Griechenland: Vereinigt die Kämpfe und stürzt die Regierung

Seit Mittwoch, dem 25. Mai sind die zentralen Plätze in Athen und anderen griechischen Städten von Protestierenden besetzt.


 

Vorbemerkung

Die Massenmobilisierungen von Jugendlichen und ArbeiterInnen in Griechenland gegen die Sparmaßnahmen gehen weiter, während die griechischen Massen erkennen, dass sie jetzt keine andere Möglichkeit haben als zu kämpfen. Als Ergebnis des sozialen Erdbebens, dass die am Vorbild der spanischen Jugend ausgerichtete Massenbewegung der Jugendlichen ausgelöst hat wurde der nächste Generalstreik nach massivem Druck von unten vom 21. auf den 15. Juni vorverlegt. Am 1. und 2. Juni zogen zwischen 50.000 und 70.000 Menschen über den Platz vor dem Parlament. Schichten der oberen Mittelklasse schließen sich ebenso an wie ArbeiterInnen und Jugendliche, die noch nie an Streiks, Demonstrationen oder Sozialprotesten teilgenommen haben. Ein wichtiges Merkmal der Bewegung ist die Abwesenheit von Gewalt in Form der sonst üblichen Zusammenstöße zwischen Polizei und anarchistischen Jugendlichen, die breite neue Schichten ermutigt sich zu beteiligen.

Die Bewegung macht weitere Streiks wahrscheinlicher. Xekinima (griechische Sektion des CWI) wirft die Frage von Besetzungen wichtiger Betriebe auf und betont die Notwendigkeit, demokratische Kampfkomitees aufzubauen und 48-stündige Generalstreiks auszurufen, um größere Aktionen vorzubereiten und die Regierung zu stürzen. Solche Komitees von ArbeiterInnen, Jugendlichen und anderen am Kampf beteiligten können die Basis einer neuen Regierung bilden, die mit dem Kapitalismus brechen könnte.

Die Wut zeigte sich als eine Gruppe von Demonstrierenden den Eingang des Parlaments blockierte, so dass Abgeordnete vom Garten aus ausgeflogen werden mussten.

In Korfu wurde eine Gruppe von PASOK-Abgeordneten beim Hummer essen in einem Strandrestaurant gesehen. Hunderte von Menschen versammelten sich und bewarfen sie mit Joghurt. Wegen der Wut der Menge musste die Küstenwache die Abgordneten mit einem Boot von der Insel bringen.

Interview mit Andros Payiatsos aus "The Socialist", Wochenzeitung der Socialist Party in England and Wales, 30. Mai 2011

Kannst du die Jugendbewegung beschreiben?

Diese Welle von Besetzungen ist offensichtlich eine Antwort auf die Entwicklungen in Spanien, die ihrerseits von den Massenbewegungen in Tunesien und Ägypten beeinflusst waren. Das zeigt die bestehende Stärke des Internationalismus.

Die Besetzung ist auch eine Reaktion auf die Bedingungen, unter denen Jugendliche leben. Die Arbeitslosigkeit in Griechenland hat Rekordhöhen erreicht. Der Griechische Gewerkschaftsbund gibt die reale Arbeitslosenquote mit 22 Prozent an. Die Jugendarbeitslosigkeit ist etwa doppelt so hoch. Das durchschnittliche Einstiegsgehalt liegt etwa bei 520 Euro netto im Monat, ein Hungerlohn.

Die Bewegung ist eine mächtige Entwicklung, aber es ist noch unklar wie sie weitergehen wird. Am Syntagma-Platz [in Athen] wo sie begonnen hat waren am 25. Mai nach unserer Schätzung etwa 50.000 Menschen, darunter einige die nicht die ganze Zeit geblieben sind, weil die Versammlung von 18:00 bis 2:00 morgens dauerte. ArbeiterInnen mit Familien können nicht so lange bleiben. Es gab Massendemonstrationen in etwa 15 griechschichen Städten, Thessaloniki, Patras, Volos und so weiter.

Nicht nur Jugendliche beteiligen sich. RentnerInnen, ArbeiterInnen, alle versuchen etwas beizutragen. Es scheint, dass die Grundlage für dauerhafte Besetzungen in den beiden größten Städten geschaffen wurde.

Es gibt sehr große Versammlungen an denen sich riesige Mengen von Menschen beteiligen, obwohl sie bis zu fünf Stunden dauern. Komitees, die sich um praktische Aspekte wie Essen, Wasser, WLAN etc. kümmern werden geschaffen und die ersten Zelte wurden auf dem Platz aufgebaut.

In Spanien haben wir eine gewisse Abneigung gegen Gewerkschaften und Parteien gesehen. Gibt es diese auch unter den griechischen Jugendlichen?

Wie in Spanien ist die Ablehnung dagegen die Gewerkschaften und irgendwelche Parteien einzubeziehen sehr stark. Aber wir denken, dass sie auch sehr vorübergehend ist. Wir glauben, dass sobald sich eine Bewegung entwickelt die Notwendigkeit offensichtlich sein wird, sie zu einer Massenbewegung zu machen um etwas zu erreichen. Und dann werden die Jugendlichen Aufrufe an die Gewerkschaften und die Arbeiterklasse richten müssen. Sie werden sich hauptsächlich an die Basis der Gewerkschaften und Parteien wenden, denn die GewerkschaftsführerInnen sind verhasst und es gibt eine starke Feindseligkeit linken Parteien gegenüber.

Mitglieder von Xekinima spielen in den Koordinationskomitees der Besetzungen in den wichtigen Städten Athen und Thessaloniki eine Rolle. Eine der Hauptforderungen die wir in den Versammlungen und in unserem Material aufwerfen ist, dass die ArbeiterInnen kommen sollen; wir wollen dass Alle die gerade streiken auf die Plätze ziehen und dort bleiben. Wenn zum Beispiel die ElektrizitätsarbeiterInnen für 48 Stunden streiken würden wir wollen dass sie auf den Platz kommen um ihre Solidarität zu übermitteln und Unterstützung und Solidarität zu bekommen.

Wir sind zuversichtlich, dass diese Taktik attraktiv ist und ich bin auch zuversichtlich dass die Mehrheit auf den Versammlungen diese Ideen unterstützen wird wenn wir sie einbringen.

Wächst die Wut, während die griechische Regierung über weitere Kürzungen und Privatisierungen diskutiert?

Ja. Die griechische Regierung berät gerade mit der „Troika“ aus IWF, EU und EZB über das zweite Memorandum. Das bedeutet, dass sie nachdem ihre barbarische Politik, die das Leben von Hunderttausenden, wenn nicht Millionen zerstört hat ein Jahr angewendet wurde zu dem Schluss gekommen sind dass diese Politik gescheitert ist.

Im letzten Jahr gab es vier Wellen von Angriffen. Das zweite Memorandum bedeutet weitere Angriffe. Die Menschen sind also verzweifelt.

Die Geschwindigkeit der Ereignisse in Griechenland ist beeindruckend. Bewegungen entstehen, aber weil sie keine Führung haben die ein Programm und eine Strategie für den Kampf liefern könnte halten sie sich nicht lange.

Und dann gibt es die Reaktion, etwa in Form der faschistischen Angriffe von vor zwei Wochen. Das kann nur verstanden werden wenn man die griechische Gesellschaft in einer Serie großer Umwälzungen sieht. Die Menschen haben riesige Wut, aber auch riesige Verzweiflung. Sie suchen nach einem Ausweg.

Wie wurde auf die faschistischen Angriffe reagiert?

Zuerst muss ich sagen dass das was passiert ist schockierend war. Ungefähr vier tage lang haben die Nazis, nicht nur Rechtspopulisten, jede MigrantIn den oder die sie auf der Straße gesehen haben angegriffen, mit Messern und allem was sie hatten. Sie sind in migrantische Läden gegangen und haben alles zerstört, es war wie ein Pogrom. Die Polizei hat zugeguckt und nichts getan. Jede GriechIn der oder die versucht hat bei der Polizei zu protestieren wurde praktisch an die Faschisten ausgeliefert und von ihnen krankenhausreif geschlagen.

Das hat die Linke wirklich schockiert. Die Massenparteien der Linken haben die Gefahren des Faschismus immer unterstützt. Xekinima hat immer betont dass die Bedingungen die geschaffen werden und Wut, Verzweiflung und Frustration zu einer Zunahme von Rassismus und Faschismus führen können. Diese Entwicklung zeigt dass man die Faschisten von Anfang an bekämpfen muss, selbst wenn sie nur kleine Kräfte sind.

Jetzt ist das Problem dass es noch keine ernsthafte Antwort auf die Faschisten von den linken Parteien oder den Gewerschaften gibt. Leider wollten sich die verschiedenen linken Gruppen trotz Vorschlägen von Xekinima und fünf gut besuchten Treffen nicht auf gemeinsame Aktivitäten einigen können. Es ist lächerlich, skandalös. Aber gegen die Faschisten muss gekämpft werden.

Die radikale Rechte hat versucht in die Besetzungen einzugreifen und versucht mit nationalistischen Parolen von der bestehenden Verwirrung zu profitieren. Aber sie wurden erfolgreich bekämpft und mussten sich zurückziehen. Die Jugendlichen und Mitglieder von Xekinima haben die politischen Argumente der Faschisten aufgegriffen und beantwortet. Es scheint dass sie sich jetzt aus der Bewegung zurückgezogen haben und sie stattdessen von außen angreifen.

Welchen weg vorwärts schlägt Xekinima vor?

Es gab in der letzten Zeit sehr viele wichtige Kämpfe. Die BusfahrerInnen haben über drei Monate lang gestreikt. Aber sie wurden geschlagen. Es war ein Verrat durch ihre Führung. Und dann gab es die fantastische Besetzung des Athener Rarhauses durch ZeitarbeiterInnen. Nach vier Wochen wurden auch sie verraten. Das trägt zur Frustration bei.

Wir haben in den ersten drei Monaten des Jahres Bewegungen wie den Boykott der Straßenmaut gesehen. Aber auch sie sind verschwunden weil die Massenparteien der Linken sie nicht mit ihren Kräften unterstützt haben.

Und jetzt haben wir diese Besetzungsbewegung die wieder spontan von unten kommt. Leider hat sich die KKE, die Griechische Kommunistische Partei, dagegen gestellt. Synaspismos, die andere große linke Partei gibt auch keine Richtung vor.

Wir hatten viele Streiks in vielen verschiedenen Bereichen. Wir hatten bis jetzt auch neun Generalstreiks. Und der nächste wurde für den 21. Juni angekündigt. Es gibt eine kontinuierliche Streikbewegung, die Jugendlichen können die Macht der Arbeiterklasse sehen.

Aber gleichzeitig verstehen sie dass diese Art von Streiks nicht reicht um das Problem zu lösen. Mehr ist notwendig. Wir brauchen entschlossenere Streiks die die Regierung lahmlegen und letzten Endes, wie wir es in den Besetzungsversammlungen vorschlagen, die Regierung stürzen könnten.

Obwohl es viel Verwirrung gibt verstehen die Menschen dass das Land von „Dieben und Lügnern“ genannt wird, wie jedeR in Griechenland sie jetzt nennt. Der Slogan „Sie müssen weg“ ist weit verbreitet. Acht von Zehn Leuten auf der Straße werden zustimmen.

Aber das heißt nicht, dass sie verstehen dass organisierter Kampf notwendig ist um die Regierung zu stürzen. Also erklären wir von Xekinima dass die Politik dieser Regierung, die Großkonzerne und Banker vertritt, alles zerstört – keine Übertreibung. Wir sagen dass wir die Regierung stürzen müssen wenn wir wollen dass diese Politik aufhört.

Eine spontane Bewegung wie die, die die Plätze besetzt reicht nicht. Man muss sie gut organisieren, man muss sie mit der Arbeiterklasse verbinden, man muss sie mit den Streiks verknüpfen. Man muss sie mit der Forderung nach dem Sturz der Regierung und der Ablehnung jeder Regierung von „Neue Demokratie“, der traditionellen kapitalistischen Partei, verbinden. Und natürlich stellen wir gleichzeitig auch den Rest unserer politischen Forderungen auf, darunter Nichtbezahlung der Schulden und Verstaatlichung der Banken, denn der einzige Ausweg für die griechischen ArbeiterInnen und Jugendlichen ist mit dem Kapitalismus zu brechen.

Früher haben wir die linken Parteien aufgerufen zusammenzuarbeiten um die Regierung zu stürzen. Das war zu einer Zeit, als die Linke zusammen 25-30 Prozent in den Umfragen bekam und die Idee, dass sie die Macht übernehmen könnte als realistisch gesehen wurde. Jetzt sind nicht nur die Jugendlichen, sondern auch ein großer Teil der Arbeiterklasse sehr unzufrieden mit der Linken.

In den letzten Umfragen sagen 45 Prozent, dass sie wenn es Wahlen gäbe für niemanden stimmen würden. Das ist in Griechenland etwas völlig neues. Der Anteil der Nichtwähler liegt normalerweise bei ca. 20-25 Prozent.

Aber wenn man uns fragt wer die Pasok-Regierung ersetzen würde wenn wir sie stürzen antworten wir dass wir, die Jugendlichen, die ArbeiterInnen, die AktivistInnen die aktuell Herrschenden ersetzen können. Auf der Grundlage dieser Bewegung, auf der Basis der repräsentativen Komitees dieser Bewegung, unterstützt von großen Teilen der Basis der Linken (und sogar einigen Teilen der Führungen) können wir die Grundlage und die Struktur einer neuen Macht bilden die die arbeitenden Massen vertreten und die „Diebe“ im Parlament ersetzen wird. Das kommt gut an.

Nachbemerkung

Das Interview wurde am Freitag, 27. Mai gemacht, zwei Tage nach Beginn der Besetzung. Am Sonntag, den 29. Mai gab es am Syntagma-Platz eine der größten Massenmobilisierungen aller Zeiten. Etwa 50 bis 70.000 Menschen waren gleichzeitig auf dem Platz, Xekinima nimmt an dass im Laufe des Tages insgesamt um die 200.000 Menschen zum Platz gekommen sind!

Das allgemeine Treffen am Freitag, 27. Mai, die dritte in der Folge täglicher Versammlungen, hat fast einstimmig beschlossen sich mit den entstehenden Streikwellen zu vernetzen und alle streikenden ArbeiterInnen auf den Platz einzuladen; dass die Besetzung bis zum Sturz der aktuellen Regierung weitergeht; und dass die Staatsschulden nicht als Schulden der Bevölkerung anerkannt werden.