Welche Alternative gibt es zur heutigen Pflegeversorgung?
von jeweils 100 BewohnerInnen in deutschen Pflegeheimen sind 34 nicht ausreichend mit Ernährung und/oder Flüssigkeit versorgt, bestehen bei 35 Mängel in der Dekubitusprophylaxe (=Vorbeugung vor Wundliegegeschwüren) und bei 15 ist die Inkontinenzversorgung nicht angemessen. Außerdem werden 30 nicht entsprechend ihrer gerontopsychiatrischen Beeinträchtigung (vor allem Demenz und Depression) betreut. Das ist die Realität wie sie im 2.Bericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDK) für das Jahr 2006 beschrieben wird.
von Julia Blum, Aachen
Kein Wunder, denn mit dem Pflegebereich machen manche Unternehmen auf Kosten der Pflegebedürftigen und auf dem Rücken der Beschäftigten einen Reibach. Laut Welt online wurden in Deutschland z.B. 2004 34 Milliarden Euro für Pflege ausgegeben. Das ist ein Markt, der für das Kapital durchaus attraktiv ist. Solange mit der Pflege von alten Menschen Profit und damit Menschen zu Waren gemacht werden, solange wird es nicht um gute Pflege gehen können und sich an solchen Zuständen auch nicht viel ändern. Nur in einer Gesellschaft, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse von Natur und Mensch entscheidend sind, kann eine menschliche Pflege gewährleistet werden.
Pflege vom Profitprinzip befreien
Pflegebedürftige sollten die Pflege erhalten, die sie brauchen, und Pflegekräfte sollten das tun können, wofür sie eigentlich gedacht sind, nämlich eine den Bedürfnissen entsprechende Pflege und Betreuung von alten Menschen. Dafür ist es nötig, die Pflegeheime und auch die ambulanten Pflegedienste zu vergesellschaften und unter demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung zu stellen. Es würde dann nicht mehr vom Geldbeutel abhängen, welche Pflege man erhält. Stattdessen könnten sich Beschäftigte, Pflegebedürftige, Angehörige und VertreterInnen der arbeitenden Bevölkerung nicht nur zusammensetzen, um gemeinsam zu diskutieren, wie die Situation der Pflege verbessert werden kann, sie hätten auch die Mittel in der Hand, um zu entscheiden, mit welchen Maßnahmen das geschehen soll.
Personalsituation verbessern
Als erstes würde man wohl mehr Personal einstellen und die Arbeitszeit auf 30 Std/Woche oder noch weniger senken. Natürlich mit vollem Lohn- und Personalausgleich. In einer sozialistischen Gesellschaft hätte niemand etwas davon, wenn einerseits kompetentes Fachpersonal arbeitslos zu Hause säße und andererseits Pflegekräfte und Angehörige so viel arbeiten müssten, dass sie selbst bald krank würden. Altenpflegekräfte sind z.B. laut BGW-DAK Gesundheitsreport 2003 zu 44 Prozent häufiger von psychosomatischen Erkrankungen betroffen als die sonstige berufstätige Bevölkerung.
Die vorhandene Arbeit würde auf alle verteilt werden. Dadurch würde die Arbeitshetze nicht nur im Pflegebereich merklich reduziert. Es gäbe keine Abfertigung von Menschen wie am Fließband mehr, sondern die Pflegekräfte könnten sich für die Pflegebedürftigen so viel Zeit nehmen, wie sie brauchen, um die notwendige Pflege, aber auch die soziale Betreuung zu leisten. Niemand müsste fixiert oder durch Psychopharmaka ruhig gestellt werden. Stattdessen könnte man gemeinsam überlegen, wie der Tag für alle interessant und abwechslungsreich gestaltet werden kann. Die Angehörigen wären von der sie oft überfordernden Pflege entlastet und könnten wieder Tochter, Sohn, Nichte oder Neffe sein. Und die Beschäftigten würden selbstverständlich genauso wie Beschäftigte anderer Branchen mehr verdienen, damit sie nicht mit Finanzsorgen und Existenzängsten zur Arbeit kommen müssten.
Man würde wohl ebenfalls dafür sorgen, dass auch in Zukunft genug Personal zur Verfügung stände. Das statistische Bundesamt prognostiziert für das Jahr 2025 einen Mangel von 112000 vollzeitbeschäftigten Pflegekräften und da ist eine Arbeitszeitverkürzung und eine Entlastung der Angehörigen noch gar nicht mit ein gerechnet. Obwohl man das weiß, ist man im Kapitalismus nicht dazu in der Lage, dem zu begegnen. Es werden sogar Ausbildungskapazitäten abgebaut. Eine sozialistische Gesellschaft dagegen beruht auf gesellschaftlicher Planung. Man würde ausgehend vom ermittelten Bedarf die Kapazitäten zur Ausbildung weiteren Personals massiv ausweiten und das Berufsbild Altenpflege insgesamt attraktiver gestalten. Die Ausbildungsinhalte könnten von Lehrenden und Lernenden gemeinsam gestaltet werden und so regelmäßig den Erfordernissen angepasst werden. Die Ausbildung dürfte die Auszubildenden außerdem nichts kosten.
Gute Ernährung, kostenloses Gesundheitswesen und bessere Arbeitsbedingungen
Allerdings wären in einer sozialistischen Gesellschaft auch die Lebensmittelproduktion, das Gesundheitswesen und Wissenschaft und Forschung staatliche Aufgaben und würden entsprechend dem Gemeinwohl organisiert. Die Lebensmittel wären frei von Dioxin, Antibiotika und Rinderwahn, so dass Lebensmittel das sein könnten, was ihr Name verspricht, „Lebens“mittel. Ein kostenloser Zugang zu medizinischen Einrichtungen und Medikamenten würde für jede/n die bestmögliche Versorgung und Behandlung im Krankheitsfall bedeuten, aber vor allem würde man auch effektiver vorbeugen, weil die Gesellschaft ein Interesse daran hätte, dass Menschen gesund bleiben und niemand mehr daran verdienen würde, wenn jemand krank würde. Außerdem würde es enorme Durchbrüche in der Medizin geben, wenn nicht in Konkurrenz zueinander geforscht würde, sondern alle vorhandenen Ressourcen gemeinsam genutzt würden, um Diagnose und Behandlung von Erkrankungen zu verbessern. Die Lebensbedingungen würden somit enorm verbessert und eine wichtige Voraussetzung für ein längeres und gesünderes Leben wäre damit gegeben.
Ein Hauptaspekt liegt aber in der Arbeitswelt: Stress, Arbeitsverdichtung, zu lange Lebensarbeitszeit, Nachtarbeit und Schichtdienst. Das alles trägt dazu bei, dass Menschen krank werden und/oder kürzer leben. Würde man die Arbeitsbedingungen im Interesse der Beschäftigten konsequent verbessern, würde das einen Meilenstein zur Genesung der Menschheit darstellen.
Schöner wohnen
Trotzdem werden auch in einer sozialistischen Gesellschaft weiterhin Menschen krank und pflegebedürftig werden. Diese würden aber nicht mehr in großen Pflegeghettos zusammengepfercht werden. Jede/r möchte wohl eher in der vertrauten Umgebung alt werden, die bekannten Nachbarn, Freunde und Familie um sich haben und Kontakt nicht nur zur eigenen Generation, sondern auch zu den jüngeren Generationen pflegen. Nach der Maxime „so dezentral wie möglich und so zentral wie nötig“ könnte man ambulante Pflegestützpunkte errichten und auf Mehrgenerationenblocks oder ähnliche Konzepte setzen, um ein Miteinander Wohnen der verschiedenen Generationen zu gestalten. Generell hätte man ja durch die Arbeitszeitverkürzung mehr Raum für Beziehungen zu anderen Menschen und würde eine nicht auf Konkurrenz basierende Gesellschaft eine gesellschaftliche Kultur von Solidarität und Gemeinschaft ermöglichen, in der aufeinander geachtet und sich umeinander gekümmert wird. Da hätten nicht nur die älteren Menschen etwas von, sondern auch das Leben der Jüngeren würde z.B. durch die Lebenserfahrung der Älteren bereichert.