300 TeilnehmerInnen diskutieren Aktualität des Marxismus
Zum zehnten Mal hatte die SAV am Osterwochenende zu den Sozialismustagen nach Berlin eingeladen. Auf 25 verschiedenen Veranstaltungen diskutierten 300 TeilnehmerInnen über die verschiedensten Fragen der kapitalistischen Krise und des sozialen Widerstands.
Eine Teilnehmerin aus Aachen meinte, dass dies die besten von allen Sozialismustagen waren, weil die Themen- und Referentenauswahl so spannend war. Nicht wenige ‘beschwerten’ sich, dass Veranstaltungen parallel stattfanden, so dass man nicht an allen teilnehmen konnte. Zum guten Gelingen trugen auch die in diesem Jahr wieder angebotene alternative Stadtrundfahrt durch das Berlin von Marx, Luxemburg und Liebknecht (zu der es nun auch eine Broschüre gibt) und das erfolgreiche Konzert mit den Stainless BonesTotally Stressed und Holger Burner am Samstag Abend bei, an dem noch einmal einhundert zusätzliche BesucherInnen teilnahmen.
Den Auftakt machten am Abend des Karfreitag internationale Redner aus Spanien, Polen und der irische sozialistische Europaparlamentsabgeordnete Joe Higgins, sowie der IG Metaller und Aktive aus der Alternative-Betriebsgruppe bei Daimler in Berlin Matthias Bender, der Landessprecher der Partei DIE LINKE in Bayer, Franc Zega, und die SAV-Bundessprecherin Lucy Redler.
Die Kernaussagen dieser Veranstaltung waren deutlich: wir zahlen nicht für Eure Krise! Solidarität mit der griechischen Arbeiterklasse im Kampf gegen die Kürzungspolitik und Internationalisierung des Widerstands gegen das Abwälzen der Krisenkosten auf die arbeitende Bevölkerung.
Matthias Bender ging auf die Politik der Gewerkschaftsführung ein und stellte am Beispiel des Berliner Daimler-Werks dar, wie diese Gegenwehr bremst und deshalb der Aufbau kritisch-oppositioneller Gewerkschaftergruppen nötig wird. Er bedankte sich bei der SAV für die Unterstützung beim Aufbau der Alternative-Gruppe in Berlin und bei der Herausgabe der gleichnamigen Betriebszeitung.
Lucy Redler rief zur Mobilisierung für den Bildungsstreik und die Sozialproteste im Juni auf und erklärte die Notwendigkeit der Krise mit einem sozialistischen Programm zu begegnen. Den Entwurf des Grundsatzprogramms der Partei DIE LINKE kommentierend, betonte sie, dass viele Aussagen des Entwurfs gegen die Kritik von der Parteirechten verteidigt werden müssen, der Text in seiner Gesamtheit jedoch kein konsequentes und klares sozialistisches Programm darstellt und deshalb auch von marxistischer Seite kritisiert und verändert gehört. Vor allem aber sagte sie unter großem Applaus, dass der Programmentwurf, der insgesamt einen Schritt nach Links im Vergleich zu den bisher geltenden programmatischen Eckpunkten darstellt, nicht der realen Entwicklung der Partei und ihrer Politik entspricht. Die Debatte um das Programm müsse deshalb mit dem Kampf um einen Kurswechsel der Partei verbunden werden.
Pünktlich zu den Sozialismustagen erschien die erste Ausgabe der Jugendbeilage zur SAV-Zeitung ‘Solidarität’ mit dem Namen ‘.megafon’, die unter den vielen jungen TeilnehmerInnen des Wochenendes gut ankam – was sich nicht zuletzt darin ausdrückte, dass Nico, der Lay-Outer der ‘.megafon’ bei seinem Redebeitrag auf der Abschlussveranstaltung am Sonntag frenetischen Applaus erhielt.
Ebenso war das Buch der SAV ‘Iran: Freiheit durch Sozialismus’ frisch aus der Druckerei gekommen. Das Thema Iran wurde am Samstag Abend auf einer spannenden Plenumsveranstaltung mit den iranischen AktivistInnen Bijan Kiarsi aus Köln und Pedram Shayar aus Berlin und dem SAV-Bundessprecher Sascha Stanicic debattiert. Mehrere Iraner nahmen aus dem Publikum an der Diskussion teil, in der es vor allem um die Perspektiven für die revolutionäre Massenbewegung im Iran und die Aufgaben von SozialistInnen in dieser Bewegung ging. Ein junger iranischer Aktivist, der aus dem Land vor kurzem fliehen musste, rief dazu auf, dass die Linke mit einer eigenen Plattform sichtbarer Teil der Bewegung sein muss und sich auf die Arbeiterklasse als entscheidende Kraft der Gesellschaft orientieren muss. Behrouz, ein iranischer Teilnehmer aus Aachen, meinte, die SAV sei die einzige Organisation in Deutschland, die dieses Thema in einer ernsthaften Art und Weise aufgreift und diskutiert und bedankte sich wiederholt für die Veranstaltung.
Auf weiteren Veranstaltungen diskutierten zum Beispiel Elmar Altvater und Winfried Wolf mit dem SAV-Genossen Wolfram Klein über die Aktualität der ökonomischen Analysen von Karl Marx zum Verständnis der gegenwärtigen kapitalistischen Weltkrise. Während sich alle Redner einig waren, dass diese Krise nur unter Anwendung der marxistischen Wirtschaftstheorie verstanden werden kann, wurden doch auch Unterschiede in der Frage, wie SozialistInnen auf die Krise reagieren sollten, deutlich. Während Elmar Altvater ein Programm zur Regulierung der kapitalistischen Ökonomie und insbesondere der Finanzmärkte vorschlug, erklärte Wolfram Klein, dass solche Forderungen nur dann Sinn machen, wenn sie nicht mit der Illusion verbunden sind, ihre Umsetzung könne eine neue Aufschwungperiode des Kapitalismus einleiten, sondern wenn sie als Übergangsforderungen zur Mobilisierung für den Kampf zur Abschaffung des Kapitalismus eingesetzt werden.
Auf einer weiteren gut besuchten Debatte zum Thema “War die DDR sozialistisch?” sprach neben den beiden linksoppositionellen und antistalinistischen Aktivisten aus der revolutionären Bewegung gegen das SED-Regime in der DDR, René Henze und Bernd Gehrke, auch der letzte SED/PDS-DDR-Ministerpräsident und heutige Mitglied im Ältestenrat der Partei DIE LINKE Hans Modrow. Dessen Versuche die DDR als sozialistischen Staat zu verteidigen waren jedoch wenig überzeugend und hinterließen bei den meisten TeilnehmerInnen den Eindruck, dass die Aufarbeitung des Stalinismus in der Partei DIE LINKE tatsächlich noch eine offene Baustelle ist, auch wenn Modrow nur für sich sprach und der Programmentwurf sich deutlicher von den undemokratischen Verhältnissen in der DDR distanziert, als Modrow das tat. Bernd Gehrke warnte zurecht vor einer neo-stalinistischen Renaissance in der Debatte um die DDR und rief zu einem verstärkten Engagement antistalinistischer Linker in der öffentliche Debatte auf.
Weitere Veranstaltungen des Wochenedes umfassten eine Veranstaltung zum Kampf gegen den Faschismus mit dem 93-jährigen antifaschistischen Veteranen Theodor Bergmann; eine Veranstaltung zu den Ereignissen in der Türkei mit Mitgliedern der SAV und des Komitees für eine Arbeiterinternationale, die kürzlich zur Unterstützung des Tekel-Streiks in Ankara waren; eine Debatte zur Entwicklung der Partei DIE LINKE mit Franc Zega, Lucy Redler, dem thüringischen LINKE-Landtagsabgeordneten Thomas Hartung und dem Parteivorstandsmitglied Thies Gleiss und Veranstaltungen zu Themen wie ‘Liebe, Sexualität und Kapitalismus’, “Autoindustrie am Abgrund’, ‘Trotzkismus = moderner Marxismus?’ und viele andere.
Rekordverkäufe an den Bücher- und Info-Ständen drücken das gewachsene Interesse an marxistischen Ideen aus. Auch der Spendenappell brachte mit 1.300 Euro auf der Auftaktveranstaltung ein hervorragendes Ergebnis. Das Geld wird zu gleichen Teilen für die Unterstützung der pakistanischen Sektion des Komitees für eine Arbeiterinternationale, Finanzierung weiterer Solidaritätsarbeit mit dem Tekel-Kampf in der Türkei und für die Mobilisierung zu den Demonstrationen des Bündnisses ‘Wir zahlen nicht für Eure Krise’ am 12. Juni eingesetzt werden.
Vier TeilnehmerInnen aus Aachen, Essen, Berlin und dem Wendtland erklärten im Verlauf des Wochenendes ihren Eintritt in die SAV, weitere sagten, dass sie sich diesen Schritt in den nächsten Wochen ernsthaft überlegen werden.
Die Sozialismustage waren also wieder einmal eine ‘Tankstelle für marxistische Ideen’ und ein Ort der Debatte und Aktionsplanung für den weiteren Kampf zur Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft.
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