Stuttgart 21: DIE LINKE ist mehr denn je gefordert
Am Tag vor der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 erklärte der neue grüne Landesverkehrsminister Winfried Hermann noch bei einer Großkundgebung am Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs: „Dieses Projekt ist nichts für Baden-Württemberg, sondern zum Schaden des ganzen Landes.“ Jetzt richten die Grünen in der Landesregierung diesen „Schaden“ mit an.
von Ursel Beck, Stuttgart
Winfried Hermann verhält sich wie Jürgen Trittin. Der hatte im März 1997 noch an einer Castor-Blockade teilgenommen und vier Jahre später als grüner Bundesumweltminister Polizei gegen Castor-GegnerInnen eingesetzt und erklärt: „Gegen diese Transporte sollten Grüne in keiner Form – sitzend, stehend, singend, tanzend – demonstrieren.“
Kein grüner Politiker sagt, dass der Filz aus Bahnvorstand, Wirtschaftsbossen und „Tunnelparteien“ die Volksabstimmung mit einer millionenschweren – zum Teil durch Veruntreuung von Steuergeldern – finanzierten Propagandakampagne von Lug und Betrug für sich entschieden hat. Die Grünen feiern den Schwindel Volksabstimmung als „Sieg der Demokratie“.
Frage des Baustopps
Viele S21-GegnerInnen nehmen den Grünen nicht übel, dass sie die Volksabstimmung als Mehrheitsentscheidung für die Mitfinanzierung des Landes bis zur Obergrenze von 4,5 Milliarden Euro akzeptieren. Kein Verständnis gibt es aber dafür, dass die Grünen keinen Baustopp verlangen, bis klar ist, wie hoch die nach der Volksabstimmung von der Bahn zugegebenen Mehrkosten sind und wer sie übernimmt, bis die Bahn ihre internen Kostenkalkulationen und geheim gehaltenen Risikoanalysen offen legt, bis alle Planabschnitte und Planänderungen genehmigt sind. Unmut gibt es auch darüber, dass die Manipulationen beim „Stresstest“, die der Bahn nachgewiesen wurden, weder von Verkehrsminister Hermann noch von Ministerpräsident Winfried Kretschmann für einen Baustopp genutzt werden. Zur Durchsetzung der Profitinteressen der S21-Mafia kommt es nun unter Grün-Rot zu einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte Baden Württembergs. Der ehemalige Richter Christoph Strecker sagte bei einer Demo am Südflügel am 9. Januar zu Recht: „Das Ergebnis der Volksabstimmung zwingt die Regierung also zu nichts. Wenn sie nun der Bahn bei der Umsetzung ihrer Pläne hilft, dann tut sie das nicht, weil sie muss, sondern weil sie will.“
Unmut gegen Grüne wächst
Bei vielen AktivistInnen ist die Stimmung gegenüber den Grünen in abgrundtiefe Enttäuschung und Wut umgeschlagen. „Nie wieder Grün“ und „Kretschmann weg“ wird bei Demos immer häufiger gerufen. Beim offiziellen Neujahrsempfang war Kretschmann erst mal mit dem „Empfang“ von tausend Stuttgart-21-GegnerInnen konfrontiert, die ihm – dem arabischen Vorbild folgend – ihre Schuhe zeigten.
Hannes Rockenbauch, Sprecher des Aktionsbündnisses, erklärte: „Wenn wir ‚oben bleiben‘ gesagt haben, dann haben wir nicht gemeint: oben bleiben an der Regierung und das um jeden Preis. Sondern da haben wir gemeint, wir wollen diesen Bahnhof nicht! Und dann gilt auch für diese Landesregierung: Ihr werdet uns nicht los, wir Euch schon!“
Grüne sind pro-kapitalistische Partei
Hilmar Kopper, früherer Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hat 1999 einmal gesagt, dass er sich anderthalb Jahre vorher nicht hätte vorstellen können, dass es unter einer rot-grünen Regierung eine deutsche Beteiligung an einem Krieg im Balkan geben könnte: „Genauso aber kam es. Und es konnte nur von einer rot-grünen Regierung kommen. Sonst hätten wir in diesem Land die Revolution gehabt. Ähnliches gilt wohl für die Veränderung des Sozialstaates. Wahrscheinlich müssen die heiligen Kühe von denen geschlachtet werden, die an der Aufzucht am aktivsten beteiligt waren.“ Das wiederholt sich jetzt bei S21.
Die Grünen sind nicht bereit, es auf einen Machtkampf mit den wirtschaftlich Mächtigen, die hinter Stuttgart 21 stehen, ankommen zu lassen. Sie wissen, dass dies dazu führen müsste, die Macht des Kapitals insgesamt in Frage zu stellen. Und sie wissen auch, dass sie eine Konfrontation mit der S21-Mafia die Regierungsbeteiligung und viele hoch bezahlte Posten kosten würde. Weil die Grünen selbst Teil des kapitalistischen Systems sind, gehen sie den anderen Weg. Sie erklären uns plötzlich, dass man aus Stuttgart 21 auch ein gutes Projekt machen könne. Das ist dann auch der Türöffner, die vor der Volksabstimmung zugesagte Begrenzung der Landesmittel auf 930 Millionen Euro irgendwann aufzuheben.
Und DIE LINKE?
Der Kurs der Grünen stellt die Frage nach einer politischen Alternative in aller Schärfe. Die SAV sieht in der LINKEN einen Ansatz für eine breite antikapitalistische Partei und kämpft in der Linkspartei dafür, dass diese sich aktiv am Widerstand gegen S21 und anderen außerparlamentarischen Bewegungen beteiligt.
DIE LINKE muss als kämpferische, konsequent antikapitalistische Partei aufgebaut werden. Beteiligungen an Koalitionen mit bürgerlichen Parteien wie in Brandenburg darf es nicht geben, sonst landet die Partei dort, wo SPD und Grüne bereits angekommen sind.