20.000 zogen am 17. Juli durch die Straßen von Warschau
Nicht nur die polnische LGBT-Community nahm teil, sondern auch Heterosexuelle die ihre Solidarität mit der Parade ausdrücken und ihre Ablehnung von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zeigen wollten. Viele heterosexuelle Paare brachten auch ihre Kinder mit zum Umzug.
von Paul Newbery, Warschau
Aber während die Stimmung auf der Parade von Freude und Spaß gekennzeichnet war, war sie trotzdem auch politisch. Die Parade, die der Abschluss der polnischen Veranstaltungswoche Europride 2010 war, forderte eine Gesetzesänderung um gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu legalisieren. Damit verbunden waren Forderungen nach der Möglichkeit, wie heterosexuelle Ehepaare gemeinsame Besitzrechte zu haben und gemeinsame Steuererklärungen einzureichen, nach dem Sorgerecht für Kinder des/der PartnerIn und dem Recht, Entscheidungen über die medizinische Behandlung für eineN bewusstloseN PartnerIn zu fällen.
Sexualität in Polen
In den letzten 20 Jahren, seit der Wiedereinführung des Kapitalismus, sind die Widersprüche in der polnischen Gesellschaft im sexuellen Bereich gewachsen. Einerseits gibt es einen verbesserten Zugang zu Information und Wissen über sexuelle Angelegenheiten durch Polens Öffnung nach Westen und verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten wie das Internet. Andererseits ist damit die zunehmende Kommerzialisierung des Sex verbunden, die Ausbeutung des weiblichen Körpers um Produkte zu verkaufen ebenso wie das Wachstum der Pornoindustrie. Schließlich sehen wir in Kontrast zu diesen Entwicklungen einen Versuch, Polen ins Mittelalter zurückzuwerfen und die Bevölkerung zu verblöden.
Dies beinhaltet ein massives Wachstum der Macht und der Privilegien der Kirche während dieser Periode, die Einführung des Schulfaches Religion (meistens von katholischen Priestern oder Nonnen unterrichtet) in staatlichen Schulen auf Kosten der Sexualaufklärung, das Verbot der Abtreibung und andere Angriffe auf die Rechte der Frauen. Zusätzlich wird die Rolle der Hausfrau und Mutter gefördert, damit der Staat bei der Kindererziehung und Altenpflege Geld sparen kann. Das wichtigste Element dieser Kampagne ist die Förderung des einzig akzeptablen Familienmodells (Mann, Frau und 2 oder mehr Kinder) und eine massive Kampagne gegen Homosexualität.
Neben der Kampagne für das traditionelle heterosexuelle Familienbild ist ein weiterer Grund für die institutionalisierten Angriffe auf Homosexualität die verbreitete Arbeitslosigkeit und Armut, wegen der die Herrschenden einen Sündenbock brauchen, um von den realen Ursachen der Probleme abzulenken und die Bevölkerung zu spalten.
Unterdrückung von Schwulen und Lesben
Im letzten Jahr wurde Polen in einem EU-Bericht für die institutionalisierte Diskriminierung von Schwulen und Lesben, z.B. durch Polizei, Schulen und die Regierung, sowie am Arbeitsplatz, verurteilt. Der Bericht listete die vielen Fälle von verbaler Aggression und sogar physischen Drohungen gegen Lesben und Schwule in Statements polnischer Politiker auf. Ein Beispiel war der verstorbene Präsident Lech Kaczyński, der als Bürgermeister von Warschau den Gleicheitsparade 2005 verboten hatte und die extreme Rechte zu Gegenaktionen ermutigte. Andere Politiker aus Kaczyńskis Lager unterstützten sogar physische Angriffe.
Nach einem EU-Bericht wurde bei dieser Gelegenheit das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verletzt. Als Folge von Kaczyńskis Bemerkungen gab es einen Anstieg der physischen Angriffe gegen Lesben und Schwule.
Diese bewusste Anstrengung des polnischen Establishments erklärt den Anstieg von Diskriminierung und Intoleranz gegen Schwule und Lesben. Allerdings ist die Kehrseite dieses Prozesses die steigende Zahl an Menschen, die ihre Solidarität und ihren Protest gegen solche Diskriminierung ausdrücken wollen. Die Größe der diesjährigen Demonstration ist ein Indikator für die wachsende Unterstützung für Schwule und Lesben in Polen in den letzten Jahren. Vor fünf Jahren waren nur 33 Prozent der WarschauerInnen für die Gleichheitsparade, während neue Umfragen zeigen das in diesem Jahr 45 Prozent dafür und 44 Prozent dagegen sind.
Diese Umfrage und die Europride-Demo sind ermutigende Signale. Allerdings sollte die polnische LGBT-Bewegung ihre Kräfte mit der Frauenbewegung und weiteren Bewegungen der Arbeiterklasse, besonders den Gewerkschaften, vereinen um die Diskriminierung von Schwulen und Lesben zu beenden und Gleichheit zu erreichen.
Der Kampf gegen alle Formen von Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung kann nur als gemeinsamer Kampf gegen die Ursache – den Kapitalismus – erfolgreich sein.