„Kasachstan 2012“ wird zur „Sozialistischen Bewegung Kasachstans“
von BerichterstatterInnen des CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale)
An der vierten Konferenz von „Kasachstan 2012“ Ende April nahmen fast 200 Delegierte und Interessierte teil, um die Lage nach den sogenannten „Wahlen“ in Kasachstan zu diskutieren. Das Treffen zog die Schlussfolgerung, eine Kampagne für eine neue Massenpartei der ArbeiterInnen mit sozialistischem Programm zu führen. Als ein wichtiger Schritt zur Erreichung dieses Ziels, wurde einstimmig die Entscheidung getroffen, die Bewegung „Kasachstan 2012“ unter dem Namen „Sozialistische Bewegung Kasachstans“ neu zu gründen.
„Kasachstan 2012“ gründete sich im Mai 2009 nach dem Ausbruch einer Reihe von sozialen Kämpfen gegen die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise. Wie in anderen Ländern standen Banken kurz vor dem Zusammenbruch und verlangten enorme Regierungshilfen sowie Teil-Verstaatlichungen. Die Konzerne und die Aasgeier der Banken versuchten allerdings, die „einfachen Leute“ für ihre Fehler zur Kasse zu bitten. Leute, die von der Regierung ermuntert worden waren, Hypotheken aufzunehmen, verloren plötzlich ihre Arbeit, doch die Banken forderten dessen ungeachtet weiter ihre Gelder ein. Baufirmen gingen kaputt und vernichteten somit die von den Menschen für neue Wohnungen einbezahlten Gelder. Viele andere, die Kredite bei den Banken aufgenommen hatten, kamen bei der Rückzahlung in Schwierigkeiten, da Gebühren und Zinsen angehoben wurden.
Einer der Delegierten der Konferenz von „Kasachstan 2012“ lieferte letztes Wochenende ein anschauliches Beispiel für das brutale Vorgehen dieser Banken: Eine Mutter, die einen Kredit aufgenommen hatte, der durch ein Regierungsprogramm abgesichert war, war gestorben und hinterließ mehrere junge Söhne. Doch anstatt Sicherung der Regierung zur Abschreibung des Kredits zu nutzen, wartete die Bank, bis der 16 jährige Sohn das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Dann erklärte man ihn für kredithaftbar, um zu versuchen, das bescheidene Haus als Kompensation an sich zu reißen. Der Sohn war so verzweifelt, dass er sich aufhängte. Er hoffte, dass die Bank seinen 7-jährigen Bruder unbehelligt lassen würde.
Die Beiträge derjenigen, die bei der Konferenz ans Mikrofon traten, machten klar, dass „Kasachstan 2012“ eine zentrale Rolle inmitten der Opposition gegen das herrschende Regime Nasarbajew eingenommen hat. Die Struktur, die sich gegründet hatte, um die sozialen Proteste zu koordinieren, hat die Unterstützung der in letzter Zeit ins Leben gerufenen unabhängigen Gewerkschaften gewonnen. VertreterInnen von ÖlarbeiterInnen, Bergleuten, WissenschaftlerInnen sowie ein Vertreter der neuen Studierendengewerkschaft sprachen der Bewegung ihre Unterstützung aus. Oder, wie es ein Gewerkschafter aus der Hafenstadt Aktau formulierte: „Entweder bemächtigst du dich der Politik oder die Politiker bemächtigen sich deiner“. Der Vertreter der Beschäftigten des Wissenschaftsbereichs verglich Kasachstan mit einem großen Schiff. Er sagte, dass die Bewegung gleichsam wie ein Seitenruder agiere, dass es bald aber klar ist, dass eine Arbeiterpartei nötig wird, um auch die Kommandobrücke zu übernehmen.
Eine aus Zentralkasachstan kommende Vertreterin der Bewegung sagte, dass sie eigentlich gar nicht vorhatte, sich politisch zu engagieren. „Aber die Politik hat mir vor den Kopf gestoßen“.
Fast alle RednerInnen unterstützten die Entscheidung, die Organisation in Richtung einer eindeutig sozialistischen Kraft zu reformieren.
Auch die jüngsten Präsidentschaftswahlen haben gezeigt, dass „Kasachstan 2012“ in der Lage ist, eine politische Rolle zu spielen. Sie war die erste Organisation, die zum Wahlboykott aufgerufen hatte. Alle anderen Parteien stimmten diesem Aufruf im Nachhinein zu oder ignorierten einfach die Wahlen. So unterstützten beispielsweise die „Vereinten Sozialdemokraten“ den Boykott offiziell, taten aber in der Praxis nichts. Am Ende schickten sie ihre Führung sogar zur Teilnahme an der Amtseinführungsfeier eines abermals durch gefälschte Wahlen „gewählten“ Präsidenten.
Enorme Erfolge für „Kasachstan 2012“
Doch „Kasachstan 2012“ ist zu zurückhaltend darin, die eigenen Erfolge in den Vordergrund zu stellen! Ein Kampagneführer für die Rechte derer, die – zu Beginn der Wirtschaftskrise, als die Banken und Baufirmen pleite gingen – für den Bau von Wohnungen eingezahlte Gelder verloren hatten, erklärte, dass die Regierung gezwungen wurde, mehr als 240 Milliarden Tenge (über eine Milliarde Euro) als Anfangszahlung zur Entschädigung der Verluste von 100.000 Menschen bereitzustellen. Außerdem wurden weitere Beträge zugesichert. Die Bauarbeiten werden im ganzen Land nun wieder aufgenommen. Während dies interpretiert werden kann als Teil eines Investitionsprogramms der Regierung, sind in Almaty immer noch Baugebiete zu finden, an denen nicht weitergearbeitet wird. In diesen Baugebieten hatten die EinwohnerInnen es abgelehnt, sich an kämpferischen Aktionen zu beteiligen. Stattdessen zogen sie es vor, sich auf Lobbyarbeit und Hinterzimmerverhandlungen mit den Behörden zu verlassen.
Einer der Konferenzdelegierten, ein führender Kopf der Kampagne „Lasst den Leuten ihre Wohnungen!“ erklärte, dass „Kasachstan 2012“ dies erreicht hatte, nicht weil man zur Regierung gegangen ist und diese um Hilfe bat, sondern weil man damit drohte: „Wenn sie nicht handeln, dann werden sie von der Macht vertrieben“. Zum Versagen der anderen Oppositionsparteien sagte er: „sie sagen, sie sind gegen die momentane Situation, aber niemals sagen sie, wofür sie sind“. Er unterstützte den von der neuen Bewegung gemachten Aufruf zur Vergesellschaftung der Banken- und Baubranche, als Teil eines weiterreichenden sozialistischen Programms.
Ein anderer Delegierter und Gewerkschafter aus der Ölbranche meinte, dass die Führer der Oppositionparteien selbst schon einmal an der Macht gewesen seien und dabei geholfen hatten, dass jetzige System durchzusetzen. Er sagte aber auch: „Wir brauchen neue Führungspersönlichkeiten. Solche, die darauf vorbereitet sind Opfer zu bringen, wenn nötig ins Gefängnis zu gehen: Leute wie Ainur Kurmanov und Esenbeck Ukteschbajew“.
Ein Gewerkschaftsdelegierter drückte seine Unterstützung für die Gründung einer sozialistischen Arbeiterpartei aus. Er bezog sich dabei auf die Lage in Ägypten und sagte, dass es sich dabei um eine Warnung an die Verantwortlichen in Kasachstan handeln würde. Eine Lehrerin aus dem Süden Kasachstans beschrieb, wie sie aus der Schule rausgedrängt wurde, nachdem sie die Korruption angeprangert hatte. Sie wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, was nur deshalb zurückgenommen wurde, weil es zu einer Amnestie durch den Präsidenten vor den Präsidentschaftswahlen kam.
Indem sie die neue Taktik vorschlug, erklärten die Vorsitzenden von „Kasachstan 2012“, dass die Ereignisse in Ägypten und im benachbarten Kirgistan zeigen, dass soziale Explosionen auf der Tagesordnung stehen und die Frage lautet, ob die Linke in der Lage sein wird, eine realistische Alternative zu den offiziellen und den oppositionellen prokapitalistischen Organisationen anzubieten. Da die Kräfte zum Aufbau einer neuen Arbeiterpartei immer noch nicht stark genug sind, muss die Arbeit in gesteigertem Maße darin bestehen, den Boden für eine solche Entwicklung politisch und organisatorisch vorzubereiten. Infolgedessen wurde vorgeschlagen, dass die neue „Sozialistische Bewegung Kasachstans“ (SMK) eine Mitgliederorganisation mit einem ausdrücklich sozialistischen Programm sein solle, die sich das Ziel steckt, soziale und Arbeiterproteste zu koordinieren und unterstützen. Zugleich müsse die Aufgabe darin bestehen, Agitations- und Propagandaarbeit zu leisten, um die an Gewicht hinzugewinnenden oppositionellen Kräfte um ein sozialisitsches Programm herum zu konsolidieren. Diese Vorschläge und der Programmentwurf wurden einstimmig von der Konferenz angenommen.
Das CWI in Kasachstan
Die „Sozialistische Bewegung Kasachstans“ sieht sich selbst als Teil der internationalen sozialistischen Bewegung und wird daher – wie es ihrem Gründungspapier zu entnehmen ist – engst mögliche Verbindungen zum CWI beibehalten. Die Konferenz endete mit dem Singen der Internationale.
Auch wenn natürlich nicht alle Mitglieder der Oppositionsbewegung in Kasachstan mit allen politischen Ansätzen des CWI übereinstimmen, so genießt das CWI dort weithin großes Ansehen und seine Mitglieder in Kasachstan wollen ein klares politisches Profile innerhalb der breiteren Bewegung vertreten.
Welche Aktualität die Gründung der „Sozialistischen Bewegung Kasachstans“ hat, belegen die überall im Land zunehmenden Proteste. Gerade erst letzte Woche kam es zu einem heftigen Zusammenstoß in der Nähe von Almaty zwischen inländischen MigrantInnen (die zum Verlassen ihrer ursprünglichen Wohngebiete auf dem Land gezwungen wurden, weil der Boden privatisiert und Fabriken geschlossen wurden) und Einheiten der Bereitschaftspolizei. Die Polizei versuchte, die Übernahme von Grund und Boden zu verhindern, auf dem die Leute Häuser bauen wollten. Bergleute und ÖlarbeiterInnen, die an der Konferenz teilnahmen, berichteten, dass die Stimmung für Streikaktionen in ihren Gegenden zunimmt. Die Delegierten äußerten sich zuversichtlich, dass die neue Bewegung im Zentrum dieser Ereignisse stehen und in der Läge sein kann, sich in den nächsten Jahren zu einer Massenpartei der ArbeiterInnen zu entwickeln.