Kürzungen als Krisenmanagement? Schluss damit!
Städte und Gemeinden schließen mit dem Jahr 2010 das finanziell schlechteste der Nachkriegsgeschichte ab. Was tun angesichts der riesigen Finanzlöcher?
von Simon Aulepp, Kandidat der Kasseler LINKEN auf Listenplatz 5 bei den hessischen Kommunalwahlen am 27. März
Ein wahrlich skurriles Bild bot sich Mitte November vergangenen Jahres in Wiesbaden: 400 Bürgermeister und ranghohe Kommunalpolitiker zogen vor den hessischen Landtag, um gegen die 360 millionenschweren Euro Kürzungen der Landesregierung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs zu protestieren. In der Hand hielten sie Schilder mit der Aufschrift „Ihr nehmt uns das letzte Hemd“, in den Taschen trugen sie die Parteibücher von SPD und CDU. In den Rathäusern wurde schon am Folgetag wieder der Rotstift gespitzt. Die Demonstranten von gestern verwiesen nach gewohnter Manier auf neue Sparzwänge.
60 Prozent aller Kommunen bundesweit wollen einer Umfrage der Unternehmensberatung Ernst & Young folgend angesichts der finanziellen Engpässe bei „freiwilligen Leistungen“ deutlich sparen, also zum Beispiel bei Jugendeinrichtungen oder der Seniorenbetreuung. Die Stadt Solingen hat eine Internetabstimmung eingeführt, in der die BürgerInnen aufgefordert wurden, per Mausklick abzustimmen, ob nun bei den Schwimmbädern gekürzt wird oder bei dem Erhalt von Spielplätzen. In Nordrhein-Westfalen wurde jeder dritten Kommune ein Nothaushalt auferlegt. Sie stehen nun mit strikten Sparauflagen unter der Kommunalaufsicht des Landes.
Kommunalfinanzen: chronisch ausgeblutet
Der katastrophale Zustand der Kommunalfinanzen ist in erster Linie das Produkt politischer Entscheidungen. So wurde über die letzten Jahre peu à peu die Verantwortung für soziale Pflichtleistungen von Bund und Ländern an die Kommunen delegiert. Mit 42 Milliarden Euro jährlich sind diese Ausgaben mittlerweile doppelt so hoch wie vor zwanzig Jahren. Mehr ins Gewicht fällt jedoch die Einnahmeseite, wo die Kommunen systematisch Opfer einer Steuerpolitik im Interesse der Superreichen, der Banken und Konzerne sind. Würden die Steuerreformen rückgängig gemacht werden, die allein seit dem Regierungsantritt von Rot-Grün 1998 durchgeführt wurden, dann befänden sich jährlich 50 Milliarden Euro mehr in den Kassen der Städte und Gemeinden. Durch die „Schuldenbremse“ wird den Kommunen der Geldhahn weiter abgedreht.
Die Gemeindekassen wurden im Interesse von Banken und Konzernen geplündert. Soll etwas gegen die klamme Lage der Kommunen getan werden, ist es nötig, sich mit den Banken und Konzernen anzulegen und innerhalb und außerhalb des Parlaments konsequenten Widerstand aufzubauen.
1. Gegen Prestigeprojekte!
Der Finanzkrise ungeachtet gönnen sich allerorten Kommunen Prestigeprojekte, die tiefe Löcher in die öffentlichen Kassen reißen. Stuttgart 21 ist zum Sinnbild für diesen Irrsinn geworden. In Kassel ist es das Millionenprojekt Flughafen Kassel-Calden. Linke Kommunalpolitik steht in der Verantwortung, außerparlamentarischen Widerstand gegen Projekte dieser Art zu organisieren und sie als das zu enthüllen, was sie sind: teuer, ineffizient, gewinnbringend nur für wenige Unternehmen und Kreditgeber, und oftmals mit erheblichen Folgekosten für die Menschen in den Kommunen verbunden.
2. Stopp der Zinszahlungen!
Mit den Schulden der öffentlichen Haushalte machen einige riesige Profite: die Banken. Mit einem Stopp der Zinszahlungen für ausstehende Kredite an die Banken könnte auf einen Schlag der finanzielle Spielraum von Kommunen massiv erweitert werden, um öffentliche Investitionen in den Bereichen Bildung, Kultur, Gesundheit und Soziales zu tätigen. In vielen Städten und Gemeinden stellen die Zinsen die größte Haushaltsstelle dar. Der wütenden Reaktion des Kapitals und der Banken in Folge eines Zahlungsstopps müsste eine Mobilisierung der Bevölkerung unter dem Motto „Besser bei den Banken kassieren als bei den Armen“ gegenüberstehen. Der Widerstand und der Zahlungsstopp müssten auf andere Kommunen ausgeweitet werden.
3. Radikale Neugestaltung der Gemeindefinanzen!
Gewerkschaften und Linkspartei müssen den Druck erhöhen für eine grundsätzliche Umgestaltung der Gemeindefinanzen. Statt Umverteilung von unten nach oben sollen die Reichen und die Konzerne für die Misere ihres Systems zahlen. Die 800.000 Millionäre in Deutschland verfügen über 3,5 Billionen Euro. Selbst bei einem Freibetrag von einer Million würde eine zehnprozentige Millionärssteuer rund 200 Milliarden Euro jährlich erbringen. Hiervon könnten unter anderem kommunale Investitionsprogramme finanziert werden.
Würde über Massenmobilisierungen erreicht, dass höhere Einkommen und Gewinne stärker besteuert werden und mehr Geld für die kommunalen Aufgaben bereitgestellt wird, wäre das zwar zunächst ein riesiger Erfolg. Innerhalb dieses Systems würden die Kapitalisten aber schnell versuchen, dafür zu sorgen, an anderer Stelle wieder begünstigt zu werden. Ein Beispiel ist der jetzt seit zehn Jahren andauernde Skandal um die vier frühzeitig pensionierten Steuerfahnder in Hessen. Nachdem sie erreichten, dass unter anderem die Commerzbank Mitte der Neunziger 260 Millionen Euro an das Land nachzahlen musste, stellte man ihnen psychiatrische Gutachten aus, dass sie arbeitsunfähig seien. Das ist nur ein Beispiel für die wahren Machtverhältnisse im Kapitalismus. Der Kampf für mehr öffentliche Investitionen muss daher mit dem Kampf für ein Ende der Herrschaft der Banken und Konzerne, hin zu einer sozialistischen Demokratie verbunden werden.