Israel: Demonstrationen gegen Besatzung und Blockade Gazas

„Wir werden nicht aufhören, gegen die Aushöhlung des Rechts zu protestieren“


 

Wir veröffentlichen hier einen Artikel, der schon am 11. Juni in englischer Sprache auf www.socialisworld.net erschien. Er stammt von einem israelischen Marxisten und macht deutlich, dass sich auch in Israel der Protest gegen die rassistische und unterdrückerische Politik der Regierung formiert:

Fast 10.000 israelische Jüdinnen, Juden und PalästinenserInnen sind Samstag in Tel Aviv gegen die Auswirkungen des Angriffs auf die Hilfsflotte, die Besatzung des Gazastreifens, die Belagerung und die extrem rechte Regierung auf die Straße gegangen.

von Yasha Marmer, Bewegung Sozialistischer Kampf (Schwesterorganisation der SAV Israel)

Einen Tag vorher nahmen hunderte Israelis und PalästinenserInnen an einer gemeinsamen Demonstration gegen die Besatzung und die Grenzmauer im besetzten Westjordanland teil. Die Bewegung sozialistischer Kampf (Sektion des CWI in Israel/Palästina) beteiligte sich an beiden Protesten und rief zum gemeinsamen Kampf gegen die Besatzung, nationalistische Unterdrückung und für Sicherheit, Sozialleistungenund Arbeitsplätze für alle Menschen in der Region auf.

Die Demonstrationen am Samstag und Freitag waren bereits vor dem Angriff auf die Hilfsflotte organisiert und wie jedes Jahr auf den Jahrestag des Krieges von 1967 terminiert worden. Damit sollte gegen die fortwährende direkte wie indirekte Besetzung Gazas und des Westjordanlands seit diesem Krieg protestiert werden. Auf Grund der jüngsten Entwicklungen wurden beide Demonstrationen allerdings Teil einer ganzen Serie von Protesten gegen den Angriff auf die Hilfsflotte, an der sich in Tel Aviv, Haifa, Jerusalem, Be"er Scheva, Nazareth, Sachnin und in anderen Orten insgesamt tausende PalästinenserInnen und israelische Jüdinnen und Juden beteiligten.

Nationalistische Kampagne

Die Proteste fanden vor dem Hintergrund einer heftigen nationalistischen Kampagne des israelischen Regimes gegen jede Form der Kritik an dem Angriff auf die Hilfsflotte für Gaza statt. Für diese Kampagne wurde die gesamte Mainstream-Medienlandschaft mobilisiert.

Tausende israelischer Jüdinnen und Juden und PalästinenserInnen waren aus dem ganzen Land zusammen gekommen, um am Samstag durch das Zentrum Tel Avivs zu ziehen. Wegen der allgemein vorherrschenden nationalistischen Stimmung in der Gesellschaft war die Atmosphäre angespannt. Dies galt vor allem für die Straßen, durch die der Protestzug führte. Die Demo wurde von starker Polizeipräsenz wie auch von gut organisierten sowie auf Provokation ausgerichteten Gruppen rechtsextremistischer Schläger begleitet.

Das Motto der Demonstration hatte Hadash, die Frontorganisation der Kommunistischen Partei Israels, ausgerufen: „Die Regierung erstickt uns alle – wir müssen uns den Frieden selbst erkämpfen“. Neben Hadash beteiligten sich andere Friedens- und gegen die Besatzung gerichtete Organisationen, aber auch die etablierte Partei MERETZ (vigor) sowie ihre Schwesterorganisation, die Bewegung „Peace Now“. Die Führung von „Peace Now“ und MERETZ hatte sich in der Woche zuvor bewusst dafür entschieden, sich nicht an den Protesten zu beteiligen. Einige ihrer AktivistInnen taten dies dennoch. Auch verurteilten die führenden Köpfe dieser Strukturen auf der Demonstration am Samstag den Angriff auf die Flotilla nicht in aller Deutlichkeit. Und forderten auch kein Ende der Blockade von Gaza.

Sofortiges Ende der Besatzung!

Trotzdem forderte die Mehrzahl der Protestierenden das sofortige Ende der Besatzung, der Belagerung und das Ende des harten Durchgreifens gegen das Demonstrationsrecht. Es steht außer Frage, dass der tödliche Angriff auf die Flotilla der Schlüsselmoment bei der breiten Mobilisierung war. Viele der Protestierenden, Jüdinnen, Juden und PalästinenserInnen, stimmten mit ein, als unser Block damit begann, Slogans zu skandieren. Mitglieder, UnterstützerInnen und Leute, die uns zum ersten Mal trafen – darunter palästinensische Jugendliche aus Hadash, schlossen sich unserem Block an, riefen unsere Slogans auf Hebräisch und in Arabisch und benutzten unsere Megafone. Gemeinsam skandierten wir: „Keine Vertuschung wird helfen – die Besatzung ist Terror: Es gibt nichts zu untersuchen – beendet die Belagerung“; „Protest ist kein Terror – beendet die Belagerung Gazas“; „Sicherheit baut nicht auf den Leichen von Protestierern auf“; „Generäle und Minister, stoppt das Töten von DemonstrantInnen“; „Die rassistische Regierung ist die Bedrohung für unsere Sicherheit“ und, „Investiert in Bildung nicht in Belagerung und Besatzung“. Während der Demonstration konnten wir rund 250 Ausgaben unserer aktuellen Zeitung HaMa’avaK verkaufen und hunderte Aufkleber in Hebräisch und Arabisch mit dem Spruch: „Araber und Juden kämpfen gegen Rassismus“.

Im Laufe der Demo riefen wir auch: „Wir werden nicht damit aufhören, gegen die Aushöhlung des Rechts durch die Rechten zu protestieren“, als organisierte Gruppen extrem rechter Schläger von der Regierung initiiert DemonstrantInnen anzugreifen versuchten. Bei der Kundgebung warfen die Schlägertrupps eine Rauchgranate in die Demo. Es gelang ihnen aber nicht Panik auszulösen oder jemanden zu verletzen. Später versuchte ein Teil von ihnen Uri Avnery, einen 85 Jahre alten Journalisten und Kopf der Gruppe „Gush Shalom“ (dt.: „Der Friedensblock“), anzugreifen. Unmittelbar nach unserer Demonstration und von der Polizei unbehelligt marschierten sie durch Tel Aviv und nannten alle „Verräter“, die ihnen entgegen kamen. Doch obwohl die extreme Rechte in ihrem Tun von der Regierung ermutigt worden war, bekamen sie nicht mehr als 100 Leute bei ihrer Gegen-Demo an diesem Tag zusammen – lediglich ein Prozent der Teilnehmerzahl die zur Anti-Belagerungsdemo gekommen war! Dennoch stellen sie weiterhin eine ernste Gefahr dar, gegen die es zu kämpfen gilt.

Eine gemeinsame Demonstration im Westjordanland

Tags zuvor nahmen AktivistInnen der Bewegung Sozialistischer Kampf zusammen mit hunderten AraberInnen, Jüdinnen und Juden, Israelis und PalästinenserInnen an einer gemeinsamen landesweiten Demonstration gegen die Besatzung teil. Diese wurde organisiert von den Volkskomitees gegen die Grenzmauer im Westjordanland und verschiedenen Friedensorganisationen. Die Demo fand im Dorf Neu Beit Nuba an der sogenannten Straße Nummer 443 – einer Schnellstraße, die durch das Westjordanland führt und Jerusalem mit den verschiedenen Siedlungen verbindet, und die für die PalästinenserInnen die Hauptverkehrsroute nach Ramallah ist, statt. Die Straße wurde auf von palästinensischen Dörfern konfisziertem Land gebaut, war aber unerhörter Weise für die palästinensische Bewegung jahrelang gesperrt. Der Oberste Gerichtshof Israels, der üblicher Weise für die rechtliche Grundlage der rassistischen Politik des Regimes und für die Belagerung verantwortlich zeichnet, ordnete die Öffnung der Straße für PalästinenserInnen an – aber nicht die Öffnung des Checkpoints nach Ramallah. Dieser bleibt geschlossen. Das bedeutet, dass die Schnellstraße für die PalästinenserInnen ins Nichts führt.

Die Demonstration begann mit einem Marsch von dem Dorf zum Grenzzaun, der die Ortschaft und die Ländereien der Dörfer Yalu, Imwas und des alten Beit Nuba, die im Krieg 1967 zerstört worden waren, von der Schnellstraße abschneidet und ihre EinwohnerInnen zu Flüchtlingen machte. Zehn Minuten nach Beginn der Demo, als die ersten DemonstrantInnen den Zaun erreicht hatten, wurden schwere Tränengassalven auf alle DemonstrantInnen abgefeuert. Eine Stunde lang feuerte die Armee Tränengasgranaten ins Ortsinnere, wobei selbst kleine Kinder, die mit ihren Familien zur Demo gekommen waren, das Tränengas einatmen mussten. Als es noch möglich war, skandierten AktivistInnen des CWI:„Reißt die Mauer ab – stoppt den Landraub“; „Die Siedlungen sind kriminell – löst die Siedlungsbehörde auf“; „Ihr werdet den Protest nicht mit Gas und Hubschraubern zum Schweigen bringen“.

Trotz der scharfen nationalistischen Propaganda des israelischen Regimes zeigten beide Demonstrationen das existierende Potential, um in Richtung des Aufbaus einer Bewegung der Jugendlichen und der ArbeiterInnen, der Israelis und PalästinenserInnen, der AraberInnen, Jüdinnen und Juden voranzukommen, für das Ende der Besatzung und des blutigen Konflikts und im Sinne unserer beiderseitigen Interessen voranzukommen.