45.000 demonstrieren in Berlin und Stuttgart
“Wir zahlen nicht für Eure Krise!” – So lautete die deutliche Botschaft von 45.000 ArbeiterInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen, die am 12. Juni dem Aufruf des so genannten Anti-Krisen-Bündnisses folgten und auf den Straßen Berlins und Stuttgarts lautstark gegen das so genannte Sparpaket und das Abwälzen der Krisenkosten auf die Masse der Bevölkerung demonstrierten.
von Sascha Stanicic, Berlin
Monatelang war auf diese Demonstrationen von den vielen BündnisteilnehmerInnen, darunter auch die SAV, hingearbeitet worden. Doch eine lange Zeit hielten sich die beteiligten Gewerkschaften und auch die Partei DIE LINKE zurück, eine wirklich breit angelegte Massenkampagne zur Mobilisierung zu führen. Während die Gewerkschaft ver.di und einzelne Gliederungen anderer Gewerkschaften zwar aufriefen, beteiligten sich IG Metall, IG BAU und andere erst gar nicht.
Das “Sparpaket” der Bundesregierung, eine Woche vor den Demonstrationen verkündet, hatte dann naturgemäß einen mobilisierenden Effekt und es gab daraufhin von ver.di und der LINKEN eine Steigerung ihrer Mobilisierungen, die bei den Demonstrationen auch sichtbar wurde. So prägte ver.di die Stuttgarter Demonstration und in Berlin umfasste der Block der Partei DIE LINKE über 2.000 Menschen und war damit der mit Abstand größte Block. Dies drückte sich auch bei den RednerInnen aus: in Stuttgart sprach der ver.di-Vorsitzende Bsirske und in Berlin die neue LINKE-Vorsitzende Gesine Lötzsch. Dass in Stuttgart auch SPD und Grüne Teil der Demonstration wurden und so ihre Versuche von ihrer Verantwortung für Agenda 2010 und Hartz IV abzulenken auf eine dreiste Spitze treiben konnten, liegt auch in der Verantwortung der dortigen ver.di-Kreise, die die Stuttgarter Demo mit vorbereiteten. Ein großer Teil der DemonstrantInnen war damit aber nicht einverstanden und buhte den SPD-Redner auf der Abschlusskundgebung lautstark aus.
Die relativ gute Beteiligung von ver.di-Mitgliedern in Stuttgart und LINKE-Mitgliedern in Berlin ist jedoch nur ein Hinweis darauf, was möglich wäre, wenn Gewerkschaften und LINKE tatsächlich ernsthaft für Massenproteste mobilisieren würden.
Die Demo in Berlin
In Berlin dominierten antikapitalistische Parolen die Demonstration. Ein Hauch von den Protesten gegen Hartz IV aus den Jahren 2003 und 2004 wehte durch die Stadt, als sich nicht wenige PassantInnen spontan dem Marsch anschlossen und AnwohnerInnen den DemonstrantInnen aus den Fenstern zuwinkten und applaudierten.
Bei der Auftaktkundgebung begeisterte unter anderem Mustafa Efe, IG-Metall-Mitglied und Betriebsrat der Gruppe “Alternative” im Berliner Daimler-Werk, die ZuhörerInnen mit einer kämpferischen Rede (Link zur Rede bei YouTube), die vielen aus dem Herzen sprach. Er rief dazu auf, die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen zu machen und die notwendigen Proteste europaweit zu koordinieren. Unter großem Applaus sagte er: “Der IG BAU-Chef Klaus Wiesehügel sagt, die deutschen Gewerkschaften können nicht generalstreiken, weil sie darin nicht geübt seien. Das ist so als wenn eine werdende Mutter vor der ersten Geburt sagt, sie sei darin aber nicht geübt!” Die Idee des Generalstreiks wurde von verschiedenen RednerInnen aufgeworfen und fand ein sehr positives Echo. Efe, der auch Mitglied der SAV ist, und seine KollegInnen aus der “Alternative”-Gruppe kritischer IG Metaller, ist zur Zeit vom Ausschluss aus der Gewerkschaft bedroht, weil die “Alternative” mit einer eigenständigen Liste zu den Betriebsratswahlen antrat, um eine inhaltliche Alternative zum Schmusekurs der IG Metall- und Betriebsratsmehrheit im Betrieb zu präsentieren. 25 Prozent der Wählerstimmen machten deutlich, dass es unter den KollegInnen ein großes Bedürfnis nach einer anderen Gewerkschaftspolitik gibt. Unter großem Applaus protestierte die Moderatorin der Kundgebung gegen diese drohenden Ausschlüsse und rief aus: “Wir brauchen viele Mustafas in den Gewerkschaften!”
Die “Alternative” und ihre UnterstützerInnen aus dem Berliner Solidaritätskreis beteiligten sich sichtbar mit eigenen Transparenten und Schildern an der Demonstration.
Neben einem Redner von ver.di, vom Solikomitee mit der Widerstandsbewegung in Griechenland und anderen sprach auch die LINKE-Vorsitzende Gesine Lötzsch. Sie rief unter Applaus aus, dass sie sich nicht damit abfinden könne, dass einerseits kein Geld für Soziales da sei, aber dreistellige Milliardenbeträge für die Banken locker gemacht werden. Mit ihren Forderungen blieb sie jedoch hinter den antikapitalistischen Aussagen vieler DemonstrantInnen zurück, erwähnte nicht einmal die LINKE-Forderung nach Verstaatlichung der Banken. Viele Symapthien verspielte sie sich dann jedoch, als sie ihre Rede damit beendete zu sagen, es müsse weiter protestiert werden, aber vor allem (!) sollten die TeilnehmerInnen bei den nächsten Wahlen daran denken, wer auf ihrer Seite stehe. Und das auf dem Platz vor dem Roten Rathaus, in dem SPD und DIE LINKE seit vielen Jahren eine Koalition des Stellenabbaus, der Privatisierung von Wohnraum, der Umsetzung von Hartz IV und gewerkschaftsfeindlicher Politik betreiben.
Zur Bilderserie auf das Foto klicken:
Zu den RednerInnen der Abschlusskundgebung gehörte auch die Schülerin Paula, die stellvertretend für die Bildungsstreikbewegung forderte, den Kampf für bessere Bildung mit dem Kampf gegen das Sparpaket zu verbinden und die DemonstrantInnen aufforderte die Debatte über eine andere Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu führen (Link zum Video der Rede). Paula hatte am vergangenen Mittwoch mit über 5.000 SchülerInnen und Studierenden in Berlin an dem Bildungsstreik teilgenommen. Auf der Demonstration gab es auch einen (Aus)Bildungsstreik-Block, an dem sich viele junge SAV-Mitglieder und Aktive von Linksjugend["solid]beteiligten. Dort wurde auch zur bundesweiten Jugendkonferenz der Kampagne „Die Generation Krise schlägt zurück“ am 19. Juni in Kassel mobilisiert.
Polizeiprovokationen und Angriff auf Polizeibeamte
Am Rande der Demonstration kam es zu einem Zwischenfall, der nun von bürgerlichen Politikern und kapitalistischen Medien in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung um die Demonstration gerückt wird. Zwei Polizisten sollen von einem Sprengkörper, der aus der Mitte des antikapitalistischen Blocks geworfen worden sein soll, getroffen und so schwer verletzt worden sein, dass sie operiert werden mussten.
Ein solcher Anschlag ist offensichtlich so kontraproduktiv für die Ziele der Demonstration, dass sich die Frage aufdrängt, ob er tatsächlich von sich als Linke verstehenden Demo-TeilnehmerInnen oder von Provokateuren , zum Beispiel aus der Nazi-Szene, ausgeübt wurde oder ob es eine übertriebene Darstellung von Seiten der Polizei gibt. Klar ist, dass eine solche Aktion nichts mit den Zielen und Methoden der DemonstrationsteilnehmerInnen und VeranstalterInnen zu tun hat. Lucy Redler, SAV-Vertreterin im Anti-Krisen-Bündnis sagte dazu: „Solche Formen willkürlicher Gewalt haben in der Anti-Krisen-Bewegung nichts verloren!“
Das Bündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ sollte deshalb eine eigene unabhängige Untersuchung zu diesem Vorfall durchführen. Denn zweifellos wird dieser Zwischenfall von der Berliner Polizei in Zukunft als Begründung herhalten, um eine weiter wachsende Polizeipräsenz, Durchsuchungen von und Repression gegen linke Demonstrationen zu rechtfertigen. Schon am Samstag war die Demonstration mit permanenter Provokation durch Polizeikräfte konfrontiert. Selten hat man so viele weinende und verängstigte Kinder auf einer Demonstration gesehen, die vor allem von den am Rande stehenden wild bellenden Polizeihunden eingeschüchtert waren.
Ausblick
Diese Demonstrationen können einen Anfang einer breiten Bewegung gegen das Sparpaket und die arbeiter- und erwerbslosenfeindliche Politik der Bundesregierung darstellen. Nun muss vor allem in den Gewerkschaften der Druck erhöht werden, um eine Kampagne in den Betrieben und Verwaltungen gegen das Sparpaket zu starten, die zu einem heißen Herbst mit Massenmobilisierungen und einem eintägigen Generalstreik, wie in einigen südeuropäischen Ländern, führt. Die Vorbereitung dazu muss jetzt beginnen!