Interview mit Lucy Redler
Du hast Mitte Oktober an Veranstaltungen der griechischen Schwesterorganisation der SAV, Xekinima, in Volos, Thessaloniki und Athen teilgenommen. Worum ging es dabei?
Thematisch ging es um den Charakter der Krise, den Stand der Klassenkämpfe in Europa und die europäischen Linksparteien. Neben mir haben Andros Payiatsos, Generalsekretär von Xekinima, und Marco Veruggio von Controcorrente, einer marxistischen Strömung in der italienischen Rifondazione Comunista, auf den Veranstaltungen gesprochen. Mit insgesamt über 250 TeilnehmerInnen waren die Veranstaltungen sehr erfolgreich. Eine Reihe von Mitgliedern von SYRIZA nahm an den Veranstaltungen teil, in Athen unter anderen ein Abgeordneter aus dem griechischen Nationalparlament.
Was ist dein Eindruck von der Stimmung in der griechischen Arbeiterklasse und Linken?
Im Gegensatz zum ersten Halbjahr, in dem sechs Generalstreiks in Griechenland stattfanden und die Stimmung von enormer Wut und Kampfbereitschaft geprägt war, ist die Stimmung heute etwas komplizierter. Der nächste Generalstreik ist für den 15. Dezember geplant. Das ist der Zeitpunkt, zu dem es aufgrund der Haushaltsberatungen jedes Jahr zu großen Mobilisierungen und Streiks kommt. Angesichts der geplanten Massenentlassungen bei der Eisenbahn und anderen Sektoren und der Privatisierungspläne der PASOK-Regierung wäre eine richtige Gegenoffensive der Gewerkschaften nötig. Doch die beiden großen Gewerkschaftsverbände bieten keine Strategie an, um Kämpfe erfolgreich zusammenzuführen. Andros Payiatsos hat bei der Veranstaltung berichtet, dass der Präsident der Gewerkschaft GSEE, Panagopoulos, öffentlich gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters geäußert habe, dass es keinen Sinn mache, die Arbeiter zu weiteren Streiks aufzurufen, weil die bisherigen Streiks die Regierung nicht zum Rückzug gezwungen hätten. Viele Arbeiter meinen dagegen, dass ein 24-stündiger Generalstreik nicht ausreichend wäre.
Das heißt, dass es momentan keine Kämpfe in Griechenland gibt?
Doch, aber sie finden unabhängig voneinander statt. Die Beschäftigten der Eisenbahn haben bereits Streikaktionen gegen die geplanten Privatisierungen beschlossen. Auch die Beschäftigten des Elekrizitätsbranche sind sehr kampfbereit. Ihre Kämpfe können auch für andere Beschäftigte eine Ermutigung sein und den Druck von unten für verallgemeinerte Gegenwehr erhöhen. Zum Zeitpunkt als ich in Athen war, haben Beschäftigte des Kultusministeriums den Zugang zur Akropolis blockiert, weil sie seit zwei Jahren keinen Lohn ausgezahlt bekommen haben.
Wie ist die Lage in SYRIZA nach der Abspaltung eines Teils von Synaspismos (SYN)?
SYRIZA hat es in den letzten Monaten nicht vermocht, klare Forderungen zu formulieren, wie der Kampf geführt werden kann und welche politischen Alternativen nötig sind. Xekinima hat in SYRIZA wiederholt dafür argumentiert, dass SYRIZA für die Streichung aller Schulden und die Verstaatlichung aller Banken eintreten muss. SYRIZA hat bis heute die Forderung nach Schuldenstreichung nicht angenommen – und das in einer Situation, in der die PASOK-Regierung die griechische Arbeiterklasse für die Krise bluten lassen will. Synaspismos und andere große linke Organisationen sprechen sich lediglich für die Neuverhandlung der Schulden und teilweise auch für eine partielle Streichung der Schulden aus, was alles andere als ausreichend ist. Der Zustand von SYRIZA ist höchst problematisch. In Umfragen hat das Bündnis nur noch eine Unterstützung von zwei bis drei Prozent, während dreißig Prozent sagen, dass sie nicht zur Wahl gehen würden oder noch unentschieden sind. Die kommunistische Partei KKE stagniert ebenfalls. Niemand kann momentan sagen, wie es mit SYRIZA nach den Kommunalwahlen im November genau weitergehen wird.
Was hat das mit den Wahlen zu tun?
Trotz klarer Mehrheiten im Zentralkomitee für eine eigenständige Kandidatur von SYRIZA bei den Kommunalwahlen in Athen, hat die Fraktion um die SYN-Führung entschieden, einen angeblichen „Rebellen“ von PASOK, Mitropoulos, zu unterstützen und damit SYRIZA an den Rand der Spaltung geführt. Eine andere Fraktion in SYRIZA, um die maoistische KOE und andere, hat sich unabhängig von der Mehrheit im Zentralkomitee entschieden, den ehemaligen Präsidenten von SYRIZA, Alavanos, zu unterstützen.
Es ist möglich, dass das Ergebnis der Kommunalwahlen in Athen dazu führt, dass sich die Führung von SYN entscheidet, ihre Mitarbeit in SYRIZA zu beenden. Dies ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Da die Mitglieder von SYN über 70 Prozent der Mitgliedschaft von SYRIZA ausmachen, würde dies die Krise von SYRIZA enorm verschärfen.
Ein Genosse aus Thessaloniki meinte in der Diskussion, die Krise der griechischen Linken sei tiefer als die Krise des Kapitalismus. Ihre Unfähigkeit, ein klares Programm zu formulieren und die Regierung herauszufordern, führt derzeit dazu, dass PASOK die Umfragen anführt – und dass nach sechs Generalstreiks!
Wie geht Xekinima mit dieser Situation um?
Xekinima hat sich bereits in den letzten Monaten stärker auf eigenständige Arbeit konzentriert und spielt eine wichtige Rolle in den Kämpfen. GenossInnen von Xekinima haben beispielsweise einen sehr wichtigen Arbeitskampf in einem Krankenhaus mit angeführt. Politisch versuchen sie in Diskussion mit anderen linken Kräften Antworten zu formulieren, wie der Kampf gegen die Regierung und Arbeitgeber erfolgreich sein kann und welche Forderungen dafür zentral sind.
Trotz der momentan komplizierteren objektiven Lage ist die Stimmung in Xekinima sehr gut. Die Organisation macht zudem bedeutende Fortschritte, Arbeiter und Arbeiterinnen mit Migrationshintergrund zu organisieren. Bei der Veranstaltung in Athen waren über dreißig GenossInnen afrikanischer und asiatischer Herkunft anwesend. Viele von ihnen spielen eine bedeutende Rolle in der Organisation.
Kannst du abschließend in drei Sätzen sagen, ob es neue Entwicklungen in Italien gibt?
Ja, am interessantesten erscheint mir das, was Marco Veruggio über die Metallarbeitergewerkschaft FIOM berichtet hat. Aufgrund ihrer kompromisslosen und kämpferischen Haltung an der Seite der Fiat-Beschäftigten wird die FIOM immer mehr zum Anziehungspunkt für Arbeiter und linke Aktivisten. Am vergangenen Samstag konnte sie über 100.000 zu einer Demonstration mobilisieren. Die politische Leerstelle, die die Rifondazione Comunista gelassen hat, wird nun teilweise von der FIOM besetzt. Kürzlich meinte ihr Vorsitzender, dass die FIOM zwar keine politische Partei gründen könne, aber helfen könnte, die Grundlage dazu vorzubereiten. Unsere GenossInnen von Controcorrente haben mittlerweile ihren Hauptslogan von „Wir brauchen eine Linke der Arbeiterklasse“ geändert in „Wir brauchen eine Linke wie die FIOM“.