Massenproteste gegen Atomkraft

Zehntausende demonstrieren und blockieren im Wendland den Castortransport


 

Der Castortransport rollt wieder. Aber der Widerstand gegen den Atommülltransport im Interesse der Energiekonzerne hat eine neue Stufe erreicht. Zehntausende haben sich bisher an Protesten und Blockaden gegen den Transport beteiligt, so viele wie nie zuvor.

von Holger Dröge

Erst elf Stunden später als geplant erreichte der Castortransport Sonntag gegen 16 Uhr Lüneburg, um sich dann auf den Weg nach Dannenberg zu machen. Zahlreiche Sitzblockaden, Abseil- und Ankettaktionen schon auf der Strecke nach Lüneburg hatten zu dieser Verzögerung geführt. Für die 45 Kilometer von Lüneburg nach Dannenberg benötigte der Castortransport aufgrund von Massenprotesten weitere 17,5 Stunden. Momentan werden die Castor-Behälter in Dannenberg für den Straßentransport verladen und ist damit zu rechnen, dass die nächste Etappe des Widerstands auf der Straße heute beginnen wird. Vor dem Zwischenlager im Gorleben sitzen weiterhin tausende auf der Straße um den Castortransport zu blockieren.

Demonstration am Samstag

Den ersten Höhepunkt fanden die Proteste mit der Großkundgebung am Samstag. Mehr als 400 Busse waren aus dem gesamten Bundesgebiet angereist, insgesamt versammelten sich mehr als 50.000 Menschen und bildeten somit die größte Demonstration, die jemals in der Geschichte des Wendlands, das insgesamt etwa 50.000 EinwohnerInnen hat, stattfand. Bauern beteiligten sich mit mehr als 600 Treckern an der Kundgebung. Gleichzeitig fand in Hannover eine große Gewerkschaftsdemonstration gegen Sozialabbau statt. Auch dort solidarisieren sich die Teilnehmer mit dem Protest im Wendland.

Die vielen Demonstranten gegen den Castortransport ins Wendland stehen für Millionen Menschen in Deutschland, die es ablehnen, dass die gefährlichen Atomkraftwerke länger laufen sollen, nur damit Energiekonzerne Milliardenprofite machen können. In Umfragen hatten sich vorher bereits rund 80 Prozent solidarisch mit den Protesten gegen den Castortransport erklärt.

Massenblockaden und Schottern

Schon bei vergangenen Castortransporten hatten sich tausende an Blockaden beteiligt. Doch diesmal übertraf die Beteiligung selbst die kühnsten Erwartungen. Die Widerstands-Camps waren zum Teil völlig überbelegt. In Hitzacker zum Beispiel waren rund 2000 Menschen im Camp. Bei vorherigen Protesten waren es oft nur einige hundert.

Über Bezugsgruppen und Delegiertenplena wurden in den Camps die Blockaden diskutiert und organisiert. Zusätzlich beteiligten sich tausende Wendländer an Protesten. Beeindruckend war wieder mal die Unterstützung der Proteste durch die Bevölkerung: An dutzenden Stellen waren Versorgungspunkte errichtet worden. Dixie-Toiletten wurden speziell für Atomkraft-Gegner aufgestellt (und die Benutzung PolizistInnen verboten).

Blockade in Harlingen

Die größte und wichtigste Blockade wurde in Harlingen organisiert. Mit einem Demostrationszug von etwa 1000 TeilnehmerInnen wurde vom Camp Hitzacker aus losmarschiert und gelang es die Gleise zu besetzen. Mit zusätzlichen Treckerblockaden wurde verhindert, dass die Polizei in der Lage war, zusätzliche Einsatzkräfte heranzuziehen. So konnten sich insgesamt rund 5000 Menschen bei der Blockade sammeln und deren Räumung dauerte rund acht Stunden, nachdem der Beginn der Räung schon um 12 Stunden verschoben werden musste.

Prügelrepublik – Teil 2

Merkel und Co sagen immer wieder, dass die Meinungsfreiheit ein hohes Gut sei. Solange es bei Samstags-Demonstrationen bleibt, bleiben sie auch dabei. Doch wenn Menschen sich entschlossen für ihre Interessen zur Wehr setzen, dann kriegen sie spüren, was Meinungsfreiheit wirklich wert ist. Bei den Protesten gegen Stuttgart 21 wurde mit massiver Polizeigewalt eine Abholzung von Bäumen durchgesetzt, im Wendland war es eindeutig die Polizei von der Gewalt ausging.

Nach Einschätzung von Friedrich Niehörster, Chef des Polizei-Einsatzes, seien ein Prozent der Demonstranten gewaltbereit. Das lässt sich schon bezweifeln. Werden doch von der Polizei schnell Bilder von brennenden Barrikaden sonst präsentiert, lässt sich festhalten, dass von dem „angezündeten Räumpanzer” diese fehlen. Nach eigenen Erfahren brannten allenfalls Holzfeuer im Wald. Angesichts von Temperaturen rund um den Gefrierpunkt ist es sicherlich verständlich, dass DemonstrantInnen sich wärmen wollten.

Doch festhalten lässt sich, dass die Polizei gegen 100 Prozent der Demonstranten mit Gewalt vorging, ohne das diese irgend einen Anlass dafür geboten hätten. Es wurden zum Teil wahllos Tränengasgranaten verschossen, massiv Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt. Bei Beginn der Blockade in Harlingen wurde berittene Polizei eingesetzt, die äußerst brutal vorging. Eine junge Frau wurde von einem Polizeipferd überritten und dabei schwer verletzt.

Aber auch mit dem Einsatz der Bundeswehr gab es eine neue Qualität, die eine ernste Warnung an die Linke darstellt. Es wurden von der Bundeswehr nicht nur Kasernen und Verpflegung für die Polizei bereitgestellt, sondern auch Pionierpanzer eingesetzt, wie die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg berichtete.

Der Widerstand gegen weiter

Heute abend wird sich der Castortransport auf sein letzten Wegstück über die Straße nach Gorleben machen. Tausende blockieren diese Strecke bereits und werden nicht weichen. Es wird für die Polizei nur mit Gewalt möglich sein, diese Strecke zu räumen. Das wird auf Anordnung von Politikern geschehen, aber im Interesse der großen Energiekonzerne, die ihre Profite sichern wollen. So wichtig und erfolgreich der Widerstand im Wendland ist, es wird nicht reichen. Den wahren Profteuren der Atomkraft muss das Handwerk gelegt werden. Daher wirbt die SAV für entschädigungslose sofortige Enteignung der Atomkonzerne, um sie dann sofort stilllegen zu können. Jeder Tag Laufzeit sind Profite für Wenige und ein Umweltrisiko für Viele.