Nein zum NATO-Eingreifen, Ja zur Revolution von unten
Die UN-Sicherheitsrats-Resolution 1973 ist von vielen Aufständischen gegen Muammar al-Gaddafi bejubelt worden. Das ist verständlich, weil sie den unmittelbaren militärischen Druck auf sie geschwächt hat. Trotzdem ist die Enttäuschung programmiert.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Die Regierungen, die seit dem 19. März Libyen bombardieren, sind Heuchler, die selbst unzählige unschuldige ZivilistInnen auf dem Gewissen haben. Ihnen geht es auch hier nicht um humanitäre Hilfe, sondern um das Ablenken von innenpolitischen Problemen und von ihrer jahrelangen Komplizenschaft mit Gaddafi und anderen Diktatoren. Ihnen geht es auch um das Installieren willfähriger Regime in der wichtigsten Erdölregion, nachdem solche Regime in Ländern wie Tunesien und Ägypten mit ungewissem Ausgang flöten gegangen sind. Aber ist die Intervention trotzdem unabhängig von allen subjektiven Zielen objektiv eine Hilfe für die Aufständischen?
Politische Probleme…
Im Februar schien es, als würde dem Sturz von Zine el-Abidine Ben Ali und Hosni Mubarak schnell der Sturz von Gaddafi folgen. Es gab revolutionäre Massenproteste im ganzen Land, auch wenn sie im Osten stärker waren. Im Westen konnte Gaddafi die Proteste unterdrücken, weil er da noch eine größere Machtbasis besitzt.
Ein entscheidender Grund für den Sturz von Ben Ali und Mubarak war die Verbindung von demokratischen und sozialen Forderungen gewesen, die sich auch gegen Privatisierung (das Verscherbeln von öffentlichem Eigentum an Günstlinge des Diktators) und Neoliberalismus richteten. In Libyen, wo Gaddafi in der Vergangenheit nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche seine Diktatur mit sozialen Maßnahmen garniert hatte (in den letzten Jahren betrieb auch er eine rabiate neoliberale Politik), wäre das erst Recht nötig gewesen. Stattdessen stellte sich in Bengasi ein „Nationaler Übergangsrat“ an die Spitze der Bewegung, der ebenfalls für neoliberale Politik eintritt. Zusätzlich knüpft er an die Tradition des 1969 gestürzten Königs Idris an, dessen Basis im Osten das Landes lag. Beides ist für die Massen in Westlibyen wenig attraktiv.
…nicht militärisch lösbar
Durch diese politischen Schwächen konnte Gaddafi in die Offensive gehen. Statt diese Schwächen zu überwinden, setzte der „Nationalrat“ schließlich auf ausländische Hilfe. Da der Westen nicht die eigenen Soldaten gefährden möchte (man wollte ja in London oder Paris von innenpolitischen Problemen ablenken und nicht durch eigene Opfer zusätzliche innenpolitische Probleme bekommen), begann die Intervention mit einer massiven Zerstörung von militärischer Infrastruktur, durch die unvermeidlich auch zivile Infrastruktur zerstört und ZivilistInnen getötet wurden. Das musste auch Menschen, die Gaddafi gegenüber kritisch waren, gegen die Intervention und die ihr zujubelnden Aufständischen aufbringen. Dadurch wird es extrem erschwert, sie für den Kampf gegen Gaddafi zu gewinnen.
Der Konflikt droht zu einem rein militärischen Kampf zu werden, der sehr blutig werden kann. In ihm sind die Aufständischen nach wie vor schlechter bewaffnet. Luftschläge können Gaddafis Militär in der Wüste schwächen, aber Luftschläge auf Gaddafis Truppen und Anhänger in den Städten würden genau die zivilen Todesopfer massenhaft produzieren, die der Vorwand für das Eingreifen waren, oder zu schrecklichen Flüchtlingskatastrophen führen.
Wie wir in Tunesien und Ägypten gesehen haben, liegt der Schlüssel zum Sturz von Diktaturen im Aufbau einer eigenständigen Bewegung der arbeitenden Massen. Damit die Revolution gegen Gaddafi erfolgreich ist, sollte sie sich die Ablehnung jeglicher Korruption und Privilegien, umfassende demokratische Rechte, die Überwindung stammesbedingter Spaltung, Arbeit und Bildung für alle auf Basis von öffentlichem Eigentum der Wirtschaft und einer demokratischen Planung auf die Fahnen schreiben.