Parallelwelt Europäische Union
Während „Der Spiegel“ titelt „Plötzlich und erwartet“ und sich mit dieser Überschrift auf die Krise und das mögliche Ableben der europäischen Gemeinschaftswährung bezieht, das britische Magazin „The Economist“ mit dem Titel „If Greece goes….“ (Wenn Griechenland geht….) ein ähnliches Statement macht, üben sich die Vertreter der europäischen Institutionen in öffentlichen Stellungnahmen in Realitätsverweigerung.
von Tanja Niemeier
Ende Juni traf sich der Europäische Rat zu seinem monatlichen Treffen in Brüssel.
In den Schlussfolgerungen dieses Treffens heißt es: „Der Aufschwung ist im Euro-Währungsgebiet bereits deutlich zu spüren, und es hat sich mittlerweile wieder ein dauerhaftes und solides Wachstum eingestellt. Der Euro steht auf einem soliden Fundament, (…)“
Es klingt wie ein Mantra, eine Beschwörung, die – wenn man sie nur oft genug wiederholt – wahr wird.
Alle Augen auf Griechenland gerichtet
Trotz aller Zuversichtsäußerungen war die Nervosität über die bevorstehenden Abstimmungen im griechischen Parlament das Thema Nummer 1 in den europäischen Institutionen in der vergangenen Woche.
Mehrere Hürden mussten aus Sicht der EU-Elite genommen werden, um die Insolvenz Griechenlands zu verhindern.
Zunächst musste der sozialdemokratische Premier Papandreou ein Misstrauensvotum überstehen, von dem das Überleben der griechischen Regierung und damit alle weiteren Abstimmungen über das verordnete Verarmungsprogramm, das wie eine alles erstickende Lawine auf die griechischen ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen und Jugendlichen hernieder rollt, abhingen.
New Europe schreibt einige Stunden vor der Abstimmung: „(…) die EU legt den Euro in die Hände von 5 der 155 PASOK-Abgeordneten (PASOK ist der Name der griechischen Sozialdemokratie, die die Regierung stellt, TN), die, für den Fall, dass sie nicht positiv abstimmen sollten, die Papandreou-Regierung zu Fall bringen könnten und die Eurozone in gefährliches Fahrwasser treiben.“
Der EU-Observer spricht von der wichtigsten Abstimmung im griechischen Parlament seit dem Ende der Militärdiktatur 1974.
Und um deutlich zu machen, dass die Abstimmung tatsächlich eine „Leben oder Tod“- Dimension hat, mit der vor allen Dingen die Opposition der Bevölkerung verunsichert werden soll, legt der griechische Vizepremier Theodoroas Pangalos noch einen drauf : „Eine Rückkehr zur Drachme (griechische Währung vor der Einführung des Euro, TN) würde bedeuten, dass die Banken am darauffolgenden Tag belagert würden von ängstlichen Menschen, die versuchen ihr Geld abzuheben. Die Armee müsste eingesetzt werden um sie zu schützen, da es nicht genügend Polizeikräfte gibt. überall würden Unruhen entstehen, die Geschäfte würden leer sein und einige Menschen würden sich aus dem Fenster stürzen“.
Niemand wird bestreiten, dass die Lage in Griechenland ernst ist. Zu diesem Zeitpunkt ist es schwierig einzuschätzen, wann und wie Griechenland unter dem Schuldenberg zusammenbrechen wird, den Euro verlässt und wie die Menschen darauf reagieren werden.
Was jedoch absolut sicher ist, ist dass die vom Parlament beschlossenen „Maßnahmen“ an Dramatik in Bezug auf die Angriffe und Auswirkungen auf den Lebensstandard kaum zu übertreffen sind.
Europäische Schockdoktrin
Paul Murphy, MdEP für die Sozialistische Partei in Irland (Schwesterpartei der SAV) bezeichnete die Angriffe, die der europäischen Arbeiterklasse in den PIGS- Ländern im Kontext der „Haushaltskonsolidierung und der economic governance (wirtschaftspolitische Steuerung)“ aufgebürdet werden unlängst als Europäische Schockdoktrin. Und er hat Recht.
Der Katalog an Maßnahmen, der durch das griechische Parlament verabschiedet wurde, um die nächste Scheibe aus dem EU/IWF-Notfonds zu erhalten, liest sich wie eine Horrorshow. Da gibt es nicht nur das massive Privatisierungsprogramm von 50 Milliarden Euro, das einem Ausverkauf Griechenlands gleichkommt, 770 Millionen Euro sollen in 2011 durch Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst in die Staatskasse fließen, alle befristeten Verträge im öffentlichen Dienst werden beendet, die Mehrwertsteuer wird erhöht, die Einkommenssteuergrenze wird gesenkt und alle Einkommen, die über 8.000 Euro im Jahr liegen werden besteuert; im Bildungswesen sollen 1976 Schulen fusionieren oder geschlossen werden…..
( Hier gibt es eine beinahe vollständige Liste des Horrorkataloges)
Man muss kein Chefökonom sein, um die Auswirkungen zu interpretieren: massive Kaufkraftsenkung, steigende Arbeitslosigkeit, Massenverarmung zu Gunsten deutscher und französischer Banken
Reaktion des europäischen Gewerkschaftsdachverbandes (EGB)
Auch der EGB reagierte auf die Abstimmung im griechischen Parlament. Und in gewissem Sinne ist die Reaktion des EGB genauso schockierend, wie das Schockprogramm der griechischen Regierung. Unter dem Titel „Griechenland braucht einen Solidaritätspakt“ heißt es unter anderem: „(…) diese Abstimmung gibt den Politikern ein paar Wochen Zeit, um nachhaltige Lösungen für die Zukunft Griechenlands zu finden, (….) , die Verantwortlichen in der EU müssen jetzt Führung zeigen (….), der Europäische Gewerkschaftsdachverband erklärt seine Solidarität mit den griechischen Gewerkschaften GSEE und ADEDY (….)“
Ist das alles, frage ich mich, was der EGB in der tiefsten Krise der Nachkriegszeit anzubieten hat? – und dann auch wieder nicht ! Eigentlich ist die Haltung des EGB logisch – aus ihrer Perspektive. Wie können sie die Abstimmung im griechischen Parlament verurteilen, wenn der EGB und alle angeschlossenen nationalen Dachverbände politisch so eng mit der Sozialdemokratie verbunden ist. PASOK ist die politische Vertretung der Mehrheit der griechischen Gewerkschaftsdachverbände – ob das nun offiziell oder inoffiziell so ist. Und solange die Gewerkschaften nicht mit der Sozialdemokratie brechen, die nicht nur in Griechenland für massive Kürzungsprogramme verantwortlich ist, macht sich die Gewerkschaftsführung mitschuldig an der Verarmung der Arbeiterklasse (die Stellungnahme des EGB/ETUC ist hier zu lesen).
Schizophrenie der Sozialdemokratie
Eine gleichartige weder „Fisch noch Fleisch-Haltung“ nehmen die sozialdemokratischen Parteien gegenüber den Vorschlägen der Europäischen Kommission und des Rates zur „economic governance“ ein, die auch im europäischen Parlament abgestimmt werden müssen. In einem Drahtseilakt versucht die Sozialdemokratie Opposition und Exekutive zur gleichen Zeit zu sein. Anfang Juni, im Zusammenhang mit der geplanten Protestaktion des EGB für ein soziales Europa in Luxemburg am 21. Juni und der bevorstehenden Abstimmung im Parlament über das Paket der wirtschaftspolitischen Steuerung, initiierten die Fraktionen der Sozialdemokraten und Grünen eine Unterschriftenkampagne gegen letztere. (http://www.changeforeurope.eu/de)
Zu den Erstunterzeichnern gehört der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz und der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Daniel Cohn-Bendit.
Fehlen nur noch die Unterschriften von Papandreou, Zapatero und dem ehemaligen portugiesischen Premier Socrates, um die Schizophrenie komplett zu machen.
Elf Abgeordnete der Fraktion der GUE/NGL Fraktion im europäischen Parlament haben auf Initiative Paul Murphys einen offenen Brief verfasst, der unter anderem die Forderung eines europaweiten Generalstreiks enthält – ein Versuch, um die Kürzungsprogramme, die unter anderem als Ergebnis der wirtschaftspolitischen Steuerung durchgeführt werden, tatsächlich zu verhindern. Zu den Unterzeichnern gehören auch sechs der acht Europaabgeordneten für DIE LINKE. Partei- und Gewerkschaftsgliederungen können und sollten diese Abgeordneten beim Wort nehmen. (Der offene Brief in englischer Sprache befindet sich hier )
Schönwetterkonstruktion – economic governance
Was hat es nun mit dieser wirtschaftspolitischen Steuerung auf sich?
Im April verabschiedete der Wirtschaftsausschuss (ECON) des Europäischen Parlamentes ein Paket mit sechs Maßnahmen zur „Reform der europäischen Wirtschaftsordnung“. „Vier Vorschläge zielen darauf ab, den Wirtschafts- und Wachstumspakt der EU zu stärken und die nationalen Haushalte besser zu überwachen. Zwei weitere Maßnahmenpakete konzentrieren sich auf unausgewogene Handelsbilanzen innerhalb der EU“ heißt es in einem Communiqué des Pressedienstes des Parlamentes. Die Maßnahmen, verpackt in der so typischen neutralen Sprache der Herrschenden, dienen auch dazu, dem im Sturm der Krise ins Leben gerufenen Rettungsschirm eine feste Struktur zu geben.
Ein Kern der economic governance ist eine weitere Entdemokratisierung. Nationale Haushalte, aufgestellt durch gewählte Regierungen müssen demnach der Kommission und dem Rat vorgelegt werden und können mit Sanktionen belegt werden, sollten Mitgliedsstaaten in ihren Haushalten nicht genügend Anstrengungen unternehmen, um die nationale Haushalte zu „konsolidieren“ (wieder so ein neutrales Wort hinter dem sich Angriffe auf den Lebensstandard verbergen).
Hier einige der Vorschläge im Überblick: „Die Kommission soll nationale Defizite in Zukunft besser überwachen und sanktionieren können; wenn Staaten auf EU-Empfehlungen zum Abbau hoher Defizite oder Handelsüberschüsse nicht reagieren sollen Strafen dafür früher greifen als bisher. Bei der ersten Mahnung werden 0,1 Prozent des BIP fällig, danach 0,3 Prozent.“
Insbesondere der Teil zu den automatischen Sanktionen bleibt konfliktreich im Parlament, deshalb ist es auch noch immer nicht sicher ob die Abstimmung tatsächlich im Juli stattfinden wird.
Wie dem auch sei, die formulierten Maßnahmen sind tatsächlich „Schönwetterkonstruktionen“ (Der Spiegel) angesichts des Ausmaßes der Tiefe der Krise in Europa. Sie werden sich früher oder später als Papiertiger erweisen, wenn Länder wie Spanien oder Italien die Eurozone weiter in die Krise ziehen.
Die impliziten Anschuldigungen, den Ernst der Lage nicht erkannt zu haben, die sowohl „Der Spiegel“, als auch der „Economist“ anbringen, sind nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn das griechische Parlament letzte Woche im Interesse deutscher Banken, der europäischen Wirtschaftsinteressen und der EU-Elite abgestimmt hat, ist die Krise nicht abgewendet. Alle Indikatoren sind präsent, dass sich die Krise weiter ausweitet und die Versuche, einen permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Überwindung der Euro-Krise einzurichten, einer wahrscheinlichen Ausweitung der Krise auf Länder wie Spanien, nicht gewachsen sind.
Plan B
Auch wenn EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn beteuert, dass es keinen Plan B gibt und die einzige Wahl zwischen Zustimmung zum Horrorkatalog der Kürzungen oder Zahlungsunfähigkeit besteht, ist es an uns deutlich zu machen, dass es für die Arbeiterklasse europaweit sehr wohl einen Plan B gibt.
Im Kommunistischen Manifest schreiben Karl Marx und Friedrich Engels: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Der Klassenkampf ist die Triebfeder der gesellschaftlichen Entwicklung.
Um einen tatsächlichen Ausweg aus der Krise zu erreichen, ist kein Kompromiss zwischen den Interessen der Arbeiterklasse und denen der Herrschenden möglich. Die Proteste der griechischen Arbeiterklasse und Jugend sind absolut berechtigt und sie vertreten die Interessen der Arbeiter und Jugendlichen in allen PIGS-Ländern und in Europa.
Um erfolgreich zu sein, ist es jedoch notwendig, dass die Generalstreikbewegung in Griechenland einen tatsächlichen Plan B entwickelt. Dazu gehört die Nichtbezahlung der Schulden, die Vergesellschaftung des Bankwesens unter demokratischer Kontrolle und Kontrolle der Beschäftigten, die Übernahme der Kontrolle über die griechische Wirtschaft.