Stuttgart 21: Die Demonstrationen gehen weiter

… und der kreative zivile Ungehorsam kriegt Wurzeln


 

Am 30. Oktober waren gut 30.000 Menschen gegen Stuttgart 21 auf der Straße. Diesmal stand die Kundgebung unter dem Motto: "Kultur statt Größenwahn". Im Anschluss wurden auf dem Baugelände symbolisch Bäume gepflanzt.

von Wolfram Klein

Die Kabarettistin Christine Prayon und Micha von der SKA-Band "Nu Sports" moderierten die Kundgebung.

Der erste Redner war aber kein Kulturvertreter, sondern der Gemeinderat und Landtagsabgeordnete Werner Wölfle (Grüne). Er beschäftigte sich in seiner Rede vor allem mit den "Schlichtungs"gesprächen. Unter anderem ging er auf das Gespräch vom Vortag ein, in dem es auch um den geplanten ICE-Bahnhof am Flughafen gegangen war, durch den es 1,2 Mio. neue Fluggäste im Jahr geben soll. Unter großem Beifall rief er: "Die wollen wir gar nicht!" Damit hat er recht, es hätte sich aber gelohnt, den Zusammenhang deutlicher zu erklären: Bundesweit werden ICE-Trassen in die Landschaft gehobelt (und international andere Hochgeschwindigkeitstrassen) mit dem Versprechen, dass das eine umweltfreundliche Konkurrenz zum Flugverkehr sei. In Stuttgart soll der ICE als Airport-Shuttle dienen – und so bald es konkret wird, versuchen die Stuttgart-21-Vertreter nicht mal zu versprechen, es gehe darum, den Flughafen besser anzubinden, damit die bisherigen Fluggäste mit dem Zug statt mit dem Auto kommen, sondern geben zu, dass es um mehr Fluggäste geht. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die ganze Ideologie der Hochgeschwindigkeitszüge. Für Stuttgart konkret würden 1,2 Millionen zusätzliche Fahrgäste bedeuten, dass die Kapazitäten nicht ausreichen. Vor zwei Jahren gab es Massenproteste gegen eine geplante zusätzliche Startbahn, die unter dem Druck der Proteste vertagt wurde. Seit Freitag ist klar, dass der ICE-Bahnhof die zusätzliche Startbahn wieder auf die Tagesordnung bringt.

In der letzten Woche hatte die SPD einen Antrag für einen Volksentscheid zu Stuttgart 21 im Landtag eingebracht, der von der CDU-FDP-Mehrheit abgelehnt wurde. Wölfle begründete, warum die Grünen auch nicht für den SPD-Antrag stimmten, sondern sich enthielten. Die SPD begründete den Volksentscheid damit, dass er Akzeptanz für Stuttgart 21 schaffen solle. Dass die Grünen dem nicht zustimmen konnten, ist offensichtlich. Alarmierend ist aber, was Wölfle vorher sagte. Die SPD beantragte einen Volksentscheid über Stuttgart 21 und die ICE-Trasse Wendlingen-Ulm. Die SAV hat von Anfang an auch die ICE-Trasse abgelehnt. Die Sprecher der Bewegung gegen Stuttgart 21 haben bis letzten Winter die ICE-Trasse noch ausdrücklich befürwortet. In den letzten Monaten wurden die auch dort explodierenden Kosten und andere Probleme der Trassenführung bekannt. Deshalb nahm die Ablehnung zu, aber selbst bei AktivistInnen gibt es in dieser Frage viel Unsicherheit und Unklarheit. Bei einer Meinungsumfrage unter TeilnehmerInnen der Montagsdemo vom 18. Oktober waren 27% der Befragten dagegen, 13% dafür, aber 53% "mit Änderung" dafür. Vor diesem Hintergrund beide Fragen zu vermischen, soll offenbar dazu dienen, die Bevölkerung zu verwirren und bei einer Volksabstimmung eine Mehrheit für Stuttgart 21 zu ergaunern. Aber statt dieses Manöver der SPD anzuprangern, sagte Wölfle über die Vermischung von Stuttgart 21 mit der ICE-Trasse nach Ulm: "Das wär" noch alles in Ordnung".

Außerdem hatte die SPD in ihrer Antragsbegründung, was Wölfle nicht erwähnte, geschrieben: "nach den klaren Aussagen aller Projektbeteiligten ist mit einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung nicht zu rechnen. (…) Dadurch entstehen Entschädigungspflichten. Das Ausstiegsgesetz sähe demnach vor, dass sich das Land einseitig von den Verpflichtungen sämtlicher Verträge zu Stuttgart 21 und zur Neubaustrecke Wendlingen/Ulm löst und die daraus entstehenden Entschädigungsansprüche erfüllt." Offensichtlich will die SPD die Bevölkerung mit angeblich bei einem Ausstieg fälligen hohen Entschädigungen einschüchtern und in eine "Zustimmung" zu Stuttgart 21 hineindrängen. Auch davor hat Wölfle nicht gewarnt.

Weitere RednerInnen

Nach Wölfle redete Werner Schretzmeier vom Theaterhaus Stuttgart. Er gab die addierte Gesamtzahl der DemoteilnehmerInnen bisher mit 1.050.000 an. Nach ihm redete Jan Drusche, Mit-Betreiber des Clubs "Die Röhre", der sich als "Zwangsmitglied der IHK" vorstellte. (Die Industrie- und Handelskammer Stuttgart gehört von Anfang an zu den fanatischsten Befürwortern von Stuttgart 21. Einer Veranstaltung der IHK zu Stuttgart 21 mit Bahnchef Grube am 11. Oktober bescheinigte die Süddeutsche Zeitung "sektenähnliche Züge".) Drusche berichtete, dass der Pachtvertrag der "Röhre" zum 31.3. ausläuft. Nur wegen eines Formfehlers endet der Pachtvertrag nicht schon am 31.12. Da die Bauarbeiten für den Fildertunnel, für die die "Röhre" im Weg ist, erst später beginnen, vermutete er, dass sie mit der Kündigung für ihr Engagement gegen S21 bestraft würden. Er machte darauf aufmerksam, dass berühmte Bands einmal klein angefangen haben und führte bekannte Bands auf, die in den letzten Jahrzehnten in der "Röhre" aufgetreten waren.

Dr. Ulrich Weitz von der Agenturvermittlung, die seit September Führungen am Bauzaun am ehemaligen Nordflügel organisiert, sagte, dass der gesamte Bauzaun ins Museum kommen soll. Er musste aber berichten, dass S21-Befürworter versuchen, das Museumsstück zu verfälschen, indem sie Zettel entfernen oder wegen angeblicher Beleidigung beschlagnahmen lassen. Der Journalist Joe Bauer wollte nicht die ganzen Argumente gegen Stuttgart 21 wiederholen. Man müsse auch nicht immer wieder "beweisen, dass die Atombombe der Gesundheit schadet". Bei Stuttgart 21 gehe es um "Landnahme für ein großes Immobiliengeschäft". Bauer spielte auf die aktuelle "Integrationsdebatte" an und die Forderung, Immigranten sollten die deutsche Sprache lernen und meinte, die Sprache der Stuttgart-21-Politiker zeige, dass diese Politiker "sich nicht in die Realität der Menschen integriert" haben und auf einem anderen Planeten leben. Der Schauspieler und Regisseur Klaus Hemmerle war der letzte Redner.

Zum Schluss teilte der Moderator noch unter großem Beifall mit, dass 40 KollegInnen von Ver.di-Bezirk Rhein-Wupper zur Demo angereist waren, und lud zur Anti-Atom-Demo am 6. November ein.

Im Anschluss gab es erstmals seit Wochen wieder offiziell eine Demonstration durch die Innenstadt (in den Wochen davor hatte es nur Kundgebungen gegeben, im Anschluss an die es aber oft zu Spontandemos kam). Das Aktionsbündnis zählte über 25.000 DemonstrantInnen und wies zu Recht darauf hin, dass nicht alle Teilnehmer der Kundgebung an der Demonstration teilgenommen hatten. Bei der Demonstration organisierte die Jugendoffensive gegen Stuttgart 21 wieder einen Demoblock mit eigenem Lautsprecherwegen, bei dem es Kurzreden, Demosprüche und Musik gab und noch einmal für die Jugendkonferenz gegen Stuttgart 21 (Koffein 21) am folgenden Tag mobilisiert wurde.

Baumpflanzaktion

Nach der Demonstration gab es eine Aktion auf dem in der Nacht zum 1. Oktober gerodeten Parkgelände. AktivistInnen der Parkschützer und von Robin Wood kamen mit Leitern und jungen Bäumen an den Zaun, mehrere kletterten über den Zaun, andere reichten ihnen die Bäume nach. Wachleute und heraneilende Polizisten versuchten, das Einpflanzen der Bäume zu verhindern. Dabei zog ein Polizist eine Leiter weg, als eine Person gerade über den Zaun kletterte, so dass diese Person fast heruntergefallen wäre. Einem anderen Aktivisten, der sich friedlich abführen ließ, wurde trotzdem brutal der Arm auf den Rücken gedreht. Da aber Tausende DemonstrantInnen in den Park gekommen waren und viele in der Nähe des Bauzauns waren und jetzt den Zaun in rhythmische Schwingungen versetzten, war die Polizei zunächst vorrangig damit beschäftigt, den Zaun abzuschirmen. Dadurch konnten die AktivistInnen die Bäume symbolisch einpflanzen. 19 AktivistInnen wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen. Tausende DemonstrantInnen strömten zum Bauzaun, um die Aktion durch ihre Präsenz, durch Sprechchöre etc. zu unterstützen.

Die Parkschützer erinnerten in ihrer Presseerklärung noch einmal daran, dass die Rodungsaktion vom 1. Oktober illegal war und prangerten den brutalen Polizeieinsatz zu ihrer Durchführung an. Sie forderten, dass das Gelände dem Park zurückgegeben wird und warnten, dass durch "die bis 2024 vorgesehene Grundwasserabsenkung um ca. zehn Meter die Bäume im gesamten Schlossgarten gefährdet" sind. Sie prangerten an, "dass die Bahn trotz der laufenden Schlichtungsgespräche wie geplant weiter baut, dadurch Fakten schafft und sich an keinerlei Zusagen hält. Entgegen den Abmachungen im Vorfeld der Schlichtungsgespräche wurde in den vergangenen Tagen auf dem Gelände des Grundwassermanagements betoniert, zahlreiche Betonteile wurden angeliefert. Fast gleichzeitig musste die Bahn eingestehen, dass auch der erklärte Aufschub der Südflügelentkernung nicht eingehalten wurde."