Im Ausschlussverfahren gegen kritische IG Metaller bei Daimler Berlin hat nun der IG Metallvorstand in Frankfurt entschieden.
Drei Betriebsräte der „Alternative – offene Liste“, die im März 2010 gegen die Liste „IG Metall für Persönlichkeitswahl“ kandidierten, dürfen nach diesem Beschluss zwei Jahre lang keine Funktion für die IG Metall ausüben und nicht an Versammlungen der Gewerkschaft teilnehmen. Gegen einen Betriebsrat der Liste „Faire Basis“ wurde ebenfalls ein Funktionsverbot verhängt. Den anderen 15 KandidatInnen der alternativen Liste (die Mitglieder der IG Metall sind) wurden Rügen erteilt.
von Angelika Teweleit (aktiv in der Soli-Kampagne für vom Ausschluss bedrohte IG Metaller in Berlin)
Die „Alternative“ ist eine Gruppe von KollegInnen, die für eine kämpferische IG Metall eintritt. Anstatt Co-Management zu betreiben und Verzicht zu üben, wollen die KollegInnen eine IG Metall, die konsequent für die Interessen der Beschäftigten eintritt. Sie fordern vom Betriebsrat, keinem Verzicht mehr zuzustimmen. Anstatt sich im Standortwettbewerb erpressen zu lassen und schlechtere Arbeitsbedingungen gegen vermeintlichen Arbeitsplatzerhalt zu akzeptieren, schlagen sie vor, den gemeinsamen Kampf und standortübergreifende Solidariät zu organisieren.
Die drei vom Funktionsverbot betroffenen waren bereits vor 2010 im Betriebsrat in der Opposition. Allerdings wurden ihnen immer wieder Informationen vorenthalten. Anträge der drei wurden meist ohne Diskussion von der IG Metall-Mehrheitsfraktion im Betriebsrat abgeschmettert. Eine konstruktive Zusammenarbeit und Einbeziehung der Minderheitsposition fand nicht statt.
Alternative Liste bei Betriebsratswahl
Vor diesem Hintergrund entschied die Gruppe, mit einer eigenen Liste und auf Grundlage eines eigenen Programms zu den Betriebsratswahlen anzutreten. Von Anfang an reagierte die IG Metall-Mehrheitsfraktion und die Vertrauenskörperleitung mit dem Vorwurf der „Spaltung“. Sie zeigten jedoch keinerlei Reaktion auf die wiederholt vorgebrachte Aufforderung der „Alternative“, die unterschiedlichen Positionen und die Listenaufstellung für eine IG Metall-Liste breit in der Mitgliedschaft zu diskutieren (beispielsweise bei einer Mitgliederversammlung).
Bei der Wahl bekam die „Alternative – offene Liste“ einen Stimmenanteil von 25 Prozent und zog mit fünf KollegInnen in den Betriebsrat, was für den ersten Antritt der Liste ein hervorragendes Ergebnis ist.
Ausschlussdrohung
Nach der Wahl stellten zwei IG Metallmitglieder den Antrag auf ein Untersuchungsverfahren gegen alle 18 IG Metall-Mitglieder auf der alternativen Liste. Im folgenden wurde zunächst eine Untersuchungskommission gebildet – mit je zwei Beisitzern der „Kläger“ sowie der „Beklagten“ und einem Vorsitzenden. Diese Kommission empfahl zunächst mit drei zu zwei Stimmen den Ausschluss der drei Betriebsratskollegen Mustafa Efe, Fehmyie Utku und Martin Franke und Rügen für 15 weitere KollegInnen.
Breite Soli-Kampagne
Schon zu Beginn des Untersuchungsverfahrens hatte sich eine breite Solidariätskampagne von IG MetallerInnen und GewerkschafterInnen gebildet. Auf den Treffen des Solikomitees sammelten sich viele empörte KollegInnen. Auf einer Veranstaltung im Mai kamen 170 TeilnehmerInnen. Ein Kreis von etwa 90 gewerkschaftsnahen Wissenschaftlern, Journalisten und Kulturschaffenden hatte in einem offenen Brief gegen das Verfahren protestiert und vor einem „Rückfall in die 70iger Jahre“ gewarnt. Nach dem Beschluss des Untersuchungsausschusses organisierten KollegInnen bei Daimler und vom Solikomitee Anfang Juni kurzfristig eine Protestaktion vor dem IG Metall-Haus, an der sich 150 KollegInnen von Daimler und anderen IG Metallbetrieben beteiligten. Zudem forderten viele Berliner IG-Metall-Vertrauensleute und Betriebsräte eine IG Metall-Versammlung ein, um das Thema zu diskutieren.
Berliner Ortsvorstand kippt Ausschluss-Empfehlung
Die Solidariätskampagne zeigte Wirkung. Auch wenn die Aufforderung nach breiter Debatte ignoriert wurde, so entschied der Berliner Ortsvorstand der IG Metall immerhin nach langer Beratung, der Ausschluss-Empfehlung nicht zu folgen. Die OV-Mitglieder fürchteten, der Unmut im Daimler Werk oder auch in anderen Betrieben könnte groß sein. Auf keinen Fall dürfe der Eindruck erweckt werden, „kritische Meinungen würden durch das Verhalten des IG
Metall-Ortsvorstands mit Ausgrenzung beantwortet“, hieß es in einer Stellungnahme des Ortsvorstands. Allerdings bezeichnete die Mehrheit des Ortsvorstands die Einreichung der Liste als „gewerkschaftsschädigend“ und empfahl die drei Funktionsverbote. Zu den Vorwürfen der Ausgrenzung der Minderheitenpositionen, dem Vorenthalten von Informationen, äußerte sich der Ortsvorstand bis heute nicht.
Funktionsverbote: undemokratisch
Der IG Metallvorstand in Frankfurt ist im Verfahren das Gremium, das eine Entscheidung trifft. Es ist ein Teilerfolg der Soli-Kampagne, dass die Ausschlüsse verhindert wurden. Doch auch die Funktionsverbote sind ein Skandal. Alle drei „Alternative“ Kollegen wurden 2008 zur Delegiertenversammlung der IG Metall gewählt. Mustafa Efe bekam bei dieser Wahl die meisten Stimmen. Da die nächsten Delegiertenwahlen im Zeitraum des Funktionsverbotes stattfinden, dürften die drei Kollegen laut diesem Beschluss das nächste Mal nicht kandidieren. Somit wird weiterhin eine demokratische Debatte innerhalb der IG Metall über die unterschiedlichen Positionen verhindert. Solche administrativen Maßnahmen sind abzulehnen. Die Gruppe „Alternative“ wird über die weiteren Schritte beraten, um gegen diesen Beschluss vorzugehen.
Untersuchungsverfahren auch in Kassel
Bei Daimler Kassel gibt es ebenfalls ein Untersuchungsverfahren gegen drei IG Metall-Mitglieder, die auf der Liste der dortigen „Alternative“ kandidierten. Es gilt, dagegen ebenfalls Solidariät zu organisieren und administrative Maßnahmen gegen die KollegInnen zu verhindern. Statt Ausgrenzung ist eine breite demokratische Debatte über Programm und Strategie in der IG Metall nötig, wie die Spirale nach unten bei Arbeitsbedingungen und die drohende Vernichtung von Arbeitsplätzen gestoppt werden kann.