Interview mit Brett Hoven, Socialist Alternative (Minneapolis, USA), Amerikanischer Sozialist und Arbeiter bei Ford
In diesem Jahr erleben die USA gleich zwei zeitlich zusammenfallende Jubiläen: Zwei Jahre Obama-Administration und zwei Jahre Weltwirtschaftskrise. Wie ist die Bilanz dieser zwei Jahre? Was hat sich seitdem verändert?
Vom Enthusiasmus der Wahlkampagne und der ersten Monate nach der Wahl Obamas ist nicht mehr viel zu spüren. Die Hoffnungen in Obama sind in weitgehende Desillusionierung umgeschlagen. Aus Obamas sozialen Versprechungen ist schließlich nichts geworden. Selbst sein „Paradestück“, die Gesundheitsreform, mit dem großspurig verkündeten Ziel der Durchsetzung einer Krankenversicherung für alle, hat sich trotz einiger tatsächlicher Verbesserungen beim genaueren Betrachten als Mogelpackung erwiesen. Der von der entsprechenden Lobby im Wahlkampf finanzierte Obama hat aus ihr vor allem ein Geschenk an private Versicherungskonzerne gemacht. Dass die Republikaner Obamas „sozialistische“ Gesundheitsreform permanent kritisieren und an ihr kein gutes Haar lassen ist eine andere Sache. Es entspricht ihrer Taktik, ändert aber nichts am im wesentlich den Konzernen entgegenkommenden Charakter der Reform.
Was die Auswirkungen der Krise in den USA angeht, so könnte man sie sich nicht schlimmer vorstellen. Sie ähneln stark denen in der Krise von 1929. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Geschönte Statistiken können darüber nicht hinwegtäuschen. Etwa eine Million Menschen haben ihre Wohnungen oder Häuser verloren, weil sie die Miete oder Hypothek nicht mehr bezahlen können. Viele leben in Trailerparks, manche einfach nur in notdürftigen Zelten. Der Fall in die absolute Armut ist für Viele zur Realität geworden.
Die Mehrheit der Amerikaner ist nicht nur desillusioniert über Obama, sondern über das gesamte politische und ökonomische System. Umfragen zu Folge glaubt ein deutliche Mehrheit nicht mehr an eine wirtschaftliche Erholung.
Wie wirkt sich das politisch aus? Was machen denn diejenigen, die vor zwei Jahren noch Obama enthusiastisch unterstützt haben und sich im ganzen Land in Kampagnenunterstützerkomitees – sicherlich voller Illusionen – engagiert haben?
Ein Teil dieser Leute sind in den Parteiapparat der Demokraten gelangt und haben lukrative Posten bekommen. Doch das trifft freilich nur auf einen kleinen Teil zu. Die Mehrheit ist wie gesagt desillusioniert und hat mit den Verheißungen der Obama-Kampagne abgeschlossen. Eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage anlässlich der im Herbst stattfindenden Kongresswahlen ergab, dass zwei Drittel der Befragten lieber ihre Stimme einem Kandidaten oder einer Kandidatin geben würden, der/die noch nie in der Regierung war. Auch würde dieser Umfrage nach die Wahlbeteiligung drastisch zurückgehen. Das sagt einiges über die allgemeine politische Stimmung im Land aus. Vermutlich werden die Republikaner bei der kommenden Kongresswahl im Herbst die Gewinner sein, aber auch sie gelten als nicht allzu glaubwürdig. Es wäre jedenfalls falsch, von einem allgemeinen Rechtsruck zu sprechen. Natürlich würde eine republikanische Mehrheit im Kongress den Druck auf Obama vergrößern. Doch das ist nicht Obamas einziges Problem. Denn zunehmend steht er und seine Administration unter dem Druck sich verstärkender Protestbewegungen, auch von fortschrittlichen und linken.
Welche sind das denn? Ausgehend von den hiesigen Massenmedien hat man den Eindruck, dass momentan ausschließlich die Rechte gegen Obama mobilisiert. So zum Beispiel die reaktionäre Gruppierung „Tea Party Movement“…
Da gibt es so einige progressive Bewegungen!… Zunächst einmal muss man festhalten, dass viele dieser Bewegungen – von Anti-Kriegs-Kampagnen und migrantischen, antirassistischen Kampagnen und Bewegungen bis hin zu Gruppen, die für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender kämpfen – durch den Wahlsieg Obamas einen ungeheuren Aufwind bekommen haben. Viele AktivistInnen unterstützten damals die Demokraten. Die Bewegung für Immigrantenrechte und die LGBT-Bewegung hat in den letzten zwei Jahren immer wieder größere nationale Protestdemonstrationen auf die Beine gestellt. Wichtig dabei ist festzuhalten, dass jede davon größer war als die Kundgebungen und Demonstrationen der „Tea Party“-Bewegung.
Innerhalb der Bewegungen ist es zu Spaltungen gekommen, die allerdings nicht unbedingt schwächen, sondern politische Klarheit schaffen. Während ein Teil weiter auf Obama und die Demokraten setzt, haben andere damit gebrochen und zeigen große Offenheit für radikalere Alternativen. In der Immigrantenbewegung geht die Differenzierung am weitesten: Hier gibt es einen demokratentreuen Flügel und einen der die Regierung scharf kritisiert. Soziale Fragen, Klassenfragen, spielen dabei eine große Rolle. Und das ist ein bedeutender Faktor – organisiert diese Bewegung ja besonders arbeitende ImmigrantInnen, die ja spätestens seit dem politischen Streik am 1. Mai 2006 gezeigt haben, dass sie ein ganzes Land lahmlegen können.
Es wäre aber falsch zu glauben, es hätte einen massenhaften Bruch der progressiven sozialen Bewegungen mit Obama gegeben. Momentan besteht die Absicht der aller meisten von ihnen darin, gegenüber den Demokraten ihre Unabhängigkeit zu wahren oder vielfach erst einmal durchzusetzen.
Achja, und was die „Tea Party“-Bewegung angeht. Sie schafft es tatsächlich, von der gegenwärtigen Stimmung zu profitieren. Aber sie wird doch meiner Meinung nach sehr überschätzt. Überdies ist es ein Irrtum zu glauben, hier handele es sich um eine echte „grassroots“-Bewegung von rechts. Die größte Stärke dieser selbst ernannten „Basisbewegung“ besteht in ihrer Finanzkfräftigkeit, bedingt durch mächtige Freunde. Sie wird von einigen rechten, neoliberalen thinktanks und Konzernen unterstützt. Zudem ist sie aufs engste mit den Republikanern verfilzt. Hinzu kommt, dass sie von den konservativen Massenmedien, allen voran dem Sender FOX, massiv gehypet und regelrecht promotet wird.
Die „Tea-Party-Bewegung“ ist eine Schöpfung von oben, mit einer eher passiven Basis. Strukturell ist diese Bewegung mehr ein loses Netzwerk als denn eine schlagkräftige Organisation. Ihre Mobilisierungsfähigkeit ist eher begrenzt. Auf ihrer bislang größten Demonstration gelang es ihr, gerade mal 70.000 Menschen zu mobilisieren. Das klingt erst mal nach nicht wenig, erscheint aber in einem anderen Licht, wenn man es mit den Mobilisierungserfolgen der zwei großen Demos der Bewegung für Immigrantenrechte – allein am 1. Mai 2010 waren es über eine halbe Million – vergleicht und selbst mit den Demos der LGBT-AktivistInnen. Vor allem aber liegen die 70.000 Leute deutlich unterhalb der großspurigen Ankündigung der Sprecher der „Tea Party“-Bewegung, 1,5 Millionen Menschen auf die Straßen zu bringen. Die Demonstrierenden waren überwiegend wohlhabende, weiße Männer aus der gehobenen Mittelklasse, in der Regel weit über die 40 sind. Diese Gruppe stellt im Allgemeinen das Fußvolk des „Tea Party“-Netzwerks dar. Der Einfluss dieser Bewegung auf die Jugend ist hingegen marginal.
Wie wirkt sich die Krise auf das politische Bewusstsein von Jugendlichen aus? Spielen Jugendproteste eine besondere Rolle oder ist die Jugend in den USA (noch) eher zurückhaltend?
Jugendliche werden von der Krise – wie überall – besonders hart getroffen. Im bankrotten Staat Kalifornien gibt es massive Kürzungen im Bildungswesen, die mit einem Bildungsstreik beantwortet wurden. Dabei gelang es, SchülerInnen, Lehrkräfte, Eltern und die Gewerkschaften des Bildungssektors gemeinsam zu mobilisieren. Die Forderungen des Streiks waren sehr politisch und spannten einen direkten Bogen zu anderen Themen. So waren zentrale Slogans „Geld für Bildung statt für Banken!“ und „Geld für Bildung statt für Krieg!“
Amerikas Jugendliche, besonders die aus Arbeiterfamilien, bekommen die Krise besonders deutlich zu spüren: In den Schulen und bei der (oftmals vergeblichen) Jobsuche. An ihren Schulen wird gespart, während man sie gleichzeitig als Kanonenfutter in die Kriege in Afghanistan und Irak schickt. Die Offenheit für antikapitalistische und sozialistische Ideen ist bei ihnen am größten. Umfragen belegen das.
Welche Rolle spielen die Kriege in Afghanistan und Irak in der gegenwärtigen amerikanischen Politik und welche Auswirkungen haben sie auf das Bewusstsein der AmerikanerInnen?
Sie spielen eine enorme Rolle. Für die Herrschenden ist längst klar, dass diese Kriege nicht gewinnbar sind. Gleichzeitig können sie aber nicht so einfach raus gehen, damit würden sie gegenüber der Welt zu offensichtlich Schwäche zeigen. Was die Bevölkerungsmehrheit im Land angeht, so ist schon seit Jahren eine solide Mehrheit für eine sofortige Beendigung der Einsätze und einen Abzug der Truppen. Zwar sind die Proteste gegen die Kriege noch klein und stehen in keinem Verhältnis zu der Bewegung gegen den Irak-Krieg 2003, aber sie wachsen wieder. Die Regierung und die beiden großen Parteien des Kapitals, versuchen momentan den Eindruck zu erwecken, es gäbe diese Auslands-Einsätze gar nicht mehr. Bei den Vorwahlen zum Kongress schweigen Demokraten und Republikaner zum Thema, wohl wissend, dass sie mit ihrer Absicht zum Weiterführen dieser Einsätze mit dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung kollidieren.
Eine neue Entwicklung ist aber die Ankündigung der bekannten Anti-Kriegs-Aktivistin Cindy Sheehan, möglicherweise 2012 als unabhängige Kandidatin zu den Präsidentschaftswahlen anzutreten. Cindy Sheehan vertritt in der letzten Zeit immer deutlicher antikapitalistische Positionen. Ihre Kandidatur könnte ein Anziehungspol für viele AktivistInnen der verschiedensten sozialen Bewegungen sein.
Hat die zunehmende Desillusionierung mit dem herrschenden System die Akzeptanz für sozialistische Ideen in der amerikanischen Gesellschaft erhöht? Wenn ja, wie macht sich das bemerkbar?
Ja, das kann man sagen. Wobei man natürlich nicht übertreiben darf. Das Bewusstsein über eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus ist weiterhin nur bei einer Minderheit da. Aber es sind Veränderungen spürbar. Eine kürzlich gemachte Umfrage dess renomierten Gallup-Instituts ergab, dass 37 Prozent der AmerikanerInnen Sozialismus als dem Kapitalismus überlegen betrachten. Angesichts der speziellen, von jahrzehntelanger antikommunistischer Hetze geprägten Geschichte der USA und trotz des Fehlens sozialistischer Parteien mit Masseneinfluss und prominenter linker PolitikerInnen, ist das ein beachtliches Ergebnis und stellt einen historischen Höchststand der Unterstützung für die Idee des Sozialismus dar!
Bei Jugendlichen ist die Offenheit für sozialistische Ideen, auch revolutionär-sozialistische, besonders hoch. In unser alltäglichen Arbeit wird das besonders deutlich. Viele wenden sich an uns, weil sie nach einer Alternative zu diesem bankrotten System suchen.
Ein Problem bei allen Altersgruppen aber ist, dass oftmals große Verwirrung darüber herrscht , was Sozialismus überhaupt ist. Dank der Propaganda der Republikaner und der konservativen Massenmedien, halten viele schon Obamas halbherzige Maßnahmen für „Sozialismus“. Das erfordert von MarxistInnen noch viel Aufklärungsarbeit. Besonders hinderlich ist das Fehlen einer in der Arbeiterklasse verwurzelten Massenpartei, die aufzubauen in den USA noch ansteht.
Trotz allem aber kann man sagen, dass die Offenheit breiterer Kreise der amerikanischen Bevölkerung gegenüber sozialistischen Ideen seit der Krise zugenommen hat und anscheinend weiter wächst.
Das Interview führten Julia und Marius Hessler auf der Europäischen Sommerschulung des „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI) vom 10.-18. Juli 2010 im belgischen Gent