Nach Heiner Geißlers "Schlichterspruch"
Am 4. Dezember fand die erste Großdemo gegen Stuttgart 21 nach dem "Schlichterspruch" von Heiner Geißler statt, der auch das Hauptthema der Redebeiträge war. Im Vorfeld hatte es im Bündnis gegen Stuttgart 21 gewisse Kontroversen gegeben, ob man an diesem Samstag überhaupt eine Demo machen oder alle Kräfte auf die überregionale Demo am 11. Dezember konzentrieren sollte. Vor diesem Hintergrund und angesichts der eiskalten Temperaturen war die Beteiligung von 10.000 gut und zeigt, dass der "Schlichterspruch" die Bewegung gegen Stuttgart 21 empört, aber nicht demoralisiert hat.
von Wolfram Klein, aktiv im Cannstatter Aktionskreis gegen Stuttgart 21
Die Stimmung auf der Kundgebung war selbstbewusst und kämpferisch. Schon die Erwähnung des "Schlichterspruchs" oder von Politikern wie Mappus reichte, um Sprechchöre auszulösen. Klaus Gebhard, der "Erfinder" der Parkschützer, und der Bahnexperte Karl-Dieter Bodack führten aus, dass die in der "Schlichtung" angeführten Fakten für die Modernisierung des Kopfbahnhofs (K21) und damit gegen Stuttgart 21 und gegen den Schlichterspruch sprechen.
Spontandemo
Ursprünglich war im Anschluss an die Kundgebung eine Demonstration geplant gewesen. Ein Teil der Bewegung gegen Stuttgart 21 will die Zahl der Demonstrationen und vor allem der Samstagsdemos verringern. Dabei berufen sie sich vor allem auf Beschwerden des Einzelhandels. Aber da die Industrie- und Handelskammer zu den fanatischsten Unterstützern von Stuttgart 21 gehört, sollten wir uns nicht aus diesen Kreisen einschüchtern und uns von ihnen vorschreiben lassen, wie oft wir demonstrieren dürfen. Der Demoverzicht vom Samstag war aber nicht mit den Beschwerden des Einzelhandels begründet worden, sondern mit dem kalten Wetter. Aber auch das stieß auf den Unmut vieler AktivistInnen, die zu Recht argumentierten, eine Demonstration sei das beste Mittel, um nach der langen Kundgebung wieder warme Füße zu bekommen. Im Sommer war nach der Errichtung des Bauzauns am Nordflügel am 30. Juli eine Kultur von Spontandemos entstanden. Allerdings hingen Spontandemos oft davon ab, ob jemand nach der Kundgebung vor dem Nordflügel die Initiative ergriff, auf die Straße zu gehen. Seitdem die Kundgebungen nicht mehr dort stattfinden dürfen und auf die Straße vor dem Hauptbahnhof verlegt wurden, besteht dieses Problem nicht mehr. Wir müssen nicht mehr auf die Straße gehen und den Verkehr zum Halten bringen. Wir sind schon auf der Straße, die Polizei hat die Straße schon für die Kundgebung gesperrt (allerdings oft viel zu spät, wenige Minuten vor Kundgebungsbeginn): wir müssen für die Spontandemo nur auf der Straße bleiben und loslaufen. Daher ist es kein Wunder, dass sich auch diesmal ein großer Teil der KundgebungsteilnehmerInnen an der Spontandemo beteiligte.
Die Demo führte die schon eingespielte Route über den Gebhard-Müller-Platz, den Wilhelmsplatz zum Rotebühlplatz, wo sich auch die CDU-Zentrale befindet. Dort gab es einige Sprechchöre, neben dem gängigen "Lügenpack" auch "Bahnhof weg, Tasche leer, CDU, danke sehr" und "Was will ich und was willst Du, das Verbot der CDU". Als eine Gruppe DemonstrantInnen sich der CDU-Zentrale näherte, wurde schnell die Tür geschlossen und die Polizei marschierte auf. Kurz vor dem Bahnhof bog der Demozug dann zum Schlossplatz ab, wo gerade der Weihnachtsmarkt ist, weil hinter dem Schlossplatz das Neue Schloss liegt, in dem sich Ministerpräsident Mappus aufhalten sollte. Die Polizei wollte den Weg zum Neuen Schloss absperren, das war aber auf dem großen Schlossplatz aussichtslos. Also begnügte sie sich damit, sich vor dem entsprechenden Gebäudeflügel des Schlosses aufzustellen. Einige hundert DemonstrantInnen zogen zum Neuen Schloss, riefen Sprechchöre, spielten Musik und tanzten dazu, unter anderem AktivistInnen der Jugendoffensive gegen Stuttgart 21.
Polizeibrutalität
Allmählich schrumpfte die Zahl der DemonstrantInnen zusammen. Es wurde auch langsam dunkel. Deshalb riefen AktivistInnen dazu auf, in Gruppen wegzugehen. Aber die beginnende Dunkelheit, bei der man z.B. vom Weihnachtsmarkt aus nicht mehr sehen konnte, was vorging, war wohl für irgend welche Polizeiverantwortlichen ein guter Zeitpunkt für Provokationen. Wenn eine Gruppe von Jugendlichen auf dem Heimweg ist und plötzlich aus mehreren Richtungen Polizeieinheiten auf sie zustürmen, dann halten die Vorsätze zusammenzubleiben nicht sehr lange. Die Leute liefen auseinander und die Polizei konnte einen Jugendlichen herauspicken (dem sie vorwirft, am Rotebühlplatz, also lange vorher, Polizisten beleidigt zu haben). Als die Umstehenden merkten, dass die Polizei versuchte, einen Jugendlichen festzunehmen, der gerade mit anderen friedlich auf dem Heimweg gewesen war, waren sie natürlich empört. Viele Menschen liefen hin und forderten die Polizei auf, die Provokationen einzustellen. Polizisten reagierten gewalttätig, mehrere Jugendliche bekamen Pfefferspray aus kürzester Entfernung in die Augen. Laut Augenzeugen wurde ein Jugendlicher blutig geschlagen und mehrere Polizisten trampelten über eine am Boden liegende Frau hinweg, die ernsthaft verletzt wurde und in einem Rettungswagen behandelt werden musste. (In der Pressemitteilung der Polizei ist dann statt von "Polizisten" von "Personen" die Rede.) Eine Schülerin erlitt eine Prellung am Kopf und musste zwei Stunden im Krankenhaus verbringen.
In meinem Artikel zur Schlichtung am Freitag stand: "Mit seiner Übernahme der Sprachregelungen von Mappus, Rech & Co bereitet Geißler neue Gewaltorgien der Polizei vor." Leider hat sich das schon am folgenden Tag bewahrheitet.