Anzeichen für einen erneuten globalen Abschwung mehren sich
Obwohl die griechischen Wahlen am 17. Juni ganz im Sinne von Kanzlerin Angela Merkel, der Troika und Europas Kapitalbesitzern ausgingen, kehrte auf den Märkten keine Ruhe ein. Schon eine Woche zuvor war die Wirkung der als Befreiungsschlag gehandelten EU-Zusage für spanische Banken in atemberaubendem Tempo verpufft. „Jetzt wissen wir, was man sich von 100 Milliarden Euro kaufen kann: fünf Tage. Die Finanzmärkte haben weniger als eine Woche benötigt, um über Spaniens Extra-Rettungspaket zu urteilen – und sie haben es zum Fehler erklärt.“ Unkte der britische „Guardian“ am 15. Juni und resümierte: „Über Euroland senkt sich allmählich die Dämmerung.“
von Aron Amm, Berlin
Die Investoren trauen Spanien und erst recht Griechenland nicht zu, dauerhaft den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Trotz zwei „Rettungspaketen“ und einer Umschuldung wird für Hellas im Jahr 2020 bestenfalls eine Reduzierung der Schulden auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwartet. Sage und schreibe ein Drittel der Spareinlagen wurden binnen zwei Jahren bereits von Griechenlands Banken abgehoben und ins Ausland geschafft. Diese veritable Kapitalflucht bedeutet nichts anderes als ein Bankensterben in slow motion. Und die Sparauflagen der Troika (Internationaler Währungsfonds, EU-Kommission und Europäische Zentralbank) reißen die Wirtschaft in eine Depression, die die Steuereinnahmen zusätzlich einbrechen und die Staatsschulden weiter ansteigen lassen.
„Grexit“
Zwar ist nach der Bildung der neuen, von den Konservativen geführten, Regierung von Neuverhandlungen über das griechische Defizit die Rede. Zudem trägt die gleichzeitige Zuspitzung der Bankenkrise in Spanien zu verstärkten Anstrengungen der Troika bei, Griechenland in der Euro-Zone zu halten, um eine unkontrollierte Kettenreaktion zu vermeiden.
Vielleicht können die europäischen Kapitaleigner den „Grexit“ – schon jetzt das Unwort des Jahres 2012 –, also ein Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone, in den nächsten Monaten noch abwenden. Trotzdem tickt die „Grexit“-Uhr. Denn schon heute muss das griechische Bankensystem, trotz aller Rettungspakete, mit 96 Milliarden Euro „Nothilfen“ durch die Zentralbank des Landes gestützt werden, was ihr nur mit Hilfe der EZB gelingt. Zudem zeigen sich die Kräfte der Troika tief zerstritten, was lebensverlängernde Maßnahmen bei einem Patienten, der mit dem Tod ringt, enorm erschwert. Dazu kommt, dass die Arbeiterklasse weitere Kürzungsauflagen nicht einfach hinnehmen wird.
Was passiert, wenn der „Grexit“ (wahrscheinlich auch noch auf unorganisierte, chaotische Weise) eintritt? Die drohende Abwertung der Währung und der Vermögenswerte könnten einen Ansturm auf die Banken auslösen, die Kapitalflucht rasant verschärfen und ein Geldinstitut nach dem anderen in den Ruin stürzen. Es steht zu befürchten, dass auch Lohnauszahlungen zunächst mal eingestellt werden. Die „Financial Times“ hielt das kürzlich sogar für die Polizeigehälter für denkbar und schwadronierte bereits von Bürgerkriegs- und Putsch-Szenarien (eine unmittelbar sicherlich überzogene Perspektive).
Dominoeffekt
Dass die Herrschenden europaweit vor dem griechischen Urnengang eine „unglaubliche Schreckenskampagne“ (wie es der Europaabgeordnete der irischen Socialist Party, Paul Murphy, bezeichnete) betrieben haben, hängt weniger mit dem ökonomischen Gewicht Griechenlands (das sich bloß auf zwei Prozent des EU-BIP beläuft) zusammen, sondern vielmehr mit den unkalkulierbaren Folgen eines „Grexit“. Sollten Millionen GriechInnen im Zuge eines Staatsbankrotts ihr Erspartes verlieren, dann könnte in Portugal, Spanien oder sogar Italien eine Panik ausbrechen und einen Run auf die dortigen Banken verursachen. Die Risikoprämien für die Staatsanleihen dieser Länder (die bereits heute so horrend sind, dass es ihnen immer schwerer fällt, ihre Schulden zu finanzieren) würden durch die Decke schießen.
Dazu kommt die direkte gegenseitige Abhängigkeit der Unternehmen und Finanzhäuser in der EU. Wen wundert es da noch, dass sich die Euro-Krise wie ein Schwelbrand nicht nur durch das wirtschaftliche Gebälk Südeuropas, sondern sogar in die Kernunion gefressen hat. Denn selbst der ökonomische Zwerg Griechenland hat sich für seine Banken unter anderem von Frankreichs Kreditinstituten 40 Milliarden Euro geliehen, während diese wiederum mit 100 Milliarden Euro bei britischen Banken in der Kreide stehen.
Nagelprobe Spanien
Selbst wenn die „Brandmauer“ halten und eine griechische Feuersbrunst zunächst eingedämmt werden sollte, wird auch Spanien – für den Ökonom Paul Krugman das „Epizentrum der Krise“ – über kurz oder lang in Flammen stehen. Wie in Irland stiegen die Häuserpreise in den zehn Jahren vor der Weltwirtschaftskrise um 300 bis 400 Prozent. Da weniger riskante Geschäfte getätigt wurden, verzögerten sich die Auswirkungen der geplatzten Immobilienblase. Doch mittlerweile fällt es den Banken immer schwerer, die Last der auf 500 Milliarden Euro geschätzten Wohndarlehen zu schultern (von denen etwa die Hälfte faule Kredite sein sollen).
Madrid muss schon sieben Prozent Zinsen für die Käufer von zehnjährigen Staatsanleihen hinblättern, um den maroden Banken unter die Arme zu greifen. Die Hauptabnehmer dieser Schuldentitel sind die Finanzhäuser. Diese können sich bei der EZB für ein Prozent Zinsen Geld leihen, damit spanische Staatsanleihen erwerben und über die Zinsdifferenz einen ordentlichen Gewinn machen. Was für eine absurde und auf Dauer unhaltbare Situation! Ein fast zahlungsunfähiger spanischer Staat ist auf Banken angewiesen, die ebenfalls beinahe zahlungsunfähig sind, um die gleichen angeschlagenen Geldinstitute rauszuboxen.
Wenn der Bankensektor Spaniens, der viertgrößten Volkswirtschaft des Euro-Raums, kollabiert, werden auch die Gelder des auf 700 Milliarden Euro ausgeweiteten neuen Rettungsschirms ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) knapp werden. Und spätestens beim Bankrott Italiens, der mit zwei Billionen Euro verschuldeten drittgrößten Euro-Ökonomie, dürfte das Ende der Fahnenstange erreicht sein.
Nationalstaatliche Schranken
„Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten.“ So ganz wollen sich Merkel und Co. auf dieses alte Sprichwort wohl nicht verlassen. Neben immer umfangreicheren Rettungspaketen suchen die Regierenden ihr Heil in einer Vergemeinschaftung der Schulden. Überlegt werden zum Beispiel Euro-Bonds oder eine Bankenunion (gemeinsame Bankenaufsicht, Abwicklungsfonds und Einlagensicherung).
Letztendlich zielen all die Maßnahmen auf die Schaffung einer politischen Union ab. Schließlich gehen die Euro-Turbulenzen wesentlich auf den Widerspruch einer gemeinsamen Währungs- bei weiterhin unterschiedlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik der 17 Euro-Staaten zurück. Allerdings führte die Einführung der Gemeinschaftswährung nicht zu mehr Konvergenz, sondern ganz im Gegenteil zu mehr Divergenz. Wenn schon in den Aufschwungsjahren eine Angleichung scheiterte, wie soll sie dann in Zeiten der Krise gelingen? Obwohl der Kapitalismus nach einer Internationalisierung von Produktion und Handel strebt, stößt er immer wieder an seine Grenzen: Privateigentum an den Produktionsmitteln und nationalstaatliche Schranken. Die Euro-Krise zeigt in aller Schärfe, dass sich der Nationalstaat auf Basis des Profitsystems nicht überwinden lässt.
Deutschland: mitgefangen, mitgehangen
Zwar kam der Euro dem deutschen Kapital nicht nur im Auf-, sondern auch im Abschwung zu Gute: ob die Exportvorteile durch die geschwächte Währung, ob die Räumungsverkäufe in Griechenland oder aber die hohen Risikoprämien bei Krediten an die Pleiteländer. Allerdings können die BRD-Banken die Kuh nur solange melken wie sie Milch gibt. Früher oder später werden sie auf ihren Milliardenkrediten sitzen bleiben. Dieses Szenario wirft bereits seine Schatten voraus: So schossen im Mai die Renditen am Markt für Kreditausfallversicherungen in Deutschland nach oben.
Trotz der Reputation der Deutschen Bank ist der Bankensektor der Bundesrepublik fragil. Die Geldhäuser hierzulande haben gegenüber der Peripherie der Euro-Zone Forderungen von 500 Milliarden Euro. Außerdem belaufen sich die Ausleihungen der Bundesbank an die EZB über den Zahlungsverkehr zwischen den Notenbanken auf 700 Milliarden.
Darüber hinaus wird Deutschlands Stärke zu seiner Achillesferse: Der Export macht 50 Prozent des BIP aus (in Frankreich sind es 27 Prozent). Im Juni fiel der Ifo-Konjunkturindex nun auf den niedrigsten Stand seit 2010 …
Indikatoren der Weltwirtschaft zeigen nach unten
Die Euro-Krise beeinträchtigt die Wirtschaft in Deutschland und weltweit. Der globale Absatz befindet sich auf dem schwächsten Niveau seit 1996. Die immer mehr Euro-Staaten erfassende Rezession trifft auch die exportstarken „Schwellenländer“. Dies wiederum belastet die deutsche Wirtschaft; zumal der Anteil des Handels mit China und Asien am deutschen Export seit 2003 von sechs auf 15 Prozent gestiegen ist.
Die Große Depression 1929-33 begann mit einem Einbruch in den USA, gefolgt von einer internationalen Bankenkrise und einer sich weltweit gegenseitig verstärkenden Talfahrt von Produktion und Handel. Genau das wollten die Kapitalisten nach der Lehman-Brothers-Pleite verhindern. Aber genau dieses Szenario droht sich – nach dem Umweg der Konjunkturprogramme – heute zu wiederholen.
Die „New York Times“ konstatierte unlängst, dass die Regierungschefs, anders als vor 80 Jahren, an ihren Gipfeltreffen weiterhin festhalten – um dann mit Bedauern nachzuschieben: Zwar finden die Krisengipfel weiter statt, bloß zeitigen sie keine Ergebnisse. Und die FAZ berichtete am 21. Juni über das G20-Treffen in Mexiko: „Die Staaten einigten sich nur mit Mühe darauf, bis Ende 2014 keine neuen Handelshemmnisse zu errichten.“ Aber, und auch das erinnert an die Dreißiger: „Trotz ähnlicher Versprechen seit 2008 haben die G20-Staaten ihre Handelsbarrieren zunehmend erhöht.“