Dokument Nummer 6 des 10. CWI-Weltkongress im Dezember 2010
Vorbemerkung:
Vom 2. bis zum 9. Dezember 2010 fand im belgischen Nieuwpoort der 10. Weltkongress des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) statt.
120 Delegierte und Gäste aus über 30 Ländern nahmen daran teil. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die anhaltende tiefe Krise des Kapitalismus weltweit und die neue Welle von Massenprotesten, die vor allem mehrere Länder Europas erfasst hat. Die Arbeiterklasse, so die Analyse des Kongresses, hat die Bühne der Geschichte erneut betreten.
Wir veröffentlichen Berichte und die auf dem Kongress beschlossenen Dokumente.
Osteuropa und die GUS-Staaten
Zwanzig verschwendete Jahre
Vor zwanzig Jahren brach der Sowjetblock zusammen. Fast ein Jahrzehnt lang wurde die Region von wirtschaftlichem Niedergang, in vielen Ländern schlimmer als die Depression der dreißiger Jahre, von den entsprechenden Wellen von Kriminalität, Korruption und sozialem Zerfall heimgesucht. Der Zusammenbruch des Rubels 1998 und der Anstieg des Preises für Rohöl aus dem Ural von elf Dollar im Jahr 1998 auf 135 Dollar 2008 bildeten die Grundlage für fast zehn Jahre Wirtschaftswachstum. Durch eine Serie von „Farbrevolutionen“ wurden unpopuläre und undemokratische Regierungen von Massenbewegungen abgesägt. Und dann schlug 2008 die globale Krise zu.
Die gesamte Region wurde von einem niederschmetternden Rückgang des BIP von 5,5 Prozent im Jahr 2009 erfasst (verglichen mit einem Einbruch von vier Prozent in der EU und 2,5 Prozent in den USA). Die drei baltischen Staaten erlitten zweifelsohne die schwersten Rezessionen der EU, wenn nicht sogar der ganzen Welt, mit einem BIP-Einbruch von 13 und 18 Prozent. Das führte zu Arbeitslosenquoten zwischen 13 und 17 Prozent. Die Ukraine und Russland erlebten ebenfalls Einbrüche von 15 respektive acht Prozent. Als Antwort darauf führten die Regierungen umfassende Haushaltskürzungen durch, die so dramatisch waren, dass selbst Experten der Weltbank sagen, weitere Kürzungen im Gesundheits- und Bildungsbereich der baltischen Staaten seien nicht mehr möglich.
Das Erbe der kapitalistischen Restauration
In den späten Achtzigern wurden die Regimes in der Region wie Dominosteine eines nach dem anderen von Massenbewegungen umgeworfen, die sich gegen die erschreckenden Exzesse der herrschenden stalinistischen Bürokratie-Elite richteten. Wären diese Bewegungen mit dem Programm einer politischen Revolution gegen die autoritären Ein-Parteien-Staaten bewaffnet gewesen, hätten die Bedingungen zum Entstehen einer echten demokratisch-sozialistischen Föderation Europas geschaffen werden können. Stattdessen wurden sie in Ermangelung von ArbeiterInnenparteien von denselben herrschenden Eliten im Zusammenspiel mit marktorientierten Kräften übernommen und die kapitalistische Restauration wurde eingeleitet.
Das führte zum wirtschaftlichen Zusammenbruch und, während sich die herrschende Elite in ihrem Zank um die Macht spaltete, zu einem Jahrzehnt brutaler ethnischer Kriege in Tadschikistan, zwischen Armenien und Aserbaidschan, in Georgien, in Russland (Tschetschenien), Moldawien, Bosnien, Kosova, Kroatien und Slowenien, mit 400.000 Toten und fünf Millionen Flüchtlingen. Aber das waren nicht die einzigen Todesfälle. Der britischen Medizinzeitschrift „The Lancet“ zufolge starben mehr als eine Million Männer im arbeitsfähigen Alter in Russland „an den Folgen des wirtschaftlichen Schocks der massiven Privatisierung und Schocktherapie“.
Die zehn Jahre bedeutenden Wirtschaftsaufschwungs, die nach 1998 folgten, waren für die meisten Länder kaum genug, um die Folgen der Neunziger zu überwinden. Das Gesamt-BIP der Region erreichte erst 2005 wieder das Niveau von 1989, wenn auch die Lage im westlichen Teil deutlich besser aussah. 1988 bis 2008 erlebten diejenigen Länder, welche der EU beitraten (Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien) ein BIP-Wachstum von 51 Prozent; die baltischen Staaten, die auch in der EU sind (Lettland, Litauen, Estland), 45 Prozent; und die Nicht-EU-Staaten Mitteleuropas (Albanien, Bosnien, Kroatien, Mazedonien, Montenegro und Serbien) 46 Prozent. Das Gesamt-BIP von Russland, der Ukraine und Weißrusslands legte um 92 Prozent zu, das der kaukasischen Staaten (Armenien, Georgien, Aserbaidschan) um 155 Prozent und das der zentralasiatischen Staaten (Kasachstan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan) um 126 Prozent.
Das schnellste Wirtschaftswachstum wurde von denjenigen Staaten erzielt, die große Mengen an Rohstoffen (Öl, Gas, Rohmetalle) und Gütern (Eisen und Stahl, Weizen, Baumwolle) zu einem Zeitpunkt auf den Weltmarkt exportieren konnten, als die Preise gerade anstiegen. Das bestätigt die Analyse des CWI aus den frühen Neunzigern: Die kapitalistische Restauration in den Gebieten würde zu einer Zerstörung der Industriestandorte führen und die Region zu einem Ausbeutungsstandort für natürliche Ressourcen für die entwickelten kapitalistischen Länder machen. Dadurch wurden die Länder extrem empfindlich gegenüber globalen Preisschwankungen.
Das Wachstum der restlichen Staaten basierte auf einem erhöhten Handelsaufkommen von Ost nach West in Form von Energie- und Güterexporten, und von West nach Ost, in Form des Ankaufs fertiger Güter – ermöglicht durch das erhöhte Einkommen, das aufgrund des Güterverkaufs in die andere Richtung entstand. Zeitweise hatte das spektakuläre Konsequenzen: Während des „Gaskriegs“ drohte Russland damit, die Gaslieferung durch die Ukraine und Weißrussland abzustellen oder stellte sie tatsächlich ab. Dadurch wurde Westeuropa um 25 Prozent seines Gasbedarfs gebracht, bis neue Preise für die Lieferung ausgehandelt wurden. In den Grenzstaaten zu reicheren westeuropäischen Ländern spielte auch die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte eine gewisse Rolle.
In Zentralasien sind einige der ärmsten Länder der Welt zu finden. Etwa 25 Prozent der Bevölkerung in der Region lebt von weniger als 1,25 Dollar am Tag, 55 Prozent von weniger als zwei Dollar am Tag. Das BIP pro Kopf in Kasachstan liegt mindestens fünffach unter EU-Durchschnitt – in Tadschikistan und Kirgistan mindestens zwanzigfach! Mit Ausnahme von Kasachstan schaffen sie es, ein bescheidenes Wachstum während der Krise zu bewahren (offiziellen Statistiken und CIA-Zahlen zufolge). Das lag nicht an besonderen Maßnahmen ihrer Regierungen, sondern daran, dass sie kaum in die Weltpolitik eingebunden sind. Dort, wo globale Effekte tatsächlich Auswirkungen auf diese Länder hatten, waren sie in der Krise paradoxerweise positiv. Im Fall von Turkmenistan (soweit man den Statistiken trauen kann, da sie als Staatsgeheimnis behandelt werden), wurden Öl- und Gaspipelines nach Iran und China 2009 in Betrieb genommen. Das hat geholfen, das Wachstum aufrecht zu erhalten. Trotzdem sind bis zu 60 Prozent der Bevölkerung arbeitslos.
Die „Orangene Revolution“ ist durchgerostet
Die treibende Kraft hinter den „Farben-Revolutionen“ war die große Unzufriedenheit der Massen, die frustriert waren von den schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, Korruption, den Mangel an Freiheit und zuletzt auch von den dreisten Versuchen von Wahlmanipulation. Tragischerweise gab es keine linken Massenorganisationen, die eine Alternative für die Arbeiterklasse aufgeworfen hätten.
Einige auf der Linken vertreten die Position, westliche Kräfte hätten diese Revolutionen angeheizt, indem sie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und regimekritische politische Bewegungen etablierten. Zweifellos versuchten die Kapitalisten, das Programm festzulegen und ihre eigenen Agenten in die Bewegungen fest zu integrieren. Aber diese Ereignisse traten explosionsartig auf, weil es die objektive Situation verlangte und die Massen nicht länger dazu bereit waren, die Verbrechen der Elite zu dulden. In Ermangelung einer linken Alternative wurde die Energie der Bewegung von einem Teil der bürgerlichen herrschenden Elite umgelenkt.
Nachdem sie die Massen als Sprungbrett an die Macht genutzt hatten, kehrten die Bürgerlichen ihnen den Rücken zu. Daher herrscht in diesen Ländern eine weit verbreitete Unzufriedenheit. Das politische Leben Serbiens ist polarisiert zwischen radikalen serbischen Nationalisten und pro-europäischen Liberalen, die Massen bleiben ohne eigene Stimme zurück.
Nach dem Kollaps der ukrainischen Wirtschaft 2009 trat Yanukovich, der 2005 in der „orangefarbenen Revolution“ gestürzt wurde, 2010 erneut an die Macht. Er begann sofort damit, die Zeit zurück zu drehen und eine autoritärere Richtung einzuschlagen. Schätzungen zufolge wollen bis zu 80 Prozent der Bevölkerung den georgischen Präsidenten Sakashvilli loswerden, dem sie die Schuld am Krieg mit Russland im Jahr 2008 geben. Die im Frühjahr 2009 von der Opposition organisierten Proteste konnten Sakashvilli nicht stürzen, weil sie keine politische Lösung für das Elend der Massen boten. In Kirgistan fegte ein weiterer revolutionärer Protest Bakiyev aus dem Amt, der als Sieger aus der früheren „Tulpenrevolution“ hervorgegangen war.
Vom Wachstumsjahrzehnt zum Krisenjahrzehnt
Als die globale Krise einschlug, erlitten Rumänien, Ungarn, Tschechien, Russland und die Ukraine, in denen 60 Prozent der Bevölkerung der Region leben, vernichtende Abschwünge. Um die Auswirkungen der Krise zurückzuhalten, führten die Regierungen daraufhin eine ganze Reihe von Kürzungsmaßnahmen durch, wie wir sie bereits auf globaler Ebene gesehen haben. In Kasachstan, Russland, der Ukraine und Lettland wurden Banken verstaatlicht. Riesige Konjunkturpakete wurden verabschiedet (15 Prozent des BIP in Kasachstan), oft von größerem Ausmaß als in den USA (sieben Prozent des BIP). Es kam zu massiven Abwertungen der Landeswährungen in einer Reihe von Ländern (der ukrainische Hryvnia, der russische Rubel und der polnische Zloty wurden um jeweils 40 Prozent abgewertet). Zehn Länder fragten Hilfe beim IWF in Form von Bereitstellungskrediten an. Weitere Finanzinstitutionen gaben ebenfalls hohe Darlehen.
Anders als im Rest Europas wuchs Polens Wirtschaft tatsächlich um 1,7 Prozent im Jahr 2009 dank der Kombination einer Reihe von Faktoren. Erstens machte die Abwertung 2008 die Exporte billiger. Zweitens liegt das Land günstigerweise an der deutschen Grenze mit niedrigen Arbeitskosten und einer hochqualifizierten Arbeiterschaft. Das deutsche Konjunkturpaket und nun die Erholung in Deutschland, die vom chinesischen Wachstum abhängt, schuf eine Nachfrage nach polnischen Konsumgütern. Drittens verlagerten ausländische Unternehmen in der Krise weiterhin ihre Produktion vom Westen nach Polen, um Kosten zu senken. Ein Beispiel ist Dell, einst Irlands größter Exporteur mit einem Anteil von fünf Prozent am irischen BIP, der seine Fabrik in Limerick schloss und seine Produktion in ein neues Werk in Polen verlegte. Schließlich hat Polen im Zusammenhang mit der kommenden Fußballeuropameisterschaft „Euro 2012” groß angelegte Infrastrukturinvestitionen begonnen, zum Teil unterstützt von der EU. Als Ergebnis wird die Gesamtsumme, die zwischen 2007 und 2013 von der EU nach Polen gepumpt wird, 67 Milliarden Euro erreichen. Es wird geschätzt, dass das polnische BIP ohne die „Euro 2012” im Jahr 2009 um circa ein Prozent gefallen wäre.
Polens Wirtschaft ist jedoch enorm fragil. Die Staatsverschuldung gerät außer Kontrolle und das Haushaltsdefizit liegt jetzt bei über sieben Prozent. Nur einige große Privatisierungen letztes Jahr vermieden ein finanzielles Desaster für den polnischen Staat. Ungeachtet der Entwicklungen in der Weltwirtschaft wird die polnische Regierung früher oder später gezwungen sein, grausame Kürzungsprogramme und weitere Privatisierungen essenzieller Bereiche des öffentlichen Dienstes durchzuführen. Die regierende „Bürgerplattform“, welche derzeit bei 50 Prozent in den Meinungsumfragen steht, hofft dies bis nach den Parlamentswahlen nächstes Jahr hinausschieben zu können aus Angst, solch eine Politik könnte massive soziale Proteste auslösen und ihre Unterstützung untergraben.
Regierungen in der Krise
Die Regierungen in der Region, jedenfalls diejenigen der Länder ohne Öl- oder Gasvorkommen, haben weniger Handlungsspielraum als ihre europäischen Gegenspieler. Sie haben wenig Geld für Konjunkturpakete und Kürzungsmaßnahmen und sind extrem unpopulär. Die massive Korruption und die Betrugsskandale heizen den Hass weiter an. Meinungsumfragen zeigen, dass 79 Prozent der rumänischen und der litauischen, 77 Prozent der bulgarischen und 76 Prozent der lettischen und ungarischen Bevölkerung mit der Funktionsweise ihrer „demokratischen“ Systeme unzufrieden sind. In kaum einem Land kam es in dieser Periode nicht zu einem Regierungswechsel oder einer tiefen Krise.
Die Regierung von Lettland ist zurückgetreten und in Tschechien, Serbien, der Slowakei und Ungarn wurden die herrschenden Parteien durch Wahlen rausgeworfen. Die herrschende Koalition in Rumänien ist zusammengebrochen. Über die Ergebnisse der albanischen Parlamentswahl 2009 wird weiterhin gestritten. Die Wahlergebnisse in Bosnien bestätigen, dass es zu einer Herausbildung ethnischer Blocks kommt. Drei Wahlen in zwei Jahren konnten in Moldawien keine Lösung für die Patt-Situation in der Regierungsbildung bringen.
Die hervorstechende Eigenschaft ist aber, wie in den meisten Regionen der Welt, ein Mangel an unabhängigen Parteien, die die Interessen der Arbeiterklasse vertreten würden. In der gesamten Region gibt es „Kommunistische“ Parteien (unter einer Vielzahl von Namen). Im besten Fall schlagen sie eine schwache Form des Keynesianismus vor, im schlimmsten Fall agieren sie als „Verbindungsmann“ für die Interessen des russischen Staats. Letztere teilen die neoliberale politische Agenda ihrer westeuropäischen Entsprechungen, ihnen fehlt eine Geschichte als ArbeiterInnenparteien. Sie handeln in den meisten Fällen als Lobby für die Interessen bestimmter Teile der herrschenden Eliten. Typische Beispiele sind die Ukrainische Vereinte Sozialdemokratische Partei des Oligarchen Viktor Medvedchuk oder der ehemalige moldawische Präsident, der „kommunistische Voronin“, der bei der Privatisierung des Landes selbiges auch wieder an Moskau ausgerichtet hat.
Solange es keine Partei gibt, die bereit ist, die Existenz des Kapitalismus anzugreifen, enden die neuen Regierungen alle darin, der kapitalistischen Logik zu folgen. In Lettland wurde im Februar 2009 die Regierung Godmanis´ aufgelöst und durch das Kabinett von Valdis Dombrovskii ersetzt. Die meisten der rechtskonservativen Minister sind weiterhin im Amt und führen dieselben Kürzungen durch wie zuvor. Seitdem kam es zu vier weiteren Massenprotesten in Lettland. Nach dem Sturz Bakiyevs durch eine revolutionäre Bewegung besteht die neue kirgisische Regierung aus Ministern der beiden vorhergehenden Regierungen. Die neue Präsidentin, Rosa Otunbayeva, hat es geschafft, nicht nur unter Bakiyev und Akayev zu dienen, sondern sogar zu Sowjetzeiten!
Der Aufstieg des Rechtsradikalismus
In vielen Ländern konnten die Rechten große Gewinne verzeichnen. In Ungarn gewann die rechtspopulistische, autoritäre und chauvinistische „Fidesz“–Partei die Parlamentswahlen 2009 mit einer Mehrheit der Sitze, während 16 Prozent für die Jobbik-Partei stimmten. Ungarn war das erste EU-Mitglied, welches 2008 Hilfe vom IWF bekam. Die damalige Regierung, geführt von der „Sozialistischen Partei” (die sich aus der ehemals im Stalinismus herrschenden „Kommunistischen“ Partei entwickelte und sich jetzt als sozialdemokratisch bezeichnet) akzeptierte die Bedingungen des IWF voll und ganz für ein Darlehen von 18 Milliarden Dollar. Die Arbeiterregionen in Ungarn litten am schwersten unter den Kürzungen, aber es war die extreme Rechte, die vor dem Hintergrund einer fehlenden linken Opposition von der ablehnenden Stimmung profitieren konnte. Die Verantwortung für diese Gelegenheit für Jobbik liegt in erster Linie bei der „Sozialistischen“ Partei und Fidesz. Erstere hatte nicht nur Kürzungen durchgeführt, sondern dann auch Jobbik mit dem Hintergedanken toleriert, diese würden die Unterstützung für Fidesz untergraben. Letztere vertreten einiges aus Jobbiks Programm und auf lokaler Eben sind sie bereit, Bündnisse mit Jobbik einzugehen, mit dem Argument, die Verantwortung würde diese mäßigen.
Jobbiks faschistische Elemente zeigen sich in ihrem extremen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Propaganda gegen Roma, Juden, die „internationale Bankenverschwörung“ und den IWF. Sie hat einen bewaffneten Flügel, die faschistische „Ungarische Garde“. Zurzeit lenken solche Gruppen vor allem die Aufmerksamkeit der Massen ab, in dem sie gesellschaftlichen Minderheiten die Schuld für die schrecklichen Bedingungen unter dem Kapitalismus zuschieben – in Ungarn den Roma, in der Slowakei den Ungarn, in Bulgarien den Türken -, eher als das Kleinbürgertums gegen die Arbeiterbewegung zu mobilisieren, wie es die Faschisten in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts taten. Nichtsdestotrotz stellen sie eine ernsthafte Bedrohung für die Arbeiterbewegung dar, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Jobbik im Falle eines Zusammenbruchs der Unterstützung für Fidesz infolge von Haushaltskürzungen oder des IWF-Programms gut von der Unzufriedenheit profitieren könnte – falls es keine Alternative seitens der Arbeiterklasse gibt.
Während die Regierung in Russland extreme faschistische Gruppen für illegal erklärt und sich über Aufmärsche ehemaliger SS-Soldaten in den baltischen Staaten beschwert, toleriert sie große faschistische Aufmärsche in Moskau. Jeden Monat werden mehrere AntifaschistInnen und MigrantInnen umgebracht und die Polizei bringt die Täter nie vor Gericht. Zusätzlich heuern große Firmen und auch das russische Regime zunehmend Schlägertrupps gegen GegnerInnen an. Die Angriffswelle auf AktivistInnen und JournalistInnen im November soll als Warnung dienen, sich nicht aus dem Fenster zu lehnen.
Es reicht nicht aus, einen moralischen Standpunkt gegen Rechtsextremismus einzunehmen. Es ist sogar noch schlimmer, politische Slogans im Interesse einer „Einheit“ mit prokapitalistischen Kräften gegen die Faschisten aufzugeben, wie das viele AntifaschistInnen tun. Die extreme Rechte gewinnt gerade wegen der wirtschaftlichen Bedingungen im Kapitalismus und weil es keine Massen-ArbeiterInnenpartei auf der Linken als Alternative gibt, an Unterstützung. Nur ein organisierter Widerstand der ArbeiterInnenbewegung gegen die Kürzungen in diesen Ländern und eine klar definierte Alternative auf Basis von Klassenbewusstsein kann an der Unterstützung für die Faschisten untergraben.
Politische Unruhe – ein Vorbote künftiger Ereignisse
Es gibt einige spektakuläre Anzeichen dafür, dass es zu einer breiteren sozialen Explosion in der Region kommt. Es wird geschätzt, dass bis zu 75 Prozent der Bevölkerung Bulgariens unzufrieden mit ihrem Leben im ärmsten und korruptesten Land der EU sind. Das fand Ausdruck in einem Aufstand im Januar 2009, als ein Protest gegen die Regierung gewalttätige Züge annahm und Jugendliche die Polizei mit Schneebällen bewarfen. (Schneebälle wurden auch in Lettlands Hauptstadt Riga geworfen, allerdings wurden sie dort begleitet von Pflastersteinen und einem gelegentlichen Molotow-Cocktail). Innerhalb eines Monats war das Land gezwungen, einen Rettungskredit in Höhe von 7,5 Milliarden Euro vom IWF anzunehmen und die zweitgrößte Bank des Landes „Parex“ zu verstaatlichen. Bis Ende Februar war der Premierminister Ivars Godmaris zurückgetreten und eine neue Regierung gebildet. Im April 2009 nutzten Jugendliche in Moldawien Twitter, um Massenproteste gegen das Wahlergebnis zu organisieren.
Revolution und Konterrevolution in Kirgistan
Weder Twitter noch Schneebälle waren angemessene Protestmittel in Kirgistan, als die Regierung Dutzende Demonstrierende im April 2010 erschoss. Die Massen reagierten mit einem bewaffneten Aufstand, der die Regierung stürzte. Dieses bemerkenswerte Ereignis ist eine Warnung an die Herrschenden: Die Bevölkerung wird nur bis zu einem gewissen Punkt bereit sein, einzustecken. Dann wird sie auf die Straße gehen. Aber die blutigen Ereignisse im Juli, als im Süden des Landes ein ethnischer Krieg ausbrach, sind eine wichtige Erinnerung daran, was in einem verarmten Land passiert, wenn die Arbeiterklasse den Massen keine Führung anbietet.
Der Aufstand wurde von einer Verdopplung der Strompreise und einem Anstieg der Heizkosten um das Fünf- bis Zehnfache ausgelöst – in einem Land, das tief in der Armut steckt und in dem der Durchschnittslohn bei 30-50 Dollar monatlich liegt. In Ermangelung einer revolutionären Organisation konnte sich die bürgerliche Opposition an die Spitze der Bewegung setzen. Ihre Priorität war, „die Ordnung wieder herzustellen“. Macht und Ressourcen des Landes lagen nach wie vor in den Händen verschiedener Teile der herrschenden Elite. Damit war es praktisch unausweichlich, dass einer dieser Teile versuchen würde, ethnische Konflikte zum Vorantreiben der eigenen Interessen zu nutzen. Die einzige Lösung, welche die neue Regierung anzubieten hatte, um die schrecklichen Schlachten in Osch mit hunderten von Toten zu beenden, war, entweder die russische Armee oder die OSZE (was in diesem Fall kasachische Truppen bedeutet hätte), als Friedenswächter ins Land zu holen. Wäre das passiert, wären sie zwangsläufig als Besatzungsmacht da geblieben.
Es gibt dringenden Bedarf, die natürlichen Ressourcen des Landes zum Nutzen Aller zu übernehmen und Arbeiterorganisationen aufzubauen, die ArbeiterInnen und Jugendliche aller Nationalitäten vereinigen. Die Lehre aus der kirgisischen Revolution ist, dass die revolutionäre Energie der Massen (die im April gezeigt wurde), so lange von verschiedenen Teilen der kapitalistischen Klasse für ihre Interessen ausgenutzt wird, bis die ArbeiterInnen und Armen sich organisieren und mit einem sozialistischen Programm bewaffnen.
Die Arbeiterbewegung regt sich
Erste Anzeichen eines Erwachens der Arbeiterbewegung in der Region sind deutlich zu sehen. In Ungarn gab es einen erfolgreichen Streik im Verkehrswesen. In verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes in Rumänien kam es 2010 zu Streiks und Demonstrationen. Die kroatischen Gewerkschaften drohen mit Generalstreik gegen neue Arbeitsgesetze und als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der ökonomischen Situation. Im September demonstrierten in Prag 40.000 KrankenpflegerInnen, PolizistInnen sowie Schul- und Verwaltungsbeschäftigte gegen einen Lohnkürzungsplan im Öffentlichen Dienst. In Slowenien streikte über die Hälfte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegen den Versuch der Regierung, das Rentenalter von 58 Jahren (beziehungsweise 57 Jahre für Frauen) auf 65 für alle anzuheben und die Löhne bis Ende 2011 einzufrieren. Gleichzeitig gab es einen einmonatigen Streik von 6.000 Mitgliedern der Polizeigewerkschaft. Im Oktober organisierten die Gewerkschaften in der Slowakei Proteste gegen ein Kürzungspaket. In Polen demonstrierten in Warschau 3.000 Eisenbahnbeschäftigte gegen Privatisierung und den weiteren Abbau der Eisenbahn und warnten vor ihren nächsten Aktionen, einem landesweiter Streik unter der Beteiligung von ArbeiterInnen aller Eisenbahngesellschaften sein würde.
ArbeiterInnen in Osteuropa haben kaum eine andere Möglichkeit, als Widerstand gegen die Kürzungen zu leisten. Das Ausmaß ist drakonisch: ArbeiterInnen in Rumänien sind von zehnprozentigen Lohnkürzungen bedroht. In Lettland werden Lohnkürzungen von bis zu 30 Prozent von weit verbreiteten Schul- und Krankenhausschließungen begleitet. Im August wurde in der „Schlacht für Bauska“ die nationale Polizei dazu eingesetzt, einen Protest gegen eine Krankenhausschließung zu brechen, weil die örtliche Polizei selbst daran beteiligt war.
Nach der „Schocktherapie“ der Neunziger standen die ArbeiterInnen praktische ohne soziales Netz da. In einer Reihe von Ländern nutzen Arbeitgeber die Krise für Angriffe auf die wenigen Rechte, die ArbeiterInnen überhaupt noch haben. In Russland schlug der Arbeitgeberverband ein neues Arbeitsgesetz vor, dass eine 60-Stunden-Woche legalisieren soll.
Pipelines, Raketen und der Luftraum
Die Region ist durchsetzt von „geopolitischen“ Widersprüchen, die allesamt ungelöst bleiben solange die einzelnen imperialistischen Mächte (die USA, die EU und ihre Einzelländer, Russland, China und einigen Regionen die Türkei, Iran und Japan) ihre Interessen vorantreiben
Die Kontrolle über die Öl- und Gasreserven wird von allen Seiten als Druckmittel in den Verhandlungen verwendet. Russland verfügt über die größten natürlichen Gas- und die zweitgrößten Ölvorkommen; Kasachstan, Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan besitzen bedeutende Mengen. Russland stellt 30 Prozent des Rohölbedarfs der EU, 22 Prozent der Steinkohle und 30 Prozent des Erdgases. Das führt zu Konflikten um die Kontrolle der Energie-Transitrouten. Die EU will, unterstützt von den USA, eine weitere Verteilung der Energieversorgung („Diversifikation“) und damit weg von Russland. Sie steht für das Nabucco-Projekt ein, das Gas von Zentralasien durch die Türkei, vorbei an Russland, nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn und schließlich Österreich leiten soll. Russland, das auch ein Interesse an der Verteilung der Transitrouten hat, weil es dann die Transfergebühren für Weißrussland und die Ukraine bestimmen kann, schlägt das „Südstromprojekt“ vor. Die Route soll dabei von Russland aus unter dem Schwarzen Meer durch direkt nach Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich führen. Ergänzend schlägt Russland ein „Nordstromprojekt“ vor, das unter der Ostsee, vorbei an Polen, direkt nach Deutschland liefern soll.
Die politischen Zusammenstöße zwischen Russland und der Ukraine und zunehmend auch zwischen Russland und Weißrussland spiegeln sich in großem Ausmaß in den Positionen politischer Parteien in Südosteuropa wider. Obwohl Rumänien sich fest im Pro-EU- und –US-Lager positioniert hat, versucht Russland, es auf die eigene Seite zu ziehen, indem es anbietet, einen Teil der Route im Südstromprojekt durch das Land zu führen. Russland versucht auch, Bulgarien zu zu zwingen im eigenen, pro-russischen Lager zu bleiben.
Die Pläne der Bush-Administration, Raketen für die EU-US-Verteidigungsinitiative in Polen und Tschechien zu positionieren wurden auf Eis gelegt, wenn auch eine Abschussbasis in Polen nahe der russischen Grenze installiert wurde. Das Argument, dies seien die besten Orte um die USA gegen Raketenangriffe aus dem Iran zu verteidigen, ist nie glaubwürdig gewesen. Jetzt konkurrieren Rumänien und Bulgarien darum, Basen für den Raketenschirm stellen zu dürfen. Dem Konflikt liegen schlichte wirtschaftliche Interessen zu Grunde, einschließlich der Tatsache, dass die Hauptvertragspartner für den Bau iranischer Atomreaktoren russische Konzerne sind.
Die imperialistischen Mächte lassen zynisch ihre Masken als Verfechter der vermeintlichen Heiligtümer Demokratie und Menschenrechte fallen, wenn ihre wirtschaftlichen und militärischen Interessen auf dem Spiel stehen. Sie unterstützten und ermutigten die bürgerliche Opposition gegen die kasachische und aserbaidschanische Regierung so lange, bis sie den Forderungen ihrer Ölkonzerne nachgaben. In Kasachstan ist einer breiten Schicht ins Bewusstsein getreten, dass „die Demokratie für Öl und Gas verkauft wurde“. Auch der Luftraum ist eine Art weitere „natürliche Ressource“, die von den imperialistischen Mächten ausgebeutet wird. Dafür mildern sie ihre ohnehin schwache Kritik gegenüber den autoritären Regimes von Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan noch weiter, solange ihre Luftstreitkraft den Luftraum auf dem Weg nach Afghanistan passieren kann. Russland handelt in gleicher Weise, indem es seine Energieressourcen als Druckmittel gegen die Nachbarstaaten nutzt.
China
Die zunehmende Macht Chinas, insbesondere in einer Zeit großer Probleme für die westlichen imperialistischen Mächte, schafft eine weitere Konfliktquelle in der Region. Hungrig nach neuen Energieressourcen baut China Pipelines von Turkmenistan nach Xinjiang. Es schloss sogar einen Deal mit Nasarbajev, mit Hilfe dessen Millionen Hektar Ackerfläche an chinesische Bauern verpachtet werden. Aus Sicht der autoritären Herrschenden in der Region wird China nicht nur als um einiges weniger um demokratische und Menschenrechte besorgt, sondern auch als weniger räuberisch als die westlichen multinationalen Konzerne betrachtet. China ist bereit, Pipelines zu bauen und außerdem in die lokale Wirtschaft zu investieren. In Turkmenistan wurden seit 2000 fast 40 Fabriken durch chinesisches Kapital gebaut. ArbeiterInnen in diesen Regionen müssen jedoch erkennen, dass chinesische Manager auch chinesische Arbeitsbedingungen durchsetzen. Diese Entwicklung heizt zwar die Unterstützung für die Forderung nach Verstaatlichung dort an, wo die Gewerkschaften eine klare Führung vorgeben. Mangelt es aber an letzterer, kann sie auch zu anti-chinesischen Pogromen führen, wie jüngst in Nord-Kasachstan.
Stärkung des Autoritarismus
Bei zunehmender Desillusionierung der Massen gegenüber ihren Regierungen sahen die Herrschenden Bedarf, in eine autoritärere Richtung zu gehen – selbst in den Ländern, die bis vor Kurzem große Anteile bürgerlicher Demokratie bewahrten. In Rumänien handelt Präsident Basescu in klassisch bonapartistischer Manier, indem er sich selbst als Held der Bevölkerung gegen „die korrupte politische Elite“, „das Parlament“, „Medienmogule“ und „zweifelhafte Privatisierungen“ gibt. Während der Präsidentschaftswahl 2009 schlug er ein Referendum zur Verkleinerung des Parlaments um ein Drittel und zur Abschaffung der zweiten Parlamentskammer vor. Im benachbarten Ungarn führt die Fidesz-Regierung „Reformen“ durch, die oppositionellen Parteien den Wahlantritt erschweren und heftig in die Pressefreiheit eingreifen. Yanukovich, zurück an der Macht in der Ukraine, macht mit dem Ziel der Etablierung einer „Machtvertikalen“ nach Putins Vorbild die Stärkung des Parlaments rückgängig, die nach den Ereignissen 2005 durchgesetzt wurde.
Ethnische Konflikte und Krieg
Die Erfahrungen im Balkan, im Kaukasus und in Zentralasien zeigen, dass keine Art von „Friedenstruppen“ oder „Maßnahmen zum Vertrauensaufbau“ eine langfristige Lösung für ethnische und nationale Konflikte bieten können, solange die diesen zugrunde liegenden Probleme nicht gelöst sind. Es gibt eine Reihe Gefahrenzonen, in denen in der nächsten Zeit „heiße Kriege“ ausbrechen können, wie der Südossetien-Konflikt zwischen Russland und Georgien und die ethnischen Pogrome in und um Osch in Kirgistan zeigen.
Die Anerkennung von Kosova durch die westlichen Mächte verärgerte die Regierung Serbiens und die serbische Minderheit in Kosova. Im benachbarten Bosnien führte das Ergebnis der Parlamentswahl im Oktober zu einem politischen Stillstand, als die Muslime eine Partei unterstützten, die sich für ein vereintes Bosnien ausspricht, die SerbInnen sich hinter die Nationalisten stellten, die eine Aufspaltung des Landes fordern, und die KroatInnen für Parteien stimmten, die für ihre Unabhängigkeit innerhalb Bosniens einstehen.
Noch beunruhigender ist die Situation in Bergkarabach, Schauplatz des blutigen Kriegs zwischen Armenien und Aserbaidschan in den Jahren 1992-1994. Reuters warnt vor einem „sich abzeichnenden Krieg im Kaukasus“ in der Folge groß angelegter Militärübungen durch armenische Streitkräfte in der Nähe von aserbaidschanischen Armeestellungen. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev reagierte mit der Drohung, die „mächtige militärische Leistungsfähigkeit“ des Landes „zur Befreiung seiner besetzten Gebiete“ zu nutzen. Die Anzahl der Übertretungen der Waffenruhe, die 1994 vereinbart wurde, wächst dramatisch an und liegt mittlerweile bei über 150 im Monat.
Der Konflikt zwischen Moldawien und der Region Transnistrien heizt sich ebenfalls auf. Nach drei ergebnislosen Parlamentswahlen und der „Twitter-Revolution“ trat der „kommunistische“ Präsident Voronin zurück und Mihai Gimphu, Anführer einer pro-EU-Partei, wurde als geschäftsführender Präsident gewählt. Er meinte, es gäbe „keinen Unterschied“ zwischen MoldawInnen und RumänInnen – eine Frage, welcher der erste Transnistrien-Konflikt entbrannte – und verlangte, dass russische Truppen sich aus der Region zurückziehen.
Dem letzten russischen Minister für Nationalitäten zufolge gibt es in der Region der früheren Sowjetunion über 180 potenzielle Konflikte. Die anhaltenden Spannungen zwischen Georgien und Russland, der Streit um den Status der Krim in der Ukraine, die Ausbreitung des Tschetschenien-Konflikts in die benachbarten kaukasischen Republiken und die Ereignisse in Osch zeigen, dass es nahezu unausweichlich zu neuen Explosionen ethnischer Konflikte kommen wird.
In einer solchen Situation ist es entscheidend, nicht in chauvinistische Stimmungen zu verfallen. Die Position vieler linker Organisationen, die USA seien die wichtigste imperialistische Kraft auf der Welt und die Arbeiterklasse sollte sich daher mit jeder Kraft verbünden, die Widerstand gegen die USA leistet, führt sie in die falsche Position, den russischen Imperialismus in der Region zu unterstützen. Es ist notwendig, gegen die Unterstützung jedweder imperialistischen Mächte in der Region und für die Einheit der ArbeiterInnen und der Armen gegen die Warlords zu argumentieren, für ein Ende des kapitalistischen Systems, das Menschen entlang ethnischer Linien spaltet.
Russland – das „Tandem“ geht getrennte Wege
Nachdem sie anfangs fälschlicherweise annahm, der Krise aus dem Weg gehen zu können, stellt die russische herrschende Elite nun fest, dass die Wirtschaft schwankt wie ein Boxer nach dem K.O.- Schlag. 2009 brach sie um acht Prozent ein. Die Putin-Regierung reagierte mit einer Abwertung des Rubels um 38 Prozent, der Rettung einiger wichtiger Banken und der Einführung eines Konjunkturpakets in Höhe von 500 Milliarden Dollar (sieben Prozent des BIP).
Die autoritäre Natur des Regimes eröffnet Möglichkeiten, Methoden anzuwenden, die den Kapitalisten anderer Länder nicht zur Verfügung stehen. Lokale Regierungen wurden angewiesen, Arbeitsplatzverluste „zu vermeiden“ – statt Kurzarbeit oder vorläufiger Entlassungen erlebten viele ArbeiterInnen, dass ihre Arbeitswoche auf einen Tag reduziert wurde, um sie aus der Arbeitslosenstatistik rauszuhalten. Bis zu sechs Millionen migrantische ArbeiterInnen wurden nach Hause geschickt. Als ArbeiterInnen dagegen protestierten, griff Putin ein und wies lokale Manager dazu an, die Probleme „zu lösen“.
In der russischen Wirtschaft zeigen die Zahlen einen leichten Aufschwung im ersten Halbjahr 2010, aber eine weitere Schwächung im dritten Quartal. Gegenwärtige Schätzungen gehen davon aus, dass das Ziel von vier Prozent Wachstum, das sich die Regierung gesetzt hat, nicht erreicht werden wird. Die meisten Analysten sind sich darin einig, dass eine Rückkehr zum geradezu fiebrigen Wachstum vor der Krise unwahrscheinlich ist.
Das russische Regime hat Probleme angesammelt, die es nicht länger lösen kann. Selbst im Vergleich zu den anderen GUS-Staaten ist die Schere zwischen Arm und reich extrem. Die oberen zehn Prozent der Bevölkerung sind 17 Mal reicher als die untersten zehn Prozent. Es gibt jetzt doppelt so viele Bürokraten pro Kopf wie in der Endzeit der Sowjetunion. Die Höhe der durchschnittlichen Schmiergeldzahlung ist im letzten Jahr um 50 Prozent angestiegen. Das Staatseinkommen ist im Zeitraum 2009-2010 um 25 Prozent gesunken und es gibt riesige Kürzungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales.
Die Hitzewelle und die weitreichenden Waldbrände im Sommer haben alles offenbart, was in Russland gerade falsch läuft, und die lange zeit verborgen gebliebenen Spaltungen innerhalb der Herrschenden für alle offen sichtbar gemacht. Die Absetzung des Moskauer Bürgermeisters Luschkow hat wie eine geöffnete Büchse der Pandora ein riesiges Ausmaß an Korruption und Vetternwirtschaft freigesetzt.
Durch die anstehenden Parlamentswahlen 2011 und die Präsidentschaftswahl 2012 hat das Regime zunehmend Schwierigkeiten, die Spaltungen im eigenen Lager zu verbergen. Befürworter des „Konservativismus“, der eine Fortführung zunehmend als gescheitert betrachteter Politik darstellt, reihen sich hinter Putin ein. Die „Modernisierer“, die sogar noch mehr Neoliberalismus fordern, unterstützen derweil Medwedew. Obwohl die Konturen dieses Konflikts sich zunehmend abzeichnen, bleibt es unmöglich, genau vorherzusagen, wie und wie weit er sich entfalten wird.
Entgegen seines Rufs, „liberaler“ zu sein als Putin, wurden in der Amtszeit Medwedews seit 2008 zwanzig JournalistInnen ermordet oder sind „unter mysteriösen Umständen“ gestorben. Ein bedeutender Teil von ihnen starb im Nordkaukasus. Das bestätigt sowohl die Tatsache, dass der Tschetschenien-Konflikt nicht gelöst wurde, als auch die gewalttätigen Methoden, die das Regime zur Unterdrückung Oppositioneller anwendet. Es kommt jetzt zu brutalen Übergriffen in den Straßen von Moskau. Die Erschießung von Stas Markelow (der früher bei JRE aktiv war) und die neue Welle der Repression um den Versuch, eine neue Straße durch den Chimkinski-Wald außerhalb Moskaus zu bauen, zeigen, wie weit das Regime zu gehen bereit ist, um die eigenen Interessen zu verteidigen.
Obwohl die mächtige russische Arbeiterklasse noch nicht begonnen hat, aktiv in die Ereignisse einzutreten, reifen bereits die Bedingungen für die Entwicklung von Massenprotesten. Seit Beginn der Krise sind viele Linke orientierungslos und haben sich entweder vom Kampf zurückgezogen oder sind Bündnisse mit bürgerlichen Parteien eingegangen. Sie vertreten nicht nur selbst kein klares linkes Programm, sondern versuchen auch noch, andere davon abzuhalten. Die Ereignisse in Kirgistan, im Baltikum, Rumänien und anderswo demonstrieren, dass die russische Arbeiterklasse unvermeidbar in den Kampf treten wird. Wie die Ereignisse in Kasachstan zeigen, können linke Kräfte schnell eine bedeutende Basis in der Arbeiterklasse aufbauen, wenn sie sich entschieden mit Übergangsforderungen als Teil eines sozialistischen Programms positionieren.
Weißrussland schließt sich dem Mainstream an
Seit dem Zusammenbruch der UdSSR war Weißrussland eine Ausnahmeerscheinung. Präsident Lukaschenko, der 1994 mit einem populistischen Programm an die Macht kam, hielt die weitere Privatisierung der Industrie auf, schützte dabei aber nicht die Planwirtschaft, die bereits mit dem Ende der Sowjetunion abgeschafft wurde. Stattdessen verbleiben industrielle Organisationen in den Händen des Staats, werden aber von den Managern nach den üblichen Regeln des Marktes geführt. Wenn nötig, folgen sie Anweisungen des Staats, und verfügen frei über ihre Profite, sobald sie eine bestimmte Summe an den Staat abgetreten haben.
Lukaschenko hat seine autoritäre Herrschaft halten können, indem er dieses Einkommen und die Einnahmen durch Öl- und Gas-Transitrouten dazu einsetzt, den Lebensstandard insbesondere der ländlichen Bevölkerung wenigstens auf einem niedrigen Niveau stabil zu halten. 2008 musste Lukaschenko stärker auf ausländische Kredite setzen, um die Löcher im Haushalt zu stopfen. Getroffen von der weltweiten Krise brach der Handel 2009 im Vergleich zu 2008 um 30 Prozent ein und die Auslandsschulden des Landes verdreifachten sich bis 2010 auf 45 Prozent des BIP. Die Standardmaßnahmen – Abwertung des Rubels in Weißrussland um 40 Prozent und Aufnahme eines IWF-Kredits in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar – haben die Krise kaum lindern können und der IWF berät bereits über einen weiteren Kredit. In Folge der Krise wurde ein neues Massenprivatisierungsprogramm durchgesetzt.
Lukaschenko zog die kommende Präsidentschaftswahl im Bewusstsein, dass diese in einer solchen Situation schockierende Ergebnisse bringen könnte, auf Dezember vor. In dem verzweifelten Versuch, seine Unterstützung zu sichern, erhöhte er die Löhne im Staatssektor um 15 Prozent. Der einzige Weg dahin führt über das Anschalten der Gelddruckmaschinen – in diesem Jahr stieg die Geldmenge um 21 Prozent, während das BIP-Volumen von 60 Millionen Rubel auf 48 Millionen schmolz. Die Inflation, die in Mittel- und Osteuropa dramatisch wächst, hat in Weißrussland das Potential für eine krisenhafte Größe.
Kasachstan: Testgelände für den Widerstand
Kasachstan hat ein größeres BIP als die restlichen zentralasiatischen Staaten zusammen. Obwohl es offiziellen (und CIA-)Statistiken zufolge keinen über das Jahr gerechneten Einbruch im BIP gab, hatte die Krise verheerende Auswirkungen.
Die Verstaatlichung von vier Schlüsselbanken und ein 3,5-Milliarden-Dollar-Rettungspaket konnten die Wirtschaft nicht davor retten, im ersten Halbjahr 2009 in die Rezession zu fallen. Die Situation änderte sich erst durch ein 19-Millionen-Dollar-Konjunkturpaket (15 Prozent des BIP, anteilig gesehen doppelt so groß wie das Doppelte des US-amerikanischen Konjunkturpaketes) und eine Abwertung des Tenge um 20 Prozent. Diejenigen Firmen und Konzerne, die von Exporten natürlicher Ressourcen abhängen, konnten ihre Profitraten durch die Maßnahmen wahren. Aber das ging zu Lasten des produktiven Zweigs, was zur Schließung vieler Fabriken und Lohneinbußen führte.
Das Regime befindet sich im Belagerungszustand: Soziale Proteste entbrennen an fast jeder Frage. Die dramatischsten waren diejenigen gegen die grausame Folterpraxis in den Gefängnissen, als Gefangene sich als Zeichen des Protests die eigenen Bäuche aufschnitten. Zunehmend werden demokratische Rechte angegriffen. In einer Streikserie insbesondere unter Öl- und GasarbeiterInnen forderten die meisten von ihnen eine Rückverstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle.
Die soziale Basis für das Regime wird schmaler. Macht und Wohlstand sind im Land sehr stark um Familie und Clan von Nasarbajew konzentriert. Nachdem er bereits die Unterstützung sogar von Teilen der eigenen Familie verloren hat, beginnt die Splatung der Elite – in Vorbereitung auf den Machtkampf, der unausweichlich kommen wird, sobald Nasarbajew nicht mehr an der Macht ist. Das spiegelte sich im Sommer in der außergewöhnlichen Geschichte der Verhaftung des Gesundheitsministers Zhaksylyk Doskaliye wider. Bald wurde behauptet, er habe gemeinsam mit Polizei-Obersten einen Putsch geplant. Ob es diese Pläne tatsächlich gab oder nicht ist weniger entscheidend als die Tatsache, dass diese Geschichte zeigt, wie faul und zerbrechlich das Regime tatsächlich ist.
Die in „Kasachstan 2012“ organisierte Linke wird eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen. „Kasachstan 2012“ ist entschlossen, nicht in die Falle der Verwässerung eigener Forderungen zu tappen, um Allianzen mit der bürgerlichen Opposition einzugehen, oder auf sozialistische Forderungen aus Angst vor der Abschreckung einiger UnterstützerInnen zu verzichten. Die Rolle, welche die Organisation derzeit bei der Mobilisierung zu verschiedenen Protesten spielt, deren Verknüpfung und dem Aufbau einer unabhängige Gewerkschaftsbewegung, bringt sie in eine starke Position. Viele Ereignisse machten den Bedarf nach einer solche Organisation bereits deutlich, sowie den Bedarf nach den Aufbau einer starken marxistischen Kaderorganisation im Zentrum von „Kasachstan 2012“.
Schlussfolgerung
Die wirtschaftlichen Aussichten für die Region sind nicht gut. Das Wachstum zu Anfang des Jahrzehnts wurde von einem Weltölpreis von über 100 Dollar pro Barrel angetrieben, und die mitteleuropäischen Länder verließen sich auf die Stärke der EU. Jetzt rauscht eine Kürzungswelle über Osteuropa hinweg. Die Inflation, angeheizt von raketenartig ansteigenden Lebensmittelpreisen, reduziert weiter die Chance auf eine Rückkehr zum einem Wachstum auf Vorkrisenniveau.
ArbeiterInnen, die arme ländliche Bevölkerung und die Jugend treten gemeinsam mit einer bedeutenden Schicht des Kleinbürgertums in den Kampf. Sie müssen sich der wachsenden Repression, drohenden Entlassungen und Zwangsräumungen entgegenstellen. Die Repression radikalisiert neue aktive Schichten, statt ihre Entschlossenheit zu brechen.
Wie in Westeuropa testen ArbeiterInnen die bestehenden Organisationen. Am europäischen Aktionstag am 29. September gab es bedeutende Demonstrationen in einer Reihe osteuropäischer Länder. 10.000 GewerkschafterInnen marschierten durch Warschau mit der Forderung nach einem Ende der Budgetkürzungen und einem Anstieg des Mindestlohns. In Bukarest demonstrierten 30 000, in Prag 40 000. Aber die Bürokratie des Europäischen Gewerkschaftsbunds, angeführt von John Monks, benutzt diese Proteste als Bauernopfer im Schachspiel gegen die europäischen Herrschenden, um einige kleine Zugeständnisse zu erreichen. Monks sagt selbst, Kürzungen in den Mittelmeerländern, in Irland, Ungarn und im Baltikum würden notwendig! Viele ArbeiterInnen werden feststellen, dass ihre Entschlossenheit, gegen Arbeitsplatz- und Lohnkürzungen zu kämpfen im Widerspruch zu den Positionen ihrer „Führung“ stehen, die eher für Kompromisse in diesen Fragen ist.
Die Öl- und GasarbeiterInnen in West-Kasachstan erinnern sich daran, dass noch vor nicht allzu langer Zeit die natürlichen Ressourcen des Landes in Staatseigentum und die Arbeitsbedingungen besser waren. Sie nahmen schnell die Forderung nach Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle in ihre Waffenkammer auf. Auch in Serbien fand ein ähnlicher Prozess statt. Im ganzen Sommer 2009 nahmen über 30.000 ArbeiterInnen aus etwa 40 Betrieben an Streikaktionen gegen unbezahlte Löhne teil. In Russland und der Ukraine stellten ArbeiterInnen im Kampf um ihre Arbeitsplätze die Forderung nach Verstaatlichung auf.
ArbeiterInnen in den GUS-Staaten und Osteuropa stehen, wenn sie in den Kampf treten, vor der Aufgabe, entweder die bestehenden Organisationen zu verändern oder, wo nötig, ganz neue im Kampf aufzubauen. Organisationen wie zum Beispiel Gewerkschaften werden, selbst wenn sie in der Vergangenheit eine kämpferische Rolle gespielt haben, weggefegt werden, wenn sie sich als unfähig erweisen, eine Strategie im Kampf um die radikalen Forderungen zu entwickeln. Unsere Aufgaben in dieser Zeit liegen nicht nur darin, die radikalen Forderungen, die jetzt aufgestellt werden, zu konkretisieren und zu verallgemeinern, sondern auch darin, eine Strategie für die Weiterentwicklung der Bewegung zu entwickeln.
Ohne einen klaren alternativen Anziehungspunkt wird eine große Mehrheit der ArbeiterInnen, der Massenträgheit folgend, in den alten Gewerkschaften bleiben. Als Erbe des Sowjetregimes werden sie üblicherweise von Mitgliedern oder Handlangern des Managements geführt, ohne Strukturen, die ein Einbeziehen der Basis ermöglichen würden. In einer Reihe von Fällen fanden sich ArbeiterInnen, die von den Kürzungen in den Kampf gezwungen wurden, im Konflikt mit diesen Gewerkschaftsstrukturen wieder. In Kasachstan spaltete sich die Gewerkschaft der wissenschaftlichen ArbeiterInnen im Kampf gegen Privatisierung von den offiziellen Strukturen ab und stellte einen Anziehungspunkt für ArbeiterInnen dar, die tatsächlich kämpfen wollten. Solche neuen Organisationen können zukünftig eine enorm wichtige Rolle spielen, wenn sie es vermeiden, den gleichen Kurs von Kompromissen und Rückzügen zu wählen und stattdessen ein klares Programm und eine klare Strategie anbieten.
Allgemeine Explosionen der Unzufriedenheit, vergleichbar mit den „Farbrevolutionen“ oder den kürzlichen Ereignissen in Kirgistan sind in der gegenwärtigen Situation unvermeidbar. Massenhafte Unzufriedenheit mit dem Lebensstandard, Repression, Wahlbetrug oder sogar industrielle oder Naturkatastrophen werden in bestimmten Zeiten Massenproteste und Bewegungen auslösen. In solchen Situationen wird die Linke sich oft in Konkurrenz um die Führung in diesen Bewegungen mit der bürgerlichen Opposition wiederfinden. Sie wird die Verantwortung dafür tragen, den betrügerischen Inhalt aller populistischen Forderungen der Bürgerlichen aufzudecken, ob diese sich auf demokratische Rechte, ökonomische oder soziale Fragen beziehen oder sich gegen Korruption richten. Das kann sie nicht, indem sie politische Forderungen verwirft oder gemeinsame Fronten mit den Bürgerlichen bildet, sondern nur, indem sie solchen Forderungen einen Klasseninhalt verleiht.
Die ganze Region brodelt. Das Wiedererwachen der Arbeiter- und der sozialistischen Bewegungen in Westeuropa wird ohne Zweifel die ArbeiterInnen und die Jugend Osteuropas auf der Suche nach einer Alternative ermutigen. Die Region hat heldenhafte Traditionen – von der Russischen Revolution bis zu den Kämpfen der ungarischen und polnischen ArbeiterInnen gegen die stalinistischen Diktaturen. Die sprunghafte Art, in der Forderungen nach Verstaatlichung und ArbeiterInnenkontrolle wieder aufgekommen sind, spricht dafür, dass auch radikale Traditionen wieder aufleben werden.
Das CWI hat einige wichtige Positionen in der Region erringen können. Wenn es mit Energie und Entschlossenheit handelt, wenn es erfolgreich darin ist, den eigenen politischen Zusammenhalt und die Organisation zu stärken, kann es schnell aufbauen und helfen, die entstehenden Massenbewegungen mit sozialistischen Ideen und einer Strategie zu bewaffnen, die nötig ist, um den kapitalistischen Alptraum zu beenden und ihn durch eine echte sozialistische Gesellschaft ersetzen.