Besprechung von Jürg Ulrichs „Trotzki als junger Revolutionär“
Dem Leben und Wirken Leo Trotzkis bis zur russischen Oktoberrevolution 1917 widmet sich Jürg Ulrich – geboren 1930 und emeritierter Professor für Neuropathologie in Basel – in seinem kürzlich in einer Neuauflage im vsa-Verlag erschienenen Buch „Trotzki als junger Revolutionär“.
von Nelli Tügel, Berlin
Trotzki wurde 1879 bei Odessa geboren, politisierte sich früh und wurde mit 20 Jahren wegen seiner Aktivitäten für den „Südrussischen Arbeiterbund“ zum ersten von mehreren Malen zu vier Jahren Verbannung verurteilt. Die darauf folgenden Jahre verbrachte Trotzki in verschiedenen Teilen der Welt im Exil und in Russland, wo er einer der Führer der Revolutionen 1905 (Trotzki war dort mit nur 26 Jahren Vorsitzender des Petrograder Sowjets), der Februarrevolution und der Oktoberrevolution von 1917, durch die es zum bisher ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Menschheit gelang, den Kapitalismus zu stürzen und eine Rätedemokratie aufzubauen, wurde. Der Autor beschreibt eindrücklich die Rolle der russischen Revolutionäre und ihrer Organisation, der Bolschewiki, denen sich Trotzki und seine „Interrayonisten“ im Sommer 1917 anschlossen, sowie ihre Entstehungsgeschichte.
Das Buch endet mit Trotzkis Aufbruch aus den USA nach Russland, nachdem er vom Ausbruch der Februarrevolution erfahren hatte, ein längerer Epilog umreißt jedoch die darauf folgenden Entwicklungen: die Oktoberrevolution, die Jahre des Bürgerkriegs, die gescheiterten Revolutionen in Deutschland und anderen Ländern, die Stalinisierung Russlands, der Aufbau der Linken Opposition unter Trotzkis Führung und die Verbannung durch Stalin bis zu Trotzkis Ermordung durch einen stalinistischen Agenten in Mexiko.
Die große Stärke des Buches besteht darin, dass der Autor es schafft, die Biographie Trotzkis eng mit den weltpolitischen Ereignissen einerseits, einer Charakterisierung der verschiedenen Strömungen der russischen revolutionären Bewegung andererseits und den Hauptwerken Trotzkis und einigen wenigen wichtigen Werken des Marxismus insgesamt zu verknüpfen.
So sind dem Text kurze Zusammenfassungen von Trotzkis Schriften zur Theorie der Permanenten Revolution, über die Balkankriege, die er als Korrespondent für die „Kiewskaya Mysil“ schrieb, seiner „Verratene(n) Revolution“, in der Trotzki die Sowjetunion Stalins charakterisiert, seiner Arbeiten über China, Deutschland und des „Übergangsprogramms“ (Gründungsmanifest der von Trotzkis als Reaktion auf die Stalinisierung der Kommunistischen Internationale 1938 gegründeten 4. Internationale) eingearbeitet.
Der Text ist – wie Jürg Ulrich im Vorwort schreibt – für junge LeserInnen geschrieben. „Anhand der Person Trotzkis wollte ich jungen politisch interessierten Menschen die Entwicklung sozialistischer Ideen und Bewegungen zeigen (…)“. Tatsächlich eignet er sich für alle, die beginnen, sich mit Trotzkis Ideen, dem Marxismus und/ oder der Geschichte der Russischen Revolution zu beschäftigen. Der Verweis auf zentrale Schriften Trotzkis weckt mit Sicherheit Interesse, sich mit diesen weiter zu beschäftigen bzw. eine der Trotzki-Biographien oder seine Autobiographie „Mein Leben“ zu lesen. Eine Zeittafel und Übersicht über weiterführende Literatur komplettieren das Buch.
An einigen Stellen ist die, aus der Beschreibung der von ihm verarbeiteten Texte, herauslesbare Interpretation bestimmter Texte – wie des Übergangsprogramms – diskussionswürdig und sollte kritisch hinterfragt werden, da die Interpretation Auswirkungen auf die Schlussfolgerungen für die heutige Arbeit von MarxistInnen hat. So schreibt Jürg Ulrich zum Beispiel, das systemsprengende des Übergangsprogramms leite sich aus der veränderten Weltlage – der Phase des Niedergangs des Kapitalismus – und der daraus resultierende Tatsache ab, dass die Durchsetzung von Forderungen, die vorher (z.b. bei den Arbeiterparteien der 2. Internationale/ Sozialdemokratishen Parteien) Minimalforderungen (Forderungen nach bestimmten Reformen im Gegensatz zu Maximalforderungen/ Sozialismus) waren, nun schon einen Übergang zur sozialistischen Revolution bedeuteten. Dies ist nicht falsch, allerdings betont Trotzki auch, dass die Aufgabe von Revolutionären bei der Aufstellung von Forderungen und dem Kampf für diese das bewusste Aufzeigen von Verbindungen zwischen Tagesforderungen und der sozialistischen Revolution ist und unterscheidet zwischen Minimalforderungen und Übergangsforderungen.
Interessant ist, dass der Autor in seinem kurzen Vorwort auch darauf hinweist, dass er das Buch zu Beginn der 1990er Jahre unter der Annahme geschrieben habe, „dass sich im ehemaligen "Ostblock" wieder eine starke Arbeiterbewegung bilden und einen wichtigen Faktor im Weltgeschehen darstellen würde.“ Zurecht weist er darauf hin, dass es den Rahmen dieses Buches sprengen würde, näher auf die Gründe dafür einzugehen, weshalb dies nicht eingetroffen ist und die Frage des Aufbaus der Arbeiterbewegung heute und morgen zu behandeln. Umso mehr sollte das Buch auch als Anreiz dafür verstanden werden, sich mit diesen Fragen auseinander zusetzen.