Revolution und Konterrevolution
von Tony Saunois (CWI) und Andros Payiatos, Xekinima (CWI Griechenland)
Dieser Artikel erschien erstmals in der Socialism Today, Magazin der Socialist Party (CWI England & Wales)
Alexis Tsipras, Vorsitzender Syrizas: es ist “ein Krieg zwischen Mensch und Kapitalismus”
Die Wahlen in Griechenland am 6.Mai waren ein politisches Erdbeben. Mächtige Nachbeben erschüttern noch immer die globale Ökonomie, die EU und Griechenland selbst. Das sind die Vorboten der noch schärferen politischen und sozialen Umbrüche in Griechenland und durch die gesamte EU.
Die Organisationen der ArbeiterInnen und Jugend Englands und in der ganzen EU müssen ihre Solidarität gegenüber den griechischen ArbeiterInnen erweitern. Sie müssen sich gegen die Forderungen der “Troika” und anderen, die den griechischen ArbeiterInnen weitere Kürzungen aufbürden, positionieren. Die Solidarität ist Teil der Kämpfe, die die ArbeiterInnen in allen Ländern gegen die Angriffe der eigenen herrschenden Klasse und Regierung führen.
Die Wahlen haben die etablierten politischen Verbundenheiten zertrümmert, aber ohne eine Parteienkonstellation zu hinterlassen, weder auf der linken noch auf der rechten Seite, die die Mehrheit im Parlament bilden könnte. Die Regierung wurde paralysiert und neue Wahlen wurden für den 17.Juni ausgerufen.
Die Lähmung im Parlament ist eine Reflektion einer griechischen Gesellschaft, die von Aufruhr erschüttert ist. Es sind starke Eigenschaften sowohl von Revolution wie auch von Konterrevolution zu beobachten. Wie die Financial Times bereits warnte: “Plünderungen und Aufstände könnten sich ereignen. Ein Putsch oder ein Bürgerkrieg sind denkbar.” (18/5/12)
Syriza (Bündnis der radikalen Linken), deren Stimmenanteil von 4,6 Prozent auf 16,78 Prozent in die Höhe schoss, hat sich zu der zweitstärksten Kraft in den Wahlen entwickelt. Diese gewaltige positive Entwicklung hat einerseits vielen ArbeiterInnen und SozialistInnen international die Hoffnung gegeben, dass etwas ähnliches in ihren Ländern stattfinden könnte und andererseits die herrschende Klasse in Griechenland, sowie Merkel, Cameron, Rajoy und andere politische Führer des Kapitalismus verängstigt. Syriza könnte potenziell eine ernsthafte Hürde für die “Troika” und die Kürzungspläne werden.
Die entscheidende Frage ist: Kann dieser linke Vorsprung ausgebaut und in einen noch größeren Erfolg in den kommenden Wahlen verwandelt werden? Wird die griechische Arbeiterklasse und seine Organisationen ein revolutionär-sozialistisches Programm annehmen? Denn ohne ein solches Programm wird die Krise in Griechenland nicht zu lösen sein, geschweige denn die Umkehrung der verheerenden sozialen Auswirkungen der bereits umgesetzten Kürzungspakete.
Wenn die Linke nicht in der Lage ist, ein Programm aufzustellen, das tatsächlich die politischen Herausforderungen mit den korrekten Slogans, Intensität der Kämpfe und Methoden der Organisation in Angriff nehmen kann, so haben die Wahlen gezeigt, sind die rechtsextremen Kräfte gewillt, diesen leeren Platz einzunehmen. Der Stimmenzuwachs der faschistischen Partei “Goldene Morgenröte”, die aus dem Stand auf 6.97 Prozent gekommen sind und 21 Sitze erringen konnten, ist eine ernstzunehmende Warnung an die griechische und europäische Arbeiterklasse. Es drückt die Bedrohung aus, die sich aus einer weiteren Verschärfung der Krise in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln kann, wenn die Linke keine reale Alternative zum Kapitalismus anbietet.
Der Zusammenbruch der etablierten Parteien, besonders von Neue Demokratie (ND) und PASOK, war der klarste Beweis der überwältigenden Ablehung gegenüber den Parteien, die die Kürzungspakete durchgedrückt haben – wie Sklaven den Forderungen der “Troika” folgend. Unter beiden Regierungen und der nun auslaufenden Koalition konnte Griechenland effektiv von internationalen Bankern, der EZB, IMF und EU übernommen werden. Die europäische Kapitalistenklasse hat moderne Versionen der kolonialen Herrschaft übernommen, EU Kommissare als Aufseher in jedem Ministerium der Regierung installiert.
Die Handlanger der EU wurden von der griechischen Bevölkerung verjagt. In den letzten 3 Dekaden erhielten ND und PASOK zwischen 75 und 85 Prozent in jedem Wahlgang. Die Stimmen der beiden Parteien zusammen ergaben bei den diesjährigen Wahlen mickrige 32,02 Prozent – 18.85 Prozent für ND und 13.18 Prozent für PASOK.
Brutaler Angriff auf den Lebensstandard
Die griechische Arbeiterklasse und Mittelschicht leiden seit Jahren an den brutalen Angriffen auf den Lebensstandard. Als ein Resultat der ökonomischen Krise und den Kürzungspaketen wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zum Ende des Jahres um 20 Prozent zum Stand von 2008 fallen. Das wäre einer der tiefsten Abschwünge, die ein kapitalistischer Staat seit der Depression der 1930er erlitten hat.
Das sind keine kalten Statistiken. Die Leben von Millionen von ArbeiterInnen und der Mittelschicht wurden zerstört. Die sozialen Auswirkungen sind verheerend. Angestellte im öffentlichen Dienst müssen Lohnkürzungen in Höhe von 40 Prozent hinnehmen. Eine Tasse Kaffee in Athen kostet genauso viel wie in London. Dabei werden viele ArbeiterInnen mit nur 400€ monatlich entlohnt – nur Almosen. Solche Löhne sind für viele wort wörtlich Hungerlöhne. Die Kirche schätzt, dass sie mittlerweile bis zu 250.000 Menschen täglich in den Suppenküchen versorgt. Patienten müssen in Voraus für ihre Behandlung bezahlen und gleichzeitig wurden die Krankenhausbetten um 50 Prozent gekürzt. In einem Fall hat ein Krankenhaus die Freigabe eines Neugeborenen an die Mutter bis zur Zahlung der Rechung verweigert. Tausende Schulen wurden geschlossen. Viele Zehntausende flüchten aus den Städten aufs Land, wo sie bei ihren Familien unterkommen und wenigstens Zugang zu Nahrung haben.
Die Mittelschicht wird geradezu ausgelöscht. Viele sind obdachlos und dazu verdammt, neben den ausgebeutetsten migrantischen ArbeiterInnen für Essen und Schlafplätze in Obdachlosencamps anzustehen. Diese Camps muten an wie eine südeuropäische Variante der “Favela” Elendsviertel in Brasilien. Die Arbeitslosigkeit ist auf 21 Prozent gestiegen, die Jugend hat es mit 51 Prozent noch härter getroffen.
Rechtsextreme und die faschistische “Goldene Morgenröte” haben versucht, Nationalismus und Rassismus gegen illegale MigrantInnen, die auf Hunderttausende geschätzt werden, zu schüren. Das ist eine grundsätzliche Herausforderung für ArbeiterInnen und linke Organisationen. Notmaßnahmen, um diesen Menschen Zugang zu Obdach und Nahrung zu gewähren, müssen ergriffen werden. Die Linke sollte ein spezielles öffentliches Arbeitsbeschaffungsprogramm fordern. Ein Programm finanziert durch die EU und nicht auf Kosten der griechischen ArbeiterInnen.
ArbeiterInnen leisten Widerstand
Die griechische Arbeiterklasse kämpft hartnäckig gegen die Angriffe und jede Regierung, die diese umsetzen. PASOK ersetzte Neue Demokratie im Herbst 2009, nur um dem Diktat der “Troika” zu verfallen und die brutalsten Angriffe auf die griechischen ArbeiterInnen seit dem Ende des Bürgerkriegs 1949 durchzuführen, dabei alle vorhergehenden Versprechen brechend. Die Unterstützung von PASOK brach darunter zusammen, da die ArbeiterInnen diese Politik ablehnten. Die Führungen der Gewerkschaften waren seit Anfang 2010 gezwungen, 16 mal zu Generalstreiks – darunter 3 mal zu 48 stündigen – aufzurufen. Trotzdem prasseln die Kürzungen wie Hagel auf die griechische Bevölkerung. Die Unfähigkeit der Gewerkschaftsführung die Kämpfe effektiv zu führen, hat die Arbeiterklasse erschöpft – ein Generalstreik folgte dem nächsten, ohne jegliche Erfolge. Nun haben sie ihre Wut an den Pro-Kürzungsparteien in den Wahlen ausgelassen.
Zehntausende sind aus Verzweiflung emigriert. Viele mehr sind auf den Wartelisten. Einige haben einen Ausweg gefunden indem sie nach Australien, England und Kanada ziehen. Die griechische Presse schätzt, dass momentan etwa 30.000 illegale griechische MigrantInnen in Australien leben. Einige sind gar nach Nigeria oder Kasachstan gegangen – so verzweifelt ist das Leben in Griechenland.
Andere, getrieben von Verzweiflung und der Erniedrigung des Elends in dem sie sich befinden, haben einen tragischeren Ausweg gefunden. Die internationale Presse berichtete über den Selbstmord vom 77 jährigen Rentner Dimitris Christoulas, der sich vor dem griechischen Parlament wegen seiner Schulden erschoss. Der Abzug wurde quasi von der “Troika” und deren Politik betätigt.
Die Selbstmordrate hat sich um 22 Prozent erhöht und ist inzwischen die Höchste in Europa. Ein radikal kritischer Journalist, der kürzlich aus Griechenland zurückgekehrt ist, wurde Zeuge eines Selbstmords eines Kleinunternehmers, der in seinem Mercedes sitzend ins Meer fuhr. Nach griechischem Recht können nach dem Tod der Familie keine Schulden vererbt werden.
Diese Bedingungen erinnern an die Beschreibungen in John Steinbecks Roman über die Depression der USA – Die Früchte des Zorns.
Es gibt weit verbreitete Verbitterung, Hass und Wut auf die griechische reiche Elite und deren Politiker, die sich nicht sicher auf den Straßen bewegen oder ein Restaurants betreten können. Die Reichen transferieren ihr Vermögen in die Schweiz oder in andere europäische Länder, während die Masse der Bevölkerung unter den Konsequenzen der Krise leiden müssen. Am 6.Mai wurden all diese Politiker und Parteien, die die Kürzungen durchgesetzt haben, bestraft.
Syriza tritt der Koalition von PASOK und ND entgegen
Die Führung von Syriza, besonders Alexis Tsipras, haben sich korrekt verhalten, in dem sie standhaft eine Koalition mit PASOK oder ND, die eine Fortsetzung der Kürzungspolitik bedeutet hätten, abgelehnt haben. Alexis schlug einen linken Block aus KKE, der griechischen kommunistischen Partei, und der Abspaltung von Syriza – demokratische Linke – vor, um eine linke Regierung zu bilden.
Wie begrenzt auch immer, er versprach, dass ein solcher linker Block auf einem Programm basieren würde, der alle weiteren Kürzungsmaßnahmen einfrieren; das Gesetz aufheben, das den Flächentarif abschafft und das Mindesteinkommen auf 490€ gedrückt hat; sowie eine öffentliche Untersuchung der griechischen Schulden – das ein Moratorium auf die Schuldenrückzahlung einleiten würde.
Dieses Programm wird zwar die Tiefe der Krise Griechenlands nicht antasten können, trotzdem würde es den Beginn der Entwicklung von Kämpfen gegen Kürzungen markieren und könnte die Basis für ein Programm werden, das die Notwendigkeit des Bruchs mit dem Kapitalismus beinhaltet.
Schändlicherweise hat die Führung der KKE sich geweigert. Sie wollte sich noch nicht mal mit Tsipras treffen. Das ist die Fortsetzung der sektiererischen Haltung der KKE gegenüber Syriza, dem Rest der Linken und der Gewerkschaftsbewegung. Syriza hat ganz richtig nach einem gemeinsamen Wahlantritt mit KKE und ANTARSYA – eine antikapitalistische Allianz in den Wahlen – gefordert. Aber das wurde abgelehnt.
Für die Idee eines gemeinsamen Wahlantritts von Syriza und KKE warb die griechische Sektion des CWI, Xekinima, bereits in der Phase von 2008-2010. Trotz der anfänglichen Anfeindungen konnte diese Idee an Befürwortern gewinnen und wurde eventuell so von Tsipras und der Führung von Syriza übernommen.
Wäre diese Linksfront tatsächlich angetreten, sie hätte die Mehrheit der Stimmen erhalten und damit auch den 50 Sitze Bonus, der der stärksten Partei nach griechischem Wahlrecht zuerkannt wird. Auch wenn dies nicht zur Regierungsbildung gereicht hätte, so wären sie gestärkt aus dem ersten Wahlgang hervorgegangen und hätten noch bessere Möglichkeiten im zweiten Wahlgang gehabt.
Während die KKE sich sogar gegen die Überlegung über den Eintritt in eine solche linke Regierung weigerte, war sie in der Vergangenheit bereits an einer kapitalistischen Regierung beteiligt. Die KKE ging eine Koalition mit ND 1989 ein. Der Generalsekretär der KKE, Aleka Papariga, argumentiert heute, dass sie aus der Vergangenheit gelernt hätten und nutzen das als Ausrede, um zu rechtfertigen, dass sie mit Syriza nicht zusammenarbeiten möchten. Wie auch immer, eine geeinte linke Regierung, gebildet auf der Basis für Widerstand gegen Kürzungen, ist etwas ganz anderes als einer prokapitalistischen Regierung mit ND beizutreten.
Eine Linksfront der Arbeiterklasse angeführt von Arbeiterparteien hätte zur Einigung der fragmentierten linken Kräfte Griechenlands in Kämpfen beitragen können. Eine solche Einheitsfront könnte eine machtvolle, gut organisierte ausserparlamentarische Bewegung im Kampf gegen den Kapitalismus einleiten. Tragischerweise haben auch andere linke Kräfte wie ANTARSYA (Antikapitalistische linke Koalition) eine ähnlich sektiererische Haltung im ersten Wahlgang eingenommen. Und nun sehen sie sich einem hohen Druck von unten ausgesetzt, es gibt bereits einige Teile, die einen gemeinsamen Wahlantritt mit Syriza am 17.Juni fordern. Die Frage wird noch immer in der Basis diskutiert, während die Führung weiterhin gegen Syriza Haltung bezieht. Wenn schließlich die Führung sich durchsetzt, wird ANTARSYA einen hohen Preis dafür zahlen, denn sie werden enorm an Unterstützung verlieren. (ANTARSYA bekam 2 Prozent in den Wahlen 2010, sie fiel am 6.Mai auf 1,2 Prozent.)
Der Sektierertum der KKE hat auch Opposition in ihren eigenen Reihen provoziert. Einige Mitglieder haben zwar gesagt, dass sie selbst die KKE wählen werden, anderen aber zur Wahl von Syriza geraten. Eine Fortsetzung dieser sektiererischen Haltung wird die Opposition in den Reihen schüren und möglicherweise eine Spaltung einleiten.
Die KKE hat bereits dafür bezahlt. Ihr Stimmenzuwachs betrug nur 19.000 – 1 Prozentpunkt mehr – auf 8.48 Prozent. In einer aktuellen Umfrage für den zweiten Wahlgang lag sie bei 4.4 Prozent.
Abgesehen von ihren Unzulänglichkeiten kann Syriza sich durch ihre klare Haltung gegen Kürzungen und der Zusammenarbeit mit Pro-Kürzungsparteien weiter stärken. Es ist durchaus möglich, dass sie in den Wahlen im Juni noch mehr Stimmen kriegen. In aktuellen Umfragen liegen sie bei 20 bis 26 Prozent, damit wären sie die stärkste Kraft.
Tsipras hat angedroht, nicht die gesamten nationalen Schulden zu zahlen, den Verteidigungshaushalt zu kürzen, bei Verschwendung und Korruption durchzugreifen und die Steuerflucht der Reichen zu stoppen. Er sympathisiert auch mit der öffentlichen Kontrolle des Bankensystems, manchmal implizit die Verstaatlichung dessen. Er hat auch positiv über Roosevelt’s “New Deal” gesprochen. Das alles sind radikale Reformen, aber kein Bruch mit dem Kapitalismus. Trotzdem ist das der Beginn eines Notfallplans zur Schaffung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Bereich, angeknüpft an die Verstaatlichung von Banken und Schlüsselsektoren der Wirtschaft und der Einführung eines demokratischen, sozialistischen Plans.
Aus dem rasanten Wachstum von Syriza können linke Kräfte in anderen Ländern, auch TUSC in England, viele wichtige Lehren ziehen. Denn solche Organisationen können ähnliche Stimmenzuwachse wie aus dem Nichts erfahren in Zeiten, in denen die objekitive Lage reif für solche Entwicklungen ist. Sie müssen ein konsequentes und klares Profil haben und die Interessen der Arbeiterklasse vertreten, um aus der Situation profitieren zu können, wenn das Vertrauen in die etablierten Parteien gebrochen ist. Der Wahlsieg der ULA in Irland, im besonderen der sozialistischen Partei, illustriert das.
Syriza’s Haltung, nicht mit den Pro-Kürzungsparteien PASOK und ND zu koalieren, auch als sie angeboten haben, in einem Memorandum mit der “Troika” in neue Verhandlungen zu gehen, steht im Kontrast zu anderen linken Formationen auf dieser Stufe. In Italien beispielsweise ging die PRC solche Koalitionen regional ein und verlor konsequent an Unterstützung. Die IU in Spanien, die in den letzten Wahlen gewachsen sind, haben inzwischen dummerweise eine Regierung mit der PSOE in Andalusien gebildet. Eine Fortsetzung dieser Politik könnte das Wachstum und die Entwicklung der IU stark beeinträchtigen.
Die Pro-Kürzungsparteien, angeführt von ND und PASOK sowie der “Troika”, versuchen verzweifelt den zweiten Wahlgang in ein Referendum an der Frage der Mitgliedschaft in der EU zu drehen, als die Kürzungspolitik in den Mittelpunkt zu drängen. Sie führen neben dem EU Establishment eine klare Kampagne mit der Aussage, dass der Widerstand gegen die Kürzungspakete für Griechenland der Ausschluss aus dem Euro und eventuell auch aus der EU bedeuten könnte.
Die EU und der Euro
Dies ist eine zentrale Debatte in der griechischen Krise und es ist absolut auschlaggebend für die Linke, eine klare Position und Programm zu dieser Frage zu haben.
Leider positionieren sich die Führung von Syriza und Tsipras nicht für eine klare Alternative, auch wenn sie hartnäckig Kürzungen und die Zusammenarbeit mit ND und PASOK ablehnen. Teilweise ist das der Ausdruck des Drucks der Mehrheit der Griechen – 79 Prozent nach aktuellen Umfragen befürworten weiterhin die Mitgliedschaft im Euro und lehnen gleichzeitig die Kürzungen ab.
Verständlicherweise haben viele Griechen Angst vor den möglichen Konsequenzen, wenn die kleine Ökonomie tatsächlich aus dem Euro austreten sollte – inklusive einer möglichen Isolation der Wirtschaft. Die griechischen Massen haben schreckliche Angst davor, dass die Wirtschaft zurück zu den sozialen Bedingungen der 1950er und ’60er oder die hohe Inflation der 1970er und ’80er geworfen werden könnte. Syriza und die Linke muss auf diese Ängste eingehen und eine Alternative aufzeigen.
Es ist ebenso klar, dass Tsipras mit der Unwahrscheinlichkeit eines Ausschlusses Griechenlands aus dem Euro pokert, da die EU mögliche negative Auswirkungen auf die restlichen Länder Europas fürchtet. Dabei ist das nicht sicher.
Die KKE hingegen lehnt den Euro und die EU ab und greift Syriza für die positive Position gegenüber der EU und dem Euro an. Politisch ist das eine der Rechtfertigungen, warum sie keinen linken Block mit Syriza eingehen möchten. Während sie formal sehr radikale Töne anschlägt und von “Revolten der Menschen” oder Volksaufständen spricht, entpuppt sich das als untaugliche Propaganda mit abstrakten Ansätzen, die nicht der Polarisierung und dem Willen zum Widerstand der derzeitigen Lage in Griechenland gerecht werden kann. Sie rechtfertigen sogar ihre Ablehnung gegen einen linken Block mit dem Argument “Was wäre dann der Charakter einer Opposition?”.
Ihr Verständnis von Opposition zur EU und dem Euro auf einer nationalen Grundlage spiegelt wider, dass sie nur innerhalb des Kapitalismus denken können. Was notwendig ist, ist eine internationalistische Perspektive, die den Kampf der griechischen Arbeiterklasse mit dem Kampf der Arbeiterklasse in den anderen EU Ländern verknüpft.
Es ist wahr, dass ein Teil der europäischen Herrschenden große Angst vor den Konsequenzen eines Rauswurfs Griechenlands aus der Eurozone haben. Die Zentrale für Ökonomie und Wirtschaftsforschung schätzt die Kosten eines “unkontrollierbaren” Zusammenbruchs des Euro nach dem Ausschluss von Griechenland auf bis zu 1 Billionen US$. Ein “kontrollierter” Zusammenbruch würde 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU – 300 Milliarden US$ – bedeuten. Unzweifelhaft ist, dass eine solche Entwicklung massive Auswirkungen für die gesamte EU nach sich zieht und weitere Länder, wie Spanien aus der Eurozone rausbrechen könnten.
Indessen treibt die deutsche herrschende Klasse und andere die Angst um, dass substantielle Konzessionen an Griechenland Spanien, Italien, Portugal und Irland zu Rufen nach noch höheren Hilfen verleiten könnte. Und das können sie nicht riskieren. Demnach schlussfolgert dieselbe Zentrale für Ökonomie und Wirtschaftsforschung: “Ein Ende des Euro in seinem jetzigen Zustand ist unausweichlich.”
Tsipras und Syriza fälschlicherweise glauben an die Möglichkeit eines Verbleibs im Euro und gleichzeitig keine Kürzungspolitik gegen die Arbeiterklasse führen zu müssen. Dabei ist der Euro selbst ein wirtschaftliches Korsett, das den mächtigeren kapitalistischen Ländern und Konzernen es ermöglicht, ganz Europa ihre Kürzungsmaßnahmen aufzuzwingen.
Syriza handelt richtig mit dem Versprechen, dass sie keine Kürzungen umsetzen werden. Doch wie wollen sie mit der Drohung des Rauswurfs umgehen? Denn dies ist der unausweichliche Kurs auf dem sich Griechenland befindet. Es ist nicht galubwürdig, einfach zu sagen, dass man im Euro bleibt und die Kürzungen ablehnt. Wenn sie dies tun und eine linke Regierung würde auf der Grundlage aus dem Euro ausgeschlossen werden, so wären sie nicht mit Antworten auf Vorwürfe der Rechten vorbereitet.
Auch wenn der Großteil der Griechen momentan einen Auschluss ablehnt, heisst das nicht, dass sie den Euro zu jedem Preis akzeptieren werden. Syriza muss Antworten auf diesen Angriff liefern und erklären, dass eine Ablehnung der Kürzungen zum Auschluss führen wird. Aber auch, dass ohne eine linke Regierung ein Ausschluss möglich ist.
Angesichts dieser Situation sollte eine linke Regierung sofort Maßnahmen ergreifen und Kontrollen auf Kapital und Kredite einführen, die die Kapitalflucht aus dem Land verhindert und alle Banken, Finanzinstitutionen und Schlüsselkonzerne verstaatlichen. Es müsste umgehend jegliche Schuldenrückzahlung an Banken und Finanzinstitutionen einstellen. Die Verträge und Vereinbarungen mit internationalen Banken und Märkten müssten geöffnet und geprüft werden. Die Vermögenswerte der Reichen sollten sichergestellt und Absicherungen für Kleinanleger und Ersparnisse eingerichtet werden. Es sollte auch ein Programm zum Wiederaufbau gestartet werden, das demokratisch als Teil eines sozialistischen Plans entworfen wurde und auch Hilfen zum Aufbau von Kleinunternehmen beinhaltet.
Sozialistischer Internationalismus notwendig
Gleichzeitig müsste Syriza und die Regierung der ArbeiterInnen und Ausgebeuteten des Kapitalismus an die ArbeiterInnen Europas – besonders die, die unter der ähnlichen Situation leiden, wie Spanien, Irland, Portugal und Italien – appelieren, sich mit ihnen zu solidarisieren und mit dem Aufbau einer neuen Alternative zum kapitalistischen EU und Euro zu beginnen. Die massiven Beben der Krise in Spanien und anderswo würden die Menschen dazu bringen, sich einem solchen Appell anzuschließen. Das könnte ein erster Schritt in Richtung der Bildung einer freiwilligen sozialistischen Föderation mit diesen Ländern sein, der wiederum der erste Schritt hin zu einer sozialistischen europäischen Föderation wär.
Ein solcher Prozess sollte bereits jetzt angestoßen werden, indem die Organisationen der Linken und ArbeiterInnen sich in diesen Ländern direkt verbinden.
Keine oder eine falsche Antwort auf die Drohung des Ausschlusses aus dem Euro würde nur der Entwaffnung des Kampfes gegen die Kürzungen bedeuten. Es könnte auch für Syriza bedeuten, dass sie die Möglichkeit, zur stärksten Kraft zu werden, verspielen. Die griechische herrschende Klasse und die “Troika” versuchen, den Wahlkampf auf die Frage der Mitgliedschaft im Euro zu fokusieren und von der Kürzungspolitik abzulenken. Sie versuchen, mit diesem Drohszenario die Bevölkerung einzuschüchtern und sie davon abhzuhalten, für Syriza zu stimmen. Gleichzeitig versuchen sie, die eher rechtsgerichteten Wähler und auch die, deren rechten Parteien es nicht zum Wahlantritt geschafft haben, um ND herum zu sammeln. Nach Jahren der Kürzungsmaßnahmen und brutalen Angriffe ist nicht sicher, ob diese Strategie aufgehen wird.
Ungeachtet der Defizite Syrizas zu EU und Eurofragen, schien es in der Verfassungszeit des Artikels sicher zu sein, dass Syriza seine Unterstützung ausbauen kann und ernsthafte Chancen auf die Mehrheit der Stimmen in Konkurrenz zu ND zu haben. In aktuellen Umfragen liegen beide Parteien bei 20 und 23 Prozent.
Neue Phase des Widerstands
Sollte Syriza in die Regierung eintreten, würde das nicht automatisch das Ende der Krise einläuten, aber es wäre der Begin einer neuen Phase, auf das sich die Arbeiterorganisationen sofort vorbereiten müssen, wenn sie den Widerstand weiterbringen möchten.
Syriza selbst muss gefestigt werden, in
dem ArbeiterInnen, Jugendliche, Arme und diejenigen, die die Kürzungen ablehnen, eintreten und sich organisieren. Es hat bereits als Bündnis begonnen, breiter zu werden und soziale Bewegungen und Organisationen zu vereinen.
Tsipras hat völlig richtig die Linke aufgerufen, in einer vereinten Front zusammen zu kommen. Diesem muss ein konkreter Rahmen gegeben werden durch die Einberufung einer nationalen Versammlung der Basisdelegierten von linken Parteien, Gewerkschaften, Betrieben, Universitäten und kommunalen Organisationen.
Lokale Versammlungen von gewählten Delegierten aus diesen Bereichen müssen sofort von Syriza initiiert werden, um auf die kommenden Kämpfe vorzubereiten und sicherzustellen, dass eine zukünftige linke Regierung die Interessen der ArbeiterInnen vertritt.
Die Herrschenden fühlen sich bereits von den Entwicklungen von Syriza und der Linken bedroht. Das ist aber auch die unmittelbare Bedrohung des Zusammenbruchs der Gesellschaft, wenn die Linke den richtigen Moment verpasst. Die Staatskasse könnte noch vor den Wahlen am 17.Juni leer sein.
Auch wenn es eine andere Zeit war, sind doch Parallelen zwischen der Situation Griechenlands heute und der Situation Chiles zwischen 1970 und 1973 zu sehen, genauso wie Paralellen zu den Entwicklungen in Lateinamerika heute in Ländern wie Venezuela, Bolivien und Argentinien.
In Chile entwickelte sich eine massive Polarisierung in der Gesellschaft zwischen 1970 und 1973. Die Rechten und die Herrschenden bereiteten ihre Kräfte vor – sie konnten nicht länger in der Sackgasse stecken bleiben. Die faschistische Organisation Patria y Liberdad (Vaterland und Freiheit, Anm.d.Ü) marschierte, bombte und attackierte lokale Aktivisten und verhielt sich wie der Gehilfe des Militärs, welches in einem tödlichen Putsch am 11.September 1973 geschlagen wurde.
Die goldene Morgenröte, die die frühere griechische Militärdiktatur und Hitler hochlobt, kann auch der Handlanger des Militärs werden und sollte die herrschende Klasse, oder Teile von ihnen, zu dem Schluss kommen, dass es keinen Ausweg mehr gibt, ausser durch die “Wiederherstellung der Ordnung” aus dem Chaos und sozialen Kollaps zu entkommen, ist eine Militärintervention eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft. Auch wenn dies nicht der erste Schritt der Herrschenden sein wird, könnte sie sich mit der Zeit in die Richtung drehen. Falls die Unterstützung für die goldene Morgenröte sinken sollte – sowie es einige Umfragen indizieren – wäre das positiv, allerdings wäre das nicht das Ende dieser Partei und der Bedrohung, die sie verkörpert.
Der Führer der goldenen Morgenröte, Nikolaos Michalokiakos, bedrohte bereits diejenigen, die “ihr Vaterland verraten” haben mit: “Die Zeit der Angst ist gekommen. Wir kommen.” Sie können nicht zu einer Massenkraft an sich werden, aber wie auch Patria y Liberdad, sind sie in der Lage (oder sind es schon) der gefährliche Handlanger des Militärs zu werden und Minderheiten und die Arbeiterklasse anzugreifen.
Sie lassen ihre “schwarzen T-Shirt” Prügelhunde auf MigrantInnen los, die täglich unter deren Gewalttätigkeit und Bedrohungen leiden müssen. Einem Bericht zufolge haben sie in Gazi, Bezirk Athens, vor Kneipen für Homosexuelle Flyer verteilt mit der Warnung, dass sie die nächsten sein werden und Homosexuelle, die die Kneipen verließen, angegriffen.
Lokale antifaschistische Versammlungen müssen dringend einberufen und Verteidigungsgruppen gegen faschistische Angriffe müssen gebildet werden! In den Wahlen am 17.Juni könnte Syriza im Bündnis mit anderen Linken die Mehrheit im Parlament erkämpfen und unter dem Druck der Massenbewegung und der schärfe der Krise weiter nach links gedrückt werden. Und genau das ist auch die Angst der Herrschenden. Eine solche Entwicklung könnte auch Vorbild für andere Länder, wie Spanien und Portugal, sein.
Eine Regierung mit diesen Eigenschaften könnte sogar bestimmte Ansätze der Allende Regierung in Chile von 190-1973 beinhalten, beziehungsweise andere Ansätze der Chavez‘, Morales‘ und Kirchners Regierungen in Venezuela, Bolivien und Argentinien. Das könnten Maßnahmen sein, die kapitalistische Interessen angreifen, einschließlich breiten Verstaatlichungen. Während Syriza und Tsipras heute noch nicht von Sozialismus sprechen, könnte sich das schnell ändern. In einem Interview in der Tageszeitung The Guardian sagte er, dass “ein Krieg zwischen Mensch und Kapitalismus” tobt (19/5/12). Das ist nicht nur ein Schritt nach vorn, es zeigt auch, dass er und die Führung der Partei durch den Druck weiter nach links gedrückt werden können. Als Chavez in Venezuela an die Macht gewählt wurde, bezog er sich nicht auf den Sozialismus. Ein solches Szenario in Griechenland ist nicht unbedingt wahrscheinlich, aber solche Entwicklungen können an einem bestimmten Punkt nicht ausgeschlossen werden. Gerade unter den Auswirkungen der Verschärfung der Krise und dem Klassenkampf, können Forderungen nach Verstaatlichung, Arbeiterkontrolle und -verwaltung von weiten Teilen der Arbeiterklasse aufgegriffen werden. Das kann “linke” Regierungen dazu zwingen, solche Maßnahmen umzusetzen – wenigstens teilweise. Eine Erfahrung, die in der ersten Periode der PASOK Regierung 1981 gemacht wurde.
Sollten unverhofft die Pro-Kürzungsparteien eine Koalition zusammen schustern können, mit ND mit den meisten Stimmen und den 50 zusätzlichen Sitzen, so wäre sie absolut instabil und ohne jeglichen Zuspruch und Autorität.
Eine Regierung aus all diesen Parteien mit nur einer geringen Unterstützung wäre quasi ein Putsch der Pro-Kürzungsminderheit gegen die Mehrheit der Bevölkerung.
Sie wären mit enormer Wut und bitterem Widerstand der griechischen Arbeiterklasse konfrontiert. Eine solche Regierung sähe sich dem Ärger der Gesellschaft und heftigen Kämpfen, um von ihr loszukommen, ausgesetzt. Besonders wenn sie die Stärke einer möglichen linken Regierung um Syriza herum sehen, die unter diesen Umständen die Hauptwiderstandskraft wäre und dadurch ihre Präsenz und Verwurzelung in der Gesellschaft vertiefen könnte.
In dieser Situation sollte Syriza den Kampf gegen die Regierung und das kapitalistische System vorbereiten. Xekinima, die griechische Sektion des CWI, schlägt unter diesen Bedingungen vor, die Hauptslogans auf den Regierungssturz durch Streiks, Besetzungen und Massenprotesten zu konzentrieren.
Der schnelle Wachstum von Syriza ist eine extrem positive Entwicklung. Man sollte trotzdem bedenken, dass die politische Krise Griechenlands sie wie auch alle anderen politischen Kräfte testen wird. Falls sie kein vollständiges Programm ausarbeiten können, mit einem Satz an Methoden und einem Kampfvorschlag, der die Massen nach vorn bringt, dann werden sie genauso schnell sinken wie sie sich erhoben haben. Xekinima versteht auch die Notwendigkeit der Stärkung von marxistischen Kräften innerhalb Syrizas, um zu den richtigen politischen Schlüssen zu kommen.