Zehntausende beim Bildungsstreik

An Schulen und Hochschulen kehrt keine Ruhe ein.


 

Der folgende Artikel wurde auf der Grundlage der Teilnehmerzahlen vom Nachmittag des 9. Juni geschrieben. Nach korrigierten Zahlen und Nachmeldungen gab die Pressegruppe des Bildungsstreiks bekannt, dass es 85.000 TeilnehmerInnen gewesen wären. Zu bedenken sei, dass in Dresden, Braunschweig und Wolfsburg Streiks erst am 16. Juni stattfänden, in Hannover eine Bildungsstreik-Demonstration am Samstag 12. Juni geplant sei und in Hamburg am 3. Juni ein Schulstreik stattgefunden hätte.

Über 70.000 SchülerInnen, Auszubildende und Studierende gingen am 9. Juni wieder auf die Straße. Die Teilnahme war geringer als bei den letzten Streiks. Davon war jedoch auf den Demonstrationen wenig zu merken. Die Sparmaßnahmen der Länder und der Bundesregierung haben die Wut zusätzlich gesteigert.

von Michael Koschitzki, Berlin

Keine Forderung des Bildungsstreiks war bislang erfüllt worden. Selbst die versprochene Bafög-Erhöhung wurde wieder zurückgenommen. Deshalb gingen wieder Zehntausende überwiegend Schülerinnen und Schüler beim Bildungsstreik auf die Straße. In über 40 Städten fanden Demonstrationen und Proteste statt.

Weniger TeilnehmerInnen

Mit über 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der Bildungsstreik schlechter besucht als die Proteste im Sommer mit 270.000 TeilnehmerInnen oder im Herbst mit über 85.000. Dafür sind unterschiedliche Gründe zu diskutieren: Zum einen hat die Vorbereitung zu spät begonnen. Bundesweit gab es erst wenige Wochen vor dem Streik Flugblätter und Plakate. Aus den letzten Protesten gab es keine dauerhafte Selbstorganisation bzw. stabile Schicht von AktivistInnen, die den Protest rechtzeitig vorbereitet hätten. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass keine demokratischen Strukturen geschaffen wurden, die Delegierte von Komitees an Schulen, Hochschulen und Gewerkschaftsjugenden bzw. Jugend- und Auszubildendenvertretungen hätten vernetzen können.

Die fehlende politische Zielsetzung spielte aber auch eine Rolle. Da es keinen Plan gab, wie die Forderungen durchzusetzen seien und eine Strategie, wie der Kampf dafür aufzubauen sei, beteiligten sich gerade diejenigen nicht, für die es der dritte oder vierte Bildungsstreik gewesen wäre.

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Mehr Beteiligte

In einigen Orten waren Auszubildende und Gewerkschaftsjugenden erstmalig bei den Protesten beteiligt. Dem Beispiel der Proteste in NRW am 22. April folgend, wurden Auszubildendenversammlungen in Betrieben organisiert und Auszubildende auf die Proteste mobilisiert. Besonders erfolgreich war die Mobilisierung in Kassel. Allein vom VW-Werk kamen über 300 Auszubildende zu der Demonstration. Viele andere taten es ihnen gleich. Aus dem Klinikum kamen ca. 80 Auszubildende.

Auszubildende und Gewerkschaftsjugenden waren von Anfang an in der Vorbereitung der Proteste beteiligt. Sie brachten Forderungen nach unbefristeter Übernahme für alle in Vollzeit und im erlernten Beruf sowie Forderungen nach Demokratisierung der Ausbildung in den Streik ein. Am Klinikum wollen Auszubildende noch diesen Sommer die unbefristete Übernahme durchsetzen.

Bundesweit wollten sich Auszubildende der Telekom am Bildungsstreik beteiligen. Gegen sie ging der Arbeitgeber vor und untersagte die Auszubildenden-Versammlungen am 9. Juni. Diesen Angriff können die Auszubildenden nicht auf sich sitzen lassen. Nötig wären Aktionen der Ver.di Jugend dagegen gewesen bis hin zur Teilnahme an den Demonstrationen während der Arbeitszeit. Bei den Demonstrationen in Berlin und Kassel wurde sich mit den Auszubildenden der Telekom solidarisiert.

Streik Besetzung Rebellion

Für Unmut sorgten die Sparpakete. Die Bundesregierung hat mit ihren Sparvorschlägen am 7. Juni deutlich gemacht, dass sie Beschäftigte, Jugendliche und Arbeitslose für die Krise zahlen lassen will. Während an den Bildungsetats der Bundesregierung noch kein Rotstift angesetzt werden soll, schwingen die Landesregierungen schon den Kürzungshammer. In Schleswig Holstein sollen Universitäten und Institute geschlossen werden. In Hessen wurden Einsparungen von 75 Millionen Euro beschlossen. Dort wehrten sich Studierende und SchülerInnen von Anfang an gegen die massiven Kürzungen.

Die TeilnehmerInnen in Berlin beschrieben den Streik im Vergleich zu den letzten Streiks als politischer. Antikapitalistische Reden fanden große Zustimmung. Viel Applaus bekam auch SAV-Mitglied Lucy Redler, als sie auf der Berliner Demonstration sagte: „Wir wollen Geld für Bildung statt für Banken. Wenn wir das durchsetzen wollen, müssen wir nicht nur für bessere Bildung demonstrieren, sondern dafür kämpfen, dass die Macht der Banken und Konzerne über unser Leben gebrochen wird.“

Es kam auch zu erneuten Besetzungen: In Erlangen besetzten 500 Studierende das Schloss. In Münster wurde die Bezirksregierung besetzt. In Berlin fanden im Anschluss an die Demonstration spontane Bildungsstaus statt.

Make Capitalism History

Mitglieder der SAV, die auch bei Linksjugend ["solid] aktiv sind, waren an der Vorbereitung der Proteste beteiligt. Zum Bildungsstreiktag wurden zum Beispiel Flugblätter unter dem Titel „Das Bildungssystem – so scheiße wie der Kapitalismus“ verteilt und zu Veranstaltungen eingeladen. Angesichts der Einsparungen ist eine sozialistische Jugendbewegung nötiger denn je. Mitglieder der SAV helfen mit, sie aufzubauen und ein Angebot für weitere Aktivitäten zu schaffen.

Zu weiteren Protesten soll es noch die ganze Woche kommen. Am 10. Juni wird in Berlin gegen Merkels Bildungsgipfel protestiert. Am Samstag finden in Stuttgart und Berlin Großdemonstrationen „Wir zahlen nicht für eure Krise. Gemeinsam gegen Bildungsabbau, Erwerbslosigkeit und Kopfpauschale“ statt. Dabei wird es eigenen Blöcke des Bildungsstreiks geben.

Nicht zuletzt durch die Beteiligung von Auszubildenden sind soziale Fragen im Bildungsstreik wichtiger geworden. Die Doppelten Abiturjahrgänge im nächsten Jahr werfen auch die Frage auf, wie für ausreichend Ausbildungs-, Studien- und Arbeitsplätze gekämpft werden kann. Der Ort Forderungen und weitere Proteste zu diskutieren, ist die bundesweite Jugendkonferenz „Gemeinsam für Arbeit, Bildung, Ausbildung und Übernahme. Die Generation Krise schlägt zurück.“ am 19. Juni Kassel. Infos und Anmeldung sind unter www.generationkrise.de zu finden.

Auswahl der Teilnehmerzahlen des Bildungsstreik-Presseteams

Berlin 6500

Dortmund 5000

Münster 5000

Freiburg 5000

Kassel 3000

Bielefeld 2500

Göttingen 2500

Hannover 2000

Essen 2000

Saarlouis 1300

Sigmaringen 1500

Rostock 1000