Vor zehn Jahren stellte Argentinien seine Schuldenzahlungen ein
Im Dezember 2001 führten in Argentinien lange aufgebaute Widersprüche zu einer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise. Das Land erklärte gegenüber seinen ausländischen Gläubigern die Zahlungsunfähigkeit, der Präsident floh im Hubschrauber vor Massenprotesten und die Wirtschaft brach zusammen. Letzteres begleitet vom Ende der Anbindung des Peso an den Dollar. Heute steht Griechenland am Abgrund und einiges erinnert an den Fall Argentinien.
von Pablo Alderete, Stuttgart
Damals konnten sich wenige vorstellen, dass Ähnliches in der entwickelten kapitalistischen Welt passieren könnte. Korruption, Misswirtschaft und ökonomischer Kollaps eines „Schwellenlandes“ sollten sich nicht auf Europa übertragen können. Aber in der Krise 2008 sah man in Großbritannien Bilder, die man aus Argentinien kannte: Tumulte vor Bankfilialen, lange Schlangen von Kleinanlegern, die in Panik versuchten, ihr Geld von Konten klammer Banken abzuheben. Weitere Elemente, die damals und heute eine Rolle spielen, sind die massive Schuldenkrise, die Währungskrise und die sozialen Kämpfe. Deshalb lohnt sich ein Vergleich.
Schuldenkrise
Der IWF verordnete Argentinien Privatisierungen in großem Umfang, immer neue Sparmaßnahmen und Kürzungen im Öffentlichen Dienst. Dafür gab es neue Kredite. Schon einige Jahre vor dem Crash 2001 befand sich das Land in einer ausweglosen Spirale. Die Schuldenlast wurde immer drückender.
Genau dies geschieht jetzt auch in Ländern wie Griechenland. Der letzte Ausweg für Argentinien war die Einstellung seiner Schuldenzahlungen. Dies wird als der größte Staatsbankrott in der jüngeren Geschichte gehandelt.
Währungskrise
Im Dezember 2001 führte das Ende der 1:1-Bindung des Peso an den Dollar zunächst zu Chaos und Kapitalflucht. Aber die drastische Abwertung der Währung verbesserte später die Position der argentinischen Industrie und insbesondere der Agrarwirtschaft sprunghaft. Seit 2003 wuchs die Wirtschaft jährlich um sieben Prozent. Die Abwertung machte die Waren auf dem Weltmarkt wieder wettbewerbsfähiger. Dazu kam die kräftige Nachfrage nach Agrarprodukten (zum Beispiel Soja) auf einem wachsenden Weltmarkt. Länder wie China befeuerten die Nachfrage nach Rohstoffen.
Könnte Griechenland nach einem Ausstieg aus dem Euro eine ähnliche Entwicklung nehmen? Vordergründig würden sich natürlich gewisse Spielräume durch eine damit einhergehende Abwertung der (dann neuen) eigenen Währung ergeben. Aber zum einen besitzt Griechenland nicht die Exportprodukte Argentiniens. Und zum anderen, noch entscheidender, sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf dem Weltmarkt heute viel krisenhafter als im Zeitraum 2002 bis 2008.
Soziale und politische Krise
Die oben beschriebene Verschuldungskrise führte in Argentinien dazu, dass die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst als erste gezwungen waren, um ihre Haut zu kämpfen. Erst nach dem Crash, in einer veränderten Lage, begannen sich die Konflikte auch in der Privatindustrie rasant auszubreiten.
Hinzu kamen massive Proteste von Arbeitslosen (die „Piquetero“-Bewegung), von der Stadtarmut und auch der Mittelklasse. Im Winter 2001/02 gipfelten die politischen Tumulte in der Ablösung verschiedener Übergangspräsidenten (je nach Zählart bis zu fünf!) innerhalb kürzester Zeit.
Gestern und heute
Natürlich wird sich die Krise in Griechenland und anderswo unter anderen Bedingungen entwickeln. Offensichtlich ist, dass der Öffentliche Dienst auch hier massiv betroffen ist (siehe die Proteste im öffentlichen Sektor in Portugal oder den Streiktag am 30. Juni in Großbritannien).
Im letzten Jahrzehnt erreichten die Erschütterungen in Südamerika neben Argentinien auch Bolivien, Uruguay, Venezuela und Peru. Heute ist der Kapitalismus in Europa und weltweit betroffen. Natürlich ist eine Einstellung der Schuldenzahlungen in Griechenland und anderswo nicht nur nötig, sondern auch möglich (wie Argentinien zeigt). Aber für sich genommen stellt dieser Schritt angesichts der globalen Krise keine Lösung dar.