Die Polizei in Gyöngyöspata und die Gerkschaft TMRSZ – Alles Rechtens?
Schon während der liberalen Proteste gegen die neue ungarische Verfassung formierten sich rechtsextreme Gruppen, deren Programm reaktionärerer als das Staats-Programm in der Verfassung ist. Als die ersten Demonstrationen in Budapest gegen die neue Verfassung anliefen, wurde Gyöngyöspata im nördlichen Komitat Heves schon seit mehreren Wochen durch rechtsextreme Gruppen belagert. Angeblich wären die Bürger nicht mehr in der Lage, sich gegen die übermäßig vielen Diebstähle von Roma zu verteidigen. Der Bürgermeister rief um „Hilfe“. Diese Hilfegesuche wurden nicht von der Regierung erhört, sondern von rechtsextremen Gruppen wie „Bürgerwehr für eine schönere Zukunft“ (Szebb Jövöert) und der Jobbik-Schutzwehr (Vedör).
von Konstantin Schmied, CWI-Ungarn
Für diese Radikalisierung rechter Gewalt spricht auch die zunehmende Furcht der (ländlichen) UngarInnen vor Roma. Sie fürchten sich vor Wegelagerei und Überfällen, in einigen Dörfern würden sich rechten Zeitungen zufolge nicht einmal mehr ältere UngarInnen auf die Straße trauen. Die Furcht vor „Zigeunerkriminalität“ wird geschürt und nahm jetzt akut zu. Einige Teile der Landbevölkerung glauben, dass die „Kriminalität“ durch Kürzungen der Sozialleistungen im Januar bewirkt wurden. Die Angst erzeugende Wirkung der Stimmungsmache in rechten Zeitungen und die Frucht der Roma vor Gewaltübergriffen tragen zu einer tiefer gehenden Spaltung zwischen Roma und anderen UngarInnen bei. Die Marginalisierung der Roma wird von der ungarischen Regierung gefördert, da die Roma für den ungarischen Kapitalismus keinen „Nutzen“ hätten.
Wie weit kann rechtsextreme Gewalt gehen?
Nicht das 2500 EinwohnerInnen zählenden Gyöngyöspata wird von rechtsextremen Gruppen „belagert“, neben Gyöngyöspata gibt es noch andere ungarische Dörfer. Im Jahr 2008 marschierte die mittlerweile verbotene neofaschistische „Magyar Garda“ durch Tatarszentgyörgy und zündeten das Haus einer Romafamilie an. Die aus dem brennenden Haus flüchtenden Menschen wurden von der Garde erschossen (rbb-online.de). Dieser Gewaltaktakt zeigt, wie gefährlich und unbarmherzig die neofaschistische Gruppen sind. Die jetzige Belagerung in Gyöngyöspata zeigt auch, dass die Gewalttaten nicht nur einmalige Aktionen sind, sondern dass die Angriffe auf Roma schon lange andauern und häufig auch geplant sind.
Wie lief anfangs die Belagerung von Gyöngyöspata ab?
Die rechtsextreme „Bürgerwehr für eine schönere Zukunft“ (Szebb Jövöert) und die Jobbik-Schutzwehr (Vedör) marschieren seit Ende März mit ihren schwarze Uniformen durch Gyöngyöspata. Auf ihren Uniformen befinden sich Abbildungen der rot-weißen Arpad-Fahne bzw. der Schriftzug „Csendesör“ (Gendarmerie). Während ihrer „Patroullien“ durch die Roma-Siedlung in Gyöngyöspata skandierten sie: „Wir fackeln eure Häuser ab“, „Geht zurück nach Indien“ oder „Wir bringen euch um“ (www.mannheim.vvn-bda.de). Häufig wurden die Roma verfolgt, wenn sie sich nur auf der Straße blicken ließen. Auch wurde der Zugang zu ihren Häusern durch die anwesende „Bürgerwehr“ versperrt. Neben diesen Schikanen wurde auch der Zugang zum Supermarkt versperrt (hungarianwatch.blogsport.de). FaschistInnen warfen einen Stein in das Fenster eines Wohnhauses. Der Stein landete in einem Bett, in dem zur Zeit es Anschlages glücklicheweise niemand schlief.
Wie reagieren die Roma auf den neofaschistischen Terror?
Die ungarndeutsche Kulturwissenschaftlerin Marsovszky berichtete in einem Interview, dass der auf die Roma ausgeübte Druck enorm sei. Einige Roma hätten ihre Grundstücke samt Häuser für einen symbolischen Forint verkauft, um sich vor rechter Gewalt zu „schützen“. Nachdem sie ihre Häuser verloren haben, wurden auf ihren ehemaligen Grundstücken Lager der rechtsextremen Schutzwehr eingerichtet (heise.de). Der faschistische Terror muss für die Roma erschreckend sein. So berichtet Laszlo Farkas (Roma-Selbstverwaltung): „Die Patrouillen der Rechtsextremen haben die Roma so eingeschüchtert, dass sie sich nicht mehr aus den Häusern getraut haben“ (jungle-world.de). Doch der faschistische Terror verhindert nicht, dass es zu Gegendemonstrationen und Protestkundgebungen in Gyöngyöspata kam. Einige linke Aktivisten reisten am 15.03 aus Budapest an, um die Proteste gegen die Rechtsextremen zu unterstützen und um sich über die rechte Gewalt in Gyöngyöspata zu informieren. Es gab zwar Schikanen – die Wege wurden durch die Schutzwehr versperrt –, aber kein Aktivist erlitt körperliche Schäden (www.mannheim.vvn-bda.de).
Eskalation des faschistischen Terrors vorerst verhindert.
Am Osterwochenende 22.-24.04 sollte in der Nähe von Gyöngyöspata ein paramilitärischen Trainingslager abgehalten werden. Dieses paramilitärische Übungslager sollte auf Privatgrundstücken stattfinden. Die Schutzwehr bietet dort für „vaterlandsliebende“ Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene die Möglichkeit an, sich „militärische Grundkenntnisse und Grundkenntnisse in der Selbstverteidigung“ anzueignen. Wer an diesem nationalistischen Training teilnehmen wolle, müsse zwangsläufig durch die Roma-Siedlung in Gyöngyöspata. Mit gewalttätigen Übergriffen gegen die Roma war zu rechnen (pusztaranger.wordpress.com).
Dank der Unterstützung des Roten Kreuzes und von Laszlo Farkas konnten sechs Busse organisiert werden, die etwa 300 der 500 in Gyöngyöspata lebenden Roma – häuptsächlich Frauen und Kinder – nach Szolnok in ein Ferienlager brachten. Das Rote Kreuz und die ungarische Regierung sprachen davon, dass es keine „Evakuierung“ der Roma gewesen sei, sondern ein schon lange geplanter Osterurlaub gewesen sei. Die ungarische Regierung belügt somit dreist das Ausland und ihre eigenen Bürger, wenn sie von Osterurlaub spricht. Die Roma wurden jedoch erst einen Tag vor ihrer Abreise über die Evakuierung informiert (Pester Lloyd). Nachdem die Roma evakuiert wurden, veranlasst der ungarische Innenminister Sandor Pinter die Verhaftung von Teilen der Schutzwehr.
Wie kann es zu faschistischen Terror kommen?
Anders als in anderen Staaten, wo ein restriktives staatliches Gewaltmonopol existiert (das seinerseits häufig rassistische agiert), gibt es in Ungarn die Möglichkeit Bürgerwehren einzurichten. Die Bürgerwehren dürfen tätig werden, wenn sie eine Erlaubnis der Polizei und ein entsprechendes Abkommen mit der Gemeinde haben. Zwar dementierten die PolitikerInnen aus Gyöngyöspata in aller Öffentlichkeit, dass es ein solchen Abkommen
gäbe. Die Duldung der Bürgerwehren durch die Polizei, die erst sehr spät wegen internationalen Druck gegen die Schutzwehr vor ging, zeigt, dass ein formelles Abkommen auch gar nicht nötig ist. Vielmehr reicht die Sympathie eines Teiles der BewohnerInnen Gyöngyöspatas für ein Abkommen aus. Die Polizei in Ungarn ist wieder einmal auf dem rechten Auge blind und unterstützt durch ihr anfängliches Nichtstun die rechtsextreme Schutzwehr.
Wie wird ein Gesetz gegen Diskriminierung gegen Roma angewandt?
Auch die Budapester Zentralregierung sah sich genötigt, die Unterdrückung der Roma zu verhindern. Es wurde ein sog. Anlassgesetz erarbeitet und erlassen. Dieses Gesetz sieht schützende Rechtsmittel vor, wenn jemand Opfer von „rassischer“ Unterdrückung geworden ist. Jedoch ist dieses Gesetz – und das ist durchaus typisch für Gesetze in bürgerlichen Demokratien – recht flexibel in seiner Auslegung. Und so wird es dann auch in erster Linie gegen Roma angewandt. So wurde ein Roma zu einer exorbitanten Strafe verurteilt, weil er sich gegen seine Angreifer mit „antimagyarischen“ Aussagen (Pester Lloyd) wehrte und die Richter auch „völkische Magyaren als Minderheit“ ansahen. Dieses Beispiel zeigt, dass selbst Schutzgesetze für Roma neben den rechtsextremen Bürgerwehren Tür und Tor zur Willkür öffnen. Diese Willkür bereitet aber auch den Boden vor, auf dem faschistischer Terror gedeihen kann.
Rechtsextreme und Teile der Polizei demonstrieren gemeinsam in Budapest
Auf der Demo von 06.05.11 am Budapester Parlament waren unter den TeilnehmerInnen (Feuerwehr, Polizei, einige ChemiearbeiterInnen, einige Bergbauarbeiter, einige LehrerInnen) auch rechte Gruppen, wie die rechtsextreme Polizeigewerkschaft TMRSZ (Tatkraft – Ungarische Polizeigewerkschaft), aber auch andere faschistische Gruppen, wie die aus dem Dorf Gyöngyöspata angereiste „Bürgerwehr für eine schönere Zukunft“ (Szebb Jövöert). Die Demonstrationsleitung hat die Teilnahme der Jobbik-Bürgerwehr begrüßt, so meinte sie, dass trotz unterschiedlicher politischer Einstellung doch „Zusammenhalt und Solidarität“ gezeigt werden könne.
Diese Demonstration zeigt aber auch, wie eng die Rechtsextremen mit der Polizei zusammen stehen und zeigt weshalb die Polizei erst nach zwei Monaten Terror in Gyöngyöspata Eingriff um einige Mitglieder der Schutzwehr am Osterwochenende festzunehmen. Nicht nur das späte Eingreifen zeigt ein Zunehmen rechtsextremer Gedanken in Polizeikreisen, sondern auch die Mitgliederentwicklung: so hatte die rechtsextreme TMRSZ 2004 knapp 40 Mitglieder und wuchs bis 2009 auf gut 5.000 Mitglieder an. Heute gehören etwa 9.000 der 50.000 Polizisten dieser "Gewerkschaft" an. Die Teilnahme der Schutzwehren an dieser Demonstration macht deutlich, dass sie sich in ihrem Selbstverständnis als Polizeitruppen sehen. Der rechte Charakter der Demonstration wurde auch daran deutlich, dass eine Roma-Organisation ihre Teilnahme an der Demonstration absagt.
Wie ist das Verhältnis zwischen Polizei und anderen Staatsbediensteten, und Staat?
Die Forderungen der entsprechenden Gewerkschaften richten sich unter anderem gegen die von der Orban-Regierung beabsichtigten Einsparungen bei Zulagen (Jahresprämien, Überstundengeld), Anhebung des Rentenalters und die Besteuerung von Abfindungen. (Auch die anderen – meist sozialdemokratischen – Gewerkschaften die die Polizei, Feuerwehr etc. organisieren lehnen diese Kürzungen ab, haben die Teilnahme der TMRSZ an den Protesten am 16.6. abgelehnt.) Die Beteiligung dieser rechtsextremen Gruppen macht auch deutlich, dass Jobbik und andere rechtsextreme und faschistische Gruppen druck von rechts auf Orban auszuüben versuchen. Dieser rechtsextreme Teil der Gesellschaft kann auch eine Gefahr für den Aufbau linker Bewegung darstellen.
Auf der Polizeigewerkschaftsdemonstration vom 6. Mai wurden Orban und Innenminister Sandor Pinter, auf dessen Anweisung hin Rechtsextreme in Gyöngyöspata festgenommen wurden, symbolisch als Maden dargestellt und ihnen das Kontaktgift DDT in Aussicht gestellt. Außerdem wurde ein Galgen mit einer Tüte Orangen (Fidesz) und roten Nelken (MSZP) herumgetragen (pusztaranger.wordpress.com). Diese Symbolsprache richtet sich sowohl gegen die jetzige und vorherige Regierung. Einige Staatsbedienstete tragen die jetzige Politik Orbans kaum mit und orientieren sich rechts von Orban.
Wie sieht das Programm der Polizeigewerkschaft TMRSZ aus?
Klar ist, dass auf die TMRSZ ein antikommunistisches Programm hat. So wurde auf ihrer letzten Demo am 30.05.11 Listen mit Abgeordneten, darunter der Innenminster Sandor Pinter als MSZP-Mitglied und Viktor Orban als Sekretär der KISZ (stalinistische Jugendorganisation), befestigt. Unter der Liste stand: „Sie waren MszP-Agenten“, „Ich diente der Öffentlichen Sicherheit (AVO?)“ und dass sie „Kadarhusaren“ waren. Dies macht auch deutlich, wie die Wut in Bevölkerung über die stalinistische Herrschaft für machtpolitische Zwecke der Rechten instrumentalisiert werden kann.
Wie weiter?
Die Demonstrationen der Polizei, des Militärs und anderer Staatsbedienstete, wie der Zoll- und Finanzamtsbeamten und Gefängniswärter am 15.04.11 und 06.05.11 zeigen, dass sich Widerstand gegen Orban forciert. Auf beiden Demos waren über 10.000 Menschen auf der Straße. Linke müssen fordern, dass rechte und rechtsextreme Gruppen von den Demonstrationen ausgeschlossen werden. Dazu müssten Linken kämpferischer werden, in dem sie ein sozialistisches Programm aufstellen und stärker auf Arbeitskämpfe wie bisher einwirken.
Die Proteste der AktivistInnen um Laszlo Farkas aus Gyöngyöspata zeigen, dass Widerstand gegen die Rechtsextremen möglich ist. Ebenso hat sich gezeigt, dass auf der Demonstration vom 5.6. ein Teil der DemonstrantInnen nicht rechts stehen, wie es die Demo in ihrer Gesamtheit schien. Ein Gewerkschafter der Bergbaugewerkschaft BDSz meinte, dass die Diskriminierung der Roma ein soziales Problem sei. Diese Erfahrungen zeigen, dass es Potential für Widerstand gegen Rechts gibt.
Außerdem müssen Linke gemeinsam mit Roma Schutzkomitees aufbauen, um die Roma vor faschistischen Übergriffen zu schützen. Es gibt in Budapest selbst verschiedene antifaschistische, grün-linke Gruppen, Roma-Organisationen, Schwulengruppen aber auch größere Gruppen, wie die LMP. Eine jetzige antifaschistische Widerstandsbewegung müsste nicht nur diese Gruppen untereinander vernetzen. Sie muss v.a. auch die antirassistische Arbeit mit sozialen Forderungen für die gesamte ungarische Bevölkerung sowie eine klare Ablehnung aller Kürzungsmaßnahmen der Orban Regierung verbinden.