Über Sinn und Unsinn des Genossenschaftsmodells
In ihrem 120-Tage-Papier findet sich ein Plädoyer der beiden neuen LINKE-Vorsitzenden für Genossenschaften. Dieser Gedanke ist in der Arbeiterbewegung heftig umstritten.
In „Den Aufbruch organisieren – Vorhaben für die kommenden 120 Tage“ schreiben Katja Kipping und Bernd Riexinger: „Sozialistische Politik heißt eben auch, Wirtschaftsdemokratie voranzutreiben sowie Formen solidarischer Ökonomie, wie Genossenschaften oder Kooperativen, und Rekommunalisierungen zu befördern. (…) Wir sind der Überzeugung, dass das Genossenschaftsmodell eine wichtige Antwort auf die Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus ist.“
Rosa Luxemburg wies demgegenüber in ihrer Schrift „Sozialreform oder Revolution“ schon 1899 auf die Begrenztheit von Genossenschaften hin: „Was die Genossenschaften (…) betrifft, so stellen sie ihrem inneren Wesen nach inmitten der kapitalistischen Wirtschaft ein Zwitterding dar: eine im kleinen sozialisierte Produktion bei kapitalistischem Austausche. In der kapitalistischen Wirtschaft beherrscht aber der Austausch die Produktion und macht angesichts der Konkurrenz rücksichtslose Ausbeutung, das heißt völlige Beherrschung des Produktionsprozesses durch die Interessen des Kapitals, zur Existenzbedingung der Unternehmung. (…) In der Produktivgenossenschaft ergibt sich daraus die widerspruchsvolle Notwendigkeit für die Arbeiter, sich selbst mit dem ganzen erforderlichen Absolutismus zu regieren, sich selbst gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen. An diesem Widerspruche geht die Produktivgenossenschaft auch zugrunde, indem sie entweder zur kapitalistischen Unternehmung sich rückentwickelt, oder, falls die Interessen der Arbeiter stärker sind, sich auflöst. (…)
Abgesehen also von ihrem Zwittercharakter können die Produktivgenossenschaften als allgemeine soziale Reform schon aus dem Grund nicht erscheinen, weil ihre allgemeine Durchführung vor allem die Abschaffung des Weltmarktes und die Auflösung der bestehenden Weltwirtschaft in kleine lokale Produktions- und Austauschgruppen, also dem Wesen nach einen Rückgang von großkapitalistischer auf mittelalterliche Warenwirtschaft voraussetzt.“
Genossenschaften spielen heute längst nicht mehr die Rolle wie damals. Aber auch heute tun sie sich, wie zum Beispiel im Bankensektor, nicht wirklich positiv hervor. So verspekulierten sich Häuser wie die Berliner Volksbank auf dem Immobilienmarkt ebenfalls munter. Deshalb sollte diese Frage in der Linkspartei noch einmal intensiv beleuchtet werden. Als Vorbereitung für die Debatte ist Luxemburg nicht die schlechteste Lektüre.