Ganz Europa soll bluten

Was es mit Bankenkrise, EFSF, ESM auf sich hat


 

Auf der politischen Bühne geht es derzeit zu wie in den mittelalterlichen Schilderungen vom Hexensabbat. Minister und Regierungschefs präsentieren immer neue dunkle Beschwörungen und unverständliche Zauberformeln. Was soll man eigentlich noch glauben? Gibt es überhaupt eine Bankenkrise? Welche Position sollten Gewerkschaften und Linke haben?

von Georg Kümmel, Köln

Die Bankenkrise ist eine Frage des Standpunktes. Aus kapitalistischer Sicht haben die Banken ein Problem. Aus Sicht der breiten Masse der Bevölkerung ist die ganze Sache hauptsächlich ein Mittel, die Profite der Banken und Konzerne zu sichern, indem die Beschäftigten und Erwerbslosen in ganz Europa ärmer gemacht werden.

EFSF und ESM

Beispiel EFSF: Hier wird der Eindruck erweckt, die starken Euro-Länder würden den schwachen Geld leihen. Tatsächlich leiht sich die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) das Geld für Kredite an Länder wie Griechenland, Spanien und so weiter von privaten Gläubigern, insbesondere den Banken, und reicht es an diese Länder weiter. Den Banken wird garantiert, dass sie das Geld einschließlich Zinsen zurückbekommen.

Wenn die Schuldnerländer nicht zahlen können, müssen die Gläubigerländer einspringen. Konkret führt das dann zu Kürzungen in den nationalen Haushalten zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung. Der Versuch, den EFSF zu "hebeln" bedeutet, dass zwar nur für die ersten 20 oder 30 Prozent des von privaten Investoren (Banken) eingesetzten Geldes garantiert wird. Gleichzeitig steigt aber das Risiko, dass am Ende diese Garantien im vollen Umfang fällig werden, weil insgesamt noch mehr Geld verliehen wurde.

Demnächst soll dann der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) kommen. Wichtige Neuerung: Der ESM soll wie eine Bank funktionieren und unter anderem direkt Staatsanleihen kaufen können. Das ist aber im Effekt nichts anderes als Geld zu drucken und kann über kurz oder lang zu Inflation führen. Steigende Preise bei stagnierenden Löhnen würden zu realen Lohnsenkungen führen, Sparguthaben würden entwertet werden.

Wenn jetzt erneut davon gesprochen wird, dass die Banken möglicherweise direkte staatliche Unterstützung brauchen, verschleiert das außerdem nur, dass sie seit drei Jahren immer wieder staatliche Gelder bekommen. Zuletzt hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Banken bereits einen Teil der Anleihen von Griechenland und anderen krisengeschüttelten Staaten abgekauft.

Verschiedene Wege – ein Ziel

Der ganze Streit um EFSF, Euro-Bonds, ESM, "Hebel" oder nicht, geht also nicht darum, ob die breite Masse der Bevölkerung die Zeche zahlen soll, sondern wann und wie. Natürlich versuchen in diesem Machtpoker die wirtschaftlich stärkeren Staaten die Lasten zum Nachteil der wirtschaftlich schwächeren Länder und deren Bevölkerung zu verteilen.

Jahrelang haben die Banken mit Staatsanleihen schöne Gewinne erzielt. Die Aktienkurse der Banken stiegen, die Aktionäre kassierten kräftig Dividenden.

Als Griechenland Schwierigkeiten bekam, die Kredite zurückzuzahlen, wurde beschlossen, das Geld durch Kürzungsgesetze bei der breiten Masse der griechischen Bevölkerung zu holen. Bei der waren die Kredite aber gar nicht angekommen. Geliehen hatte sich dieses Geld die griechische Regierung. Verwendet hatte diese die Kredite zum Beispiel für Steuergeschenke an Unternehmen, für Prestigeobjekte wie die Olympischen Spiele (an denen deutsche Baukonzerne prächtig verdienten), für die Bankenrettung nach 2008 und zum Beispiel auch für den Kauf von Rüstungsgütern aus Deutschland.

Nun ist man aber an dem Punkt angekommen, an dem man kaum noch mehr Geld aus der Arbeiterklasse in Griechenland regelmäßig herauspressen kann.

Jetzt könnten die Banken theoretisch sagen: "O.K., die Party ist vorbei. Dann müssen wir, beziehungsweise unsere privaten Investoren und Aktionäre, eben auf Gewinne und einen Teil des Geldes verzichten."

Könnten sie sagen, tun sie aber nicht. Stattdessen reden alle von neuer Bankenkrise, Gefahr für das Weltfinanzsystem, warnen vor dem allgemeinen Zusammenbruch und – rufen nach dem Staat.

Aus ihrer Sicht haben die Banken recht, denn wir leben schließlich im Kapitalismus. Da reicht es nicht, einmal ein gutes Geschäft zu machen, sondern aus Geld muss mehr Geld werden, das vermehrte Kapital muss weiter vermehrt werden, nicht einmal, sondern stets aufs Neue.

Dass man bei maximal zwei bis drei Prozent Wirtschaftswachstum dauerhaft keine Renditen von zehn Prozent erzielen kann, ist eigentlich klar. Spätestens wenn dann auch noch die Wirtschaft in die Krise gerät, sind die Profite nur zu sichern, wenn man die Umverteilung von unten nach oben nochmal dramatisch steigert. Als erstes traf es die Griechen. Aber das reicht – aus Sicht der Kapitalisten – nicht.

Es wird teuer – für uns alle in Europa

Wenn aus einer Bevölkerung von elf Millionen Griechen nicht genug herausgepresst werden kann, dann werden die Kreise eben weiter gezogen und etwa die Bevölkerung von Portugal und Spanien ebenfalls in die Zange genommen. Aber selbst das ist nicht genug. Geht es doch inzwischen bei den Bilanzen und Profiten der Banken um Beträge, die höher sind als die Wirtschaftsleistung mittlerer Volkswirtschaften. Die Bilanzsumme der Deutschen Bank summierte sich im vergangenen Jahr auf 1,9 Billionen Euro. Das Bruttoinlandsprodukt Spaniens betrug im selben Jahr 1,05 Billionen Euro.

Deshalb steht für die Damen und Herren in den Chefetagen der Banken und ihren Marionetten in den Regierungen längst fest, dass man die gesamte Bevölkerung in ganz Europa zwecks Sicherung der Profite ausplündern muss. Dabei ist es übrigens egal, ob Euro-Land oder nicht, wie man an der Kürzungspolitik in Großbritannien gerade sehen kann.

Was sich derzeit in Griechenland und Portugal abspielt, ist deshalb nur ein Vorbote für das, was bei uns demnächst droht.

Was tun?

Wir dürfen uns nicht weiter erpressen lassen. Die Erpresser müssen entmachtet werden.

Zuallererst müssten die Bilanzen der Banken geprüft und offengelegt werden. Nicht durch von den Banken bezahlte Bilanz-Trickser, sondern von demokratisch gewählten VertreterInnen aus den Reihen der Bank-Beschäftigten, der Gewerkschaft sowie Organisationen wie zum Beispiel attac.

Die würden feststellen, an wen die Banken welche Beträge geliehen, wie viel Zinsen sie kassiert haben, welche Guthaben von Kleinanlegern gehalten werden und welche von Millionären und Milliardären. Falls eine Rekapitalisierung der Bank nötig ist, muss man Millionäre und Milliardäre dafür zahlen lassen.

Da die Banken offensichtlich nicht in der Lage sind, zum Wohle der Allgemeinheit zu wirtschaften, muss man sie verstaatlichen. Die Einlagen von Durchschnitts-Sparern müssen gesichert werden.

Wenn die Banken verstaatlicht sind und demokratisch, öffentlich kontrolliert werden, kann man entscheiden, welche Schulden ersatzlos gestrichen werden. Darunter wären nicht nur Schulden armer europäischer Länder, sondern auch sogenannter "Dritte-Welt-Länder".

Man kann die Banken nicht losgelöst von den übrigen kapitalistischen Unternehmen sehen. Banken und Konzerne sind untrennbar miteinander verwoben. Es geht um die Profite aller Kapitalisten. Die Bankenkrise ist nicht die Ursache der Krise des Kapitalismus, sondern Ausdruck derselben.

Deshalb reicht es nicht, die Diktatur der Finanzmärkte anzuprangern, die Diktatur des Kapitals insgesamt muss überwunden werden.