybak versprach, dass die Polizei bis zum nächsten Dienstag nichts weiter unternehmen würde und die fünf am Morgen Verhafteten wurden gegen minimale Kaution freigelassen.
Dienstag, 29. Mai: Räumung und Protest am Polizeirevier
Vierzig PolizistInnen erschienen plötzlich und überraschten die AktivistInnen. Sie räumten schnell das Haus und verhafteten die eine Person, die geschafft hatte, sich anzuketten. Dutzende UnterstützerInnen der Familie versammelten sich und versuchten mehrfach die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Die Polizei konnte das Haus jedoch halten, die Protestierenden zogen die Hiawatha Avenue entlang, blockierten die Hauptverkehrsstraße und besetzten dann eine große Kreuzung vor einem Polizeirevier.
Mittwoch, 30. Mai: Die Wiederbesetzung (und weitere Verhaftungen)
Als nur drei private Wachdienstleute das Haus bewachten, überprüfte Occupy Homes wieder die Behauptung des Bürgermeisters, dass „die Stadt nicht in der Räumungsbranche“ tätig sei. Über 100 BesetzerInnen bildeten eine Kette um das Haus der Familie Cruz, ignorierten die Einwände der Wachleute und entfernten erneut die Spanplatten von den Türen.
Bei Einbruch der Dunkelheit wurden wieder Polizisten um das Haus zusammengezogen und verhafteten 14 Menschen. Die Konfrontation dauerte bis in die Nacht an, BesetzerInnen bildeten Ketten mit verschränkten Armen, drückten gegen die Polizeiketten und bildeten Sitzblockaden vor Gefangenentransportern.
Seit dieser Nacht wird das Haus von der Polizei dauerhaft bewacht. Schwere Metallbarrieren wurden vor den Fenstern und Türen angebracht. Proteste, Mahnwachen mit Gebeten und weitere Aktionen gingen weiter.
Donnerstag, 21. Juni: Bundesweiter Aktionstag
Alejandra und David Cruz führten eine Karawane nach Pittsburgh an, zogen dort mit UnterstützerInnen in die Zentrale der PNC und verlangten ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bank. Ihre Forderung nach echten Verhandlungen wurde weiterhin abgelehnt.
Banner zur Mobilisierung für den 21. Juni
Am von Occupy Wall Street ausgerufenev bundesweiten Tag der Solidarität fanden in 19 Städten Proteste vor Niederlassungen der PNC statt. In Minneapolis wurden 15 Menschen, darunter auch der international bekannte Rapper Brother Ali, festgenommen weil sie am Haus der Familie Cruz Polizeiabsperrungen überschritten hatten. Eine bundesweite Telefonkampagne gegen die veröffentlichten Handynummern führender PNC-Manager wurde gestartet, und eine Petition auf change.org hat schon fast 200.000 Unterschriften bekommen.
Ob sie gewonnen wird oder nicht, die Schlacht um 4044 Cedar Ave. ist schon jetzt zum bundesweiten Modell zur Verteidigung von Häusern geworden und entlarvt nicht nur die Proftgier der Banken, sondern auch die Rolle der Sheriffs, PolizistInnen und städtischen BeamtInnen als Verteidiger der Herrschaft des 1%.
Occupy Homes gegen den Bürgermeister
Ein Paar Türen von den Cruz“ entfernt wohnt Sasha Lindquist, selbst ein Hausbesitzer dem die Zwangsräumung droht.
Aus Wut über die massive Polizeipräsenz schrieb Sasha einen von drei anderen NachbarInnen unterschriebenen Brief an die Minneapolis Star Tribune, der die Rolle der Regierung und der Polizei in der kapitalistischen Gesellschaft gut zusammenfasst:
„Bürgermeister Rybak, die Staatsanwaltschaft und der Polizeichef von Minneapolis haben alle erklärt, dass die Stadt nicht dafür zuständig ist den Banken als kostenlose Security zu dienen. Aber ihr Handeln sagt mehr als ihre Worte: in den letzten zwei Wochen gab es insgesamt fünf Angriffe auf das Cruz-Haus. Letzten Freitag wachte ich vom Geräusch von Kettensägen und Presslufthämmern auf, weil Sheriffs auf die Betonbarrikaden einschlugen die Protestierende aufgebaut hatten…“
Die lebendige Erfahrung des Klassenkampfes ist immer die beste Lehrerin für politische Theorie. Während eine Studie nach der Anderen die verbreiteten Verbrechen der Wall Street gegen Eigenheimbesitzer und ihre dreisten Verstöße gegen die zahnlosen Gesetze, die den Finanzsektor regulieren sollen, enthüllt, sitzt kaum ein Banker hinter Gittern.
Derweil wurden seit Ende Mai 39 AktivistInnen von Occupy Homes verhaftet. Der Polizeichef von Minneapolis, Dolan, hat einen viel beachteten Brief an Bürgermeister R.T. Rybak geschrieben, in dem die Kosten für die Sicherung des Grundstücks 4044 Cedar Ave. gegen die Familie Cruz und Occupy Homes angegeben sind: 45.585$, darunter „Arbeitsleistungen von ihm [Dolan] selbst, einem Inspektor, drei Kommissaren, fünf Sergeants, 155 Polizisten, einem Pressesprecher, einem Labortechniker, drei Forensikern und zwei Videoanalysten“ sowie der Feuerwehr (Star Tribune, 14.6.12)
Strategische Schwachstelle
Die Sache führt bereits zu sichtbaren Spaltungen innerhalb der Parteimaschinerie der Demokraten, die Minneapolis beherrscht. „Steuerzahler, die in Minneapolis Grundsteuer zahlen dürfen nicht dafür haftbar gemacht werden dass die Polizei [AktivistInnen wegräumt] die versuchen eine Familie in ihrem Haus zu halten… Wir sollten [die 45585$] als Rechnung an die PNC schicken und sie auffordern zu bezahlen“. Dieser Vorschlag kommt von Gary Schiff, einem ehrgeizigen Stadrat der angeblich Bürgermeister werden will. „Alle die protestieren zu verhaften ist keine nachhaltige Lösung der Pfändungskrise.“
Es ist auch für die politische Karriere von Bürgermeister Rybak keine nachhaltige Lösung. Möglicherweise können die städtischen Beamten den politischen Effekt von Massenverhaftungen um Hausräumungen durchzusetzen einmal, zweimal oder sogar ein Dutzend Mal überstehen.
Aber in Minneapolis werden jedes Jahr über 3000 Häuser gepfändet. Wenn hunderte HauseigentümerInnen „schwören“ ihre Häuser zu besetzen würde Polizeirepression als Antwort Bürgermeister Rybak und seine Verbündeten in der Demokratischen Partei hoffnungslos als AgentInnen der Wall Street bloßstellen.
Herausforderung auf Wahlebene notwendig
Dennoch hat die Geschichte immer wieder gezeigt: wenn soziale Bewegungen keine klare und glaubwürdige politische Alternative präsentieren, ersetzen die Großkonzerne unbeliebte kapitalistische PolitikerInnen einfach durch „neue Gesichter“, die die gleiche Politik fortsetzen.
Was wäre wenn im nächsten Jahr Occupy Homes MN erfolgreich eine Massenkampagne von hunderten von der Pfändung bedrohten HausbesitzerInnen aufbauen würde, unterstützt von ihren NachbarInnen, Gewerkschaften und Gruppen aus den Stadtteilen? Was wäre wenn Occupy Homes das als Grundlage nehmen würde um eineN HausbesitzerIn zur Bürgermeisterwahl in Minneapolis 2013 zu nominieren, mit der Forderung nach einer Aussetzung der Zwangsräumungen und dem Versprechen, die Ressourcen der Polizei zur Verfolgung von Wirtschaftskriminalität statt für Räumungen gegen Familien zu verwenden?
Verbunden mit weiteren Kampagnen zur Verteidigung von Häusern und massiver Kampagnenarbeit an den Haustüren zum Aufbau einer aktiven Basis von UnterstützerInnen könnte eine Wahlkandidatur die Debatte verändern. Das Hauptziel wäre nicht, die Wahl zu gewinnen, sondern den Wahlkampf als Plattform zu verwenden um den Widerstand zu verbreitern und die Forderungen bekannt zu machen. Ein glaubwürdiger Wahlkampf würde massiven Druck auf den Parteiapparat der Demokraten ausüben, die Prioritäten der Polizei zu verändern.
Auch hier wirft Sasha Lindquists Brief gegen den Einsatz der Polizei als „kostenlose private Security für Banken“ die Frage perfekt auf:
“…Als Anwohner, der kein Mitglied irgendeiner Gruppe oder Organisation ist, fordere ich dass die Stadt diese Form von Security-Arbeit nicht mehr macht. Was würde passieren, wenn sie damit aufhören würden? Die BesetzerInnen wären im Haus, ruhig wie die Mäuse – genau wie in den vier Wochen bevor die Polizei reinmarschierte. Freddie Mac hätte einen Anreiz mit der Familie Cruz gemeinsam die Kreditbedingungen zu überarbeiten. Die BesetzerInnen würden aufhören und wieder zuhause schlafen. Wenn die Familie in ihr Haus zurückkehren dürfte, hätten wir wieder unser stabiles Wohnviertel.”
Wenn die Stadt- und Kreisbehörden einfach aufhören würden auf jede Bitte der Banken hin Pfändungen zu vollstrecken, gäbe es praktisch ein Räumungsmoratorium. Die Banken hätten keine andere Wahl, als kollektive Verhandlungen mit den HauseigentümerInnen zu führen. Die Forderung von Occupy Homes nach einer allgemeinen Kürzung der Schulden auf die aktuellen Marktwerte könnte umgesetzt werden.
Occupy Homes MN wird schon jetzt bundesweit als Vorbild gesehen. Hier eine klare politische Stimme der 99% zu schaffen könnte Diskussionen darüber in Gang bringen, was bundesweit gebraucht wird: eine breite neue Partei von, für und mit der arbeitenden Bevölkerung um dem politischen Würgegriff der Wall Street entgegenzutreten.