Für die Einheit im Kampf
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 23. Juni entschieden, dass künftig in einem Betrieb gleichzeitig mehrere Tarifverträge zur Anwendung kommen können. Beispielsweise können MedizinerInnen in einer Klinik entsprechend einer vom Marburger Bund geschlossenen Vereinbarung statt eines von ver.di vereinbarten Tarifvertrags vergütet werden. Genau dafür hatten auch zwei Ärzte in Mannheim geklagt. Damit wird die bisherige Rechtsprechung zur „Tarifeinheit“ – ein Betrieb, eine Gewerkschaft – aufgegeben.
von Eckhard Geitz, Kassel
DGB-Chef Michael Sommer warnt nun vor der „Zerklüftung der Tariflandschaft“. Arbeitgeber-Vorsitzender Dieter Hundt fürchtet die „Vervielfachung kollektiver Konflikte“. Wenn sich selbst der FDP-Fraktionsvize Heinrich Kolb besorgt zeigt, muss das stutzig machen.
Spartengewerkschaften
Im konkreten Fall wollten die beiden Ärzte nicht entsprechend des von ver.di vereinbarten Tarifvertrags des Öffentlichen Dienstes (TVÖD) vergütet werden. Wahrscheinlich hätten sich viele Kolleg-Innen aufgrund der Verschlechterungen des TVÖD genauso entschieden, wenn sie gefragt worden wären.
Co-Management, Verzicht und Öffnungsklauseln, die Beschäftigte dem Arbeitgeber ausliefern, bilden den Hintergrund dafür, dass mehrere für unterschiedliche Berufsgruppen tätige Spartengewerkschaften wie die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Cockpit oder die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (UFO) auf Druck von unten in bestimmten Fällen bessere Abschlüsse als ver.di erzielten.
Schulterschluss von DGB und BDA
Noch vor dem Erfurter BAG-Urteil stellten der DGB und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gemeinsam „Eckpunkte für ein Tarifvertragsgesetz“ vor. Damit soll per Gesetz festgelegt werden, dass in einem Betrieb der Tarifvertrag der Organisation mit den meisten Mitgliedern gilt. Für die Laufzeit eines solchen Tarifvertrags soll dann für alle Gewerkschaften Friedenspflicht herrschen. Damit wollen die DGB-Oberen Seit an Seit mit den Arbeitgebern gegen das Streikrecht schreiten. CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen signalisierte bereits Zustimmung.
Das Urteil und seine Folgen
Während die DGB-Spitze und führende Kräfte der LINKEN, wie Parteichef Klaus Ernst, auf eine „Tarifeinheit“ per Gesetz drängen, argumentieren die Bürgerlichen nicht ganz so geschlossen. Einerseits hoffen FAZ oder Financial Times Deutschland (FTD), dass man unbequemere Gewerkschaften wie die GDL so in die Schranken weisen kann. Andererseits glauben sie auch an die Schwächung der Gewerkschaften durch die Kraft der Konkurrenz.
Natürlich ist Einheit aus Sicht der Lohnabhängigen ohne jeden Zweifel wünschenswert. Große, mitgliederstarke Gewerkschaften haben ein ganz anderes Potenzial, den Arbeitgebern Paroli zu bieten, als viele, sehr kleine gewerkschaftlichen Kräfte. Aber Einheit kann nicht per Gesetz verordnet werden. Einheit ist im Kampf gefragt. Im Übrigen würden die DGB-Gewerkschaften bei einer gesetzlichen „Tarifeinheit“, worauf Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler hinweist, „keineswegs in allen Betrieben in der Mehrheitsposition“ sein und sich folglich selber des öfteren um die Möglichkeit bringen, Teile einer Belegschaft überhaupt tariflich abzusichern. Wer also stur einer von der Bundesregierung beschlossenen „Tarifeinheit“ das Wort redet, kann nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden.
Eckhard Geitz ist Mitglied im Sprecherrat des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di“