Dieser Bericht schildert verschiedene Eindrücke in den letzten Tagen vor der Wahl aus Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt des Landes, auf das gerade ganz Europa schaut.
von Georg Kümmel, z.Zt. Thessaloniki
Die erste politische Äußerung die ich sehe, klebt als Plakat der Kommunistischen Partei KKE am Wartehäuschen der Bushaltestelle am Thessaloniki-Airport. Kein Zufall, denn auf der Fahrt ins Stadtzentrum sieht man vor allem Plakate der KKE. Sie werben für die zentrale Wahlkampfkundgebung am Donnerstag. Das zweite, was auffällt, neben schwülheißen 30 Grad im Schatten, sind die vielen leerstehenden Geschäfte entlang der Straße. ËNOIKIAZETAI”(Zu vermieten) dieser Schriftzug in rot auf weißem Grund, prägt gewissermaßen das Stadtbild. Zehn, zwanzig, zuweilen dreißig Prozent der Geschäfte stehen leer und suchen (vergeblich) neue Mieter.
Auf den ersten Blick verläuft das Leben für einen Außenstehenden ansonsten irgendwie normal. Es ist viel Verkehr auf den Straßen. Die Menschen gehen Einkaufen. Ich frage eine junge Bekannte meiner Gastgeberin, wie sich ihr Leben durch die Krise geändert hat. Yolanda hat vor zwei Jahren ihr Sozialarbeit-Studium abgeschlossen und wollte eigentlich in der Erwachsenenbildung arbeiten. Eine entprechende Stelle hat sie schon damals nicht gefunden, konnte sich aber anfangs mit verschiedenen Jobs über Wasser halten. Die waren mit fortschreitender Krise aber immer seltener zu bekommen. Yolanda musste deshalb vor einigen Monaten ihre eigene Wohnung aufgeben und ist wieder zurück zu ihren Eltern gezogen, wie viele ihrer AltersgenossInnen. Entsprechend viele Wohnungen stehen – kapitalistische Logik – jetzt leer.
Yolanda hat nur noch einen kleinen Job, einmal in der Woche arbeitet sie als Kellnerin. Für neun Stunden Arbeit bis spät in die Nacht bekommt sie 35 Euro.
Wenn man durch die Stadt geht, möchte man meinen, dass die Jugendlichen, die noch einen Job haben, alle nur Werbezettel verteilen. Im Stadtzentrum bekommt man auf Schritt und Tritt von jungen Leuten Werbung in die Hand gedrückt.
Ich wollte wissen, wie teuer das normale Leben ist. LIDL gilt auch in Griechenland als günstig. Also bin ich zu LIDL gegangen und habe die Preisschilder fotografiert, weil es mir sonst vielleicht nicht geglaubt wird. 250 g Butter kosten 1,59 Euro, der Liter Frischmilch 84 Cent. Ein Kilo Mehl 79 Cent.
An der Tankstelle kostet der Liter Diesel 1,42 Euro. Das einzige, was tatsächlich günstiger ist als in Deutschland, sind die Preise im Öffentlichen Nahverkehr. Ein Busticket kostet 80 Cent, selbst vom Flughafen kommt man für 90 Cent in die Innenstadt. Teuer wird es allerdings, wenn man mit Bus oder Bahn von einer Stadt zur anderen fährt.
Auf die Idee, dass die Griechen in den vergangenen Jahren über ihre Verhältnisse gelebt hätten, kann man bei einem Stadtrundgang wirklich nicht kommen. Es sei denn, man billigt ihnen von vorneherein nur Verhältnisse zu, die noch weniger als bescheiden sind. Prunk und Protz findet man nirgendwo, ein paar ganz nette Plätze aber auch viele eher graue Straßenfronten. Die Stadt wirkt etwas ungepflegt.
Dass sich das Land kurz vor einem, von vielen als Schicksalswahl bezeichneten, Urnengang befindet, sieht man ebenfalls fast nur auf den zweiten Blick. Die meisten Wahlplakate sind ‘wild” plakatiert worden. Fensterflächen von leerstehenden Geschäften gibt es ja im Überfluss. Man sieht nur Plakate der linken Parteien: hauptsächlich von der KKE, auf dem zweiten Platz von SYRIZA und noch erstaunlich viele von der kleinen ANTARSYA.
Die beiden großen bürgerlichen Parteien , die ND und die gar nicht mehr so große PASOK, verzichten praktisch ganz auf Plakate und setzen auf Werbung in den und mit Hilfe der Medien.
Zu den Besonderheiten der Wahl in Griechenland gehört übrigens auch, dass es hier keine Briefwahl gibt. Jede/r muss dort wählen, wo er/sie gemeldet ist. Das ist aus verschiedenen Gründen oft nicht dort, wo man gerade wohnt. Zum Wahlwochenende müssen sich deshalb viele erst mal auf die Reise machen.
Meine Erfahrungen mit den wahlkämpfenden linken Parteien, widerspiegeln leider sehr gut die Probleme der griechischen Linken. Am Donnerstag hatte die KKE ihre Abschlusskundgebung. Ca. 3.000 TeilnehmerInnen, ein Meer roter Fahnen, kämpferische Stimmung, die überwiegende Mehrheit der TeilnehmerInnen offensichtlich überzeugte Anhänger oder Mitglieder der KKE. Ich frage eine Aktivistin, warum die KKE denn keine gemeinsame Liste mit SYRIZA macht, dass könnte der Linken doch die Mehrheit bringen. Ihre Antwort: “Weil SYRIZA keine Kommunisten sind.“
Am nächsten Abend, am selben Platz, die Abschlusskundgebung von SYRIZA. Mit ca. 4.000 TeilnehmerInnen, es können auch mit allen Umstehenden 5.000 sein, größer als die der KKE. Vor Spitzenkandidat Tsipras spricht Gabi Zimmer, Vorsitzende der Links;Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament.
Es kommt kaum Stimmung auf, ab und zu ganz spärlicher Applaus. Sie redet ja auch so mitreißend wie Lothar Bisky, um es vorsichtig zu formulieren und sagt auch inhaltlich nichts Neues.
Ganz anders anschließend die Reaktion auf Tsipras. Er wird angekündigt wie ein Popstar. Schon sein Erscheinen auf der Bühne löst Jubel aus. Ein Mitglied von SYRIZA berichtet mir am nächsten Tag, dass einige Menschen in seiner Nähe, bei seiner Verabschiedung in Tränen ausbrechen. Seine WählerInnen setzen große Hoffnung in einen Wahlsieg von SYRIZA, und namentlich auch in die Person Tsipras. Dahinter steckt allerdings auch die Illusion, dass sich allein durch die Wahl, die Dinge wieder zum Besseren wenden könnten.
Tsipras selber bleibt in seiner Rede eher allgemein, ähnlich wie die Parole auf dem Wahlplakat von SYRIZA, die in etwa lautet “Wir öffnen die Straße der Hoffnung”.
Auf der Kundgebung sieht man neben vielen SYRIZA-Fahnen auch ein halbes Dutzend griechische Nationalflaggen. Daneben wiederum TeilnehmerInnen mit roten und gelben Schildern auf denen jeweils nur ein Wort steht: “Widerstand” und „Umsturz”.
Am Samstag gehe ich gemeinsam mit Mitgliedern von XEKINIMA, der griechischen Schwesterorganisation der SAV, durch die Einkaufsstraßen. XEKINIMA ruft mit eigenen Flugblättern und eigenen Plakaten zur Wahl von SYRIZA auf. Wir verteilen diesen Wahlaufruf an Passanten. Die Stimmung ist polarisiert. Nicht, dass jemand laut würde. Aber entweder, man ist sowieso für SYRIZA oder eben klar dagegen. Und natürlich gibt es etliche, die das angebotene Flugblatt ignorieren und weitergehen. Aber es gibt doch viele Reaktionen und Kommentare, etwas, dass man aus dem Wahlkampf in Deutschland nicht gewohnt ist.
Das Hauptargument der SYRIZA-Gegner ist: Mit SYRIZA fliegen wir vielleicht aus dem Euro und SYRIZA sagt auch nicht, wo das Geld für deren Forderungen herkommen soll.
Die meisten, die man fragt, gehen von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SYRIZA und der konservativen ND aus. Der Wahlabend dürfte mindestens so heiß werden. wie das Wetter hier.