Der 13. November in Stuttgart

Bericht von der Kundgebung der DGB-Gewerkschaften in Stuttgart


 

Der DGB hatte für den 13. November zu Kundgebungen in Dortmund, Erfurt, Nürnberg und Stuttgart aufgerufen. Insgesamt nahmen rund 100.000 Menschen teil. Die Kundgebung in Stuttgart war mit 45.000 die größte. Sie war auch deshalb spannend, weil in Stuttgart seit Monaten zweimal pro Woche Zehntausende gegen Stuttgart 21 demonstrieren und für dieses Samstag das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zur Teilnahme an der DGB-Kundgebung aufgerufen hatte. Im Anschluss an die Kundgebung folgten gut 10.000 TeilnehmerInnen dem Aufruf der GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21 und der Parkschützer zu einem Demozug zum Schlossgarten, in dem eine Kundgebung stattfand.

von Wolfram Klein

Die erste Kundgebung fand aber schon um 10.00 Uhr vor dem DGB-Haus statt. Zu ihr hatte "Aktiv für eine solidarische Gesellschaft – Jugendbündnis Stuttgart" aufgerufen. Beteiligt daran waren u.a. die ver.di-Jugend, die Jugendoffensive gegen Stuttgart 21, Linksjugend ["solid], die Linke Hochschulgruppe Stuttgart. Vom Gewerkschaftshaus zogen rund 300 TeilnehmerInnen zur DGB-Kundgebung auf dem Schlossplatz. Die Jugendoffensive machte dabei einen "französischen Block" unter dem Motto "Kämpfen gegen Stuttgart 21! Streiken wie in Frankreich!"

Die zweite Kundgebung fand um 10.30 in der Lautenschlagerstraße statt. Zu ihr kamen vor allem GewerkschafterInnen aus der Region Stuttgart, insgesamt vielleicht 10.000 bis 20.000. Neben Fahnen und Stickern der Gewerkschaften waren auch viele Symbole der Bewegung gegen Stuttgart 21 zu sehen. Ich würde schätzen, dass ein Fünftel bis ein Viertel der TeilnehmerInnen Aufkleber oder Buttons gegen Stuttgart 21 hatten. Ich habe einige vertraute Gesichter von Demos gegen Stuttgart 21 gesehen, die aber diesmal Gewerkschaftsfahnen dabei hatten. Das bestätigte mal wieder, dass viele AktivistInnen gegen Stuttgart 21 GewerkschafterInnen sind, die aber in der Bewegung gegen Stuttgart 21 nicht organisiert als GewerkschafterInnen auftreten.

Hauptkundgebung

Von der Auftaktkundgebung in der Lautenschlagerstraße führte ein Mini-Demozug bis zur nächsten Straßenecke, nämlich zum Schlossplatz, wo die Hauptkundgebung stattfand. Viele TeilnehmerInnen waren direkt zum Schlossplatz gekommen. Die offizielle Teilnehmerzahl von 45.000 ist realistisch, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass immer neue KollegInnen zur Kundgebung kamen (und andere gingen). Gemessen daran, dass der DGB Baden-Württemberg über 800.000 Mitglieder hat und die Gewerkschaften beträchtliche Anstrengungen zur Mobilisierung unternahmen (mehrere Sonderzüge, viele Busse etc.), ist das Ergebnis alles andere als überwältigend. Trotzdem liegt es deutlich über den erwarteten 30.000. Da bei den kleineren Aktionen im Vorfeld die Beteiligung oft schlecht war, könnte man das als Hinweis verstehen, dass KollegInnen in Großdemonstrationen mehr Sinn sehen als in verzettelten Aktionen.

Die Zusammensetzung der Kundgebung unterschied sich merklich von den Demonstrationen der letzten Monate gegen Stuttgart 21. Der Anteil der IndustriearbeiterInnen war deutlich höher, der Anteil der Angestellten und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes geringer. Während bei den Kundgebungen gegen Stuttgart 21 die meisten TeilnehmerInnen aufmerksam den Reden zuhören (obwohl die keineswegs alle gut sind), war hier die Aufmerksamkeit viel geringer. In den Reden wurde die Politik der schwarz-gelben Regierung angeprangert. Der DGB-Landesvorsitzende Nikolaus Landgraf griff u.a. die AKW-Laufzeitverlängerung, das Einfrieren des Arbeitgeberanteils bei der Krankenversicherung und die Rente mit 67 an. Der IG-Metall-Chef Huber versicherte, dass der Protest weiter gehen werde. Aber der einzige konkrete Termin, der auf der Kundgebung den KollegInnen genannt wurde, war der 27. März – die Landtagswahl in Baden-Württemberg.

Gewerkschaften und Stuttgart 21

Zu Stuttgart 21 sagte Landgraf, dass es in den Gewerkschaften Befürworter und Gegner von Stuttgart 21 gebe. "Als Dachverband der Gewerkschaften aber unterstützen wir das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 – das wissen viele nicht." Man könnte es auch so formulieren: Der DGB hat einen Beschluss gegen Stuttgart 21 gefasst, aber seitdem verdammt wenig getan, diesen Beschluss bekannt zu machen. Es wäre schön, wenn sich das endlich ändern würde.

Huber forderte eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 und kritisierte den Polizeieinsatz vom 30. September. Schon auf der Auftaktkundgebung hatte der 2. Bevollmächtigte der Stuttgarter IG-Metall, Uwe Meinhardt, die Position des Stuttgarter IG-Metall-Apparats vertreten: Volksentscheid und bis dahin Baustopp. Das ist aber nicht die Position, die die Stuttgarter IG-Metall-Delegiertenkonferenz vor ein paar Monaten beschlossen hat. Die hat sich mehrheitlich gegen Stuttgart 21 ausgesprochen. Dafür ist es fast die Position der SPD, die auch für einen Volksentscheid und einen Baustopp bis dahin ist. Der einzige Unterschied ist, dass die SPD dazu aufruft, bei einem Volksentscheid für Stuttgart 21 zu stimmen, und die IGM-Führung nicht sagt, wie man bei einem Volksentscheid stimmen soll. Das hindert aber führende Gewerkschafter nicht, sich klar für Stuttgart 21 zu positionieren. So will Uwe Hück, der Betriebsratsvorsitzende von Porsche, am 20. November auf der "Groß"kundgebung der Stuttgart-21-Befürworter reden! Und abgesehen davon, dass die Position des IGM-Apparats nicht der Beschlusslage der IGM-Delegiertenkonferenz entspricht: Bahn und Landesregierung wollen keinen Volksentscheid und deshalb natürlich auch keinen Baustopp bis zu einem Volksentscheid. Was macht man als IG Metall dann? Sagt man: "na dann halt nicht"? Oder beteiligt man sich daran, den Baustopp, den man erklärterweise auch will, von unten zu erzwingen, indem man sich an der Organisierung von Massenblockaden beteiligt?

Gewerkschafter gegen Stuttgart 21

Im Anschluss fand eine Demonstration der Gewerkschafter gegen Stuttgart 21 und der Parkschützer vom Schlossplatz zum Schlossgarten statt, wo eine weitere Kundgebung mit gut 10.000 TeilnehmerInnen stattfand. Bei der Beteiligung muss man berücksichtigen, dass viele KollegInnen rechtzeitig bei ihren Bussen und Sonderzügen für die Heimfahrt sein mussten.

Walburga Bayer von den Parkschützern (und den Unternehmern gegen Stuttgart 21) nahm die Propaganda auseinander, Stuttgart 21 schaffe Arbeitsplätze: beim Bau würden Billigarbeiter aus Osteuropa wie Vieh in Containern gehalten, nach der Fertigstellung würden Arbeitsplätze verlagert und dabei vernichtet. Sie prangerte die "Maultaschen-Connection" hinter Stuttgart 21 an und kritisierte Propagandaeinrichtungen wie Bertelsmann-Stiftung und Initiative Soziale Marktwirtschaft, die Stuttgart 21, Atomlaufzeit-Verlängerung oder "moderate Tarifabschlüsse" für alternativlos erklärten. Sie rechnete vor, dass Stuttgart 21 und die Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Ulm bestenfalls 2070 Gewinn abwerfen würden (wenn es schlecht läuft, nie). Sie würde als Unternehmerin keine Maschine kaufen, die vielleicht ab 2070 Gewinn abwirft. Sie spottete, dass die Bahn den Bahnhof bei ebay versteigern könne, wenn er sich nicht rentiert, "gebraucht", "nur an Selbstabholer".

Bernd Riexinger, Geschäftsführer von ver.di Stuttgart, wies in seiner Rede darauf hin, dass die gleichen Chefs von Großkonzernen, die für Sozialabbau eintreten, Großanzeigen für Stuttgart 21 schalten. Gewerkschafter gehörten nicht an ihre Seiten. Die Herrschenden hätten Angst vor einer Verbindung von Sozialprotesten und Protesten gegen Stuttgart 21. Als Gründe für diese Verbindung nannte er, dass das Geld, das für Stuttgart 21 ausgegeben werden soll, in anderen Bereichen fehlen würde; dass bei Stuttgart 21 ebenso der Mehrheitswille der Bevölkerung missachtet wird, wie bei Hartz IV, Rente mit 67, fehlenden Mindestlöhnen, AKW-Laufzeitverlängerungen oder dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Die Kriminalisierung friedlicher Sitzblockaden oder symbolischer Besetzungen bedrohe auch Blockaden durch Streikposten als Kampfmittel. Hinter Stuttgart 21 stecke ein Profit-Wachstumsmodell, das nicht erst mit der Finanzkrise gescheitert sei, das u.a. auf immer mehr Autos und Hochgeschwindigkeitsstrecken setze. "Die Kinder werden in Garagen geparkt, damit die Autos ungestört auf der Straße spielen können."

Der Kontrast zwischen dieser lebendigen Kundgebung, die immer wieder von "Mappus weg"- oder "oben bleiben"-Sprechchören unterbrochen wurde, und der zähen Kundgebung davor auf dem Schlossplatz war groß.