Ein Schritt vorwärts … nach vielen Schritten rückwärts

Ein erster Kommentar zum Entwurf für ein Parteiprogramm der Partei DIE LINKE


 

Der Programmentwurf ist da. Und nicht nur die bürgerlichen Medien und Vertreter der prokapitalistischen Parteien lassen an ihm kein gutes Haar, auch führende Repräsentanten des rechten Parteiflügels, unter anderem Bodo Ramelow, Klaus Lederer und Dietmar Bartsch, kritisieren den Entwurf und betonen, dass er geändert werden müsse.

von Sascha Stanicic, Berlin

Tatsächlich ist der Entwurf im Vergleich zu den programmatischen Eckpunkten, dem bisherigen Grundsatzdokument der Partei, ein Schritt nach links. Das bedeutet nicht, dass der Text von sozialistischer und marxistischer Perspektive nicht zu kritisieren sei. Aber er gibt linke Antworten auf einige Fragen, die in den Eckpunkten noch offen gehalten wurden.

Der Programmentwurf bekennt sich eindeutig zum "demokratischen Sozialismus" als einer Gesellschaftsform. Er benennt den Kapitalismus als Ursache der derzeitigen größten Wirtschaftskrise seit 1929, fordert eine Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse, distanziert sich vom Stalinismus (jedoch ohne eine klare Analyse des Begriffs vorzunehmen) und stellt auch viele wichtige Forderungen auf, wie die Verstaatlichung der Banken, Überwindung kapitalistischen Eigentums bei strukturbestimmenden Großbetrieben der Wirtschaft, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Weg mit Hartz IV, Generalstreik – ohne die eine linke Partei diesen Namen nicht verdienen würde..

Regierungsfrage

Der Text fordert Glaubwürdigkeit der Partei, betont die Bedeutung außerparlamentarischer Arbeit und stellt Bedingungen für die Beteiligung an Regierungen auf. Hierzu heißt es: „Regierungsbeteiligungen der LINKEN sind nur dann sinnvoll, wenn sie reale Verbesserungen und eine Abkehr vom neoliberalen Politikmodell durchsetzen sowie einen sozial-ökologischen Richtungswechsel einleiten. (…) DIE LINKE strebt nur dann eine Regierungsbeteiligung an, wenn wir hierdurch eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erreichen können. Sie wird sich an keiner Regierung beteiligen, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt. Darüber hinaus wird sich DIE LINKE auf Bundesebene nicht an einer Regierung beteiligen, die Krieg führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt.“

Wird das Programm mit dieser Positionierung zur Regierungsbeteiligung angenommen, müssten die Landesverbände Berlin und Brandenburg aus den Koalitionen mit der SPD austreten oder wegen Bruch des Parteiprogramms vor die Bundesschiedskommission zitiert werden. Zweifellos wird der rechte Parteiflügel deshalb Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das Programm an dieser und anderen Stellen zu "entschärfen". Das muss verhindert werden. Der Kampf zur Verteidigung von allen antikapitalistischen Aussagen im Programmentwurf darf die Linken in der LINKE aber nicht davon abhalten, den Entwurf einer genauen Kritik von links und aus marxistischer Perspektive zu unterziehen und auf seine vielen Unzulänglichkeiten hinzuweisen und Alternativen zu formulieren. In diesem Sinne sollte eine intensive Programmdebatte geführt werden, mit dem Ziel die gesamte Mitgliedschaft einzubeziehen und daraus eine Debatte über die zentrale Fragestellung für eine sozialistische Partei zu machen: wie kann der Kapitalismus abgeschafft und Sozialismus erreicht werden?

Welche Produktionsweise?

Diese Frage wird durch das Parteiprogramm nicht beantwortet, weil es letztlich eine klassische Trennung in ein Minimal- und ein Maximalprogramm vornimmt. Als Zukunftsziel wird der demokratische Sozialismus benannt, aber dann werden "linke Reformprojekte" beschrieben, die nicht als Brücke zur sozialistischen Veränderung der Gesellschaft verstanden werden, sondern im Rahmen des Kapitalismus bleiben, statt diesen zu sprengen.

Der Verzicht auf die Forderung nach Verstaatlichung aller Konzerne und auch solcher Unternehmen, die Massenentlassungen ( ob insolvenzbedingt oder nicht) vornehmen wollen zeigt diese systemimmanente Selbstbeschränkung des Programms. Selbst das Vetorecht von Belegschaften gegen Betriebsschließungen soll nur gelten, wenn die Unternehmen nicht von Insolvenz gefährdet sind – also doch Akzeptanz der Folgen der kapitalistischen Krise statt Verteidigung aller Arbeitsplätze durch staatliches Eingreifen und einen daraus resultierenden Umbau der Wirtschaft. Darin spiegelt sich wider, dass zwar viel von Kapitalismus und Sozialismus die Rede ist, aber letztlich nicht genau dargelegt wird, was darunter verstanden wird. Der kapitalistischen Produktionsweise – auf Privateigentum an Produktionsmitteln und Marktkonkurrenz basierend und profitgetrieben – wird keine sozialistische Produktionsweise entgegen gestellt. Stattdessen werden Forderungen nach Mitarbeiterbeteiligung aufgestellt, die an der profitgesteuerten Produktionsweise nichts ändern.

Paradoxe Entwicklung der Partei

Jedoch weiß jeder und jede, dass Papier geduldig ist und linke, reformistische Parteien in der Geschichte der Arbeiterbewegung oftmals radikale Inhalte in ihre Parteiprogramme geschrieben haben, während die praktische Politik aber ganz anders aussah. Das ist in der Partei DIE LINKE schon der Fall, bevor das Programm überhaupt verabschiedet ist.

Genau das lässt die Lage der Partei so paradox erscheinen. Denn der Programmentwurf, der inhaltlich einen Schritt nach links bedeutet, korrespondiert nicht mit der realen Entwicklungsrichtung der Partei in den letzten ein, zwei Jahren. Die Partei ist nicht "sozialistischer", kämpferischer, außerparlamentarisch orientierter, kritischer geworden. Im Gegenteil: neben der Regierungskoalition mit der SPD in Brandenburg, die zum Abbau von tausenden Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst führt und der Fortsetzung des so genannten rot-roten Senats, der erst kürzlich wieder die Beschäftigten des Landes Berlin in einen katastrophalen Tarifabschluss aufdrückte, war die Partei auch in Thüringen und im Saarland zum Eintritt in Landesregierungen mit pro-kapitalistischen Sozialabbau-Parteien bereit, stimmt in einer Kommune nach der anderen Haushalten mit Kürzungscharakter zu und bereitet sich in NRW gerade auf eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen vor. Gleichzeitig ist die Beteiligung an außerparlamentarischen Bewegungen oftmals alibi-mäßig und ganz sicher nicht der Schwerpunkt der Parteitätigkeit. Hinzu kommt ein Vorschlag für eine neue Parteiführung, in der der rechte Parteiflügel gestärkt würde und mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst zwei Personen die Parteispitze übernehmen sollen, die gerade nicht für die linkeren Inhalte des Programmentwurfs stehen. Lötzsch hat als führendes Mitglied des Berliner Landesverbandes acht Jahre rot-roten Senat mitzuverantworten, Ernst ist als Bürokrat bekannt, der kritische Linke ausgrenzt.

Die Gefahr besteht darin, dass die Programmdebatte in einer abstrakten Form geführt wird und nichts mit der realen Politik und Entwicklung der Partei zu tun hat. Sie muss deshalb verzahnt werden mit der Debatte um die aktuelle Ausrichtung der Parteipolitik, ihre praktischen Aktivitäten und ihr Verhalten in Parlamenten und Regierungen. Die erste Nagelprobe steht in Nordrhein-Westfalen an. Hier muss verhindert werden, dass sich DIE LINKE den Hartz IV-Parteien SPD und Grünen anbiedert und eine Regierungskoalition mit ihnen bildet. Abwahl von Rüttgers und Zustimmung zu Gesetzesinitiativen im Interesse der Bevölkerungsmehrheit, wie die Abschaffung von Studiengebühren – ja; Bildung einer Regierungskoalition oder einer Tolerierung (im Sinne eines Tolerierungsvertrags, der die Partei an die Unterstützung der Regierung verpflichtet), die zwangsläufig zu Beteiligung an Maßnahmen zur Verschlechterung der Lebenssituation der Bevölkerungsmehrheit führen würde – nein!

Eine ausführliche Analyse des Programmentwurfs wird in der nächsten Ausgabe des Magazins sozialismus.info am 1. Mai erscheinen.
Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV.