Warum stagniert DIE LINKE?

Personaldebatten, Antikriegsresolutionen und ein Angebot zur rot-roten Koalition im Saarland


 

DIE LINKE hat auch nach der fast einstimmigen Verabschiedung ihres Grundsatzprogramms im neuen Jahr keinen Tritt gefasst. Obwohl sich die Krise der Regierung Merkel rasant verschärft hat und sie nur durch die direkte Unterstützung der rot-grünen Scheinopposition für ihre neuen Bankenrettungsprogramme überleben konnte, haben sich die Umfragewerte für DIE LINKE seit der letzten Bundestagswahl halbiert. Seit 2010 stagnieren auch ihre Mitgliederzahlen. Woran liegt das?

von Heino Berg, Göttingen

Die gängigen Erklärungsmuster kratzen nur an der Oberfläche: Sie begründen den Widerspruch zwischen der fortschreitenden Krise des Kapitalismus und rückläufigen Umfragewerten einer Partei, die sich, als einzige im Bundestag, in ihrem Programm zur Überwindung dieses Systems bekannt hat, mit den innerparteilichen Auseinandereinsetzungen. Richtig ist, dass unpolitisch ausgetragene Führungsquerelen für Mitglieder und Wähler abschreckend wirken. Der Teilrückzug von Oskar Lafontaine, der die Unterordnung des schwarz-gelb-rot-grünen Parteienkartells unter das „Diktat der Märkte“ (sprich: der Banken und Konzerne) scharf kritisiert und dagegen Generalstreiks in Europa befürwortet hat, mag zur Krise der LINKEN beigetragen haben. Auch das von der Gewerkschaftsführung zusätzlich gebremste Ausbleiben von Massenbewegungen in Deutschland gehört zu ihren Ursachen. Aber Führungsprobleme allein können nicht erklären, warum DIE LINKE so wenig aus ihren Chancen gemacht hat.

Zwei Parteien in einer

Politische Debatten sind insbesondere in linken Parteien nicht nur unvermeidlich, sondern können sogar fruchtbar wirken, wenn sich die Meinungsverschiedenheiten auf die Mittel zur Erreichung gemeinsamer programmatischer Ziele beziehen und deshalb solidarisch mit politischen Sachargumenten ausgetragen werden. Innerhalb der LINKEN prallen jedoch „systemische“ und damit unvereinbare Gegensätze aufeinander: Kräfte, die sich zusammen mit SPD und Grünen an der Verwaltung der Krise des Kapitalismus in der Logik des „kleineren Übels“ beteiligen wollen, stehen anderen gegenüber, die den Anspruch haben, die Interessen von lohnabhängig Beschäftigten und Benachteiligten und eine antikapitalistische Perspektive vertreten. Zwischen diesen Lagern sind keine konstruktiven Kompromisse möglich, sondern nur kurzfristige formale Übereinkünfte im Sinne des „kleinsten gemeinsamen Nenners“, die für ein gemeinsames Handeln und ein glaubwürdiges Erscheinungsbild nicht tragfähig sind. Ein Kompromiss wäre zum Beispiel sich in einer Debatte um die Frage, wie viele Arbeitsplätze neu geschaffen werden sollen, auf eine bestimmte Zahl zu einigen. Sich als linke Partei, wie in der Brandenburger Landesregierung geschehen, aber am Abbau von Arbeitsplätzen zu beteiligen, ist kein Kompromiss, sondern Verrat an den eigenen linken Prinzipien.

Zur Mitgliederbefragung um den Parteivorsitz

Die Kandidatur von Dietmar Bartsch für den Parteivorsitz der LINKEN, die eigentlich erst beim Göttinger Parteitag im Juni auf der Tagesordnung steht, hat die Scheinharmonie des Erfurter Parteitags postwendend über den Haufen geworfen. Bartsch gilt als Repräsentant des Regierungsflügels innerhalb der Linkspartei, der sie auf bedingungslose Bündnisse mit SPD und Grünen einschwören und die antikapitalistischen Forderungen des Erfurter Programms zu einem Lippenbekenntnis wie im SPD-Programm degradieren will. Außerdem verkörpert er das Erbe der ostdeutschen Staats- und Regierungspartei im Apparat der erst vor wenigen Jahren vereinigten LINKEN. Der Anpassungskurs von Bartsch und anderen hatte schon die PDS in die Isolation geführt und die LINKE in der Berliner Koalition mit der SPD fast 50 Prozent ihrer früheren Wählerstimmen gekostet.

Anstatt auf seine Kandidatur mit einer inhaltlichen Diskussion über die Bilanz dieser Politik zu antworten, hat sich der linke Parteiflügel auf die Auseinandersetzung über das Urwahlverfahren konzentriert, mit dem Bartsch seine Kandidatur ursprünglich verknüpft hatte. Die Kampagne für einen Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz stützte sich auf die verbreitete Unzufriedenheit über Kungeleien der Fraktionsführung um Gregor Gysi, denen Gesine Lötzsch und Klaus Ernst ihre Positionen verdanken. Unabhängig davon, ob dieses Verfahren der Parteisatzung entspricht, führt es keineswegs zu einer stärkeren Kontrolle der Mitgliederbasis über ihre Führung. Im Gegenteil: eine individualisierte Briefwahl entwertet diese Basisgliederungen und die Diskussion ihrer gewählten Parteitagsdelegierten. Ähnlich wie eine Direktwahl von Staatspräsidenten (wie z.B. in Frankreich oder in den USA) die Parlamente schwächt, würde sie die Parteiorganisation, ihre Parteitage, Mitgliederversammlungen und Delegierten entmachten und eine aktive Mitwirkung der Mitglieder am Leben der Partei noch mehr als bisher als Zeitverschwendung erscheinen lassen. Eine offene und vor allem inhaltliche Debatte über Politik und über das Personal, welches für unterschiedliche politische Vorschläge steht, wäre auch die beste Voraussetzung, Kungeleien und andere Formen bürokratischer Entscheidungsfindungen zu verhindern.

DIE LINKE, die Medien und die arabische Revolution

Ein weiteres Standardargument der Parteiführung zur Erklärung der Stagnation der LINKEN ist deren „unfreundliche“ Behandlung durch die bürgerliche Presse. Aber abgesehen davon, dass es naiv wäre, von Medienkonzernen eine sachliche Berichterstattung über eine antikapitalistische Organisation zu erhoffen: Daran hat sich seit dem Aufschwung der LINKEN nach ihrer Gründung wenig geändert. Das kann also den deutlichen Rückgang ihres Einflusses nicht plausibel machen und wirft eher die Frage auf, warum DIE LINKE nicht wenigstens ihre eigenen Medien, nicht zuletzt ihre Webseiten, viel stärker zur Verbreitung von antikapitalistischen Forderungen und Initiativen genutzt hat. Wer nur auf die bürgerlichen Medien und ihr Wohlwollen setzt, hat den Kampf um die öffentliche Meinung und die Unterstützung durch die Lohnabhängigen bereits aufgegeben.

Außerdem verschafft DIE LINKE den konservativen Medien immer wieder Vorwände und Anhaltspunkte für deren Verleumdungskampagnen. Ein Beispiel unter vielen ist der – sicher gut gemeinte – Aufruf von einigen Bundestagsabgeordneten, darunter Diether Dehm und Sevim Dagdelen, gegen die Kriegs- und Embargo-Vorbereitungen des Imperialismus gegen Syrien und Iran. Darin fehlt jede Unterstützung für die Proteste der Bevölkerung gegen die herrschenden Regime dieser Länder. An die Stelle der internationalen Solidarität von Sozialisten mit dem Widerstand der Unterdrückten tritt dort die Forderung, „dass das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten konsequent eingehalten wird.“ Dies wurde in der Öffentlichkeit als Distanzierung von der „arabischen Revolution“ und dem Kampf für den Sturz dieser bürgerlichen Diktaturen wahrgenommen, mit denen der Imperialismus und seine Geheimdienste im Falle Assads übrigens bestens zusammengearbeitet haben. Es erleichterte entsprechende (Presse)Kampagnen der bürgerlichen Reaktion (und ihrer israelfreundlichen Unterstützer innerhalb der LINKEN, v.a. im BAK Shalom) gegen die Partei insgesamt. Nachgeschobene Distanzierungen vom Assad-Regime, die auf die Verlogenheit dieser reaktionären Kriegskampagnen hingewiesen haben, waren wichtig, konnten aber den eingetretenen Schaden auch deshalb kaum ausgleichen, weil sie nicht einmal auf den Webseiten der LINKEN publiziert wurden.

Zur Regierungsfrage – unter anderem im Saarland

Die wichtigste Ursache für die Krise der LINKEN bleibt ihr nicht geklärtes Verhältnis zur Regierungsbeteiligung mit pro-kapitalistischen Parteien wie SPD und Grünen. Obwohl sich beide Parteien in ihrer Regierungszeit als Vorreiter der Neoliberalismus betätigt und auch in der Opposition mit diversen Bankenrettungsprogrammen die wichtigsten Angriffe des Kapitals auf die Errungenschaften der Arbeiterbewegung in Europa erst möglich gemacht haben, werden sie von wesentlichen Teilen der Partei- und Fraktionsführung unverdrossen als Wunschpartner für eine Regierungskoalition im Bund und in den Ländern bezeichnet. Daran hat sich auch nach den wiederholten Absagen von SPD und Grünen an rechnerisch mögliche rot-rot-grüne Landeskoalitionen nichts geändert. Auch nachdem im Saarland die Jamaika-Koalition gescheitert ist und die SPD der CDU prompt in exklusiven Sondierungsverhandlungen zu Hilfe eilte, wiederholt Oskar Lafontaine das Angebot, nach den jetzt beschlossenen Neuwahlen mit der SPD eine Regierung zu bilden. Lafontaine beruft sich dabei auf frühere Äußerungen des saarländischen Spitzenkandidaten Heiko Maas gegen die sogenannte „Schuldenbremse“, durch die SPD und Grüne gemeinsam mit der schwarz-gelben Bundesregierung die Folgen ihrer Steuergeschenke an die Konzerne mittels Sozialkürzungen auf die Bevölkerung abwälzen wollen. In seiner Presseerklärung geht Lafontaine sogar so weit, die politischen Unterschiede zwischen SPD und LINKE weitgehend zu negieren, indem er sagt: „ SPD und Grüne haben mittlerweile eine Stärke im Bundesrat, die es einer rot-roten Koalition an der Saar ermöglichen würde, die Politik der Umverteilung und des Sozialabbaus in der Bundesrepublik zu beenden. (…) SPD und Grünen haben mittlerweile die steuerpolitischen Vorschläge der Partei DIE LINKE in großem Umfang übernommen. Das gilt für die Vermögenssteuer, die Börsenumsatzsteuer, die Transaktionssteuer, eine höhere Gewinnbesteuerung, einen höheren Spitzensteuersatz und eine gerechtere Erbschaftssteuer.“

Alle Erfahrung zeigt, dass solche rhetorischen Zugeständnisse von oppositionellen SPD-Politikern nichts wert sind – und deshalb auch kein Hindernis für eine weitere Große Koalition im Saarland bilden werden. Wenn Oskar Lafontaine diese Offerten trotzdem wiederholt, beschädigt er damit die Glaubwürdigkeit seiner eigenen Angriffe auf den „Einheitsbrei“ der bürgerlichen Parteien im Bundestag. Die Befürworter von bedingungslosen Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen können solche Aussagen zur Rechtfertigung seiner Politik der Beteiligung an Stellen- und Bildungsabbau, wie sie gerade zum Beispiel in Brandenburg vollzogen wird, nutzen.

Wenn die LINKE nach ihren eigenen Aussagen die „einzige“ Partei in den Bundes- und Landesparlamenten ist, welche die Interessen der Lohnabhängigen NICHT den Profiten der Banken und Konzerne opfern will, darf sie nicht weiter den Eindruck erwecken, dass die nötigen gesellschaftlichen Veränderungen gemeinsam mit SPD und Grünen in den Parlamenten zu erreichen sein. Und daraus muss sie die Schlussfolgerung ableiten, dass der Schwerpunkt ihres Handelns der außerparlamentarische Widerstand der Betroffenen ist, der – wie die Anti-AKW-Proteste bewiesen haben – der angeschlagenen Regierung sehr viel größere Zugeständnisse abtrotzen konnte als parlamentarische Kompromissangebote an die bürgerlichen Parteien zusammen genommen.

Diese einfachen Wahrheiten und praktischen Erfahrungen hätten für das öffentliche Erscheinungsbild der LINKEN und ihre Anziehungskraft auf die Menschen, die sich gegen die Folgen der kapitalistischen Krise zur Wehr setzen wollen (und müssen) und nach Alternativen zu diesem System suchen, viel größere Auswirkungen als die Versuche die fundamentalen Widersprüche zwischen den beiden Parteiflügeln zu kaschieren. Viele Vertreter des regierungskritischen Parteiflügels argumentieren, dass die in Erfurt verabschiedeten Haltelinien für Regierungsbündnisse diese faktisch ausschließen, weil SPD und Grüne sich auf diese Minimalbedingungen nicht einlassen würden. Abgesehen davon, dass Absichtserklärungen in Koalitionsverhandlungen billig und wirkliche Regierungspolitik in der Regel ganz anders aussieht: Warum sollten Sozialisten von prokapitalistischen Parteien etwas fordern, was sie selbst für illusorisch halten? Warum sollten sie sich weiter als Juniorpartner von Parteien andienen, die offen sagen und bewiesen haben, dass solche Bündnisse – wenn überhaupt – nur auf der Basis von arbeiterfeindlicher Politik zu haben sind?

Mit taktischen Winkelzügen sind die Menschen, die von diesem System und seinem „Politikbetrieb“ die Nase voll haben (und deshalb bei vielen Wahlen zu Hause bleiben), für DIE LINKE nicht mehr erreichbar. DIE LINKE wird auf dieser Basis als Teil des Systems und der „etablierten Parteien“ wahrgenommen – und nicht mehr als politisches Instrument zur Bündelung ihres Widerstands dagegen. Der Aufstieg der „Piratenpartei“ verlief nicht umsonst parallel zum Rückgang der LINKEN und wurde auch nicht von ungefähr gerade in der von den LINKEN mitregierten Bundeshauptstadt eingeleitet. Gerade weil die Piraten kein Programm zur Lösung der Probleme der Mehrheit der Bevölkerung anzubieten haben, sind ihre Umfragewerte ein unübersehbarer Hinweis auf die Schwächen der LINKEN.

Schlussfolgerungen

Die LINKE hat sich mit dem Erfurter Programm als antikapitalistische Alternative zu den übrigen Parteien im Bundestag präsentiert. Das hat ihr einmal mehr den unversöhnlichen Hass der Herrschenden eingetragen, die sie am liebsten verbieten oder ihr zumindest die bisherigen Wahlkampfmittel entziehen wollen. Teile der Partei setzen trotzdem ihren Anpassungskurs und der Orientierung auf Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalisischen Parteien fort.

Andere Teile der Partei wollen an den antikapitalistischen Zielen festhalten und sie ernst nehmen, weil DIE LINKE sich ansonsten überflüssig machen und langfristig von der politischen Landkarte verschwinden würde. Zwischen diesen beiden Positionen ist kein Kompromiss möglich. Die Existenzkrise der Euro-Zone und die der schwarz-gelben Regierung wird alle politischen Kräfte – auch innerhalb der Linkspartei – schon bald zu einem Offenbarungseid darüber zwingen, auf welcher Seite der antagonistischen Klassen dieser Gesellschaftsordnung sie ihren Platz einnehmen werden. Die Parteilinke muss um klare Mehrheiten für einen antikapitalistischen Kurs kämpfen, der eine Fortsetzung der Politik der Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen ausschließt. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass DIE LINKE eine Zukunft als Interessenvertretung der Millionen gegen die Macht der Millionäre und Milliardäre hat.

Heino Berg ist Mitglied der Partei DIE LINKE im Kreisverband Göttingen und Ersatzdelegierter zum Landesparteitag in Niedersachsen.