Interview mit Leart Kola vom Institut Antonio Gramsci in Tirana
Der Kandidat der „Demokratischen Partei“, Lulzim Basha, sagte speziell zur Kommunalwahl in Tirana: „Die ganze Welt schaut auf Tirana.“ Dies scheint mir doch etwas übertrieben. Viele Menschen auf der Welt haben andere Sorgen. Dennoch haben die bis dato noch nicht ganz ausgezählten Kommunalwahlergebnisse vom 8. Mai eine bestimmte Bedeutung.
Der Kandidat Lulzim Basha hat Blut an seinen Fingern. Er ist als Innenminister direkt verantwortlich für die Morde am 21. Januar in Tirana. Damals protestierten 100.000 Menschen gegen die Regierung Berisha. Die Forderungen richteten sich meist gegen die Armut und die Bereicherung von Wenigen in Albanien. Vor dem Sitz des Ministerpräsidenten wurde Schießbefehl erteilt. Dabei starben vier Menschen. Über 200 wurden verletzt und 120 Personen eingesperrt. Die Kandidatur von Lulzim Basha gegen Edi Rama von der „Sozialistischen Partei“ ist eine absolute Provokation.
Ist die „Sozialistische Partei“ eine Alternative zur Regierung Berisha?
Bedingt ja. Die Massenstimmung in Albanien ist links und rebellisch.In über 70 Prozent des Landes gewann die „Sozialistische Partei“, oftmals zu ihrer eigenen Überraschung, die Kommunalwahlen. Aber bereits vorher positionierte sie sich ziemlich links. Sie forderte einen Stopp des Privatisierungsprozesses in Albanien und vertrat bestimmte elementare Arbeiterforderungen
Warum kommt so etwas zustande. In Deutschland ist die SPD kaum von der CDU/CSU zu unterscheiden. Mit elementaren Arbeiterforderungen hat die SPD schon lange gebrochen. Sie hat auch keine organisatorische Verankerung in der Arbeiterbewegung. Auch in anderen Ländern ist dies feststellbar. Ist das in Albanien anders?
Bedingt ja. Die „Sozialistische Partei“ hat 60.000 Mitglieder. Den meisten ist dadurch der Zugang zu Posten und gesellschaftlicher Anerkennung verbaut, Viele Mitglieder sind Arbeitslose und Arbeiter. Die Führung der SP ist deshalb gegen den Privatisierungsprozess weil die reichsten Leute Albaniens aus dem Berisha Clan stammen. Entweder diese Leute sind Eigentümer oder gut bezahlte Vermittler. Der Berisha-Clan ist die Basis einer angestrebten nationalen Bourgeoisie.
Wie ist die Lage und die Stimmung in Albanien? Besonders interessiert mich Ihre Aussage, dass die Stimmung sehr links ist.
Jeden Tag gibt es in Albanien irgendwo einen Streik. Die Vorhut sind dabei die Bergarbeiter, welche als einzige organisierte Gruppe am 1. Mai in Tirana demonstrierten. Das Problem ist dabei, dass es keine Verbindung zwischen den einzelnen Protesten der Arbeiter gibt. Wir vom Institut Antonio Gramsci arbeiten in verschiedenen Sektoren der Arbeiterschaft und versuchen richtige Gewerkschaften zu entwickeln.
Wie ist die soziale Situation in Albanien?
Rund 40 Prozent der Bevölkerung sind extrem arm. Laut Weltbank leben Sie von weniger als zwei Dollar am Tag. Die Arbeitslosenzahl liegt offiziell bei 30 Prozent. Die Zahl ist allerdings grob gefälscht, die Arbeitslosenzahl ist wesentlich höher.
Wie ist die Lage bei den Beschäftigten?
Es gibt einen gesetzlichen Mindestlohn von 140 Euro. Die Arbeitszeit ist sehr flexibel. Besonders schlimm ist die Lage bei den Arbeitern in ausländischen Betrieben.
Es haben viele italienische Unternehmen in Albanien investiert. Vor allem in der Textilindustrie.
Exakt. Die Lage in diesen Betrieben ist katastrophal. Meist bekommen die Arbeiterinnen nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn. Die italienischen Betriebe haben faktisch den Status der „diplomatischen Immunität“. Es gibt keinerlei Kontrolle. Gewerkschaften werden illegalisiert. Die Firma EUROFISH in Fier bezahlt 70 Euro im Monat. Genau die Hälfte des gesetzlichen Mindestlohnes. Es gibt in dieser Firma keinerlei Arbeitsschutz. Den Arbeiterinnen wird die Haut an den Armen zerstört. Nach einigen Monaten sieht man die nackten Knochen an den Fingern. Es gibt viel Widerstand dagegen, aber oftmals isoliert. Die Regierung hat den Plan, Albanien als billigen Produktionsstandort ausländischen Investoren anzubieten. Dies geht so weit, dass italienischen Atomunternehmen Albanien als Atomstandort angeboten wird. Dagegen gibt es Initiativen in Vlora und Durres.
Bitte sag noch etwas zu den albanischen Kapitalisten und der Korruption.
Rund sechs Prozent der Bevölkerung leben in extremem Reichtum. Wie dieser Reichtum angehäuft wird machen die so genannten Skandale deutlich. Die Firma Taci OIL zahlte 800 Millionen Euro an Mitglieder der Berisha-Familie. Dadurch wurde TACI OIL zum Monopolisten im Ölgeschäft. An den Kandidaten der „Demokratischen Partei“, Lulzim Basha, flossen im Zusammenhang mit der Autostraße Kukes-Tirana rund 120 Millionen Euro. Rechtzeitig zur Kommunalwahl in Tirana wurde das Verfahren ohne Urteil eingestellt. Vor über einem Jahr musste Außenminister Ilir Meta gehen, weil er dabei erwischt wurde im Zusammenhnag mit der Privatisierung der großen Wasserkraftwerke, 200 Millionen Euro angenommen zu haben.
Gibt es eine Basis für eine neue linke Partei in Albanien ?
Ja, die gibt es. Viele Parlamentsabgeordnete der SP sind Geschäftsleute. Am meisten stört sie an der Regierung, dass ihnen weitere Geschäfte vorentalten werden. Es gibt aber auch die radikalisierten Massen, denen die SP jetzt verbal entgegen kommt Dennoch oder gerade deswegen gilt es eine Kraft links von der SP aufzubauen. Die soziale Unzufriedenheit ist sehr groß. Zur Bürgermeisterwahl in Tirana errang die KP Albaniens (Anhänger Enver Hoxhas) tausend Stimmen mehr als bei der letzten Wahl. Für eine neue linke Partei gibt es Chancen.
Was macht ihr Institut Antonio Gramsci zu dieser Frage?
Wir sind noch eine Bewegung. Die Betonung liegt auf noch. Momentan bauen wir viele Zellen in den Betrieben Albaniens zur Reaktivierung der Arbeiterbewegung auf. Daneben betreiben wir eine intensive theoretische Arbeit. Die Frage nach einer Partei kann sich bald stellen.