Berlin: CFM-Streik in der dritten Woche

Versuch einer Zwischenbilanz


 

In Berlin findet zur Zeit ein beispielhafter Arbeitskampf statt, dessen Bedeutung weit über den betroffenen Betrieb hinaus geht. Bei der CFM (Charité Facility Management) streiken circa 300 Beschäftigte seit 16 Tagen für einen Tarifvertrag. Der Ausgang dieser Auseinandersetzung wird zweifelsohne gesellschaftliche Auswirkungen haben und sich auf zukünftige Kämpfe von Belegschaften für einen Tarifvertrag auswirken.

von Sascha Stanicic

Die CFM ist das 2006 aus der Charité ausgegliederte und teilprivatisierte Dienstleistungsunternehmen, das von Reinigung über Krankentransport bis zur Gerätesterilisation die nichtmedizinischen und nichtpflegerischen Leistungen des Krankenhausbetriebs anbietet. 51 Prozent an der CFM werden von der Charité gehalten (gehören damit also dem Land Berlin), 49 Prozent von einem Konsortium privater Investoren bestehend aus den Konzernen Dussman, Vamed und Helmann World Logistics.

Die MitarbeiterInnen, die aus der Charité in die CFM übergingen, erkämpften sich eine so genannte „Gestellung“. Sie sind weiterhin bei der Charité beschäftigt und werden von dieser an die CFM ausgeliehen. Für sie gilt der Tarifvertrag der Charité. Die anderen Beschäftigten der CFM erhalten individuelle Arbeitsverträge. Sie dürfen über ihren Lohn keine Auskunft geben. Untersuchungen von ver.di und dem Solidaritätskomitee für die CFM-Beschäftigten ergaben jedoch Lohnunterschiede von über 250 Prozent und sogar von über einhundert Prozent im selben Tätigkeitsbereich. Reinigungskräfte gehen mit 955 Euro für eine 40-Stunden-Woche nach Hause. Über zwanzig Prozent der Beschäftigten haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Es herrschen frühkapitalistische Zustände.

Im Mai streikten die Charité-Beschäftigten, Pflegekräfte und „Gestellte“, im Rahmen ihrer Tarifrunde für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Zeitgleich waren die CFM-KollegInnen zum Streik zur Durchsetzung von Tarifverhandlungen aufgerufen. Während die Charité-Beschäftigten nach fünf Tagen Streik wieder in Verhandlungen gingen, erreichten die CFM-Beschäftigten nach zwei Wochen Streik den Beginn von Tarifverhandlungen. Doch nach drei Monaten ergebnisloser Verhandlungen mussten sie feststellen, dass der Arbeitgeber kein akzeptables Angebot vorlegen würde. In einer Urabstimmung votierten daraufhin 98 Prozent der ver.di und 96 Prozent der GKL-Mitglieder für Streik. Dieser läuft seit dem 12. September.

Neben diesen beiden Gewerkschaften organisiert die IG BAU bei der CFM einen Teil der GebäudereinigerInnen. Die IG BAU war schon im Mai aus der Streikfront ausgeschert und ihre VertreterInnen im Betrieb leisten faktisch Streikbrechertätigkeit. Sie lehnen das gewerkschaftliche Prinzip „ein Betrieb – eine Belegschaft – ein Tarifvertrag“ ab und vertreten nur die Reinigungskräfte. Diese wollen sie in den bundesweiten Reinigungstarifvertrag bringen. Ver.di argumentiert zurecht, dass es sich bei der CFM nicht um ein Reinigungsunternehmen, sondern einen Krankenhausdiensleister handelt und die Lohn- und Arbeitsbedingungen der MitarbeiterInnen nicht dem der bundesweit in den jeweiligen Teilbereichen üblichen Bedingungen, sondern der gestellten Beschäftigten entsprechen sollen.

Schwere Bedingungen

Der Streik wird unter schwierigen Bedingungen geführt. Die Belegschaft ist vielfältig differenziert: Gestellte, Befristete, Unbefristete, LeiharbeiterInnen, IG BAU-Mitglieder etc. Es gibt insgesamt vier Standorte, die über Berlin verstreut sind: die drei Klinika Campus Mitte, Virchow und Benjamin Franklin und das Lager. Im August legte die CFM-Geschäftsführung ein Angebot vor, dass nur minimale Verbesserungen für eine Minderheit der ArbeiterInnen vorsah, das aber von der IG BAU unterstützt wird und bei Teilen der Belegschaft zu Verwirrung und Verunsicherung führte.

Hinzu kommt, dass die Belegschaft nicht streikerfahren ist und über relativ schwache gewerkschaftliche Strukturen und eine kleine Zahl an AktivistInnen verfügt. Vor diesem Hintergrund ist der bisherige Streikverlauf als großer Erfolg zu werten.

Circa 300 Kolleginnen und Kollegen sind im Streik, gleichzeitig ist der Krankenstand höher als zu normalen Zeiten. Die CFM-Geschäftsführung reagierte mit dem massiven Einsatz von LeiharbeiterInnen, die den Streik unterlaufen sollen. In einigen Bereichen werden für einen Streikenden drei Leiharbeitskräfte eingesetzt, um Auswirkungen des Streiks auf den Klinikbetrieb zu vermeiden. Es ist vorgekommen, dass gelernte Maschinentechniker als Leiharbeiter im Reinigungsbereich eingesetzt wurden. Ein teures Vergnügen für die CFM!

Auswirkungen des Streiks

Doch der Streik zeigt Auswirkungen. Es kommt zu Verspätungen beim Krankentransport und der Essensausgabe, erste Operationen mussten abgesagt werden, Müll stapelt sich in Gängen und vor OP-Sälen, Reparaturarbeiten werden nicht mehr verrichtet. Vor allem aber steht die Streikfront, im Laufe der bisherigen zweieinhalb Streikwochen sind fast täglich weitere KollegInnen in den Streik getreten. Und das, obwohl die Geschäftsführung eine Politik der Einschüchterung, Bedrohung und Provokation betreibt. Permanent werden in den Gebäuden Streikposter abgerissen und Gewerkschaftsfahnen entfernt, GewerkschafterInnen haben Hausverbot erteilt bekommen und werden von extra eingestellten Wachmännern verfolgt, wenn sie auf arbeitende MitarbeiterInnen zugehen wollen, um ein Gespräch zu führen. Die Reinigungskräfte werden von ihren Vorarbeitern zu Arbeitsbeginn empfangen, um zu verhindern, dass sie mit Streikposten reden. Es wird suggeriert, dass Streikende gekündigt werden oder dass sich MitarbeiterInnen nicht am Streik beteiligen dürfen. Die Geschäftsführung führt den Arbeitskampf mit harten Bandagen, was zweifellos einige KollegInnen eingeschüchtert hat. Diese trauen sich bisher nicht in den Streik zu treten. Dass aber geduldiges Erklären und permanente Präsenz der Streikposten eine Wirkung haben können, zeigte sich in der Küche des Benjamin Franklin-Klinikums, wo nach einer Woche von Aktionen zum einen viele Charité-Beschäftigte die Mensa nicht mehr besuchen und erste KollegInnen erklärten, sie würden sich in den nächsten Tagen am Streik beteiligen.

Ver.di hat die gestellten KollegInnen zum Solidaritätsstreik aufgerufen. Dieser Aufruf wurde bisher noch von zu wenigen dieser KollegInnen befolgt. Das hat unterschiedliche Gründe. Teilweise befürchten KollegInnen Verluste beim Weihnachtsgeld, wenn sie im September streiken, teilweise wird verbreitet, Solidaritätsstreiks seien nicht legal – aber zweifellos gibt es hier auch ein Element von einem mangelhaften solidarischen Bewusstsein und einem fehlenden Verständnis, dass auch die gestellten Mitarbeiter ein direktes Interesse an einem Tarifvertrag für die CFM-KollegInnen haben. Denn ein solcher wäre eine wichtige Voraussetzung um die politische Forderung der Belegschaft zu erreichen: die Wiedereingliederung der CFM in die Charité!

Aktiver Streik

Der Streik wird als aktiver, transparenter und mitgliederorientierter Streik geführt. Täglich gibt es Aktionen oder Demonstrationen. In den zwei Wochen, die erste Woche war noch Wahlkampf in Berlin, gab es mehrere Demonstrationsmärsche, Aktionen bei Auftritten von Klaus Wowereit und dem Wirtschaftssenator Harald Wolf, ein Charité-/CFM-Mitarbeiterfest wurde zum Protestfest umfunktioniert, es gab Aktionen vor Aufsichtsratssitzungen der Charité und vor dem Sitz der Leiharbeitsfirma SEMO und dem Kulturkaufhaus Dussmann. In der ersten Streikwoche wurde ein „Schwarzbuch CFM“ gemeinsam von ver.di und dem Solidaritätskomitee veröffentlicht. Außerdem wurde eine enge Verbindung zum Streik der Beschäftigten der Alpenland-Pflegheime in Berlin-Marzahn gezogen, es gab mehrere gegenseitige Besuche. Auch eine Streik-Soli-Party wurde für beide Belegschaften organisiert.

Jeden Morgen findet um neun Uhr eine Information für die Beschäftigten statt, eine Art Streikversammlung, bei der es auch die Gelegenheit für KollegInnen gibt, sich zu Wort zu melden. Mehrmals wurden Bereichstreffen durchgeführt, um zu diskutieren, wie der Streik in den einzelnen Bereichen verstärkt werden kann. Gruppen von KollegInnen ziehen dann durch die Gebäude, um mit arbeitenden MitarbeiterInnen zu sprechen. Sinnvoll wäre es, von diesen Erfahrungen vor den Streikenden zu berichten und dadurch einen Erfahrungsaustausch herzustellen.

Die Streikleitung tagt offen und KollegInnen können daran teilnehmen. Seit der zweiten Streikwoche gibt es eine von KollegInnen und UnterstützerInnen selbst gemachte Streikzeitung.

Diese morgendlichen Treffen werden aber leider noch zu wenig genutzt, um die offenen Fragen des Streiks gemeinsam zu diskutieren und Streikende in die aktive Gestaltung des Streiks einzubeziehen. Das liegt teilweise an der Zurückhaltung der KollegInnen, bei den Treffen morgens um neun Uhr ans Megaphon zu treten. Auch Aufrufe in der Streikzeitung und von Seiten der Streikleitung sich zu Wort zu melden, haben bisher nicht zu wirklichen Diskussionen im Rahmen dieser Treffen geführt. Das hat verschiedene Gründe: fehlendes Selbstbewusstsein und mangelnde Erfahrung, aber eben auch grundlegendes Vertrauen in die ver.di-Betriebsgruppe und die Streikleitung, weil für alle ersichtlich ist, dass an einem Strang gezogen wird. Trotzdem ist es nötig, KollegInnen zu motivieren, sich zu Wort zu melden und dafür bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu soll am Ende der dritten Streikwoche die Durchführung einer Versammlung in einer Halle dienen.

Wie gewinnen?

Doch die entscheidende Frage ist, wie kann der Streik gewonnen werden? Zur Zeit sieht alles danach aus, als ob die CFM-Geschäftsführung den Streik aussitzen will. Ob ihr das gelingen kann, hängt von der Entschlossenheit der Streikenden ab, aber auch davon, ob der Streik weiter ausgeweitet werden kann und wie der öffentliche Druck auf die Arbeitgeberseite erhöht werden kann. Darauf müssen die vorhandenen Kräfte konzentriert werden.

Man kann die Geschäftsführung auf drei Wegen treffen: erstens wirtschaftlich, indem durch die Kosten für LeiharbeiterInnen und für ausgefallene Dienstleistungen ein ökonomischer Schaden angerichtet wird. Zweitens indem der Betriebsablauf an der Charité so nachhaltig gestört wird, dass dadurch Druck auf die Charité-Leitung ausgeübt wird und diese, z.B. durch ausgefallene Operationen ebenfalls einen wirtschaftlichen Schaden erleidet und drittens durch öffentlichen Druck, der das Image der beteiligten Privatinvestoren, der Charité und des Senats so beschädigt, dass diese sich zum Einlenken gezwungen sehen. Niemand kann sagen, welcher dieser drei Bereiche wichtiger oder weniger wichtig ist, deshalb muss an all diesen drei Fronten gekämpft werden. Es ist aber davon auszugehen, dass auch die Streikkasse der Arbeitgeber gefüllt ist und wirtschaftlicher Schaden keine sehr schnellen Auswirkungen haben wird. Schließlich geht es für die Bosse um eine prinzipielle Angelegenheit. Müssen sie einen Tarifvertrag akzeptieren, bedeutet das aus ihrer Sicht nicht nur dauerhaft höhere Kosten, sondern wäre auch ein Präzedenzfall geschaffen, dem gerade auch die Beschäftigten bei Dussmann, Vamed und Hellmann nacheifern könnten.

Was ist zu tun? Erstens muss alles daran gesetzt werden, die Zahl der Streikenden weiter zu erhöhen. Geduldig muss das Gespräch mit den Arbeitenden gesucht werden. Täglich müssen Streikende durch die Gebäude ziehen und die Nichtstreikenden direkt ansprechen. Dabei sollte der Schwerpunkt auf neuralgische Bereiche gelegt werden, die für den Krankenhausbetrieb besonders wichtig sind: Sterilisation, Lager, OP-Reinigung. Eine entscheidende Rolle kommt auch den Gestellten zu. Wenn diese geschlossen in den Streik treten würden, wäre die CFM weitgehend lahm gelegt. Das war beim Streik im Mai klar geworden. Diese KollegInnen müssen überzeugt werden, es muss aber auch an ihre solidarische Pflicht als GewerkschafterInnen appelliert werden. Der Beschluss der ver.di-Betriebsgruppe an der Charité, solche ver.di-FunktionsträgerInnen, die sich nicht am Solidaritätsstreik beteiligen, der Funktionen zu entheben, hat hierfür ein deutliches Signal gesetzt.

Eine weitere mögliche Steigerungsstufe für den Arbeitskampf bietet die Einbeziehung der Pflegekräfte in direkte Aktionen. Bisher waren die Aktiven der ver.di-Betriebsgruppe an der Charité permanent aktiv beim Streik dabei. Es gab Aufrufe zur Beteiligung an Protesten an die Pflegekräfte und diese wurden durch ein Flugblatt informiert, wie sie sich im Streik solidarisch verhalten können. Aufkleber mit der Forderung nach einem Tarifvertrag für die CFM wurden verteilt, die PflegerInnen an ihrer Arbeitskleidung tragen. Ebenso werden von den Stationen Beschwerdebriefe an die Klinikleitung verfasst. Die Frage, ob weitere Aktionen bis hin zum Solidaritätsstreik möglich sind, ist nicht einfach zu beantworten. Für einen Solidaritätsstreik der Pflegekräfte muss der Boden bereitet werden, das Bewusstsein geschaffen werden. Frank Bsirske hat beim ver.di-Bundeskongress seine Unterstützung für diese Idee geäußert. Aber verbale Unterstützung reicht nicht. Die landes- und bundesweite ver.di-Führung sollte dann auch deutlich mehr Ressourcen in diesen Streik stecken und eine Öffentlichkeitskampagne führen, denn dies ist ein beispielhafter Kampf mit gesellschaftspolitischen Auswirkungen ist. Die Diskussion über diese Fragen sollte unter den Gewerkschaftsaktiven nun zielgerichtet geführt werden.

Außerdem muss der öffentliche Druck gesteigert werden. Für die privaten Investoren und auch für den Berliner Senat kann ein wachsender Imageschaden auch die entscheidende Ursache sein, um einzulenken. Die Demonstration am vergangenen Freitag vor dem Kulturkaufhaus Dussmann war dazu ein wichtiger Schritt. Nun sollen bundesweit Aktionen vor Niederlassungen der privaten Teilhaber gestartet werden. Dazu wurde vom Solidaritätskomitee ein bundesweiter Aufruf verschickt. Dussmann soll in Berlin regelmäßig mit Flugblattverteilungen und Aktionen besucht werden. Die Auswirkungen solcher Aktionen dürfen nicht unterschätzt werden.

Der CFM-Streik bedarf der bundesweiten Solidarität aller GewerkschafterInnen und Linken.

Sascha Stanicic ist SAV-Bundessprecher und aktiv im Solidaritätskomitee für die CFM-Beschäftigten