Was ist von Euro-Bonds zu halten?

Debatte über europäische Anleihen nimmt Fahrt auf


 

Nachdem immer neue Krisengipfel und „Rettungspakete“ für Griechenland und andere hochverschuldete EU-Länder keine Lösung brachten, wächst die Zustimmung für die Idee von Euro-Bonds, also von europäischen Anleihen als Alternative zu Staatsanleihen der einzelnen Staaten der Euro-Zone. VertreterInnen von SPD, Grünen, LINKE und DGB haben sich dafür ausgesprochen, CSU und FDP sind strikt dagegen, die CDU vorläufig auch. Ökonomen und Wirtschaftspresse sind geteilter Meinung.

Die Befürworter argumentieren, dass Länder wie Griechenland dann wesentlich weniger Zinsen zahlen müssten. Die Zinsen wären niedriger als die aktuellen Durchschnittszinsen der Euro-Zone, weil durch die Euro-Bonds ein Anleihemarkt entstünde, der fast so groß wie der US-Anleihemarkt wäre – und daher ähnlich attraktiv. Wegen der hohen Nachfrage nach Euro-Bonds würden die Zinsen kaum höher als die gegenwärtigen Zinsen deutscher Staatsanleihen sein.

Nationalistische Kritiker von Euro-Bonds (zum Beispiel in Union und FDP) prophezeien dagegen eine deutlich höhere Zinsbelastung für Deutschland und fehlende Anreize zur Sparsamkeit in den „Schuldnerländern“.

Dabei ist nicht klar, wie Euro-Bonds konkret aussehen sollen. Vorgeschlagen wird meist, dass Staaten solche Anleihen höchstens bis 40 oder 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auflegen dürfen sollen. Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Ministerpräsident und Chef der Euro-Gruppe, schlägt die Bildung einer Europäischen Schuldenagentur zur Ausgabe der Euro-Bonds vor. Bestehende Staatsanleihen sollen in Euro-Bonds umgewandelt werden können, allerdings sollen Investoren dabei Abschläge hinnehmen, also Euro-Bonds mit geringerem Nennwert erhalten. Ein weiterer Vorschlag ist, dass die Euro-Bonds „vorrangig bedient werden“, also bei Zahlungsschwierigkeiten zuerst die Euro-Bonds zurückgezahlt werden müssen und dann erst die nationalen Anleihen.

Harald Koch, Sangerhausen, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, Mitglied unter anderem im Finanzausschuss: Das Gespenst des Zinssozialismus – Wir brauchen Euro-Bonds und noch viel mehr

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Zinssozialismus. Diese angebliche Gefahr beschwört jedenfalls der Chef der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, herauf, wenn es um eine mögliche Einführung von Gemeinschaftsanleihen in der Euro-Zone, sogenannte Euro-Bonds, geht. Er hätte es wohl gern, wenn sich alle Mächte des alten Europa zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbünden würden. Doch eher das Gegenteil ist der Fall. Es werden immer mehr Stimmen laut, die Euro-Bonds zum jetzigen Zeitpunkt für ökonomisch sinnvoll und geboten halten. Und sie sind es auch!

Für Euro-Bonds haften die Mitglieder der Währungsunion gemeinsam. Mit einer solchen Gemeinschaftshaftung ausgestattete Schuldtitel, die zur Finanzierung des jeweiligen staatlichen Haushalts dienen, wären sicher und attraktiv für Investoren. Krisenländer müssten in der Folge deutlich niedrigere Zinsen für neue Kredite zahlen, was gut für deren angeschlagene Haushalte ist. Für die „starken“ Länder hingegen würden sich die Zinssätze wohl leicht über den bisherigen Konditionen einpendeln, wenn überhaupt. Insgesamt wird aber das Zinsgefälle abgebaut, wodurch Spekulationsgewinne aufgrund von Zinsdifferenzen, also spekulative Attacken schwerer möglich sind. Davon haben alle Länder etwas! Euro-Bonds bringen ferner einen Zeitgewinn für die dringend nötige Konsolidierung der Haushalte. Weiter gedacht zeigen Euro-Bonds, dass man bestrebt ist, eine wirkliche Währungs- und Wirtschaftsunion auf gleicher Augenhöhe aufzubauen und einen Schritt hin zu einem sozialeren Europa zu gehen. Euro-Bonds sind so gesehen ein wichtiges Signal für europäische Solidarität. Eine vertrauensbildende Maßnahme sind sie allemal, da sie die Krisenländer aus dem Störfeuer der Finanzmärkte nehmen und die notwendige Verantwortung des gesamten Eurolandes klar aufzeigen.

Klar ist aber auch: Euro-Bonds würden nicht mit einem Schlag die Finanz- und Schuldenkrise beenden. Sie würden jedoch Zeit verschaffen und einen größeren, liquideren, einheitlichen und damit stabileren Anleihemarkt schaffen, der für nach Alternativen zur USA lechzende Investoren attraktiv wäre. Gerade weil Euro-Bonds kein Allheilmittel sind, ist es dringend geboten, begleitende Maßnahmen zu treffen und schließlich im Ganzen die Finanzmärkte umfassend zu regulieren. Es ist an der Zeit, an den Finanzmärkten einen Systemwechsel herbeizuführen. Einen Wechsel dergestalt, dass das Primat der Finanzmärkte für immer gebrochen wird.

Zum einen müssen Finanzhaie ein für allemal aus dem lukrativen Geschäft mit der Staatsverschuldung gedrängt werden. Neben Euro-Bonds brauchen wir daher eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen, die die (zinsgünstigen) Kredite an den Staat direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) refinanziert. Auch sind transparente und bedachte Entschuldung sowie Investitionen geboten, nicht unsoziale Kürzungsprogramme, Spardiktate und Sanktionskeulen. Profite und Vermögen müssen abgeschöpft werden, indem die Verursacher und Gewinnler der Finanzkrise zur Kasse gebeten werden. Wir brauchen darum eine europaweite Vermögensabgabe. Es müssen zugleich eine Finanztransaktionsteuer sowie eine wirksame Bankenabgabe eingeführt werden.

Zum anderen müssen die Finanzmärkte im Ganzen endlich an die Kandare genommen werden. Leerverkäufe und ungedeckte Kreditausfallversicherungen sind beispielsweise ebenso zu verbieten wie der außerbörsliche Handel mit Wertpapieren, Hedge- und Private-Equity-Fonds. Schattenbanken müssen geschlossen, Steueroasen trocken gelegt werden, ein Finanzmarkt-TÜV sowie eine öffentliche europäische Ratingagentur sind zu gründen, und Banken sind auf ihre Kernfunktionen zurückzuführen und zu vergesellschaften.

Zudem müssen endlich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, der deutsche Exportüberschuss abgebaut werden, um Ursachen der Schuldenkrise zu beseitigen. Es ist wichtig, in Deutschland die Binnenwirtschaft zu stärken und Lohn- und Sozialdumping zu beenden. Wir brauchen daher unter anderem höhere Löhne in Deutschland, einen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro und eine sanktionsfreie, armutsfeste Mindestsicherung.

Dies alles ist kurz- wie mittelfristig notwendig, um ein gemeinsames, solidarisches und soziales Europa zu schaffen und zu sichern. Eine Schuldenbremse in allen Euro-Ländern – wie gegenwärtig diskutiert – würgt hingegen nachhaltige Investitionen und sinnvolles Wachstum ab. Sie wäre ein Gespenst, vor dem es sich wirklich zu fürchten gilt.

Wolfram Klein, Mitglied im Vorstand der LINKEN Stuttgart-Bad-Cannstatt und im SAV-Bundesvorstand: Kapitalistischer Krisenpolitik eine Absage erteilen – Bankenmacht brechen

Selbstverständlich muss man die rassistische Hetze eines CSU-Generalsekretärs Alexander Dobrindt gegen „Euro-Bonds zugunsten Griechenlands und anderer Dolce-Vita-Länder“ oder das Gefasel von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle über „eine Art Zinssozialismus“ bekämpfen. InternationalistInnen müssen jede Art nationalistischer Antwort auf die Euro-Krise ablehnen. Aber das bedeutet keineswegs, die „europäische Einigung“ nach kapitalistischer Art zu unterstützen und Krisenmaßnahmen zu befürworten, mit denen gerade die Banken rausgeboxt werden sollen.

Bei der Frage nach Euro-Bonds ist zunächst nicht klar, wie sie ausgestaltet sein sollen. Bis zu wie viel Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) dürfen Euro-Bonds aufgelegt werden? Mit welchem Abschlag können nationale Staatsanleihen in solche europäischen Anleihen umgewandelt werden? Nehmen wir an, die Obergrenze liege bei 50 Prozent, der Abschlag bei 20 Prozent, dann könnten insgesamt Schulden im Wert von 60 Prozent des BIP in Euro-Bonds umgewandelt werden. Viele Staaten der Euro-Zone haben jedoch höhere Schulden. Sie müssten für die Euro-Bonds weniger Zinsen zahlen, für die übrigen Staatsanleihen aber möglicherweise mehr – insbesondere dann, wenn der weitere Vorschlag befolgt werden sollte, dass Euro-Bonds vorrangig bedient werden. Dann wäre programmiert, dass hoch verschuldete Euro-Länder weiterhin nur zu Wucherzinsen eigene Staatsanleihen auflegen könnten, darauf aber angewiesen wären, weil die Euro-Bonds ihren Finanzbedarf nicht decken. Die Frage eines Rettungsschirms zum Beispiel für Italien (mit einer Verschuldung von 119 Prozent des BIP Ende 2010) stünde weiter im Raum.

Die Griechenland von Angela Merkel und Co. aufgezwungenen Kürzungsprogramme haben es in eine Depression gestürzt mit zurückgehenden Staatseinnahmen (also zusätzlichen Haushaltslöchern) und schrumpfendem Bruttoinlandsprodukt (also ansteigender Verschuldung gemessen in Prozent des BIP). Wenn deutsche Politiker mehr „Sparanstrengungen“ fordern, bedeutet das eine Verschärfung der Depression und eine weitere Verelendung der Bevölkerung. Die Umwandlung aller Schulden Griechenlands in Euro-Bonds würde die Zinsen senken. Aber bei dieser riesigen Verschuldung (143 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Ende 2010) wäre selbst das kein Ausweg, sondern eine Verlängerung der Agonie.

Von einer wirklichen Lösung der Schuldenkrise kann ohne eine Streichung der Schulden keine Rede sein. Und die Banken, denen die meisten Staatsanleihen gehören? Um nicht vor der Wahl zu stehen, erneut mit Steuergeldern private Banken zu retten oder durch Bankenpleiten die Wirtschaft zu erschüttern und die Ersparnisse von Millionen zu vernichten, müsste die Schuldenstreichung mit einer Verstaatlichung der Banken und des Finanzsektors insgesamt unter seiner demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung gekoppelt werden. Dann könnte man SparerInnen angemessen entschädigen, ebenso wie kleine AnlegerInnen, die Staatsanleihen zum Beispiel als Altersicherung gekauft haben.

Befürworter von Euro-Bonds verweisen darauf, dass dabei ein Anleihemarkt entstehen würde, der fast so groß wie der US-Staatsanleihenmarkt wäre – und damit ähnlich attraktiv. Die Attraktivität von US-Staatsanleihen trotz Verschuldung und Haushaltskonflikt in den USA beruht aber vor allem darauf, dass der US-Dollar weiter Weltreservewährung ist. Euro-Bonds würden diese Stellung des Dollar schwächen. Das könnte die Weltwirtschaft noch mehr destabilisieren. Vor allem aber ist es nicht die Aufgabe von Linken, die Interessen des deutschen Kapitals zu vertreten, weder gegen die griechische, noch die US-amerikanische Konkurrenz.

Eine Einigung Europas ist notwendig, aber die Kapitalisten und die zum Wohle der Banken und Konzerne gestaltete Europäische Union (EU) werden sie nie erreichen. Der wichtigste Beitrag für diese Einigung ist zur Zeit der gemeinsame Kampf der arbeitenden Bevölkerung der europäischen Länder gegen die Kürzungsprogramme der europäischen Regierungen. Die EU-Politik der letzten Jahrzehnte (ob der Maastricht-Vertrag, der Euro oder der Verfassungsvertrag von Lissabon) diente den Interessen des Kapitals und der Zerstörung von in Jahrzehnten mühsam im Interesse der arbeitenden Bevölkerung erkämpften Reformen. Wenn in dieser EU und Euro-Zone einmal die Einführung von Euro-Bonds auf der Tagesordnung stehen, werden sie so ausgestaltet sein, dass sie wiederum Kapitalinteressen dienen und die arbeitende Bevölkerung mit ihren Steuergeldern dafür haften soll.