50.000 auf der Straße gegen Stuttgart 21
Wenn Merkel, Mappus und Bahnchef Grube gehofft hatten, durch die wochenlangen Schlichtungsgespräche zu Stuttgart 21 der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, so wurden diese Hoffnungen am Samstag enttäuscht. Über 50.000 beteiligten sich an der überregionalen Demonstration unter dem Motto „Stuttgart ist überall – Für eine Demokratie der Bürger“. Und alle Beteiligten waren sich einig: im neuen Jahr wird es mit „Widerstand plus“ gegen „Stuttgart 21 plus“ – so heißt der als Schlichterspruch bezeichnete Vorschlag Heiner Geißlers für die Umsetzung des milliardenschweren Bahnhofsprojekt mit einigen Veränderungen – weiter gehen.
von Sascha Stanicic
Die Stuttgarter Demonstrationen, die seit einem Jahr regelmäßig stattfinden, sind ein Fest der Kreativität. Unzählige selbstorganisierte Gruppen machten am Rande des Marsches witzige oder zum Nachdenken anregende Aktionen, mit einem Blasorchester wurden die Busse aus Berlin empfangen, auf hunderten selbst gemalten Schildern und Plakaten wurden die Verantwortlichen für Stuttgart 21 angeklagt oder auf die Schippe genommen. Sogar das Symbol für die Bauarbeiten der Deutsche Bahn AG, der Maulwurf Max, wollten DemonstrantInnen von seinem Los befreien und forderten seine Freilassung ….
Während alle RednerInnen dazu aufriefen, die Demonstrationen auch im neuen Jahr fortzusetzen, wurde doch deutlich, dass es unter den AktivistInnen einen unterschiedlichen Umgang mit dem Ergebnis der so genannten Schlichtungsgespräche gibt und einige Kräfte immer mehr auf die Landtagswahlen am 27. März orientieren. Während viele DemonstrantInnen deutlich macheten, dass sie von Schlichtung und Schlichterspruch nichts halten, bezogen sich die auf der Kundgebung redenden PolitikerInnen von SPD, Grünen und LINKE positiv auf das Schlichtungsverfahren und gaben keine Erklärung dafür, warum dieses Verfahren unterm Strich den Projektbefürwortern geholfen hat.
Boris Palmer von den Grünen besaß gar die Frechheit seine Partei als einzige verlässliche Kraft gegen Stuttgart 21 darzustellen und gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, als sei das Projekt schon gestorben: „Wir müssen keine Angst haben. Das Projekt erledigt sich von selbst. Es ist halt ein Tod auf Raten.“ Die in solchen Äußerungen zum Ausdruck kommende Hoffnung, dass die von Geißler genannten Bedingungen für eine Umsetzung des Projekts tatsächlich eingehalten und dann den Kostenrahmen sprengen werden, ist eine Illusion. In einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten gibt Bahnchef Grube sich sehr gelassen hinsichtlich des Stresstests und der möglichen Zusatzkosten. Warum? Weil er weiß, dass er und seine Kumpanen durch die Schlichtung das Ruder wieder mehr in der Hand halten.
Palmers Bemerkung, dass Stuttgart am Ende einen funktionierenden Bahnhof haben werde – „egal, was gebaut wird“, sollte auch aufhorchen lassen. Hier bereitet sich ein Vertreter der Partei, die nach den Landtagswahlen wahrscheinlich den Ministerpräsidenten stellen wird , möglicherweise darauf vor, faulen Kompromissen zuzustimmen.
An der Demonstrationen nahmen auch viele Mitglieder der LINKE-Führung teil, die ihre Parteivorstandssitzung extra nach Stuttgart verlegt hatte. Sabine Leidig, die verkehrspolitische Sprecherin der LINKE-Bundestagsfraktion, sprach auf der Kundgebung, während Gregor Gysi und Gesine Lötzsch in der ersten Reihe Beifall spendeten.
So erfolgreich die Demonstration auch war, so blieb sie hinsichtlich der überregionalen Beteiligung doch hinter den Erwartungen zurück. Busse reisten nur aus Berlin, NRW und Hessen an, in den meisten Fällen durch DIE LINKE oder Linksjugend["solid] organisiert. Der ursprünglich für Berlin geplante Sonderzug wurde in zwei Reisebusse umgewandelt. Das hatte sicher auch damit zu tun, dass das ganze Schlichtungsverfahren den Befürwortern von Stuttgart 21 geholfen hat und die Dramatik und Bedeutung der Auseinandersetzung weniger klar ist, als nach dem brutalen Polizeieinsatz vom 30. September im Stuttgarter Schlossgarten. Zweifellos spielten auch die schlechten Wetterverhältnisse eine Rolle dabei, dass S21-GegnerInnen aus dem Bundesgebiet die Reise nicht auf sich nahmen. Aber vor allem nutzten die Organisationen, die eine starke bundesweite Mobilisierung ermöglichen könnten, ihr Potenzial nicht. Allen voran die Gewerkschaften, die zu diesem Thema ohnehin weitgehend schweigen, aber auch DIE LINKE. Die Partei hat zwar zur Demo aufgerufen und versucht zu mobilisieren, aber es ist dem Parteivorstand nicht gelungen in der eigenen Mitgliedschaft deutlich zu machen, weshalb der Kampf gegen Stuttgart 21 – gerade nach dem Ausbleiben eines heißen Herbstes gegen das Sparpaket – von größter Bedeutung ist. Angesichts der Tatsache, dass die Bewegung gegen S21 die einzige Massenbewegung ist, die zur Zeit eine reale Chance auf einen Erfolg hat und ein solcher Erfolg nicht nur ein Nagel am Sarg der Merkel-Regierung wäre, sondern generell allen Protestbewegungen Auftrieb geben würde, hätte eine viel entschlossenere Mobilisierungskampagne geführt werden müssen. Die Grünen, die sich in den letzten Monaten wieder gerne als Protestpartei präsentieren, haben für die überregionale Mobilisierung gar keinen Finger krumm gemacht.
SAV-Mitglieder waren aus dem ganzen Bundesgebiet angereist und hatten vor allem in Kassel, Berlin und NRW einen Beitrag zur Mobilisierung für die Sonderbusse geleistet. Mit den Slogans „Lügner regieren – Konzerne profitieren“ und „Widerstand plus statt Stuttgart 21 plus“ versuchten wir, in die Demonstration Vorschläge für die weitere Strategie für die Bewegung und antikapitalistische Ideen hinein zu tragen. Dazu wurden zehntausend Flugblätter verteilt und hunderte Zeitungen und Extra-Faltblätter zum Thema verkauft. Drei Demonstranten erklärten auf der Demo bzw. dem Heimweg, dass sie SAV-Mitglied werden wollen.
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