Bericht vom Bundesprogrammkonvent der Partei DIE LINKE
Mit etwa 800 TeilnehmerInnen war der bundesweite Programmkonvent der LINKEN in der Niedersachsenhalle von Hannover trotz der gleichzeitigen Castor-Aktionen im Wendland deutlich besser besucht, als die Parteiführung ursprünglich erwartet hatte.
von Heino Berg, Göttingen
Ablauf
Dieses starke Interesse der Parteimitglieder an der Programmdiskussion führte zwar zur Buchung einer neuen Halle, nicht aber zur Änderung des Ablaufplanes. Die aktuellen und ehemaligen Vorsitzenden bestritten zusammen mit mehr als 20 ReferentInnen in den Arbeitsgruppen sowie einer Art Talk-Show der Programmredaktion mehr als 80 Prozent der zur Verfügung stehenden sieben Tagungsstunden. Sehr viele Wortmeldungen der angereisten Parteimitglieder, deren Meinung zum Programmentwurf eigentlich gehört werden und im Mittelpunkt stehen sollten, fielen dadurch unter den Tisch. Dieser Filter betraf vor allem diejenigen „Linken in der LINKEN“ die sich – wie Thies Gleiss oder Lucy Redler – in der bisherigen Programmdebatte für eine stärkere Orientierung der Partei an den außerparlamentarischen Bewegungen, gegen Regierungsbeteiligungen und für sozialistischen Perspektiven geäußert hatten.
Eigentumsfrage
Gesine Lötzsch und Klaus Ernst bezogen sich in ihren Einleitungsreferaten nicht auf den vorliegenden Programmtext, sondern wiederholten Klagen über die unsoziale Politik der Bundesregierung, die in der Partei nicht umstritten sind. Immerhin betonten beide – ähnlich wie Lafontaine in seiner Schlussrede – die Notwendigkeit, das Privateigentum an den strukturbestimmenden Wirtschaftsbereichen durch öffentliches Eigentum zu ersetzen und dadurch die „permanente Enteignung“ der Produzenten rückgängig zu machen. Die Vertreter des „Forum demokratischer Sozialismus“ (wie Klaus Lederer oder Mathias Höhn) wandten sich dagegen mit dem Hinweis, dass Verstaatlichungen in der DDR oder auch in der Bundesrepublik (z.B. bei Pleitebanken) wenig gebracht hätten. Bei den Parteimitgliedern im Plenum und in den Arbeitsgruppen blieb diese nur notdürftig verklausulierte Verteidigung der kapitalistischen Eigentums- und Gesellschaftsordnung aber weitgehend isoliert. Interessant war ein Beitrag von Sahra Wagenknecht in der größten AG III zur Eigentumsfrage, als sie die im Programmentwurf befürworteten Belegschaftsanteile und genossenschaftliches Eigentum für die Großbetriebe in Frage stellte, weil damit keine gesamtgesellschaftliche Kontrolle über die Produktion gewährleistet werden könne. Beiträge, die Verstaatlichungsforderungen mit der Selbstorganisation der Lohnabhängigen verbinden und gleichzeitig von sozialpartnerschaftlichen Modellen für Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie abgrenzen sollten, fielen der Wortmeldungsregie zum Opfer und können hier nur angedeutet werden.
Auslandseinsätze der Bundeswehr
In der Frage des kategorischen Neins zu allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr, das der Regierungsflügel der Partei kassieren will, um die LINKE für die Kriegsparteien SPD und Grüne koalitionsfähig zu machen, unterstützten Klaus Ernst und Oskar Lafontaine so genannte „Grünhelm-Einsätze“ unter UNO-Mandat. Offen bleibt dabei, warum für zivile Hilfen in Katastrophengebieten nichtmilitärische Organisationen wie das Rote Kreuz oder dem Technischen Hilfswerk nicht ausreichen sollen. Entscheidend ist ja dass Grünhelmeinsätze als Bundeswehroperationen stattfinden sollen. Man sieht ja in Afghanistan, dass sich das nicht trennen lässt.
Regierungsfrage
Im Zentrum der Konventdebatten stand die Frage, ob und unter welchen Bedingungen sich die LINKE an Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen beteiligen kann. Die Partei- und Fraktionsführung hatte vor kurzem in einem (übrigens auf dem Konvent nie erwähnten) Strategiepapier eine rotrotgrüne Bundesregierung als „strategisches Ziel“ bezeichnet. Aus den bisherigen „Haltelinien“ im Programmentwurf sind dort „Markenzeichen linker Politik“ geworden, die als Verhandlungsmasse in Koalitionsverhandlungen zur Disposition stehen.
Der sächsische Landesvorstand hatte sich gegen ein Nein zu Stellenstreichungen ausgesprochen, weil diese unumgänglich seien und deren Ablehnung eine Koalition mit der SPD unmöglich machen würde. Damit werden die so genannten „Sachzwänge“ des Systems auch für die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst akzeptiert, anstatt für drastische Arbeitszeitverkürzung einzutreten. Wer Koalitionsrücksichten höher stellt als die Verteidigung von Arbeitsplätzen, macht die LINKE selbst als Instrument für den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit unglaubwürdig, ganz zu schweigen von den programmatischen Bekenntnissen zur Überwindung des bestehenden Profitsystems. Sahra Wagenknecht erhielt im Plenum den mit Abstand größten Beifall, als sie sich gegen diesen Ausverkauf von linken Prinzipien für Regierungsbeteiligungen aussprach. Auch Oskar Lafontaine bezeichnete SPD und Grüne als „Hauptkonkurrenten“ der LINKEN. Er wandte sich gegen Versuche des sog. „Reformflügels“, die LINKE in eine „zweite SPD“ zu verwandeln und sie dadurch überflüssig zu machen. Mit seinem Hinweis, daß ja „alle Parteien Haltelinien für Regierungsbündnisse aufstellen“ würden, relativierte er allerdings deren Bedeutung: Jeder weiß, dass sie bei diesen Parteien nur leere Wahlversprechungen waren. Wenn sich die LINKE glaubwürdig von ihnen unterscheiden will, muß sie die Wahrheit aussprechen, dass man mit Unternehmerparteien keine Politik gegen das Kapital betreiben kann.
So sprach sich der mecklenburgische Landeschef Methling im Plenum für Haltlinien im Programmentwurf aus… um im gleichen Atemzug anzukündigen, daß man sich in Koalitionsverhandlungen nicht immer daran halten könne. Auch Gesine Lötzsch hatte in der Einleitung betont, daß man durch Parteiprogramme keine konkreten Koalitionsverhandlungen vorweg nehmen dürfe. Und Klaus Ernst erklärte am Vorabend des Programmkonvents in der „Welt“, dass „Parteiprogramme keine Koalitionsvereinbarungen sind“ und verglich sie mit „Tarifverhandlungen“. Nach dieser Logik und der Erfahrung mit Tarifverhandlungen würde aus „keine weiteren Stellenstreichungen“ im Programmentwurf dann die Zustimmung zu einem geringeren Stellenabbau in Koalitionsverträgen. Also die Politik des „Kleineren Übels“, mit der die SPD das größere Übel des sozialen Kahlschlag erst möglich gemacht hat.
Fazit
Wenn Programme zwar Bekenntnisse zum Sozialismus, gleichzeitig aber Persilscheine für Regierungsbündnisse mit Parteien enthalten, die den Kapitalismus mit Zähnen und Klauen verteidigen wollen, sind sie für die Interessen und Lebensbedingungen der Menschen wertlos. Das ist der Kern der Glaubwürdigkeitsdefizite, von denen nicht nur die bürgerlichen Parteien, sondern auch die (stagnierende) LINKE betroffen ist und die ihr Entwicklungspotential belasten. Eben deshalb stand die Auseinandersetzung über die Regierungsfrage im Mittelpunkt des Programmkonvents, auch wenn viele Redner (sogar vom linken Parteiflügel) sich darum bemühten, unvereinbare Gegensätze mit Formelkompromissen a la „Regieren, wenn die Bedingungen stimmen“ zu verkleistern. Im Ergebnis (natürlich nicht in der subjektiven Absicht dieser Parteilinken) werden damit dem Regierungsflügel Hintertüren für die Fortsetzung seiner unsozialen Regierungspolitik offen gehalten.
Die Stimmung auf dem Parteikonvent ging jedenfalls eindeutig in die Richtung von antikapitalistischen Perspektiven und Systemopposition. Die Teilnehmer, viele von ihnen noch am Tag vorher im Wendland, wollen die LINKE in der wachsenden außerparlamentarischen Bewegung zum „Motor“ machen, anstatt als Anhängsel von rotgrünen Regierungen deren Bremsklotz zu spielen.
Leider kam diese Mehrheitsstimmung selten durch entsprechen Beiträge zum Ausdruck, weil Wortmeldungen aus der Parteibasis entweder gar nicht oder nur in streng gesiebter Auswahl zugelassen wurden. Das muss sich ändern, wenn die LINKE nicht nur an den Wahlurnen Erfolge erzielen, sondern auch für die Menschen attraktiv werden will, die bei den Castor-Transporten, bei Stuttgart 21 oder bei den Demonstrationen gegen die Kürzungsorgien der Bundesregierung die „Politik“ endlich wieder in die eigenen Hände nehmen möchten.