Griechenland: Raus aus dem Euro?

Die griechische Linke, die Krise und die Wiedereinführung der Drachme

von Andros Payiatsos, Herausgeber der marxistischen Zeitung Xekinima

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Die Weltwirtschaftskrise, die 2007/08 in den USA ihren Anfang nahm, hat
Griechenland in eine tiefe wirtschaftliche Depression gestürzt. Der
griechische Staat kann seine Schulden nicht mehr bedienen und musste
durch zwei so genannte Rettungspakete vor einem formellen Staatsbankrott
bewahrt werden. Die Wirtschaftsleistung ist in den Jahren 2010 und 2011
um 11,3 Prozent gesunken, für 2012 liegen die Prognosen bei einem
weiteren Rückgang zwischen 4,5 und 8 Prozent.

Unter dem Diktat der Troika1 wird ein radikales Verarmungsprogramm gegen
die griechische Bevölkerung umgesetzt. Nicht die Verursacher
kapitalistischer Krisen und ausufernder Verschuldung in den Regierungen
und Chefetagen der Banken und Konzerne zahlen für die Krise, sondern die
Masse der Arbeiterklasse und einfachen Bevölkerung. Die Folge ist eine
soziale Katastrophe: das Einkommen griechischer ArbeitnehmerInnen ist in
den letzten drei Jahren um bis zu fünfzig Prozent gesunken, der
Mindestlohn wurde drastisch abgesenkt, staatliches Eigentum wurde
privatisiert, Tarifverträge aufgehoben, Löhne werden nicht ausgezahlt.
Eltern können ihre Kinder nicht mehr ernähren und müssen sie in
SOS-Kinderdörfer schicken. Die Suizidrate ist drastisch gestiegen. Im
April 2012 tötete sich der Rentner Dimitris Christoulas und schrieb in
seinem Abschiedsbrief: „Da mein fortgeschrittenes Alter mir keine
dynamische Reaktion erlaubt (obwohl wenn ein Mitgrieche eine
Kalaschnikow aufnehmen würde, wäre ich gleich hinter ihm), sehe ich
keine andere Lösung, außer dieses würdevolle Ende zu meinem Leben, damit
ich mich nicht dabei vorfinde durch Abfalleimer zu wühlen für mein
Überleben.“

Menschen infizieren sich absichtlich mit HIV, weil sie dadurch bessere
und dauerhafte Sozialleistungen erhalten. Obdachlosigkeit und Armut
führen in den Straßen Athens zu Auseinandersetzungen um den Zugang zu
weggeworfenen Lebensmitteln in den Mülltonnen. Die griechisch-orthodoxe
Kirche ernährt mittlerweile eine viertel Million Menschen täglich in
ihren Suppenküchen. Griechenland ist auf dem Weg in die Barbarei.

Doch die griechische Arbeiterklasse und Jugend leistet erbitterten
Widerstand. 16 Generalstreiks in zwei Jahren, die Bewegung der
„Empörten“ im Sommer 2011, Massendemonstrationen, Streiks, Besetzungen
von Betrieben und Institutionen wie dem Gesundheitsministerium, eine
Bewegung zum Zahlungsboykott von Autobahnmaut und Bustickets –
Griechenland ist eine Gesellschaft im Aufruhr. Zum ersten Mal seit über
drei Jahrzehnten entwickelt sich eine revolutionäre Situation in einem
westeuropäischen Land. Tatsächlich lag die Macht im Februar 2012 auf der
Straße und eine entschlossene Arbeiterbewegung mit einer revolutionären
Führung und einer Massenpartei hätte die Regierung stürzen und eine
alternative Macht etablieren können. Die großen linken Parteien KKE2 und
SYRIZA3 lagen im April 2012 in Meinungsumfragen bei bis zu dreißig
Prozent. Hinzu kommen über fünfzehn Prozent für die Demokratische Linke,
einer Rechtsabspaltung der Synaspismos. Eine Einheit der Linken könnte
zu einer parlamentarischen Mehrheit führen, die auch den Weg zur Bildung
einer Arbeiterregierung weisen könnte.

Für die Linke stellen sich in Griechenland viele wichtige Fragen. Kann
sie einen Weg aus der kapitalistischen Krise aufzeigen? Was sollen ihre
zentralen Forderungen und Ziele sein? Bedarf es einer Lösung im Rahmen
kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen oder kann eine solche nur durch
den Bruch mit kapitalistischen Verhältnissen gefunden werden? Und welche
Rolle spielt dabei das Verhältnis zur Europäischen Union und dem Euro?
Gerade letzteres spielt eine zentrale Rolle in den Debatten innerhalb
der griechischen Linken und Arbeiterbewegung.

Angesichts der Vorgaben aus Berlin und Brüssel und der Tatsache, dass
Griechenland einen großen Teil seiner nationaler Souveränität abgeben
musste und weil die Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion wie
eine Zwangsjacke wirkt, die eine eigenständige Währungspolitik
verhindert, fordert eine wachsende Zahl linker Kräfte einen Austritt aus
dem Euro und eine Rückkehr zu einer nationalen Währung, der Drachme.
Damit ist die Hoffnung verbunden, dass dann ein größeres Maß nationaler
Unabhängigkeit erreicht wird und die Möglichkeit der Währungsabwertung
zu einer Stimulierung für die griechische Volkswirtschaft führen kann.
Dieser Gedanke beinhaltet die Hoffnung darauf, dass die Krise im Rahmen
des Kapitalismus, nur unter anderen kapitalistischen Parametern
überwunden werden kann.

In dieser Broschüre setzt sich Andreas Payiatsos ausführlich mit dieser
Frage auseinander. Payiatsos ist Herausgeber der marxistischen Zeitung
Xekinima und Generalsekretär der gleichnamigen sozialistischen
Organisation, die die Schwesterorganisation der Sozialistischen
Alternative – SAV und griechische Sektion des Komitees für eine
Arbeiterinternationale ist.

Xekinima stellt nicht die Forderung nach einem Austritt Griechenlands
aus dem Euro und/oder der EU auf. Nicht weil sie den Euro oder die
kapitalistische EU unterstützen würde oder für den Verbleib des Landes
in der Einheitswährung und dem Staatenbund wäre. Im Gegenteil: Xekinima
argumentiert, dass es im Rahmen des Kapitalismus keine Lösung für
Griechenland gibt – egal, ob innerhalb oder außerhalb des Euro. Aus
dieser Grundüberlegung leitet die Organisation ein Programm ab, das aus
Übergangsforderungen besteht, die einen Weg zur Überwindung des
Kapitalismus aufzeigen sollen: die Weigerung der Schuldenrückzahlung,
die Verstaatlichung des Bankwesens und der wichtigsten
Wirtschaftsbereiche unter demokratischer Arbeiterkontrolle und
-verwaltung, um auf dieser Basis die nötigen Investitionen zum Aufbau
der Wirtschaft zu tätigen, die Bildung einer Arbeiterregierung. Xekinima
stellt mit der Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa
eine internationalistische Perspektive auf und betont, dass es keinen
nationalen Ausweg aus der Krise geben kann – weder auf kapitalistischer
Basis noch als Sozialismus in einem Land.

Diese Haltung wird in dieser Broschüre ausführlich erklärt. Sie gibt die
zentrale Debatte wieder, die zur Zeit in der griechischen Linken und
Arbeiterbewegung diskutiert wird. Sie birgt aber auch viele Lehren für
die Linke in anderen Ländern – auch in Deutschland, wo auch ein
wachsender Teil der Bevölkerung den Euro immer skeptischer sieht und
rechtspopulistische Kräfte eine Rückkehr zur D-Mark fordern.

Sascha Stanicic im April 2012

Einleitung zur zweiten Auflage

Das erste, was bei dieser Broschüre ins Auge sticht, ist der Titel. Was
für eine Beziehung kann der Euro und die Drachme zur Revolution und zur
Linken haben? Doch wenn man die Debatten und Kontroversen innerhalb der
Linken verfolgt, wird der Zusammenhang klar.

Was zuerst festgehalten werden muss, ist der offene Bezug zur
„Revolution“. Etwas, das bis vor zwei Jahren als weit entfernt und
romantisch erschien, kommt plötzlich auf die Tagesordnung und man
betrachtet es als völlig natürlich, dies öffentlich und breit zu
diskutieren. Dabei haben zwei wichtige Faktoren eine Rolle gespielt. Der
eine sind die arabischen Revolutionen, die Anfang 2011 von Tunesien
ihren Ausgang nahmen und sich in Windeseile auf die übrige arabische
Welt ausweiteten. Der zweite ist die Weltwirtschaftskrise, die mit dem
Crash auf dem Wohnungsmarkt in den USA 2007 begann und sich seitdem
weiter fortsetzt. Dabei hat sie das Bankensystem erfasst und nimmt heute
die Gestalt der Schuldenkrise an, die die Eurozone trifft.

Diese Krise ist noch nicht vorbei und schafft in einer Reihe von Ländern
explosive Verhältnisse. Sie war die Grundlage für die arabischen
Revolutionen. Sie war die Grundlage auch für die Bewegung der
„Empörten“, die sich an den Platzbesetzungen in Tunesien und Ägypten ein
Beispiel genommen und sich auf die ganze Welt ausgebreitet hat. Sie ist
auch die Grundlage für die katastrophale Krise, die heute die Eurozone
trifft und insbesondere in Griechenland eine explosive Mischung
hervorruft.

Die Prozesse, die wir seit zwei Jahren in Griechenland erleben,
beinhalten revolutionäre Charakteristika. Und dies wird heute auch in
der ganzen Gesellschaft und nicht nur in irgendwelchen Zirkeln von
„Revolutionären“ diskutiert. Allein die Tatsache, dass Aleka Papariga,
die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands am 20.
Oktober 2011 erklärte, dass es in Griechenland „keine revolutionäre
Situation“ gebe, zeigt aber, dass Entwicklungen in diese Richtung
begonnen haben.

Wir sind in eine neue Epoche, die mit revolutionären Ereignissen
schwanger geht, eingetreten. Das ist außerordentlich wichtig für die
Gesellschaft, die Linke und für die Diskussionen die in den nächsten
Jahren geführt werden.

Was ist nun der Zusammenhang dieser Situation mit dem Euro und der
Drachme? Es ist folgender: Wenn die Linke das Thema des Auswegs aus der
Krise mit der Währung verbindet – d.h. dass mit dem Übergang vom Euro
zur Drachme – ohne das Thema des Sturzes des kapitalistischen Systems
aufzuwerfen, dann begeht sie einen Fehler katastrophalen Ausmaßes, den
sowohl die Linke als auch die Gesellschaft teuer bezahlen wird.

Wenn die Linke das Thema des Sturzes des kapitalistischen Systems
aufwirft, dann reden wir von der Notwendigkeit der sozialistischen, der
Arbeiter- und Volksrevolution als dem einzigen Weg dahin, durch den die
griechische Gesellschaft aus dem Schraubstock herauskommt, in dem sie
sich befindet. Richtig. Welchen Sinn haben dann jedoch die Bezüge auf
die Währungsfrage? Was ist ihre Bedeutung? Helfen sie der Bewegung,
voranzukommen, oder verwirren sie sie? Die Antworten darauf sind alles
Andere als „schwarz-weiß“.

Einleitung zur ersten Auflage

Immer mehr Menschen beschäftigt die Frage, inwieweit ein Austritt aus
dem Euro und aus der EU Antworten auf die Probleme der Krise der
griechischen Wirtschaft und auf den Angriff auf die Arbeiterbewegung und
die Bevölkerung unseres Landes geben kann. Darauf soll diese Broschüre
eine Antwort geben.

Soll die Linke diese Forderungen in ihr Programm aufzunehmen und ihr
eine große Betonung zu geben? Ist ein Austritt aus dem Euro und der EU
vielleicht sowieso unvermeidbar? Wie beeinflusst das dann die Haltung,
die die Linke einnehmen muss? Was lehrt uns die Erfahrung Argentiniens,
die in Griechenland so sehr diskutiert wird? Was für eine Art
Staatsmacht brauchen wir, um die Kampfziele der Linken zu erreichen?
Sind ein vollständiger Umsturz und die Errichtung einer Arbeitermacht
bzw. sozialistische Verhältnisse notwendig, um Lösungen zu finden oder
kann eine „Volksfront“, eine „fortschrittliche“ Regierung im Rahmen des
Kapitalismus ausreichend sein? Und welche Bedeutung hat die in letzter
Zeit viel diskutierte „Nationale Befreiungsfront“ EAM für diese Frage?

Die Linke hat alles Andere als eine einheitliche Haltung zu diesen
Fragen. Sicher ist, dass aufgrund der Vertiefung der Krise sowohl in
Griechenland als auch in der Eurozone die Stimmen stärker werden, die
den Austritt aus der EU vorbringen.

In diesem Text versuchen wir nicht, eine Antwort auf eine bestimmte
Strömung der Linken zu geben. Es gibt Teile der Linken, die den Austritt
aus der EU und dem Euro mit der Notwendigkeit sozialer und politischer
Umstürze verbinden. Es gibt andere Teile der Linken, die sich im Grunde
darauf beschränken, das Thema des Austritts als einen ersten sehr
wichtigen Schritt aufzuwerfen und danach weiter sehen wollen. Für einen
wichtigen Teil der Linken, die für den Austritt aus der EU und dem Euro
eintreten, ist diese Position ein unverhandelbares Prinzip – und jeder,
der das nicht akzeptiert, gehört dann zum Lager der „reformistischen“
Linken, ist ein linkes Feigenblatt des Systems und folglich ist keine
Zusammenarbeit mit ihm erlaubt. Wir werden uns nicht mit den Differenzen
und unterschiedlichen Betonungen zwischen den verschiedenen Teilen der
Linken befassen. Wir werden uns mit dem grundlegenden Thema befassen:
Muss der Austritt aus der EU und dem Euro eine zentrale programmatische
Zielsetzung der Linken sein oder nicht?

Wenn Volksabstimmung, dann NEIN!

Die Diskussion über das Thema Euro, den Austritt aus diesem und die
Rückkehr zur Drachme hat neue Dimensionen angenommen nach dem Fiasko der
Volksabstimmung, die Georgos Papandreou am Dienstag, den 31. Oktober
2011 angekündigt hat, und nach den brutalen Drohungen, die von Merkel,
Sarkozy und dem übrigen europäischen Establishment darauf folgten.

Eine Volksabstimmung über verschiedene EU-Verträge wird von vielen
Parteien der Linken in der EU gefordert und diejenigen, die dies in der
Regel ablehnen, sind die Repräsentanten der herrschenden Klasse, die die
Ergebnisse von Volksabstimmungen fürchten. Deshalb wählen sie in der
überwältigenden Mehrheit der Fälle den Weg, dass Verträge und
Gesetzesvorschläge, die die EU betreffen, über die Parlamente
beschlossen werden. Papandreou wurde zur Ankündigung einer
Volksabstimmung über die Billigung des neuen Kreditabkommens, das das
Gipfeltreffen der EU am 26./27. Oktober 2011 beschlossen hatte,
gedrängt. Wenn das Ergebnis der Volksabstimmung negativ gewesen wäre,
hätten sich die Prozesse hin zum Zusammenbruch des Euro, die sich
ohnehin entwickeln, außerordentlich beschleunigt. (Wir haben hier nicht
den Platz, zu erklären, warum und wie das passieren würde.) Das Ergebnis
seiner Ankündigung eines Referendums war eine internationale Unruhe, die
Börsen auf der ganzen Welt stürzten wiederholt ab, Merkel und Sarkozy
fassten Papandreou am Ohr und dieser zog sich ungeordnet zurück.

Aber die Frage stand somit im Raum und es war damit bewiesen, dass die
Möglichkeit einer Volksabstimmung über den Verbleib in oder Austritt aus
dem Euro und der EU, keine theoretische ist – unter gewissen Umständen
kann es dazu kommen. Was müsste die Haltung der Linken in einem solchen
Fall sein? „Xekinima“ hat eine klare Position zu dieser Frage und hat
sie am Tag nach der Ankündigung der Volksabstimmung eingenommen. In
ihrer Erklärung mit dem Titel „Nein! Klar und laut! Nieder mit der
Regierung, raus mit der Troika!“ hat „Xekinima“ klargestellt, dass im
Falle einer Volksabstimmung über den Euro der Vorschlag der Linken an
die Bevölkerung eine NEIN-Stimmabgabe sein müsste.

Gründe für das NEIN

Was sind die Gründe für diese Positionierung? Georgos Papandreou hat
seine Zuflucht in einer Volksabstimmung nicht gesucht, weil er
demokratisch sensibel wäre, sondern weil seine Politik unter den
wütenden Reaktionen und Kämpfen der griechischen Arbeiterbewegung seit
Anfang 2010 in eine ausweglose Situation geraten war. Seine Regierung
stand kurz vor dem Zusammenbruch. Die Gesellschaft war gegen ihn. Seine
Partei war durch interne Konflikte zerrissen. Die Regierung Papandreou
ging dem Abgrund entgegen und er erkannte das. Ein Teil der
Parteiführung, die diese Realität verstand, beschloss, durch eine
Volksabstimmung ihren Gegnern und der Bevölkerung den Fehdehandschuh
hinzuwerfen. Auf diese Weise versuchte sie, die Initiative des Handelns
zurückzugewinnen. Papandreou wollte die Gesellschaft und seine
politischen Gegner erpresst, denn ein negatives Ergebnis der
Volksabstimmung hätte zwei Dinge bedeutet.

Erstens ein Ende der Kreditvergabe durch die Troika. Griechenland hätte
weder die acht Milliarden Euro der sechsten Tranche des ersten
Memorandums noch die 130 Milliarden Euro des neuen Kreditabkommens, des
zweiten Memorandums, erhalten.

Zweitens hätte dies den Austritt Griechenlands aus dem Euro bedeutet.
Sobald die Kreditzahlungen von der EU eingestellt würden, wäre die
griechische Regierung gezwungen, Geld zu drucken – und das einzige Geld,
das sie drucken könnte, sind Drachmen. (Dies stellten übrigens Merkel
und Sarkozy sofort danach klar: Wenn eine Volksabstimmung stattfinden
würde, ginge diese über den Verbleib oder den Austritt aus dem Euro.)

Papandreou hätte also mit einer Volksabstimmung die griechische
Gesellschaft vor ein erpresserisches Dilemma zu stellen versucht. Ein
Dilemma folgender Art: Entweder stimmt ihr dafür und billigt das neue
Kreditabkommen und meine Politik – eine Dampfwalze gegen die
Arbeiterbewegung mit einer offiziellen Dauer von mindestens zehn
weiteren Jahren – oder wir werden keine neuen Kredite bekommen, wir
werden die Löhne und die Renten nicht zahlen und wir werden uns
außerhalb des Euro befinden. Die Volksabstimmung wäre im Kern zu
folgender Frage gewesen: „Entweder stimmt ihr dafür, dass eine
Dampfwalze über euer Leben rollt, oder wir werden aus dem Euro
austreten.“

Wenn die herrschende Klasse der Arbeiterbewegung ein „Messer“ namens
„Euro“ an die „Kehle“ setzt, dann kann die Antwort keine andere als
„Nein zum Euro“ sein. Das ist die einzige Art und Weise, wie die
Massenbewegung „Nein zum Messer“, „Nein zur Dampfwalze“ sagen kann!
Würde sie mit „Ja“ stimmen, wäre das ein schwerer Schlag für die
Bewegung und würde ihre Fähigkeit untergraben, in der Zukunft Widerstand
zu leisten, da die Politik der Vernichtung des Lebensstandards und der
Abschaffung der Rechte vom Volk selbst bereits „gebilligt“ worden wäre.

Wenn wir uns die Meinungsumfragen anschauen, so zieht die Mehrheit des
griechischen Volkes den Euro der Drachme vor. Die Erklärung für dieses
Phänomen werden wir an anderer Stelle geben. In dem Moment jedoch, wo
die herrschende Klasse das griechische Volk vor das Dilemma stellt,
„Dein Leben oder den Euro“, kann die Linke nur stark und kämpferisch an
der Seite der Arbeiterklasse stehen, indem sie zum Euro Nein sagt. Das
wäre unter anderen Bedingungen von der Bevölkerung nicht leicht zu
verstehen, doch unter diesen Bedingungen könnte eine entschlossene
Kampagne der Linken die Kräfteverhältnisse positiv ändern.

Im Falle einer Volksabstimmung kann die Bevölkerung und die Linke
aufgerufen sein, für das „Nein zum Euro und zur EU“ zu kämpfen. Es kann
auch andere Voraussetzungen geben, die eine solche Position erforderlich
machen, dich aus Platzgründen können wir uns nicht mit allen befassen.

Wir wollen folgenden grundlegenden Punkt betonen: Unter bestimmten
Bedingungen, wenn sich eine Frage praktischer politischer Haltung wie im
obigen Beispiel der Volksabstimmung stellt, wird die Linke eine
kämpferische Position für den Austritt aus dem Euro und der EU beziehen
müssen. Das darf jedoch keine Illusionen in die Drachme oder
Unterstützung für diese bedeuten! Es ist auch etwas anderes, wenn nach
einem negativen Ausgang einer Volksabstimmung das Ergebnis tatsächlich
die Rückkehr zur Drachme ist, als wenn die Linke die Drachme unabhängig
von einer solchen praktischen Situation in ihre programmatischen Ziele
aufnimmt – also wenn sie erklärt, sie habe die Rückkehr zur Drachme zum
Ziel, oder zu verstehen gibt, dass der Austritt aus dem Euro oder auch
der EU an sich irgendetwas zur Lösung der Probleme der ArbeitnehmerInnen
beizutragen habe. Behandeln wir die Dinge jedoch der Reihe nach, indem
wir mit einem Beispiel anfangen, das in letzter Zeit viel diskutiert
wird.

Das Beispiel Argentinien

Argentinien ist von vielen Linken als Beispiel zur Nachahmung empfohlen
worden, doch von der Regierung auch als abschreckendes Beispiel!

Die Arbeiter- und die Jugendbewegung unseres Landes haben als eines
ihrer Symbole den Hubschrauber, mit dem der argentinische Präsident De
La Rua im Dezember 2001 aus dem Präsidentenpalast abgehauen ist, als die
Massen diesen stürmten. Andererseits ist Pangalos4 soweit gegangen,
Anfang 2011 damit zu drohen, dass er, sollten in Griechenland
argentinische Verhältnisse entstehen, Panzer auf die Straßen rollen
lassen werde (um angeblich „unsere“ Bankeinlagen zu schützen).
Offensichtlich gibt es zwei diametral entgegengesetzte Blickwinkel,
unter denen man die Entwicklungen analysieren kann.

Im Jahr 2002 entschied sich Argentinien unter dem Druck einer Bewegung
mit revolutionären Charakteristika für die Verweigerung der Bezahlung
seiner Staatsschulden und schaffte die „Dollarisierung“ seiner
nationalen Währung, des Peso, ab. (Es schaffte den festen Wechselkurs
von eins zu eins des Peso zum Dollar ab.) Die Schulden Argentiniens
betrugen ungefähr einhundert Milliarden Euro (das heißt etwa 27 bis 28
Prozent der heutigen griechischen Schulden) und der Internationale
Währungsfond (IWF) hatte 1999 in Argentinien interveniert, um es zu
„retten“. Er erzwang eine Herabsetzung der Löhne der Staatsbediensteten
um zwanzig Prozent, trieb die Arbeitslosigkeit in die Höhe und versenkte
das Land in eine tiefe Rezession. Im Dezember 2001 beschloss die
Regierung Einschränkungen für Bürger, Geld von der Bank abzuheben – im
Grunde entzog sie der Bevölkerung das Recht, ihre eigenen Bankeinlagen
einzuziehen. Als Reaktion auf diesen brutalen Angriff stürzten die
argentinischen Massen von Dezember 2001 bis Februar 2002 innerhalb
weniger Wochen fünf Regierungen und schickten den IWF zum Teufel.

Was war das Ergebnis? Es war nicht so katastrophal, wie es Venizelos5
und Pangalos darstellen wollen. Zwischen 2002 und 2008 wuchs die
argentinische Wirtschaft um 65 Prozent! Das ist ein erstaunlicher
Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das im Verlauf des Jahres 2011
nochmals um acht Prozent steigt!

Man möge dies mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, den wir heute in
Griechenland erleben und mit dem, was noch bevorsteht, vergleichen! Mit
dem zweiten Memorandum vom 26./27. Oktober 2011 tritt Griechenland
offiziell in eine Sparpolitik bis zum Jahr 2020 ein! Mit welchem Ziel?
Dass seine Staatsverschuldung dann 120 Prozent seines BIP ausmacht! So
hoch waren jedoch seine Schulden im Jahr 2009, also bevor die
Schuldenkrise „zuschlug“!

Der Weg Argentiniens scheint also auf den ersten Blick eine Antwort auf
die griechische Krise anzubieten. Dieser Weg Argentiniens ließ den
Präsidenten der argentinischen Zentralbank Mercedes Marco del Pont (der
sicherlich keinerlei Beziehung zum revolutionären Marxismus hat – der
Mann ist ein Repräsentant der herrschenden Klasse und des Kapitalismus)
das Folgende erklären: „Das traditionelle und offizielle ökonomische
Denken ist gescheitert. Was wir in Argentinien gemacht haben, war genau
das Gegenteil der offiziellen Wirtschaftspolitik des Establishments und
das Ergebnis hat sich als sehr gut für uns erwiesen.“

Der international berühmte Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman
unterstrich dies: „Die ‚richtige‘ Politik hat sich für Argentinien Ende
der 90er Jahre als sehr schlecht und verfehlt herausgestellt. Und obwohl
die Zahlungseinstellung ein sehr abruptes Schrumpfen der Wirtschaft
hervorrief, setzte in sehr kurzer Zeit ein schneller und lang
andauernder Aufschwung ein. Sicherlich zeigt das Beispiel Argentiniens,
dass ein Bankrott eine sehr gute Idee sein kann.“

So gesehen scheinen die Dinge sehr einfach zu sein: Auf den ersten Blick
kann die Zahlungseinstellung (nach den „Märkten“ ein Bankrott) und der
Austritt aus dem Euro sehr viel zur Überwindung der Krise beitragen.
Oder vielleicht nicht?

Argentinien – eine zweite Lesart

Wenn die Existenz einer nationalen Währung und ihre Abwertung eine
Lösung für die wirtschaftlichen Probleme darstellt, warum wird dann die
Welt von Wirtschaftsproblemen heimgesucht?

Außer Europa gibt es keinen Kontinent mit einer gemeinsamen Währung.
Haben vielleicht alle Länder, die eine eigene „nationale“ Währung haben,
Lösungen für die ökonomische Krise gefunden? Schauen wir uns das
Beispiel der USA an. Diese sind kein armes Landes der „dritten Welt“ ,
sondern die „entwickelteste“ Wirtschaft mit der fortgeschrittensten
Technologie und der stärksten von allen Währungen. Die Krise, die die
Welt heute durchmacht, ging 2007 von den USA mit dem Zusammenbruch des
Wohnungsmarktes und des Bankensystems aus. Zur Zeit leben in den USA
über 46 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Sie sind das am
höchsten verschuldete Land, das es jemals in Friedenszeiten gegeben hat.
Eine zweite Rezession steht bevor. Oder sollen wir vielleicht den Fall
Japans nehmen, dessen Wirtschaft sich seit über zwei Jahrzehnten in
Stagnation befindet…?

Nachdem wir die Grenzen der „nationalen“ Währungspolitik im Falle der
beiden stärksten Ökonomien der Erde betrachtet haben, schauen wir uns
an, was am anderen Extrem des Spektrums – in den armen Ländern –
geschieht. Die Länder Afrikas haben eigene nationale Währungen, doch
fast überall herrscht Hunger. Indien hat seine eigene Währung und
gewaltige Ressourcen, doch es ist das Land mit den meisten Armen auf der
Welt. Die Liste ist unendlich lang und wir wollen die LeserInnen nicht
langweilen – wir halten nur fest, dass es auf der Erde drei Milliarden
Arme gibt (Menschen, die von weniger als 1,50 Euro am Tag leben) und
eine Milliarde Menschen, die hungern (die weniger als 0,75 Euro täglich
zur Verfügung haben) und all diese leben in Ländern, die ihre eigenen
nationalen Währungen haben.

Offensichtlich kann also das Vorhandensein einer nationalen Währung
unter bestimmten Umständen gewisse positive wirtschaftliche Ergebnisse
mit sich bringen. Doch in der überwältigenden Mehrheit der Fälle löst
sie kein wesentliches Problem. Sie rettet kein Land vor der Katastrophe,
in die es die Krise des kapitalistischen Systems führt.

Außerdem dürfen wir Folgendes nicht vergessen: Das griechische Volk
unterstützte den Eintritt Griechenlands in die EU und den Euro gerade
weil die Zeit der Drachme eine Zeit der Krise, der wirtschaftlichen
Instabilität und hoher Inflation war. Das ist außerdem der Grund,
weshalb sogar heute – trotz des verallgemeinerten Zornes der
griechischen Bevölkerung auf die Regierung und die Troika – nur wenige
die Rückkehr zur Drachme unterstützen. Diese Haltung der GriechInnen ist
weder sehr bewusst und sicherlich auch nicht wissenschaftlich begründet.
Sie ist im Grunde instinktiv und ist hauptsächlich eine Folge der
negativen Erfahrungen aus der Zeit der Drachme.

Wie Paul Krugman sagt, gab es vor dem Wirtschaftsaufschwung Argentiniens
ein „abruptes Schrumpfen der Wirtschaft“. Der Wert des Peso gegenüber
dem Dollar fiel. Tatsächlich brach der Peso zusammen – er verlor über 70
Prozent seines Wertes innerhalb eines Jahres! Kapital wurde
„vernichtet“. Das Land stand einer gewaltigen Rezession gegenüber, die
allein im Jahr 2002 ein Minus von zwölf Prozent erreichte. (Zum
Vergleich: In den drei Krisenjahren 2009 bis 2011 reduzierte sich das
griechische BIP ungefähr um 14 Prozent.) Und die Arbeitslosigkeit
erreichte (offiziell) etwa 25 Prozent.

Der Prozentsatz der Menschen in Argentinien, die unter der Armutsgrenze
lebten, erreichte im Oktober 2002 57,5 Prozent, während 27,5 Prozent
hungerten! Innerhalb von zwölf Monaten hatte sich die Zahl der Armen und
Hungernden fast verdoppelt, im Oktober 2001 lagen die Prozentsätze
jeweils bei 38,3 bzw. 13,6 Prozent!

Nachdem sie ihren Tiefpunkt erreicht hatte, begann sich die Wirtschaft
zu erholen: Die Währungsabwertung machte die Exporte wettbewerbsfähiger
(billiger als die entsprechenden Waren auf dem Weltmarkt). Und gestützt
auf seine Exporte konnte Argentinien ein hohes Wirtschaftswachstum
erreichen. Doch es brauchte fast vier Jahre, bis Sommer 2005, damit die
Zahl der Armen und Hungernden auf das Vorkrisenniveau zurückkehrte!

Aber es ging mit der Wirtschaft aufwärts. War es am Ende der Mühe wert,
trotz der anfänglichen „Kosten“? Und wieder ist die Antwort nicht ein
einfaches „Ja“! Die Gründe für Argentiniens wirtschaftliche Erholung
gelten in keinem Punkt für alle Ökonomien, die in ähnliche Verhältnisse
geraten sind. Und dies gilt besonders für das heutige Griechenland. Im
Prinzip war die internationale Konjunktur, mit der Argentinien damals
konfrontiert war, sehr günstig. In den Jahren 2002 bis 2007 befand sich
die Weltwirtschaft in einer Phase hohen Wirtschaftswachstums. Die Krise
traf die Weltwirtschaft 2008. Argentinien wertete also seine Währung
unter sehr günstigen äußeren Bedingungen ab. Es hatte Glück, dass sich
diese für das Land günstigen Bedingungen auch nach 2007 fortsetzten, da
die wichtigsten Exportländer Argentiniens, China und Brasilien sind.
Diese Länder hatten sehr hohe Wachstumsraten und waren die wesentlichen
Lokomotiven der Weltwirtschaft in den Jahren 2008 und 2009. Und das ist
bis heute der Fall. (Dies in einer Zeit, als Amerika und Europa in einen
Abschwung stürzten und heute den Konsequenzen der Schuldenkrise und der
Perspektive eines zweiten Abschwungs gegenüberstehen.)

Diese für Argentinien günstige Konstellation wird nicht für immer
anhalten. Dies gilt vor allem, weil Argentinien nicht hauptsächlich ein
Industrieland ist, sondern seine Exporte zu zwei Dritteln aus
Agrarprodukten und Rohstoffen bestehen (darunter auch Öl). Und in diesem
Punkt hatte Argentinien „Glück“: Seit 2008, als die Börsen aufgrund der
Krise international zusammenbrachen, wandten sich die Spekulanten
(„Investoren“ genannt) der Spekulation mit Agrarprodukten und Rohstoffen
zu, deren Preise auf dem Weltmarkt in die Höhe schossen. Das ist sehr
bequem für die argentinische Wirtschaft – nur: Das hat ein
„Verfallsdatum“. Und dieses Datum wird auch die Rückkehr Argentiniens in
den Abschwung und die Krise markieren.

Argentiniens Wirtschaft entwickelt sich heute weitaus dynamischer, als
sie es unter dem Stiefel des IWF täte. Doch wie ist die tatsächliche
Lage der argentinischen Gesellschaft? Das Bild ist nicht das beste. Arm
waren 2007, zu Beginn der Weltwirtschaftskrise, zwanzig Prozent der
Bevölkerung. Die Inflation und die Arbeitslosigkeit sind weiterhin hoch
und Millionen leben in Barackensiedlungen am Rande der großen Städte.
Argentinien ist ein armes Land mit einem BIP pro Kopf, das etwa vierzig
Prozent des griechischen beträgt! Das ist nicht gerade ein „Paradies“.
Und das in einem Land, das bis zum Zweiten Weltkrieg das neuntreichste
Land der Erde war!

„Rückkehr“ Griechenlands zur Drachme

Wenn wir dieses sehr komplexe und widersprüchliche Bild berücksichtigen,
müssen wir als erstes betonen, dass die günstigen wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen, die es nach 2002 für Argentinien gab, für
Griechenland heute nicht bestehen. Die Weltwirtschaft steht am Beginn
eines neuen Abschwungs und die EU, als wichtigste Exportzone für
Griechenland, befindet sich in einem Zustand der Panik, die von der
allgemeinen Wirtschaftskrise, dem neuen drohenden Abschwung und der
Schuldenkrise hervorgerufen wird. Was würde nun also genau geschehen,
wenn Griechenland die EU und den Euro verlässt?

Als erstes würde die Drachme in Relation zu ihrer vorangegangenen
Parität gegenüber dem Euro abgewertet. Wenn wir annehmen, dass diese
Abwertung mit siebzig Prozent ähnlich der Peso-Abwertung von 2002
verliefe, so bedeutete dies ein Hochschnellen der Kosten (in Drachmen)
aller importierten Konsumgüter6, deren Preise sich verdoppeln oder
verdreifachen würden. Auch würde der Ölpreis steigen. Das Öl bildet die
Basis der Energieproduktion für die Wirtschaft des Landes. So werden
alle Preise aller Güter, die im Inland produziert werden, als Ergebnis
des Ölpreisanstiegs (über den Anstieg der Transportkosten hinaus)
steigen. Und darüber hinaus würden sich entsprechend der Abwertung der
Drachme auch die Preise der Kapitalgüter – das heißt die Maschinen und
die Werkzeuge, die in der griechischen Wirtschaft für Produktions- und
Handelszwecke gebraucht werden – erhöhen. Und das würde wiederum die
Kosten aller produzierten Waren und Dienstleistungen ansteigen lassen.

Inflation ist eine der großen Schwächen jeder Wirtschaft (der
kapitalistischen, doch auch anderer). Die Inflation würde zu einem
permanenten Charakteristikum der griechischen Wirtschaft werden, in
einem Umfeld der Krise und auf einem Kontinent, der sich in der Krise
befindet. Und mit Inflation meinen wir nicht zwei, drei, vier Prozent im
Jahr, sondern wir müssen uns an die 20 bis 25 Prozent erinnern, die die
griechische Wirtschaft bis in die Mitte der 90er Jahre charakterisierten.

Haben wir einen Grund, zu glauben, dass die griechische Wirtschaft mit
der Drachme bessere Möglichkeiten als mit dem Euro hat? Internationale
behaupten eine Reihe angesehener Wirtschaftswissenschaftler der
herrschenden genau das: Dass die Währungsabwertung die Exporte billiger
macht und dies einen Anstoß für die inländische Produktion geben wird.

Tatsächlich ist für das kapitalistische System die Währungsabwertung
eine der wenigen Möglichkeiten, zu versuchen, auf relativ schnelle Art
und Weise aus einer Krise herauszukommen. Das kann jedoch nicht die
Antwort der Linken sein! Erstens, weil ein Erfolg nie garantiert ist!
Und zweitens, weil er nicht von Dauer sein wird!

Es ist richtig, dass mit einer Währungsabwertung Exporte billiger
werden, doch das ist nur die halbe Wahrheit! Dem steht die permanente
Inflation gegenüber, die wir weiter oben erwähnt haben, das heißt der
permanente Preisanstieg auf dem Binnenmarkt für das tägliche Leben der
ArbeitnehmerInnen. Das führt zu einem Teufelskreis: Einerseits würden
die Preise der Exporte aufgrund der Drachmenabwertung, die wie in den
70er und 80er Jahren eine Dauererscheinung wäre, sinken. Doch
andererseits werden die teuren Importe (Rohstoffe, Kapitalgüter und
Konsumgüter) die Preise nach oben treiben. Und die Arbeitnehmer werden
ununterbrochen kämpfen müssen, damit die Löhne nicht ihren Wert
verlieren, während die Lebenshaltungskosten permanent steigen werden.

Wird für die Wirtschaft und die Bevölkerung die Rückkehr zur Drachme
besser sein? Niemand kann das ernsthaft behaupten. Es ist nicht
vorhersehbar, ob es mit der Drachme oder mit dem Euro besser sein wird!
Unter gewissen Umständen kann die Krise etwas weniger katastrophal sein.
Unter anderen Umständen kann sie katastrophaler sein. Jedenfalls ist
eines sicher: Die Krise wird tiefgehend bleiben und die Lebensumstände
der griechischen ArbeitnehmerInnen werden dramatisch sein. Sogar wenn es
eine bestmögliche Entwicklung wie in Argentinien gäbe, bliebe die
Wirtschaft schwach, labil und zerbrechlich und die Gesellschaft würde
weiterhin unter Armut und Arbeitslosigkeit leiden.

Wir fassen zusammen: Mit dem Euro und innerhalb der EU wird die
griechische Gesellschaft in den Abgrund gestürzt. Innerhalb von zwei
Jahren Memorandum und Troika ist der Lebensstandard der Mehrheit der
ArbeitnehmerInnen um vierzig bis fünfzig Prozent zusammen gebrochen. Die
tatsächliche Arbeitslosigkeit schwankt um 25 Prozent, die
Jugendarbeitslosigkeit beträgt (offiziell) 43 Prozent. Die
Massenentlassungen sind ein Charakteristikum nicht nur des privaten,
sondern auch des öffentlichen Sektors. Die Sozialversicherung wird
aufgelöst. Die Tarifverträge sind im Wesentlichen abgeschafft worden.
Der ganze öffentliche Reichtum kommt unter den Hammer. Kinder fallen
aufgrund von Hunger in den Schulen in Ohnmacht. 20.000 Obdachlose leben
auf den Athener Straßen. All das nach zwei Jahren Troika, damit „der
Euro gerettet wird“ – und wir haben auf Grundlage des zweiten
Memorandums weitere zehn Jahre Sparpolitik vor uns. Und danach … sehen
wir weiter.

Mit der Drachme (und außerhalb der EU) wird dasselbe geschehen.
Vielleicht kommt es etwas besser, doch es kann auch schlimmer kommen.
Die Rückkehr zur Drachme wird keines der wirtschaftlichen und sozialen
Probleme lösen. Und was folgt daraus?

Das Wesen des Problems ist der Kapitalismus – nicht die Währung

Wenn die Währungsabwertung einfach und schnell positive Ergebnisse für
die kapitalistische Wirtschaft zeitigen würde, würden die herrschenden
Klassen (international) sie bei der ersten Gelegenheit einsetzen. Doch
sie tun es nicht. Die Währungsabwertung als Mittel zur Ankurbelung der
Wirtschaft ist etwas, zu dem sie nur greifen, wenn alle anderen Mittel
erschöpft sind. Und es wundert uns, dass es heute linke
Wirtschaftswissenschaftler und Analysten gibt, die die Abwertung als das
grundlegende Werkzeug zur Lösung der Wirtschaftskrise vorbringen.

Die Kapitalisten wünschen die Abwertung aus zwei Gründen nicht. Der
erste ist bereits erwähnt worden: es ist der Teufelskreis der Inflation,
der einen allgemeinen Zustand der Instabilität in der Wirtschaft
herbeiführt. Der zweite ist, dass eine Abwertung durch alle
kapitalistischen Regierungen die Wirkung hätte, als wenn es gar keine
Abwertung gäbe. Die Abwertung einer Währung funktioniert konkurrierend
gegenüber den anderen kapitalistischen Ökonomien, die abwägen werden, in
welchem Maß ihre eigene Wirtschaft durch die Abwertung irgendeines ihrer
Konkurrenten untergraben wird. Und wenn sie schließlich zu dem Schluss
kommen, dass auch ihnen ein solcher Schritt nutzt, dass die Vorteile
größer sind als die Nachteile, dann werden auch sie zur Abwertung
greifen. Wir wollen den LeserInnen, die keine Wirtschaftsfachleute sind,
ein Beispiel geben. Nehmen wir an, Griechenland und Portugal gehören
nicht zur EU und zur Eurozone und haben eigene nationale Währungen –
Drachme und Escudo. Nehmen wir auch noch an, beide Länder stützen ihre
Exporte in hohem Maße auf Olivenöl. Wenn Griechenland die Drachme
abwertet, wird es dadurch das griechische Olivenöl auf den Märkten
verbilligen. Wenn daraufhin an den Märkten das portugiesische Olivenöl
verdrängt wird und die portugiesische Regierung ihrerseits zu einer
entsprechenden Abwertung des Escudo greift, dann führt das zu einem
Zustand wie vor der Drachmenabwertung. Das Beispiel ist sehr
vereinfachend, gibt jedoch ein Bild von den grundlegenden Prozessen, die
in Bewegung gesetzt werden. Wir könnten anstelle Griechenlands,
Portugals und des Olivenöls auch Griechenland, die Türkei und den
Tourismus als Beispiel nehmen.

Das Ergebnis einer Abwertung ist also, in dem Maße, in dem es einen
Nutzen für eine Ökonomie bringt, nur vorübergehend. Und dies ist ein
entscheidender (nicht der einzige) Grund dafür, dass starke Ökonomien
wie die deutsche die Währungsstabilität als einen grundlegenden Wert
ihrer Wirtschaftspolitik betrachten. So kann eine Abwertung nationaler
Währungen, sogar in Kombination mit einer Verweigerung der
Schuldenzahlung, die Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft, die von
der kapitalistischen Krise hervorgerufen werden, nicht lösen.

Angesichts der Tatsache, dass die heutige Wirtschaftskrise
wahrscheinlich tiefer als die Krise nach 1929 sein wird und sich kein
Ausweg abzeichnet, ist die Wahl zwischen Euro und Drachme, solange das
kapitalistische System erhalten bleibt, gleichbedeutend mit der
Situation „vor uns der Abgrund und hinter uns die Flut“. Es keinen
Grund, den Abgrund oder die Flut zu wählen, denn die Linke hat einen
alternativen Vorschlag, eine andere Antwort auf die Krise: Der Kampf für
eine sozialistische Gesellschaft. Darin stimmt, zumindest in Worten, die
gesamte Linke überein. Die gesamte Linke stimmt auch mit den Worten von
Marx „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“ überein. Das bedeutet,
sie ist internationalistisch, sie vertritt keine nationalen Interessen,
sondern hat den Sozialismus auf der ganzen Welt zum Ziel. Wenn die Linke
es schaffen würde, nicht nur bei Worten stehen zu bleiben, dann wäre die
Welt heute ein besserer Ort. Doch wir wollen nicht unser Thema wechseln…

Die Antwort auf die Krise ist sozialistisch und internationalistisch …

Wenn es im Rahmen des Kapitalismus keine Lösung für die Probleme der
Krise gibt und wenn die einzige Lösung in der Perspektive der
Arbeitermacht und des Sozialismus liegt, welchen Sinn hat dann die
Diskussion über die Währung?

Auf den ersten Blick könnte die Frage einfach erscheinen. Wenn es der
Linken gelingen würde, die gesamte europäische Arbeiterbewegung zu
mobilisieren, so dass diese sich gegen den europäischen Kapitalismus
erhebt, mit der herrschenden Klasse den Konflikt eingeht und die
Voraussetzungen für Arbeitermacht und Sozialismus (in der wirklichen
Bedeutung des Begriffs und nicht in der von Papandreou oder den
stalinistischen Regimes in der ehemaligen UdSSR, China usw.) auf
gesamteuropäischer Ebene schafft, dann hat die Diskussion über die
nationalen Währungen keinen Sinn! Warum?

Wir gehen von der Tatsache aus, dass der Kampf für die sozialistische
Veränderung der Gesellschaft für die Arbeiterklasse nicht Ergebnis
irgendeiner „philosophischen“ Suche ist, sondern Ergebnis der Forderung
nach einer Reihe von notwendigen Maßnahmen, um der Verarmung und der
Barbarei zu entgehen, zu denen sie das kapitalistische System
verurteilt. Diese Maßnahmen haben immer einen praktischen Inhalt.

Heute ist beispielsweise Folgendes notwendig, um die Arbeiterklasse vor
dem sie bedrohenden Angriff zu retten: Die Verweigerung der
Schuldenzahlungen, die Verstaatlichung des Bankenwesens, die
Verstaatlichung der privatisierten öffentlichen Unternehmen und der
entscheidenden Wirtschaftsbereiche, Arbeiterkontrolle und -Verwaltung
und die Planung der Wirtschaft nach den Bedürfnissen der gesamten
Gesellschaft statt für den Profit einer Handvoll Kapitalisten.

Dieser ökonomische Vorschlag kann geradezu Wunder vollbringen. Er würde
auf der Basis des existierenden gewaltigen Reichtums zu massenhaften
Investitionen in die Bildung, die Gesundheit, die Infrastruktur und auch
in die „reale“ Produktion führen. Dieser Reichtum kann auf zwei Arten
genutzt werden. Erstens durch die Verweigerung der Schuldenzahlung, die
momentan 360 bis 370 Milliarden Euro betragen. Und zweitens dadurch,
dass das Eigentum am Bankensystem an die Gesellschaft übergeht. Das
würde ermöglichen, die ungefähr zweihundert Milliarden Euro an
Bankeinlagen der griechischen Arbeitnehmer, statt zur Spekulation, für
produktive und nützliche Zwecke für die Bedürfnisse der Gesellschaft zu
verwenden.

Dies ist auch die einzig mögliche Garantie, zu verhindern, dass die
einfache Bevölkerung nicht wegen der Bankenkrise, die von der
kapitalistischen Krise hervorgerufen wird, ihre Einlagen verliert.

Es ist offensichtlich, dass eine solche Politik nur von einer Regierung
und einer Staatsmacht umgesetzt werden kann, die sich in den Händen der
ArbeitnehmerInnen befindet. Und für eine richtige, gesunde, effektive
Staatsmacht der ArbeitnehmerInnen muss jede Zentral-„Regierung“
demokratisch gewählt und kontrolliert werden durch Arbeiter- und
Volksräte, Versammlungen und Basiskomitees mit demokratischer
Funktionsweise und abwählbaren RepräsentantInnen.

Diese Maßnahmen werden nicht aufgrund irgendeiner fixen Idee von einer
abstrakten Ideologie aus vorgeschlagen. Es sind die absolut notwendigen
praktischen Maßnahmen, damit die Zerstörung des Lebensstandards und der
Rechte der ArbeitnehmerInnen zurückgeschlagen werden und die Wirtschaft
auf einen Weg der Entwicklung kommen kann.

Diese Maßnahmen sind jedoch gleichzeitig ein totaler Bruch mit dem
kapitalistischen System. Sie nehmen der herrschenden Klasse (und es sind
nicht mehr als ein paar Dutzend Familien, die die griechische Wirtschaft
kontrollieren) sowohl die ökonomische als auch die politische Macht. Sie
sind so die Pfeiler, auf denen eine sozialistische Gesellschaft und eine
Staatsmacht der ArbeiterInnen errichtet werden kann.

Der Sozialismus ist nicht irgendeine „strategische“ Aufgabe für eine
entfernte Zukunft unabhängig davon, was die Arbeiterbewegung und die
Linke heute verlangen und für was sie kämpfen. Er ist ein Prozess von
Klassenkämpfen, die organisch mit den Forderungen, die den Bedürfnissen
der ArbeiterInnen entsprechen, verbunden sind! Der Kampf für diese
Forderungen muss heute beginnen! Über die Durchsetzung dieser
Forderungen durch die Massenbewegung werden die wirtschaftlichen,
gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen geschaffen für den
Übergang der Macht vom Großkapital auf die Arbeiterklasse und die Masse
der Bevölkerung.

…und hat Nichts mit der Währung zu tun

Die Aktualität dieser Forderungen betrifft nicht nur Griechenland. Sie
betrifft aus objektiver Sicht auch Portugal, Irland, Spanien und
Italien, die der Reihe nach ins Auge des Taifuns eintreten. Alle diese
Länder hinken der Situation in Griechenland noch hinterher – doch sie
nähern sich ihr mit großem Tempo. Sie betrifft schließlich auch
Nordeuropa, obwohl das momentan noch nicht offensichtlich ist.

Es werden also objektiv die Voraussetzungen für eine Bewegung
geschaffen, die alle diese Länder vereint. Wenn wir also davon ausgehen,
dass es die Arbeiterbewegung in diesen Ländern schafft, die genannten
(revolutionären, sozialistischen, umstürzlerischen – wie man sie auch
charakterisieren will) Ziele zu erreichen, dann wird sich am Tag nach
der Errichtung der Macht der ArbeiterInnen und der sozialistischen
Revolution die Aufgabe stellen, die „Kräfte“ dieser Völker und Länder im
Rahmen einer freiwilligen, demokratischen, gleichberechtigten
sozialistischen Föderation zu vereinigen.

Wenn man mit dieser Forderung nicht einverstanden ist, ist das keine
Meinungsverschiedenheit mit „Xekinima“. Denn die Forderung nach einer
Sozialistischen Föderation der Länder Europas ist keine Erfindung von
„Xekinima“. Sie ist eine Forderung der revolutionären Bewegung seit den
Zeiten von Lenin, Trotzki, Rosa Luxemburg zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts und insbesondere in den Jahren der Russischen Revolution
von 1917.

Und auch dieses programmatische Ziel der Linken ist nicht Ergebnis
irgendeiner „moralischen“ Positionierung, irgendeines „philosophischen
Ideologems“. Es ist Ergebnis der Tatsache, dass mit der Errichtung der
Arbeitermacht in einer Reihe von Ländern die Vereinigung ihrer Kräfte
für bessere ökonomische Ergebnisse und für eine stärkere
(wirtschaftliche und politische) Einheit gegenüber der feindlichen
kapitalistischen Umgebung im Interesse Aller liegen wird. Der
Sozialismus war vom ersten Augenblick seines Entstehens an eine
internationalistische Aufgabe. Deshalb hat sich auch Marx nie daran
gemacht, eine deutsche revolutionäre Arbeiterbewegung aufzubauen,
sondern die erste internationale Organisation der ArbeiterInnen. Das
Ziel der Sozialistischen Föderation der Staaten Europas war für die
Klassiker des revolutionären Marxismus vor über einem Jahrhundert
aktuell. Wenn jedoch dieses unser Ziel sein muss, wie passt dann in
diese Diskussion die Drachme, die Lire oder der Peso?

Mit anderen Worten: wenn das Ziel der Linken die sozialistische
Arbeiterrevolution ist und wenn sie dieses Ziel als ein
internationalistisches Ziel und nicht als ein auf nationaler Ebene
begrenztes begreift, dann macht die Zielsetzung eines Rückzugs aus
welcher gemeinsamen Währung auch immer im Rahmen kapitalistischer
Verhältnisse keinen Sinn. Denn in einer solchen sozialistischen
Perspektive müsste die Linke, sogar wenn wir über Länder ohne gemeinsame
Währung, gemeinsamen Markt oder gemeinsame Organe sprechen würden, eben
dieses – mit sozialistischem Inhalt – vorschlagen. Die Antwort auf das
Europa der Kapitalisten ist also nicht „Raus aus der EU und dem Euro“,
sondern ein „Vereinigtes Sozialistisches Europa“ auf freiwilliger,
demokratischer und gleichberechtigter Grundlage.

Gegenargumente

Das häufigste Gegenargument ist, dass diese Perspektive „zu einer
entfernten Zukunft gehöre“, dass sie eine schöne Idee sei, doch die
Möglichkeit ihrer praktischen Umsetzung sich in der voraussehbaren
Zukunft nicht abzeichne.

Es ist richtig, dass diese Perspektiven nicht unmittelbar ansteht.
„Warum sie nicht unmittelbar ansteht“ ist jedoch eine Frage von
wichtiger Bedeutung! Denn sie betrifft den heutigen Zustand der
Arbeiterbewegung, der zuerst und hauptsächlich von ihren Führungen
bestimmt wird – das heißt von den Gewerkschaften und den Parteien der
Linken.

Wenn es heute in Griechenland und in einer Reihe europäischer Länder
Massenparteien der Linken mit revolutionärer Politik und Zielen gäbe,
läge die Perspektive des Kampfes für den Sturz des Kapitalismus und für
die sozialistische Gesellschaft nicht in irgendeiner weit entfernten
Zukunft, sondern sie stünde unmittelbar an.

Wir sind jedoch verpflichtet, die Realität anzuerkennen, so unangenehm
sie auch ist. Denn nur auf dieser Grundlage können wir die nächsten
Schritte vorbereiten. Heute haben wir in Europa keine Linke, die das
Ziel der gesellschaftlichen (revolutionären, sozialistischen,
kommunistischen oder wie man es nennen will) Veränderung aufstellt – so
dass sie das Bewusstsein der Arbeiterbewegung massenhaft in eine
revolutionär-sozialistische Richtung beeinflussen könnte.

Also müssen wir eine Möglichkeit berücksichtigen, wenn wir von den
Aufgaben der griechischen Arbeiterbewegung sprechen: Dass die
griechische Arbeiterbewegung die Voraussetzungen für Arbeitermacht in
Griechenland schafft, jedoch das übrige Europa nicht zu folgen „bereit“
ist. Zumindest nicht in der nahen Zukunft. Was wird dann geschehen?

Dann stellt sich tatsächlich die Frage einer nationalen Währung. Die EU
und das europäische Establishment werden sich gegen ein Griechenland
wenden, das aus dem Kampf der aufständischen griechischen ArbeiterInnen
entsteht. Und sie werden es mit allen Mitteln bekämpfen. Sie werden
sicher die Zurverfügungstellung von Finanzmitteln und einer Währung
stoppen – vergessen wir nicht, dass der Euro nicht in Griechenland
gedruckt wird, sondern von der Europäischen Zentralbank, die ihn den
verschiedenen Mitgliedsländern der Eurozone zur Verfügung stellt.
Insbesondere wird die EU aufhören, der griechischen Wirtschaft Gelder
zur Verfügung zu stellen, wenn ein sozialistisches Griechenland sich
weigert, seine Kreditgeber zu bezahlen und zur Verstaatlichung des
Bankwesens und so weiter vorangeht. (Wie sie im November 2011 die
sechste Tranche des ersten Memorandums vom Mai 2010 im Wert von acht
Milliarden Euro einbehalten hat.) Unter solchen Bedingungen wird der
griechische sozialistische Arbeiterstaat eine eigene Währung ausgeben
müssen.

Ob es die europäischen Kapitalisten schaffen werden, den Staat der
griechischen ArbeiterInnen zu isolieren, hängt von der europäischen
Arbeiterbewegung ab! Wenn sie ihre eigenen revolutionäre Erhebung
erreichen, wenn sie der griechischen Arbeiterbewegung zu Hilfe eilen und
sie unterstützen, dann wird sich das Thema der getrennten nationalen
Währung nicht stellen. Wenn im Gegenteil die europäische Revolution sich
verspätet, während die griechische schon voran geschritten ist, dann
wird die Drachme die unvermeidliche Folge der Entwicklungen sein.

Bedeutet das aber, dass die griechische Arbeiterbewegung und Linke die
Rückkehr zur Drachme fordern soll, weil ein wahrscheinliches, oder sogar
das wahrscheinlichste, Szenario ist, dass sie dazu gezwungen sein wird
zur Drachme zurückzukehren? Soll sie also aus einer Schwäche eine
programmatische Position machen?

Das Programm der Linken ist eine Sache und die Kompromisse, die ihr
vielleicht aufgezwungen werden, eine andere.

Auf dem Weg des Kampfes für Arbeiterrechte und Sozialismus werden die
Bewegung und die Linke gezwungen sein, viele Kompromisse zu schließen.
Die Ergebnisse eines jeden Kampfes werden durch die Kräfteverhältnisse
zwischen den Klassen bestimmt – vollständige Siege werden am Ende eines
von Auf und Ab geprägten weiten Weges voller Widersprüche stehen. Dies
gilt für die einfachsten Kämpfe wie beispielsweise den Kampf für
Lohnerhöhungen oder gegen Entlassungen bis hin zum Kampf für eine
alternative sozialistische Gesellschaft und für Arbeiterdemokratie. Doch
das Programm ist etwas anderes als ein Kompromiss! Das Programm ist das,
wofür man kämpft, es verkörpert das Ziel. Man macht den Kompromiss nicht
zum Teil des Programms – der Kompromiss ist nicht das Ziel. Er ist das
genaue Gegenteil: die Schwäche der Umsetzung der Ziele aufgrund
überlegener Kräfte des Gegners.

Die Prinzipien und die programmatischen Ziele der Arbeiterbewegung und
der Linken müssen klar sein. Und wenn die Linke und die Bewegung
gezwungen werden, Kompromisse zu schließen, weil der Gegner aufgrund
seiner Stärke gewisse Bedingungen durchsetzen kann, dann sollen sie sie
schließen. Aber sie sollen sich auch offen und klar als solche
anerkennen! (Diese Frage analysiert Lenin in seinem Buch „Der ‚linke
Radikalismus‘, die Kinderkrankheit des Kommunismus“.)

Das heißt: Die Linke muss sagen, dass die Kämpfe und die Visionen der
griechischen Arbeiterbewegung nur durch den gemeinsamen Kampf mit der
übrigen Arbeiterbewegung Europas und durch den Sturz des Kapitalismus
auf gesamteuropäischer Ebene voran gebracht werden können. Nur so werden
wir den Sozialismus in Griechenland auf gesunder Grundlage aufbauen
können. Sie muss erklären, dass die Macht des Kapitals und das Europa
der Kapitalisten gestürzt und dass ein Europa der ArbeitnehmerInnen und
des Sozialismus aufgebaut werden müssen. Die Linke muss in Erinnerung
rufen, dass diese Losung für die revolutionären SozialistInnen und
KommunistInnen seit über einem Jahrhundert aktuell ist.

Daraus folgt aber, dass es keinen Grund gibt, heute das Thema der
Währung aufzuwerfen. Wenn wir dieses Ziel des sozialistischen Europas
erreichen (wie die russische Revolution die Gründung der Sowjetunion
erreicht hat), dann wird sich die Frage der Währung ganz einfach nicht
stellen. Dann wird es kein Problem geben, das die Änderung der Währung
zu lösen hätte. Wenn aber das sozialistische Europa nicht erreicht
werden kann, weil die übrigen Arbeiterbewegungen dem griechischen (oder
irgendeinem anderen) Beispiel nicht folgen konnten, dann werden wir
bereit sein müssen, zu unserer eigenen Währung überzugehen!

Dazu muss man aber auch klar sagen, dass dies auch eine Reihe von
negativen Entwicklungen für die Wirtschaft und das Lebensniveau unseres
Volkes bedeuten wird, dass es sich jedoch trotzdem lohnen wird! Denn der
Nutzen aus der Arbeitermacht und der sozialistischen Wirtschaftsplanung
wird unvergleichlich größer sein als alle Probleme, die die Ersetzung
einer starken stabilen Währung (wie des Euro) durch eine instabile
Währung (wie der Drachme) hervorrufen wird. Eine instabile Währung, die
für einen gewissen Zeitraum destabilisierend für die Wirtschaft wirken
wird, bis die Maschinen der sozialistischen Wirtschaft sich
beschleunigen werden, um die Probleme zu überwinden, die die Einführung
der Drachme hervorrufen wird.

Die „lebendige Wirklichkeit“

Manchen werden diese bisherigen Ausführungen als übertrieben abstrakt
erscheinen und sie fragen sich vielleicht, was für eine Bedeutung sie
haben. Doch in der Geschichte des Marxismus nimmt die Theorie eine
zentrale Position ein. Die ProtagonistInnen der revolutionären Bewegung
– wie Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Rosa Luxemburg usw. – steckten viel
Energie in die Ausarbeitung der theoretischen Modelle, des Programms der
Linken. Manche andere mögen das als „Zeitverschwendung“ betrachtet
haben. So bezeichnete Stalin die theoretischen Kämpfe, die Lenin nach
der Niederlage der Revolution von 1905 ausfochte als „Sturm im
Wasserglas“, denn er verstand ihre Bedeutung nicht.

Wir wollen den Gedanken, den wir im vorangegangenen Kapitel entwickelt
haben, noch einmal betonen: man darf die Dinge nicht in einem
Schwarz-Weiß-Schema betrachten, sondern muss sie als Prozesse verstehen,
die sich entwickeln, Zeit brauchen zu reifen und nicht im Voraus
festgelegt ist. Wir können nicht wissen, auf welchem Weg sich der
Klassenkampf und speziell der Kampf um die Macht entwickeln werden.

Die Revolution ist ein Prozess – auf nationaler, kontinentaler und auch
internationaler Ebene. Sie ist nichts Augenblickliches – im Gegenteil,
sie kann Jahre und in manchen Fällen viele Jahre dauern. Das gilt umso
mehr, wenn wir von einem Kontinent und nicht nur von einem Land
sprechen. So war es immer und so wird es immer sein! Im „wirklichen
Leben“ wird die Revolution in Europa also von einem Land, das nicht
notwendigerweise Griechenland sein muss, ausgehen und sich auf andere
Länder ausdehnen.

Ist diese Annahme vielleicht übertrieben optimistisch? Diese Frage lässt
sich beantworten, indem wir einen kurzen Blick auf die Geschichte des
europäischen Kontinents werfen. Wir werden sehen, dass es keine
historische Periode gibt, die Europa nicht durch Revolutionen
erschüttert hat. Ob es sich um das 19. oder um das 20. Jahrhundert
handelt, die Geschichte zeigt, dass alle diejenigen, die die Idee der
Revolution verspotten, jegliche Objektivität beim Herangehen an die
Geschichte verloren haben.

Es gibt keine national isolierte Revolution

Die Geschichte Europas (und nicht nur Europas) zeigt, dass es keine
national isolierten Revolutionen gibt. Jede bedeutende Revolution in
irgendeinem Land dehnte sich auf Nachbarländer aus und nahm kontinentale
und internationale Eigenschaften an. Ein charakteristisches Beispiel ist
die Russische Revolution von 1917, die sich schnell auf Deutschland
ausdehnte und von 1918 bis 1923 das Land erschütterte. Sie dehnte sich
ebenfalls auf Ungarn, Österreich, Italien und andere Länder aus und
durchdrang den ganzen Kontinent. Die Revolutionäre dieser Zeit gingen
fest vom Übergang Europas in die sozialistische Revolution aus – ein
Optimismus, der sich leider nicht bewahrheitete.

Die russische Revolution war nicht die Ausnahme, sondern die Regel –
eine Regel, von der wir nicht eine Ausnahme finden können. Nehmen wir
eines der weniger bekannten Beispiele: die Revolution von 1848. Der
Historiker Eric Hobsbawm schrieb diesbezüglich: „Die Revolution brach
fast gleichzeitig aus. (…) Nie ist etwas geschehen, was mehr einer
internationalen Revolution ähnelte, der Traum der Revolutionäre jener
Zeit von diesem spontanen und allgemeinen Brand. (…) Es glich dem
„Frühling der Völker“ eines ganzen Kontinents.“

Es gab also die Revolution von 1848, die Pariser Kommune von 1871, die
Russische Revolution von 1917, die spanische Revolution von 1936. In der
jüngeren Geschichte gab es den Mai 1968 in Frankreich, die
portugiesische Revolution von 1974 usw. Alle diese Revolutionen
erschütterten den europäischen Kontinent und die ganze Welt. Ähnliches
gilt für alle Kontinente. Dies weiter auszuführen würden den Rahmen
dieser Broschüre sprengen. Sogar heute beweisen die arabischen
Revolutionen und die Bewegung der „Empörten“, die in nie gekannter
Schnelligkeit von Kontinent zu Kontinent die Welt durchdringen, die
Korrektheit dieser Position.

In Griechenland sehen wir heute revolutionäre Elemente in der objektiven
Situation – die griechische Gesellschaft kocht, sie ist bereit zu
explodieren und die herrschende Klasse befindet sich in einer nie
dagewesenen Krise. Von diesem Punkt bis zum Ausbruch einer Revolution
und viel mehr noch bis zum Sieg dieser Revolution gibt es eine große
Distanz. Es ist jedoch von Bedeutung, dass dieser Prozess begonnen hat.
Seine Reifung wird Zeit brauchen, insbesondere angesichts des Fehlens
einer revolutionären Massenpartei, die ihn enorm beschleunigen würde!

Noch wichtiger ist, dass diese in der griechischen Gesellschaft
vorhandenen Faktoren auch in einer Reihe anderer Länder Europas
existieren. Die von der Schuldenkrise betroffenen Länder „hinken
Griechenland noch hinterher“. Doch in ausnahmslos allen haben sich in
den letzten drei Jahren Bewegungen entwickelt, wie seit Jahrzehnten
nicht. Und dabei handelt es sich nicht nur um den Süden Europas. Sogar
in Großbritannien, in dem die die Dampfwalze des der Arbeiterbewegung
schwere Niederlagen beigebracht hat, gab es in den letzten eineinhalb
Jahren die größten Jugendbewegungen und die größte Arbeitermobilisierung
seit dem Zweiten Weltkrieg. Dort entwickelt sich erstmals seit 1926 eine
starke Dynamik in Richtung eines Generalstreiks! Die revolutionären
Prozesse sind also lebendig! Ja, sie brauchen Zeit zu reifen, doch sie
haben begonnen!

Warum erscheint die Perspektive der Revolution entfernt?

Und doch erscheint die europäische Revolution weit entfernt. Und sie ist
es in der Tat! Doch warum? Das ist eine der grundlegenden Fragen, die
beantwortet werden muss. Der Grund ist derselbe, aus dem die Revolution
auch in Griechenland entfernt zu sein scheint! Das Fehlen einer
Massenlinken, die sich an die Spitze dieser Bewegung stellt, die ihr
eine Richtung gibt, die ihr Aktionsvorschläge macht, die ihr einen Plan
für Kämpfe vorschlägt, die die Staatsmacht der herrschenden Klasse
abschaffen und die Voraussetzungen für die Eroberung der Staatsmacht
durch die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Bevölkerung schaffen kann.

Es fehlt eine revolutionäre Massenlinke, die einer Gesellschaft, die vor
Wut und Zorn kocht, eine Perspektive weisen kann. Wenn diese Linke nicht
aufgebaut wird, ist die ganze Diskussion über Revolution eine
romantische Abstraktion. In diesem Sinne ist der Aufbau dieser Linken
(und nicht der Linken allgemein) eine der wichtigsten Aufgaben in der
Periode, in die wir eingetreten sind.

Um zusammenzufassen: Wenn revolutionäre Prozesse in einem Land beginnen
– das in Europa nicht unbedingt Griechenland sein muss – ist der Ausgang
des Kampfes offen. Die Beschleunigung der Prozesse in einem Land wird
als unvermeidliche Folge entsprechende Prozesse auch in anderen Ländern
und schließlich auf gesamteuropäischer Ebene nach sich ziehen. Damit
jedoch dieser Prozess auf europäischer Grundlage siegreich sein kann,
ist es notwendig, dass es in einer Reihe europäischer Länder
Massenparteien der revolutionären Linken gibt.

„Aufgaben“ in Griechenland

Diese Prozesse erfordern, wie wir oben gesagt haben, Zeit. Sie sind in
Wirklichkeit nicht Ergebnis der Entscheidungen der Bewegung oder der
Linken, sondern werden durch ein System hervorgerufen, das die
Gesellschaft in die Barbarei führt. Je schwächer die revolutionäre Linke
ist, desto länger werden sich diese Prozesse hinziehen. Wenn sich die
Bewegung und die Linke einen Sieg auf gesamteuropäischer Ebene zum Ziel
setzt, die griechische Arbeiterbewegung als Katalysator oder
Initialzünder wirkt und dieses Ziel erreicht wird, dann wird das Thema
Währung gelöst sein. Wenn die Revolution der griechischen
Arbeiterbewegung sich auf unser eigenes Land beschränkt, dann wird eine
nationale Währung Folge der Schwäche der Revolution sein, sich
auszudehnen und nicht die Lösung.

In diesem Fall wird die nationale Währung zu einer der negativen Folgen
der Schwäche der Arbeiterbewegung, den Kampf auf gesamteuropäischer
Ebene zu gewinnen. Das heißt sie ist Ergebnis einer relativen Niederlage
– des Siegs einer Revolution in einem Land, doch der Schwäche, sich in
andere Länder auszubreiten. Mit anderen Worten, die nationale Währung
stellt dann die Kosten der Isolierung dar!

Unterschätzen wir nicht die Gefahren, die sich aus der Isolierung einer
Revolution ergeben! Denn der „Zufluchtsort“ der nationalen Währung kann
vielleicht in Kombination mit Maßnahmen der Währungs- und
Handelskontrolle Schutz bieten und der Wirtschaft einen Anstoß geben.
Doch wenn die Revolution für längere Zeit isoliert bleibt, wird sie
zusammenbrechen! Zu dieser Einschätzung gibt es kein „wenn“ und kein
„vielleicht“ – sie wird auf die eine oder andere Weise zusammenbrechen!
Auch hier bietet die Oktoberrevolution die wertvollste Lehre: Ihre
Isolierung schuf die Grundlagen für ihre stalinistische Entartung und
diese führte in der Folge zum Zusammenbruch der Sowjetunion.

Wir wollen den GenossInnen aus der Linken, die uns Kuba und Venezuela
als Gegenbeispiele entgegenhalten werden, kurz antworten. In Kuba gibt
es positive Errungenschaften, die wir verteidigen. Wir üben jedoch
gleichzeitig Kritik, denn es ist genauso „sozialistisch“ oder
„kommunistisch“, wie es die UdSSR und China waren: Die UdSSR ist
zusammengebrochen, China hat sich in die kapitalistische Welt
integriert. Auch Kuba hat Öffnungen in dieselbe Richtung begonnen. Ein
„Sozialismus“ ohne Demokratie, Freiheit der Meinungsäußerung und der
Organisierung (freies Gewerkschaftswesen, Mehrparteiensystem usw.) ist
kein Sozialismus. Was Venezuela betrifft, so redet Chavéz vielleicht von
„Sozialismus“, doch das von ihm regierte Land ist kapitalistisch, auch
wenn er gewisse Verstaatlichungen durchgeführt und Maßnahmen zur
Stärkung des Sozialstaates ergriffen hat, die die Linke kritisch
unterstützen muss. Gleichzeitig fehlt es völlig an Arbeiterdemokratie in
der staatlichen Verwaltung, in den öffentlichen Unternehmen und in der
Behandlung der politischen Angelegenheiten.

Die Widersprüche des Kapitalismus bedeuten ohnehin eine Bedrohung für
den Euro

Eine noch realistischere Herangehensweise macht es nötig daran zu
erinnern, dass die Widersprüche des Kapitalismus gerade dabei sind, den
Euro in den Zusammenbruch führen!

Ein solcher Zusammenbruch des Euro wird eine plötzliche Vertiefung der
allgemeinen Krise und nicht nur der griechischen Krise hervorrufen! Alle
internationalen Führungsorgane des Kapitals erklären zur Zeit, dass die
Kosten eines Zusammenbruchs des Euro groß sind und dieser mit allen
Mitteln verhindert werden muss. Deutschlands und Frankreichs Versuch,
Griechenland innerhalb des Euro zu halten (während sie gleichzeitig „die
Stunde verfluchen“, in der sie es aufnahmen) ist darauf zurückzuführen,
dass ein Zusammenbruch des Euro eine Kettenreaktion auslösen kann, die
große Kosten für sie selbst bedeuten würde. Nehmen wir als Beispiel den
Giganten der europäischen Wirtschaft, Deutschland. Der Financial Times
aus London zufolge „… schöpft Deutschland unendlichen Nutzen aus der
Währungsunion. (…) Die deutschen Exporte verzeichneten einen
schwindelerregenden Anstieg aufgrund der gemeinsamen Währung, der bei
nahezu 18 Prozent liegt. (…) Wenn Deutschland nicht im Euro wäre, hätte
dieser Anstieg nicht einmal die Hälfte erreicht“!

Gleichzeitig würde einer Studie der Schweizer Bank UBS zufolge ein
Zusammenbruch des Euro eine Reduzierung des BIP in Deutschland um 20 bis
25 Prozent innerhalb des ersten Jahres hervorrufen. Zum Vergleich: das
griechische BIP wird sich von Anfang 2010 bis Ende 2011 um etwa elf
Prozent reduzieren!

Folglich wird ein wahrscheinlicher Zusammenbruch des Euro eine
Vertiefung der Wirtschaftskrise in Europa bedeuten. Man muss unglaublich
naiv sein, zu glauben, dass die griechische Wirtschaft im Rahmen eines
solchen wirtschaftlichen Armageddons „Großtaten vollbringen“ wird. Diese
von uns beschriebene Perspektive ist kein theoretisches Szenario. Sie
betrifft nicht irgendeine weit entfernte Zukunft. Sie ist die heutige
Wirklichkeit! Stellen wir uns dann den Ausbruch von Zorn vor, den wir
nicht nur in der griechischen Gesellschaft, sondern auch in einer Reihe
europäischer Länder sehen werden, wenn der Euro zusammenbricht und die
Krise sich vertieft!

Werden dann nicht die idealen Bedingungen für die Linke vorhanden sein,
um die herrschende Klasse und ihr System bloß zustellen, indem sie alle
Lügen ins Gedächtnis ruft, die sie über den Euro gesagt haben, und indem
sie die tiefe Krise aufzeigt, die der Zusammenbruch ihrer Währung
hervorgerufen hat? Indem sie erklärt, dass die Verantwortung für alles
Übel, unter dem die ArbeitnehmerInnen zu leiden haben, zu einhundert
Prozent auf den Schultern der herrschenden Klasse in Griechenland und in
Europa lastet?

Wie aber wird die Linke da stehen, wenn sie in dieser ganzen Periode an
der Spitze des Kampfes für den Austritt aus dem Euro steht? Wie wird sie
das System angreifen können, wenn ihr eigener Vorschlag des Austritts
aus dem Euro eine Vertiefung der Wirtschaftskrise ausgelöst haben wird?
Wie soll unter diesen Bedingungen eine massenhafte Reaktion in der
Gesellschaft gegen die Linke gestoppt werden? Warum sollten sich
Menschen dann nicht gegen die Linke wenden, wenn diese nicht erklärt,
dass nicht die Währung das Thema ist, sondern der Sturz des Systems, und
dass die alleinige Rückkehr zur Drachme ohne den Sturz des Systems nicht
nur keine Lösungen bietet, sondern gewaltige Gefahren in sich birgt?

Um wieder zusammenzufassen: Der größte Fehler der Linken wäre es,
Illusionen zu schüren, dass der Austritt aus dem Euro für sich allein
das Leben der ArbeitnehmerInnen bessern kann! Sie muss stattdessen
erklären, dass es im Rahmen des Kapitalismus keinerlei Ausweg gibt und
dass der einzige Weg zur Sicherung des Rechts der ArbeitnehmerInnen auf
ihr Leben die sozialistische Veränderung der Gesellschaft ist. Wenn sie
dies macht, hat es aber keinen Sinn, das Thema der Währung aufzustellen.
Denn dies ist, wie oben erklärt, ein Thema des Kräfteverhältnisses
zwischen den Klassen und der Entwicklung der revolutionären Prozesse auf
gesamteuropäischer Ebene.

Der Austritt aus EU und Euro und die „nationale Unabhängigkeit“

Für einen Teil der Linken ist das Thema des Austritts aus dem Euro und
der EU hauptsächlich eine Frage der „nationalen Unabhängigkeit“. Sie
sind aus diesem Grund der Ansicht, dass die erste und wichtigste Aufgabe
der Austritt aus der EU und dem Euro ist. Sie schlagen ergänzend
Maßnahmen vor, die sich in eine sozialistische Richtung bewegen, wie die
Verweigerung der Schuldenzahlung (einseitige Schuldenstreichung), die
Verstaatlichung der Banken und die Neuplanung der Produktion. Doch die
zentrale Betonung liegt auf der Forderung nach dem Austritt aus der EU.
Diese Position geht davon aus, dass die nationale Unabhängigkeit
aufgehoben worden sei, dass es ein „neues Besatzungsregime“ gebe und
dass wir eine neue nationale Befreiungsbewegung vom Typ EAM7 bräuchten.
Wir sollten die EU verlassen, um eine „unabhängige“, „ungebundene“,
„nationale“ Wirtschafts- und Währungspolitik zu haben.

Beginnen wir mit dem Punkt, mit dem wir übereinstimmen: Griechenland ist
in der Tat konfrontiert mit einer neuen Form des Neokolonialismus! Dass
das griechische Volk nicht über sich selbst entscheidet, ist eine
Tatsache! Das Problem der „nationalen Unabhängigkeit“ stellt sich in
einem gewissen Sinne! Alle Beschlüsse werden in Brüssel gefasst – und
das ist für die Arbeiterklasse nicht akzeptabel. Für die herrschende
Klasse unseres Landes ist dies nicht nur akzeptabel, sondern auch
richtig und notwendig, denn die griechischen Kapitalisten sind direkt
verbunden und abhängig vom großen europäischen Kapital. Gegen diesen
Neokolonialismus müssen wir kämpfen! Darin sind wir uns einig. Worin wir
unterschiedlicher Meinung sind, ist das Wie!

Denn der Austritt aus dem Euro und aus der EU wird nie das Problem der
Abhängigkeit und der Untertänigkeit lösen, das Griechenland nicht heute,
sondern in seiner ganzen Geschichte (sei es mit oder ohne Euro)
charakterisiert hat.

In Wirklichkeit verbirgt sich hinter der Position dieser GenossInnen
eine Weigerung auf europaweiter oder internationaler Ebene einen klaren
Kampfvorschlag für den Sturz des Kapitalismus und für den Sozialismus zu
machen. Wenn wir die Texte der Genossen lesen, die zu diesem Teil der
Linken gehören, werden wir sehen, dass sie von einem
„National-Zentrismus“ durchzogen sind. Der gemeinsame Kampf mit den
übrigen europäischen ArbeiterInnen fehlt genauso wie der gemeinsame
Kampf für den Sozialismus. Wenn man diesen gesamteuropäischen und
internationalen Kampf „nicht sieht“, landet man unvermeidlich bei
„nationalen Lösungen“. Und diese führen auf die eine oder andere Weise
zu dem Vorschlag des Austritts aus der EU und zur Drachme.

Der Kern unserer Meinungsverschiedenheit ist folgender: Es gibt keine
wirkliche nationale Unabhängigkeit im Rahmen des Kapitalismus. Der
Kapitalismus war von seinem Beginn an (und ist es heute noch viel mehr)
ein internationales System. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den
Ökonomien auf internationaler Ebene ist eines seiner zentralen
Charakteristika. Die Untertänigkeit der schwachen herrschenden Klassen
gegenüber den starken, entweder direkt oder indirekt über die
internationalen Organisationen, ist ein Gesetz, denn es ist eine
Bedingung für das Überleben der schwachen herrschenden Klassen wie die
griechische eine ist. Ein Austritt Griechenlands aus der EU und dem
Euro, wird nicht nationale Unabhängigkeit bedeuten. Außer der EU gibt es
den Internationalen Währungsfond (IWF), die Weltbank, unendlich viele
internationale Organisationen. Auch wenn hypothetisch ein
kapitalistisches Land beschließt, aus all diesen rauszugehen, wird es
mit einem anderen Faktor konfrontiert sein: den „Märkten“. Vielleicht
„schmähen“ sogar die Repräsentanten des Kapitals selbst die „Märkte“,
die Spekulanten usw.. Aber sie haben ohne diese „Monster“ keine
Hoffnung, zu überleben – weder sie selbst als Repräsentanten der
herrschenden Klasse noch die kapitalistische Wirtschaft, die sie
repräsentieren. Die Macht des Finanzkapitals ist heute gewaltig,
unvorstellbar größer als vor einem Jahrhundert, als Lenin seine Schrift
„Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ verfasste.

Wie kann also die imperialistische und neo-kolonialistische Abhängigkeit
beendet werden? Nur auf eine Weise: Durch den Sturz des Kapitalismus und
den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Und dies kann nur, wie
wir weiter oben entwickelt haben, auf einer internationalistischen und
nicht auf einer „national-zentristischen“ Grundlage geschehen – denn
einen Sozialismus in einem Land kann es nicht geben. Ein
„sozialistisches“ Griechenland kann im Rahmen eines kapitalistischen
Europa und einer internationalen kapitalistisch-imperialistischen
Umgebung nicht überleben, wenn nicht ähnliche Entwicklungen in anderen
Ländern des Kontinents und international folgen. Entweder wird es
zusammenbrechen, bevor es sich richtig festigt, oder es wird entarten
wie die UdSSR, um später zusammenzubrechen, oder es wird ein „Hybrid“
des Typs von Kuba geschaffen werden.

Die Verteidiger der „nationalen Unabhängigkeit“ müssen also, wenn sie
tatsächlich dieses Ziel erreichen wollen, klar, offen und mutig sagen:
„Der Kapitalismus muss gestürzt werden, um Arbeitermacht und Sozialismus
aufzubauen. Dies ist etwas, das wir nicht alleine tun können. Wir müssen
gemeinsam mit den Arbeitnehmern im übrigen Europa und international
kämpfen. Wenn wir auf diesem Weg EU und Euro verlassen müssen, dann
werden wir alle sich daraus ergebenden Kosten akzeptieren, da der Nutzen
unendlich größer sein wird.“

Die Drachme und die „Volksfronten“

Die Linken, die den Austritt aus dem Euro und der EU als erste Priorität
fordern, sehen als Voraussetzung zur Durchsetzung dieses Ziels, den
Aufbau einer massenhaften „Volksfront“, einer neuen EAM und die Bildung
einer „volksfreundlichen“ oder „fortschrittlichen“ Regierung. Was
bedeuten jedoch „Volksfront“, „fortschrittliche“ Regierung usw. genau?
Worin besteht der Unterschied zu Arbeitermacht und Sozialismus? Ein
genauerer Blick auf „Volksfronten“ und die EAM wird dabei helfen, die
Fehler von Teilen der Linken aufzuzeigen.

Der Ausdruck „Volksfront“ klingt sehr attraktiv: Eine Front des ganzen
Volkes, das kämpft. Die Realität ist jedoch etwas komplexer… So sehr man
in den Schriften Lenins sucht, man wird nirgends den Begriff
„Volksfront“ finden. Das wird möglicherweise die erste Überraschung
sein. Die zweite ist, dass man einen anderen Begriff finden wird: den
Begriff „Einheitsfront“. Um genau zu sein „Arbeitereinheitsfront“.

Den Begriff „Einheitsfront“ gebrauchten die Bolschewiki und die
Kommunistische Internationale (zur Zeit Lenins), um die Notwendigkeit
eines einheitlichen Kampfes der Arbeiterklasse eines jeden Landes gegen
die gemeinsamen Probleme und gegen die herrschende Klasse – unabhängig
von Parteizugehörigkeit und politischen Vorlieben – zu beschreiben.
Indem sie eine „Einheitsfront“ bildet, würde die Arbeiterklasse
gleichzeitig eine Perspektive weisen und auch ihre Beziehung zu ihren
Bündnispartnern in den sozialen Kämpfen – das heißt den armen Bauern und
Mittelschichten der Städte – auf starken Fundamenten aufbauen.

Der Begriff „Volksfront“ taucht in den 30er Jahren auf – und sein
Inspirator war kein Anderer als Stalin. Der Unterschied zwischen der
„Einheitsfront“ Lenins und der „Volksfront“ Stalins liegt darin, dass
die „Volksfront“ außer der Arbeiterklasse (und ihren armen
Bündnispartnern) auch die bürgerliche Klasse umfasst – ihre sogenannten
„fortschrittlichen“ Teile! Der Begriff „Volk“ umfasst Alle, der Begriff
„Arbeiterklasse“ nicht. Damals hatte sich der Stalinismus in der
Sowjetunion schon vollständig durchgesetzt hat und er versuchte mit
allen Mitteln die Ausbreitung der sozialistischen Revolution ins übrige
Europa zu verhindern. So entwickelte Stalin aus Anlass des Aufstiegs des
Faschismus in Deutschland die Theorie, dass die Zusammenarbeit aller
Klassen, der Arbeiterklasse, der bäuerlichen und der Mittelschichten in
den Städten und auch der Kapitalistenklasse, die „demokratische“,
„patriotische“ oder „fortschrittliche“ Eigenschaften hat, gegen den
Aufstieg des Faschismus notwendig sei.

Doch den Faschismus gab es bereits seit 1922 in Italien. Lenin, Trotzki
und die anderen Bolschewiki haben aber niemals eine Zusammenarbeit der
italienischen ArbeiterInnen mit den italienischen Kapitalisten gegen
Mussolini vorgeschlagen. Im Gegenteil war ihr Vorschlag auch für Italien
die „(Arbeiter-)Einheitsfront“.

Die „Volksfronten“ sind historisch nicht so unschuldig, wie sie sich
anhören. 1936 gab es in Spanien und Frankreich die Übernahme der
Regierung durch „Volksfronten“, das heißt die Kommunisten bildeten
gemeinsam mit den politischen Repräsentanten des Kapitals eine Regierung.

Doch die Kapitalisten nehmen nie an Regierungen teil, die ihnen die
Macht zu nehmen drohen! Keine herrschende Klasse ist bereit, an einer
Staatsmacht teilzunehmen, die ihnen ihre eigene Macht nehmen und sie
einer anderen (in diesem Fall der Arbeiterklasse) geben wird. Folglich
ist eine notwendige Bedingung für die Bildung einer „Volksfront“ eine
Linke, die das Ziel des Sturzes der Kapitalisten, mit denen sie
zusammenarbeitet, aufgibt!

Dies bedeutet ein Akzeptieren des Kapitalismus und (wir wollen das
betonen!) einen Konflikt mit allen Teilen der Gesellschaft, die bewusst
oder spontan in Richtung der sozialistischen Revolution schreiten. Als
Ergebnis wurde die spanische Revolution von Franco besiegt. Als Ergebnis
wurde die französische Revolution, die 1935 ausbrach, verraten und
Frankreich kampflos den Nazis ausgeliefert. Als Ergebnis wurde Aris
Velouchiotis in den Tod geführt, weil er den Vertrag von Varkiza
ablehnte, der der Kompromiss der KKE mit der herrschenden Klasse im
Rahmen ihrer Volksfrontpolitik war.8

Bevor wir jedoch zur EAM übergehen, wollen wir auf eine andere Frage
antworten. Tauchte das Phänomen der „Volksfronten“ in der Geschichte
erstmals in den 30er Jahren auf und stellte so neue Fragen, die neue
Antworten verlangten? Dies ist nicht der Fall!

Die erste Volksfront in der Geschichte

Die erste Volksfront in der Geschichte gab es in Russland 1917. In der
Periode zwischen dem Sturz des Zaren im Februar und der Machtübernahme
der Bolschewiki im Oktober, herrschte eine als Provisorische Regierung
bekannt gewordene Koalition, die aus zwei Parteien der Linken und einer
Partei der bürgerlichen Klasse bestand. Die beiden Parteien der Linken
waren die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre (SR). Die Partei des
Kapitals waren die Konstitutionellen Demokraten (Kadetten).

Wir hatten also eine „Volksfront“, die auf den ersten Blick sehr
wichtige Existenzgründe zu haben schien: Sie „kämpfte“ um die Sicherung
der Demokratie in der Periode direkt nach dem Sturz des Zaren. Sie
„kämpfte“ darum, die Demokratie vor dem „Faschismus“ zu schützen, den
General Kornilow repräsentierte, der genauso wie der spanische General
Franco versuchte, mit seinen Truppen die Provisorische Regierung zu
stürzen. Und wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass sich das Land
befand im Krieg mit Deutschland befand und seine Regierung „kämpfte“
dafür, die Beendigung des Krieges und den Frieden durchzusetzen.

Obwohl das Land sich im Krieg befand, obwohl eine direkte
„faschistische“ Bedrohung existierte, obwohl die Demokratie zerbrechlich
war und gefestigt werden musste, stützten die Bolschewiki weder die
„Volksfront“ noch beteiligten sie sich an ihr! Sie taten etwas Anderes:
Sie stürzten sie!

Was war die EAM?

Wenn jemand mit dieser Haltung der Bolschewiki nicht einverstanden ist,
dann betrifft seine Meinungsverschiedenheit die Oktoberrevolution selbst
– und das ist eine andere Diskussion. All das führt uns jedoch zur EAM.

Die EAM war eine erstaunliche Bewegung, auf die jeder griechische
Arbeiter und jeder Linke stolz ist. Wir müssen nicht in Einzelheiten
gehen, da die Fakten allgemein bekannt sind. Der griechische Widerstand
gegen die Nazis hat die Welt sprachlos gemacht. Churchill sagte damals:
„Helden kämpfen wie die Griechen.“ Etwas später schlachtete die
englische Armee die heldenhaften Griechen ab. Wie ist das geschehen?

Obwohl die EAM und die ELAS im Dezember 1944 ganz Griechenland mit
Ausnahme von Kolonaki9 unter ihrer Kontrolle hatten, wollte die KKE als
die Führung dieser erstaunlichen Bewegung nicht, dass die ganze Macht
auf die ELAS übergeht. Sie wollte kein „sozialistisches Griechenland der
Arbeiter“. Sie wollte eine Regierung der „nationalen Einheit“ – eine
Regierung, an der die KKE gemeinsam mit den Repräsentanten der
griechischen Kapitalherrschaft teilnehmen sollte. Diese Haltung wurde
durch die Ideologie der „Volksfront“ bestimmt. EAM und ELAS haben im
Dezember 194410 den Kampf verloren, weil ihre Führung ihn in
Wirklichkeit nie geführt hat. Diese Führung unter Zachariadis11 hielt im
entscheidenden Moment absichtlich Aris Velouchiotis mit seinen
furchteinflößenden Schwarzmützen in Epirus12 fest – und in der Folge
unterschrieb sie den Vertrag von Varkiza, mit dem sie die Waffen dem
Feind auslieferte! In der Folge wurde sie in einen zerstörerischen
Bürgerkrieg hineingezogen.13

Hier stellt sich eine Frage. Warum konnten EAM und ELAS nicht den
politischen Entscheidungen der KKE-Führung entgegentreten und sie
abwenden? Warum konnte Aris Velouchiotis nicht überzeugen und blieb
isoliert? Die KKE-Führung isolierte ihn, doch warum ließen ihn die
Bewegung, die Gesellschaft, EAM und ELAS alleine?

Dieser Frage kann man nicht ausweichen. Es ist eine Antwort notwendig,
damit die Linke von überzeugende Antworten findet und eine Wiederholung
solcher Tragödien verhindert wird.

Und die Antwort ist sicherlich, dass keine innere Demokratie vorhanden
war, die Diskussion, Dialog, Konfrontation und Teilnahme der Basis an
den Entscheidungen erlaubt hätte. Zweitens, weil die EAM ideologisch auf
der Logik der „Volksfront“aufgebaut war , das heißt der Theorien von
Stalin, Zachariadis und den anderen von der KKE-Führung „geehrten
Führern“. Gemäß dieser Theorie musste die Kommunistische Partei die
Staatsmacht mit dem Kapital und seinen politischen Repräsentanten
teilen. Das Anstreben der Arbeitermacht und des Sozialismus sei falsch.
Eine „nationale Einheit“, eine „fortschrittliche“ „Volks“- Regierung
gegen den Faschismus sei notwendig.

Wenn also einige der Verteidiger der Rückkehr zur Drachme von einer
neuen EAM reden und nur den massenhaften Volkscharakter und den
Heroismus der EAM anführen, ohne zu erklären was warum „falsch lief“,
dann bestätigen sie indirekt, dass sie den Sturz des Kapitalismus, die
Arbeitermacht und die sozialistische Revolution „nicht sehen“. „Sie
sehen“ einen breiteren Block von Kräften, die im Namen der „nationalen
Unabhängigkeit“, der „autonomen“ und „unabhängigen“ Wirtschafts- und
Währungspolitik usw. gegen die Troika Widerstand leisten.

In Wirklichkeit akzeptiert dieser Teil der Linken insgeheim die
Unmöglichkeit des Sturzes des Kapitalismus und sucht die „beste“ Lösung
im Rahmen des Systems. Er akzeptiert auch, dass die Worte über
gemeinsame Kämpfe mit den europäischen ArbeitnehmerInnen wichtige Worte
sind, aber eben nur Worte. Sie sind nicht gewillt, ernsthafte
Initiativen für eine gemeinsame Klassenkampffront der europäischen
ArbeiterInnen zu ergreifen.

Aleka Papariga14 wird sich (beispielsweise in einem Presseinterview) nie
gegen die gemeinsamen Kämpfe der europäischen ArbeiterInnen aussprechen.
Wenn man jedoch ihre beiden wichtigsten politischen Interventionen im
Verlauf des November 2011 betrachtet – ihre Rede am Freitag, den 4.
November auf der Versammlung der KKE auf dem Syntagmaplatz und ihr
Interview mit Nikos Chatzinikolaou bei Real FM am 18. November – wird
man nicht ein Wort finden, das sich auf die europäische Arbeiterbewegung
und noch weniger auf den gemeinsamen Kampf für den Sozialismus bezieht.

Nachdem wir dies nun gesagt haben, wollen wir betonen, dass die
Positionen der KKE in gewissem Sinne zu den „fortgeschrittensten“ unter
den Linken gehören, weil sie kämpferisch das „raus aus der EU und dem
Euro“ vertritt. Das heißt sie beschränkt sich nicht nur auf die Rückkehr
zur Drachme, sondern sie erklärt, dass die Dinge ohne den Sturz der
Macht der Industriellen schlimmer sein werden als mit dem Euro. Mit
dieser Seite der Analyse stimmen wir überein, wie sich auch aus unseren
ganzen Texten ergibt. Doch es reicht nicht aus, diese Analyse zu haben!
Man muss die sozialistische Perspektive aufzeigen, indem man die Wege
beschreibt, die der Kampf der griechischen und der europäischen Bewegung
nehmen muss. Und hier haben wir das Fehlen jeglichen Bezuges von Aleka
Papariga auf diese internationalistische Dimension. Manche werden sagen,
das sei vielleicht zufällig. Wir antworten, dass Auslassungen dieser Art
nie zufällig sind!

Die Perspektive des internationalistischen Widerstands hängt von uns ab

Nachdem wir all dies gesagt haben, wollen wir feststellen: Es ist eine
Tatsache, dass Positionen für die Rückkehr zur Drachme und für
„Volksfronten“ ein gewisses Echo finden und von Teilen der Linken und
der Bewegung angenommen werden. Der Grund dafür ist, dass die
Perspektive der sozialistischen Arbeitermacht nicht unmittelbar als
realistisch erscheint. Was jedoch realistisch ist und was nicht, fällt
nicht vom Himmel. Es hängt ab von der Aktion lebendiger Kräfte in der
Gesellschaft.

Warum die Perspektive der Revolution in Europa heute entfernt erscheint,
haben wir weiter oben erklärt: Es gibt noch keine linken Massenparteien,
die für dieses Ziel kämpfen. Diese Realität bringt Teile der Bewegung
dazu, anstatt bewusst eine Linke mit dem heute so lebenswichtig
notwendigen sozialistisch-revolutionären Programm aufzubauen, Lösungen
zu suchen, die die Bewegung letztlich im Rahmen des Systems gefangen
halten.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass Tausende der besten KämpferInnen der
Linken sich der Forderung nach Austritt aus der EU und dem Euro nähern,
weil sie darin einen revolutionären Inhalt des Zusammenstoßes mit dem
einheimischen und europäischen Establishment erkennen. Diese Annäherung
hat sicher eine gewisse Basis, doch diese ist nicht entscheidend. Denn
diese Position überschattet unbewusst die Hauptaufgabe, die im Kampf für
den Sturz des Systems besteht, indem sie „nationale Illusionen“ schafft
– den Gedanken, dass sich der griechische Kapitalismus außerhalb der EU
besser entwickeln kann.

Dieser Teil der Linken nimmt eine Position des geringsten Widerstands
ein, wobei er wahrscheinlich hofft, dass so der Weg zum Sturz des
Kapitalismus erleichtert wird. Solche Motive sind zweifellos die besten
–sie sind charakterisiert durch Uneigennützigkeit und Sorge um die
Zukunft der Linken und der Gesellschaft. Der Weg zum Sozialismus öffnet
sich jedoch nicht durch unklare Hoffnungen und auch nicht durch gute
Vorsätze und Wünsche. Vergessen wir nicht: „Der Weg zur Hölle ist mit
guten Vorsätzen gepflastert.“ So ist die Linke in der Vergangenheit mit
historischen Niederlagen konfrontierte worden. Das darf nicht wieder
passieren.

Zusammenfassung unserer Position

1.Es gibt keine Perspektive zur Lösung für die Krise im Rahmen des
kapitalistischen Systems. Die historische Aufgabe der Linken, ist
insbesondere angesichts der heutigen Barbarei und Fäulnis des
kapitalistischen Systems, Vorschläge anzubieten, die den Weg zum Sturz
des Kapitalismus, zu Arbeitermacht und Sozialismus aufzeigen. Die Linke,
die heute nicht zu dieser Aufgabe schreitet, wird nicht erfolgreich sein
können.

2.Der Austritt aus dem Euro und der EU allein bietet keine Lösung für
irgendein Problem. Ob mit Euro oder Drachme als Währung und selbst bei
einer Einstellung der Zahlung der Auslandsschulden ist eine Wirtschaft
wie die griechische, insofern sie im Rahmen des Kapitalismus bleibt, zur
krisenhaften Entwicklung verurteilt .

3.Im Falle einer Volksabstimmung wie der, die Papandreou Anfang November
vorschlug – wo erpresserisch die Wahl zwischen einer Reihe harter
volksfeindlicher Maßnahmen und einem Verbleib im Euro gestellt wird –
muss die Linke unabhängig von dieser allgemeinen Position „Nein zum
Euro“ sagen. Andernfalls würde sie der scharfen arbeiterfeindlichen
Politik zustimmen und ihre Möglichkeit, diese zu bekämpfen, untergraben.

4.Dies ist etwas Anderes als den Austritt aus der EU und die Rückkehr
zur Drachme selber als Losungen und zentrale Kampfvorschläge
aufzuwerfen. Eine solche Positionierung schafft nur die „nationale
Illusion“, dass Griechenland sich mit einem „fortschrittlichen“,
„patriotischen“ oder „nicht bevormundeten“ Kapitalismus „besser
entwickeln“ kann.

5.Wenn die Linke auf der Basis des Internationalismus und des Kampfes
für ein Europa der Arbeiterdemokratie für den Sozialismus kämpft, dann
macht die Forderung nach dem Austritt aus dem Euro und der EU keinen
Sinn. Die zentrale Losung kann keine andere sein als das Europa der
ArbeiterInnen und des Sozialismus.

6.Der EU muss die Linke und die Arbeiterbewegung die Ablehnung jeglicher
arbeiterfeindlicher Politik und entsprechender Verträge entgegenstellen.
Wenn aufgrund der Weigerung der griechischen Gesellschaft, die Vorgaben
der europäischen Kapitalisten zu akzeptieren, die Herrschenden Europas
den Rausschmiss Griechenlands aus der EU und dem Euro beschließen, nutzt
die Linke dies, um das antikapitalistische und Klassenbewusstsein der
griechischen Arbeiterbewegung und ihre internationalistischen
Verbindungen mit der Bewegung im Rest Europas zu steigern.

7.Wenn die Entwicklungen erfordern, dass die Linke eine kämpferische
Kampagne gegen den Verbleib in der EU entwickeln muss – beispielsweise
im Falle einer Volksabstimmung des Typs Papandreou – dann muss sie
wiederum mit dem größten Nachdruck erklären, dass die reine Rückkehr zur
Drachme keinerlei Perspektive bietet, außer wenn sie mit dem Kampf zum
Sturz des Kapitalismus und für Sozialismus kombiniert wird.

8.Wenn sich unter solchen oder ähnlichen Verhältnissen eine Art
„fortschrittliche“ (Volksfront-) Regierung ergibt, die Maßnahmen wie
einen Austritt aus dem Euro und der EU oder sogar der Verweigerung der
Schuldenzahlung ergreift, darf die Linke nicht daran teilnehmen (und
folglich auch nicht zu ihrer Bildung aufrufen), sondern sie muss sie
kritisieren und sich auf den Konflikt mit dem Ziel der sozialistischen
Veränderung der Gesellschaft vorbereiten.

9.Die von Teilen der Linken vertretene Position, dass solche Regierungen
den Weg zu revolutionären Umstürzen öffnen, ist falsch. Eine solche
„Vorhersage“ stützt sich auf keinerlei wissenschaftlich-marxistische
Analyse. Sie kann nur gültig sein unter sehr speziellen Bedingungen
jenseits, außerhalb und gegen den Willen dieser Regierungen und unter
der Voraussetzung der Existenz einer revolutionären Massenlinken.

10.Die Linke muss die sozialistische Perspektive anbieten nicht als ein
allgemeines „strategisches“ Ziel (irgendwie, irgendwo, irgendwann),
sondern indem sie eine Reihe von Maßnahmen vorschlägt, die von der
heutigen Lage ausgehen: Verweigerung der Schuldenzahlung,
Verstaatlichung des Bankensystems und der strategischen
Wirtschaftsbereiche, Arbeiterkontrolle und Arbeiterverwaltung, Planung
der Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Gesamtheit u. ä.

11.Es kann keinen Sozialismus auf nationaler Basis geben, er könnte
nicht überleben. Der Kampf für Sozialismus muss internationalistische
Charakteristika haben. In diesem Fall macht die Forderung „Austritt aus
dem Euro und der EU“ keinen Sinn. Sie stärkt nicht nur nicht den
internationalistischen Kampf, sondern schafft Illusionen bei den
griechischen ArbeiterInnen in einen „nationalen Kapitalismus“, der einen
Ausweg weisen kann – ohne dass der sozialistische Umsturz notwendig ist.

12.Wenn wir abstrakt annehmen würden, dass es weder eine EU noch eine
gemeinsame Währung gäbe, müsste die Linke im Falle gemeinsamer Kämpfe
mit den europäischen ArbeiterInnen sowohl eine freiwillige
sozialistische Föderation als auch eine gemeinsame Währung vorschlagen.
Die revolutionäre Klassenantwort auf das Europa der Kapitalisten ist ein
„sozialistisches Europa“ und nicht „Raus aus der EU und dem Euro.“

13.Um dem Kampf für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft
eine Perspektive zu geben, muss die Linke heute für folgende Forderungen
eintreten: Weigerung der Schuldenzahlungen, Verstaatlichung des
Bankensystems und der strategischen Wirtschaftsbereiche,
Wirtschaftsplanung nach den Bedürfnissen der Gesamtheit, unter Kontrolle
und Verwaltung der ArbeiterInnen und der Gesellschaft. Diese Forderungen
sind die Basis für den Aufbau einer auf die demokratischen Machtorgane
der Massenbewegung gestützten Arbeitermacht: Komitees und
Basisversammlungen mit jederzeit abrufbaren Repräsentanten.

Die Linke, die sich und der Bewegung heute diese Aufgaben stellt, ist
eine revolutionäre Linke. Revolution bedeutet nicht das „revolutionäre
Geschrei“ von Teilen der außerparlamentarischen Linken. Auch nicht die
Steine und die Molotowcocktails der sogenannten „autonomen“ Kräfte, die
am Ende als Alibi des Staates zur Legitimierung der Unterdrückung der
Bewegung fungieren. Revolution bedeutet die massenhafte Einmischung von
Millionen aus der Arbeiter-, der Jugend- und sonstiger Bewegungen in die
Kämpfe, damit solche Forderungen Wirklichkeit werden.

Der entscheidende Faktor, der heute fehlt, damit die Gesellschaft den
Sprung nach vorne machen kann, ist eine revolutionäre Linke. Der Aufbau
dieser revolutionären Massenlinken ist eine der wichtigsten Aufgaben,
die sich den uneigennützigen KlassenkämpferInnen heute stellt.