Über den „Green New Deal“ und Kretschmanns „ökologischer Kapitalismus“
In Zeiten drohender Rezessionen, Katastrophen oder vor Wahlen werden gerne neue Systemänderungen oder Politikwechsel diskutiert. So auch der vor vier Jahren „entstandene“ „Green New Deal“. Bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse sollen, wenn überhaupt, nur geringfügig verschoben werden.
von Alexander Brandner, Stuttgart
Es gibt sicher den einen oder die andere, die meinen, der „Green New Deal“ käme aus den wirtschaftspolitischen Denkstuben der Grünen Partei in Deutschland. Tatsächlich geht dies aber auf den Journalisten Thomas L. Friedman in zwei Artikeln in der „New York Times“ zu Beginn des Jahres 2007 zurück. (1)
Narziss(en) in Washington
Im Vorfeld der sich abzeichnenden Immobilien- und Finanzkrise und des nicht mehr zu leugnenden Klimawandels sinnierte er in dem Blatt über einen neuen „New Deal“, während in seinem Vorgarten Narzissen im Januar anfingen zu blühen.
Um dem drohenden Klimakollaps und der weiteren Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von fossilen Brennstoffen entgegenzusteuern, bedürfe es der Erschließung neuer Techniken und Märkte, um der darnieder liegenden US-amerikanischen Industrie einen entscheidenden und vorteilhaften Impuls zu verschaffen.
Die Re-Vitalisierung Amerikas
Sich rückbesinnend auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 und des in den dreißiger Jahren kurzfristigen Impulses von Franklin D. Roosevelts „New Deal“ konnte so der „Green New Deal“ (GND) konstruiert werden. Damals wie heute geht es aber nicht um eine grundsätzliche Änderung des kapitalistischen Systems, der in immer wieder auftretenden, regelmäßigen Perioden abertausende Existenzen zerstört und millionenfaches menschliches Elend erzeugt.
Es geht nicht um die Verbesserung der Lebensgrundlage und -qualität der Menschen, geschweige denn eines wirklichen System- und Produktionweisewechsels, sondern um die Neubenennung des Patriotischen, Kapitalistischen, Geostrategischen und Geoökonomischen als Basis einer vereinten politischen Bewegung, egal ob Demokrat, Republikaner, Evangelikal, Atheist, Umweltfreak oder Businessman. (2) Mit Hilfe dieses grün getünchten Programms sollen Brücken gebaut werden zur Bewältigung der drei Hauptaufgaben Amerikas: Arbeitsplätze, Klima und Terrorismus-Bekämpfung. Nur mit Hilfe des „New Deal“ und seinem grünem Label gelänge es den USA, das Land zu einen, gegenüber dem Ausland wieder mächtig zu erscheinen, um so seinen natürlichen Platz in der weltweiten Ordnung wieder herzustellen. (3)
Ein Programm geht um die westliche Welt
Nachdem das Konzept im Jahre 2008 durch die „Green New Deal Group“ aufgegriffen und durch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) weiterverbreitet wurde, waren es in Deutschland die Grünen, welche diese Konzepte auf ihrem Parteitag im November 2008 übernahmen.
In ihrem „neuen Gesellschaftsvertrag“ (4) werden, wie beim Pokern, die Karten einfach „neu gemischt“ („new deal“) und mit „ihren“ Themen Klima und Umwelt, Bildung und soziale Gerechtigkeit vermengt. Mit Hilfe ökologischen Wirtschaftens sollen in Deutschland zusätzlich eine Million neue „Jobs“ entstehen, in erneuerbare Energien, Biobranche, Bildungswesen durch Ganztagsbetreuung und Ganztagsschulen, den Wachstumsbrachen der Gesundheitswirtschaft und dergleichen mehr. Dabei geht es jedoch nicht um nachhaltiges Wirtschaften, welches letztendlich den Menschen und der Umwelt zugute kommt, sondern, analog der US-amerikanischen Intention, um die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
Auffallend ist, dass, mit Ausnahme der erneuerbaren Energien, in diesem „GND-Programm“ keine konkreten Vorgehensweisen beschrieben und festgehalten werden. Es werden durchweg Absichts- und Handlungsoptionen beschrieben, wie „es sollen“, „wir wollen“, „wir treten dafür ein“. Das hört sich für die anvisierte Zielgruppe gut und plausibel an und gaukelt den Rest-Linken in den Grünen und ihren Sympathisanten weiterhin das Eintreten für kapitalismuskritische und ökologische Politik vor.
Wer aber Emanzipation für eine 50-Prozent-Quote von Frauen in Aufsichtsräten, Ökologie für ökologischer Finanzmärkte und gerechte Wirtschaft für eine vorübergehende Teilverstaatlichung der selben und des Banksektors hält, der hängt immer noch dem Image an, von dem die Grünen auch heute noch, seit ihrer Gründung vor mehr als dreißig Jahren, zehren.
Contract Générale , Société Générale?
Ein Kunstgriff der Grünen ist, angelehnt an Friedman, einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ zu propagieren. Auch das hört sich für ihre Klientel und SympathisantInnen und auch sonst sehr vernünftig an.
Nur, ist das wirklich so neu und woher kommt das eigentlich?
Legt man Rousseaus Gesellschaftsvertrag (Contract Générale) zu Grunde, so beruft er sich auf drei wesentliche Dinge:
– eine immer größer werdende Menschheit regelt ihre Angelegenheiten per nachprüfbarem Vertrag
– dieser dient dem Wohle aller
– und deshalb ordnen sich alle freiwillig unter
Nun ist aus der Geschichte der Menschheit bekannt, dass dieses noch nicht all zu häufig geklappt hat – eigentlich noch nie.
Denn da der Mensch in den ihn prägenden bisherigen neuzeitlichen Verhältnissen sich selbst der Nächste war, entspricht diese Theorie dem heutigen Kapitalismus und (Neo-) Liberalismus.
Sich in seinem Programm darauf zu berufen, verkennt, dass die allgemeine Gesellschaft, die Société Générale, Macht- und Herrschaftsverhältnissen, also Klassenverhältnissen, unterworfen ist, die sich weder auf allgemeinem guten Willen, noch Moral, noch irgend welchen individuellen und anarchistischen Koketterien beugen.
Von daher kann man den in dem Programm der Grünen verwendeten Begriff getrost als Euphemismus bezeichnen, der jene an sich binden will, die weiterhin an die Wirksamkeit der Politik in und über die Gesellschaft glauben.
Yes, they can… not!
Weshalb nun sich mit einem vier Jahre alten Konzept erneut beschäftigen und sich daran abarbeiten? Nun, da es seit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 2011 überprüf- und verifizierbar ist, was die Grünen versprechen und tatsächlich tun. (5)
Versprochen wird, den allgemeinen Willen, den Volonté Générale, mehr zu berücksichtigen und zu akzeptieren – ausgeschmückt als Bürgerwillen, respektive „mehr Demokratie“ – „Bürgerdemokratie“. Nur ist das allenfalls die Floskel auf dem hohlen Stein. Wer in seinem Landtagswahlprogramm davon spicht, die Krise zu nutzen, um im Aufschwung nachhaltig zu wirtschaften, der hat keinen Politikwechsel, sondern allenfalls ein „Revitalisierungsprogramm“ für den Kapitalismus im Sinn. (6)
Aus dem sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft ist, selbst nach Fukushima, ein Restlaufzeitprogramm „plus“ geworden, wenn nur Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 vom Netz sollen. Den Industriestandort Baden-Württemberg ökologisch umzugestalten, hat sich schon vor dem „Machtwechsel“ erledigt, da Ministerpräsident Winfried Kretschmanns Vorstellungen von einem grünen Automobilstandort schnell seitens Daimler und Porsche der Riegel vorgeschoben wurde, von wegen kleinerer und weniger Autos im Land und Ländle. (7)
Selbst beim Königsthema Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sucht man vergebens. Allenfalls eine Kampagne für Windkraft ist im sonnenreichen Baden-Württemberg seither in die Wege geleitet worden – und das bislang unverbindlich. (8)
Auch in Sachen Bildungswesen haben sie ehemals abgelehnte Haltungen derart verwässert, dass von einer besseren Politik nicht die Rede sein kann. Die schnellstmögliche Abschaffung der Studiengebühren wurde auf das Sommersemester 2012 verlegt, obwohl nirgends erklärt wird, weshalb nicht schon früher. Auch die haarsträubenden Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre wie G8 oder Bologna-“Reform“ werden nicht zurückgenommen, sondern es soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei Bedarf und Wunsch der Schulen wieder verlängertes Lernen zu ermöglichen und die Studienreform richtig zu gestalten.
Von der haarsträubendsten Fehlplanung, dem Tiefbahnhof Stuttgart 21, wird auf ww.sozialismus.info regelmäßig berichtet, die ehemals strikte Ablehnung der Grünen ist mittlerweile dahin gediehen, dass S21 auf Grund der bestehenden Verträge gebaut werden soll (9) – denn auch illegal zustande gekommene Verträge entsprechen angeblich irgendwann in der Logik des Vertragswesens dem Wohl und Allgemeinwillen.
Wahrscheinlich wird der eine oder die andere Grüne demnächst wieder etwas Bauchschmerzen bekommen – aber dafür gibt es ja dann Tabletten.
Ich will ein guter Bürger werden oder: Grün sind alle meine Kleider
Zusammenfassend lässt sich nur soviel sagen: Der „Green New Deal“ ist ein in alter liberaler Tradition und neo-imperialistischer Ausrichtung verfasstes Programm, welches viel verspricht und das Falsche hält.
Von einer neuen Politik kann dann hierzulande keine Rede sein, wenn die alten Ausbeutungsverhältnisse in ein grünes Mäntelchen gekleidet werden. Die Grünen sind in Latzhosen, Jute, Leinenrock und Birkenstock aufgebrochen und haben sich beim „Marsch durch die Institutionen“ mit feinem Zwirn, Posten und Pöstchen ködern lassen.
Jetzt sind sie dabei, mit blumigem Vokabular einen „grünen“ Kapitalismus installieren zu wollen. Das wird bei denen Anklang finden, welche den Planeten nicht vollends an den Rande des Abgrundes bringen möchten und die sich von den Neuerungen Profit versprechen.
Ein wirklicher Politikwechsel springt dabei jedoch nicht heraus. Um ein System zu ändern, bedarf es einer Theorie und eines Programms, da Systeme die Eigenschaft haben, sich ungern freiwillig zu verändern. Beides haben die Grünen nicht wirklich. Ihre Absichtserklärungen wirken strukturiert planlos, scheinen aber für ein auf Event abgerichtetes Publikum auszureichen.
Fußnoten:
1 http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=9B06E5DD1E30F93AA25752C0A9619C8B63
4 http://www.gruene-partei.de/cms/files/dokbin/295/295495.wahlprogramm_komplett_2009.pdf
5 Landtagswahlprogramm BaWü Grüne 2011
6 http://www.klimaretter.info/mc-planet/hintergrund/2785-green-new-deal-oder-grenzen-des-wachstums
7 STZ 24.4.2011
8 STZ 5.8.2011
9 STZ 10.8.2011