„Rezept für Widerstand ist Verankerung in der breiten Bevölkerung“

Gespräch mit Paul Murphy, Europaabgeordneter der Socialist Party (CWI Irland). Das Gespräch führte Ursel Beck


 

Du warst einer der Teilnehmer beim internationalen „Forum gegen unnütze Großprojekte“ im August. Welche Erkenntnisse hast du daraus gewonnen?

Was mir als erstes und wichtigstes aufgefallen ist, ist, dass – so unterschiedlich einige Aspekte der besprochenen Großprojekte auch sein mögen – all diese Großprojekte letztendlich sehr viel gemeinsam haben. Sie zerstören die Umwelt, sind gefährlich, teuer und unnötig und obendrein stoßen sie allesamt auf den massiven Widerstand der ansässigen Bevölkerung. Das gilt für den Kampf gegen Stuttgart 21, gegen den Hochgeschwindigkeitszug TAV, der unter anderem durch das Susa-Tal in Italien gebaut werden soll, und auch für ein Großprojekt in Barcelona, das von dem dortigen Aktionsbündnis vorgestellt wurde. In Barcelona geht es um ein gigantisches Tunnelprojekt, durch das die bekannte Gaudí-Kathedrale beschädigt werden könnte. 78 Prozent der Bevölkerung sind gegen das Projekt, 100.000 Unterschriften wurden gesammelt – und dennoch ist das Projekt noch nicht vom Tisch.

Deshalb teile ich auch die Schlussfolgerungen von großen Teilen der Vertreter der verschiedenen Aktionsbündnisse, die allesamt die Erfahrung machen, dass die Interessen einiger Großkonzerne vorrangig behandelt werden. Diese Erfahrung habe ich auch bei der Kampagne „Shell to Sea“ im County Mayo in Irland gemacht, bei der sich die lokale Bevölkerung gegen den Bau einer gefährlichen Pipeline wehrt.

Auffallend ist der massive Einsatz der Staatsgewalt, um die Projekte gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen. Da wird noch einmal deutlich, auf welcher Seite Polizei und Militär stehen, wenn es drauf ankommt. Beeindruckenderweise hat diese brutale Gewalt aber dazu geführt, dass der Widerstand nur noch entschlossener wird.

Das Forum hat im italienischen Val di Susa stattgefunden. Hier soll eine Hochgeschwindigkeitsstrecke gebaut werden. Warum gibt es dagegen Widerstand?

Vor allen Dingen deshalb, weil das Projekt völlig unnötig ist. Die Kampagne „NO TAV“, die sich gegen den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke richtet, ist ja nicht gegen den Ausbau des öffentlichen Fernverkehrs. Sie wendet sich gegen ein Projekt, das den Charakter des Tals und der Alpenlandschaft total verändern würde. Wissenschaftler und Ärzte haben sich gegen den Bau dieser Strecke ausgesprochen, weil sie damit rechnen, dass es unausweichlich zu Gesundheitsproblemen kommen wird. Durch den Bau des geplanten Tunnels würden sehr wahrscheinlich Asbest und Uran freigesetzt werden. „NO TAV“ rechnet damit, dass die Kosten für das Projekt etwa 20 Milliarden Euro betragen werden. Angesichts der kürzlich angekündigten Kürzungsprogramme der italienischen Regierung ist das Projekt erst recht nicht mehr zu rechtfertigen und unterstreicht noch einmal, dass hier vor allen Dingen Unternehmen profitieren; die Mafia hat auch ihre Hände im Spiel.

Welchen Eindruck hast du vom Widerstand in Val di Susa bekommen?

Ich bin mehr als beeindruckt vom Charakter des Widerstands. Hier hat sich eine ganze Gemeinschaft, jung bis alt, Frauen und Männer, zusammengeschlossen, um seit Jahren ihre gemeinsamen Interessen zu verteidigen. Wenn man durch das Tal fährt, ist der Widerstand gegen den TAV nicht zu übersehen. In den Dörfern und Städten des Tals hängen überall Transparente gegen den Hochgeschwindigkeitszug. Die Entschlossenheit in diesem Kampf hat über die Jahre nicht nachgelassen. Im Gegenteil. Der Widerstand ist unglaublich gut organisiert. Von sozialen Aktivitäten, über Demonstrationen, die Organisierung von Veranstaltungen bis zur sehr effektiven und sehr konkreten Organisation des Widerstands gegen die Bauarbeiten selbst.

Als Ende Juni 2.000 Polizisten einer speziellen Polizeieinheit einen Teil des Tals angriffen, wurde es de facto militarisiert. Und tatsächlich erinnert es an einen Kriegsschauplatz, Barrikaden und Gräben wurden errichtet. CS-Gas wurde gegen die Bevölkerung eingesetzt. 17.000 Quadratmeter Land wurden eingezäunt und sind nur für diejenigen zugänglich, die innerhalb dieses Gebiets wohnen. Gespenstisch. Das war ein gezielter Angriff auf den Kern des Widerstands. Der Willen, das Projekt zu stoppen, und die Solidarität innerhalb der lokalen Bevölkerung hat jedoch keinen Schaden genommen. Die Polizeikräfte werden von den Gastwirten der militarisierten Zone jedenfalls nicht bedient.

Wie kann der Widerstand in den verschiedenen Ländern erfolgreich sein?

Ein Rezept für den beeindruckenden Widerstand im Susa-Tal ist die enorme Verankerung und Unterstützung, die diese Kampgane unter breiten Teilen der Bevölkerung hat. Hier handelt es sich wirklich um eine Massenkampagne. Außerdem gibt es Kontakte zu anderen NO-TAV-Komitees, die sich in anderen Orten der TAV-Strecke gegründet haben. Die Strecke soll vom französischen Lyon bis nach Turin führen.

Diese lokale Vernetzung ist essenziell. Darüber hinaus ist eine internationale Vernetzung sehr sinnvoll; die verschiedenen Kampagnen können viel von den jeweils gemachten Erfahrungen lernen. Die Hauptaufgabe ist jedoch der Aufbau einer echten Basis vor Ort. Und auch hier kann das Beispiel Val di Susa sehr inspirierend sein. Die NO-TAV-Kampagne hat eine Basis, die die lokale Bevölkerung übertrifft, weil sie auch bewusst auf die breitere Bewegung, insbesondere auf die Gewerkschaftsbewegung, orientiert.

Was sollten linke Parteien und linke Abgeordnete tun, um den Widerstand zu unterstützen?

Meiner Meinung nach müssen sie die Stimme dieser Bewegungen im Parlament sein. Erst recht in Zeiten, wo es Angriffe auf den Lebensstandard der Bevölkerung nur so hagelt. Linke Abgeordnete sollten natürlich auch ganz konkret versuchen, beim Auf- und Ausbau und bei der Vernetzung dieser Bewegungen zu helfen. Viele der Großprojekte erhalten – finanziell und ideologisch – Unterstützung von der EU. Hier kann ich im Europäischen Parlament Dinge aufgreifen. Nach meinem Selbstverständnis sollten linke Abgeordnete aber auch einen konkreten Beitrag leisten, um die verschiedenen Kampagnen auf europäischer Ebene zusammenzubringen. Die Fraktion der Linken im Europaparlament hat zum Beispiel in Straßburg ein Hearing organisiert, um AktivistInnen aus Val di Susa und Stuttgart zusammenzubringen, um voneinander zu lernen.