Generaldebatte legt die politischen Wurzeln der Krise der Partei nicht offen
Nach der Generaldebatte und den Reden von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine und vor den Personalentscheidungen bleibt die Situation auf dem Bundesparteitag der LINKEN in Göttingen spannend und offen. Die Chance, den politischen Wurzeln der Parteikrise auf den Grund zu gehen und eine politische Richtungsentscheidung herbeizuführen, wurde aber vertan.
von Sascha Stanicic, z.Zt. Göttingen
Auf dem Vortreffen der Antikapitalistischen Linken (AKL) und der gemeinsamen Vorbesprechung der AKL und der Sozialistischen Linken (SL) am Vorabend des Parteitags standen die Personalfragen im Mittelpunkt. Diese wurden jedoch als Ausdruck wesentlicher politischer Differenzen in der Partei verstanden. Einigkeit bestand darin, dass verhindert werden muss, dass Dietmar Bartsch als Vertreter des so genannten Reformerflügels zum Vorsitzenden oder Geschäftsführer gewählt wird. Dies wäre ein Signal für die Politik der ostdeutschen Landesverbände, die Regierungsbeteiligungen mit der prokapitalistischen SPD zum Ziel hat, die Sozialabbau, Privatisierungen und Stellenabbau beinhaltet, wie man es in den rot-roten Koalitionen in Berlin und zur Zeit in Brandenburg gesehen hat.
Weitere Personalfragen wurden kontrovers diskutiert. Während innerhalb der AKL auch Unterstützung für eine weibliche Doppelspitze, bestehend aus Katharina Schwabedissen und Katja Kipping geäußert wurde, dominierte auf dem gemeinsamen Vortreffen von SL und AKL die Unterstützung für den baden-württembergischen ver.di-Gewerkschafters Bernd Riexinger. Auch die SAV hatte sich für Bernd Riexinger ausgesprochen, vor allem aber dafür argumentiert, dass auf dem Parteitag für eine innerparteiliche linke Mehrheit gekämpft werden müsse. Katharina Schwabedissen wurde von uns und vielen anderen dafür kritisiert, dass sie ein Bündnis eingegangen ist, das VertreterInnen der Parteirechten einbindet und dass die Debatte in der Partei durch ihren Vorschlag eines so genannten Dritten Wegs entpolitisiert wurde. Schwabedissen und Kipping erklärten ihrerseits, dass sie nur als Doppelspitze gewählt werden wollen und riefen alle Delegierten auf, die Eine nur zu wählen, wenn man auch die Andere wählt. Sahra Wagenknecht ließ ihrerseits durchblicken, dass sie zu einer Kandidatur nur bereit sei, wenn allein dadurch die Wahl von Dietmar Bartsch verhindert werden kann. Die auf den Vortreffen vielfach geäußerte Absicht, die Generaldebatte zur Politisierung des Parteitags zu nutzen, wurde dann aber nur sehr eingeschränkt umgesetzt. Deutliche Worte fand zumindest der scheidende Parteivorsitzende Klaus Ernst zur Frage der Funktion der parlamentarischen Tätigkeit der Partei. Rosa Luxemburg zitierend betonte er, dass eine linke Partei das Parlament als Sprachrohr für den außerparlamentarischen Kampf nutzen müsse.
Generaldebatte
Auch diverse RednerInnen des linken Parteiflügels verzichteten in ihren Beiträgen darauf, offensiv die Politik der Regierungsbeteiligungen in den ostdeutschen Landesverbänden herauszufordern oder auch zu erklären, dass der Kampf gegen Verschlechterungen und für Verbesserungen hier und heute mit dem Kampf für eine grundlegende sozialistische Veränderung der Gesellschaft verbunden werden muss. Sie betonten vor allem die Notwendigkeit in der grundsätzlichen Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr die Position der LINKEN nicht aufzuweichen und plädierten für eine Schwerpunktsetzung auf soziale und gewerkschaftliche Bewegungen. Gleichzeitig verteidigten RednerInnen des Reformerflügels offensiv zum Beispiel die Regierungsbeteiligung in Brandenburg und ließen den dort beschlossenen Stellenabbau im öffentlichen Dienst unerwähnt.
Nach einer Generaldebatte, die wenig Aufschluss über die Kräfteverhältnisse auf dem Parteitag ergab, sprachen dann Gregor Gysi und Oskar Lafontaine zu den Delegierten. Beide beschworen die Einheit der Partei, spielten die inhaltlichen Differenzen hinunter und erhielten dafür stehende Ovationen.
Gysi hielt eine Rede, mit der er zwar versuchte, sich als die Stimme des Vernunft-Zentrums der Partei zu präsentieren, die aber letztlich nur als Unterstützung von Dietmar Bartsch interpretiert werden kann. Seine Kernthese war, dass DIE LINKE im Osten eine Volkspartei sei und im Westen eine Interessenpartei. Beides erfordere unterschiedliche Herangehensweisen. Mit über zwanzig Prozent Wählerstimmen könne man Regierungsbeteiligungen nicht ausschließen. Er sagte:“Die Einen setzen mehr auf Kooperation mit der SPD als die Anderen – Na und?“. Dieser Appell für eine friedliche Koexistenz der verschiedenen Flügel kommt aber einer politischen Unterstützung für die in Berlin und anderswo betriebenen Politik gleich, die im Widerspruch zu den Grundsätzen der Partei steht. Die Unterscheidung in Volks- und Interessenpartei beinhaltet offensichtlich die Absage an eine Partei der Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen und eine Unterstützung für eine Politik, die alle Volksschichten erreichen soll, also auch die Kapitaleigner. Klaus Ernst hatte dazu immerhin klare Worte gefunden: „Die Partei muss ein Instrument zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Mehrheit im Land sein. Wir sind nicht da für die Spekulanten, Kredithaie und diejenigen, die von anderer Leute Arbeit leben.“ Gysi drohte wieder mit Spaltung der Partei und sagte, wenn eine Kooperation nicht möglich sei, müsse man sich besser fair trennen. Seine Rede löste bei vielen Delegierten, trotz des großen Applauses bei anderen Teilen, Unverständnis und Empörung aus.
Lafontaine reagierte in weitgehend freier Rede auf Gysis Vorgabe und wies das Gerede von Spaltung vehement zurück. Dazu habe man nur das Recht bei schwerwiegend programmatischen Differenzen und zog als Beispiele die Frage von Krieg und Frieden oder des Für und Widers von Sozialabbau an. Bezugnehmend auf die große Einigkeit bei der Verabschiedung des Grundsatzprogramms sagte er: „Wenn die Stimmen für das Programm ernst gemeint waren, gibt es die Basis für eine gemeinsame Partei.“ Das mag sein, ignoriert aber die Tatsache, dass die tatsächliche Politik in Regierungskoalitionen mit der SPD eben im Widerspruch zu Interessenvertretung für die Lohnabhängigen und den Grundsätzen der Partei steht – und damit sehr wohl als schwerwiegende programmatische Differenz gesehen werden sollte. Mit seiner Rede verzichtete Lafontaines darauf, die politischen Ursachen der Parteikrise offenzulegen und zur Diskussion zu stellen. Gleichzeitig betonte er die grundsätzliche Bereitschaft Koalitionen mit der SPD zu bilden, wenn dazu eine politische Basis besteht. Er deutete aber auch an, dass er in der jetzigen Situation diese Basis aufgrund des Verhaltens der SPD nicht als gegeben sieht. Gleichzeitig betonte auch er, dass DIE LINKE nur dann Vertrauen in der Bevölkerung gewinnen kann, wenn die „Kernbereiche der Arbeitnehmer und Rentner denken, dass die Partei im Zweifelsfall ihre Interessen eintritt.“ Damit und mit anderen Aussagen rief er dazu auf, DIE LINKE als kämpferische Partei an der Seite sozialer Bewegungen und gewerkschaftlicher Kämpfe zu positionieren. Deutlich machte er mit seiner Kritik an der frühzeitigen Kandidatur von Dietmar Bartsch zum Parteivorsitz und dem Hinweis, dass es ein Vertrauensverhältnis zwischen Vorsitzenden und Geschäftsführer geben müsse, aber auch seine Ablehnung einer Wahl von Dietmar Bartsch in eine dieser Positionen.
Eine inhaltliche Kontroverse und Richtungsentscheidung hätte entstehen können, wenn es zu einer Abstimmung zwischen dem vom Parteivorstand eingereichten Leitantrag und dem vom Reformerflügel vorgelegten alternativen Leitantrag gekommen wäre. Letzterer verzichtete auf Aussagen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr und zu inhaltlichen Bedingungen für Regierungsbeteiligungen und wurde als eine Abkehr vom Erfurter Grundsatzprogramm interpretiert. Während der ursprüngliche Leitantrag auf der Basis vorliegender Änderungsanträge aus der Parteilinken vom Parteivorstand noch in einigen Punkten deutlich verbessert wurde, zog der rechte Flügel seinen alternativen Leitantrag zurück.
Im Abend werden dann die beiden Vorsitzenden gewählt. Erst dann wird absehbar sein, ob die Partei die offene Krise der letzten Monate wird beenden können. Klar ist aber jetzt schon, dass die politischen Gründe für die Krise durch diesen Parteitag nicht gelöst werden.