Große Verluste für die Regierungsparteien und die oppositionelle Sozialistische Partei – Die ausländerfeindliche rechte „Freiheitspartei“ von Geert Wilders fährt Gewinne ein
von Pieter Brans, Offensief (UnterstützerInnen des CWI in den Niederlanden), Amsterdam
Bei den niederländischen Kommunalwahlen, die kurz nach dem Bruch der Koalitionsregierung in der vergangenen Woche stattgefunden haben, verzeichneten die Christdemokraten (die stärkste Partei der letzten Regierung) und die oppositionelle Socialistische Partij (SP) enorme Verluste. Die sozialdemokratische (Erg. d. Übers.) Arbeitspartei (PvdA) verlor zwar ebenfalls eine Reihe an Sitzen, jedoch nicht so stark wie vorher von vielen angenommen wurde, da sie sich immer noch zusammen mit den Christdemokraten die Regierungsmacht teilte. Die rassistische Freiheitspartei (Partij voor de Vrijheid; Erg. D. Übers.) fuhr in zwei Städten, in denen sie antrat, große Gewinne ein und konnte rund 25 Prozent der Stimmen in diesen Wahlbezirken auf sich vereinen.
Für die Regierungskoalition, die vor zwei Wochen auseinander gebrochen ist, war das Ergebnis der Kommunalwahlen und die niedrige Wahlbeteiligung (54 Prozent) ein „Tag der Abrechnung“ und ist Beleg für die allgemeine Konfusion und das fehlende Vertrauen unter den WählerInnen in die „Politik“.
Die Parlamentswahlen am 9. Juni werden nun als „Rennen“ betrachtet zwischen dem Vorsitzenden der Freiheitspartei, Geert Wilders, dem Chef der Christdemokraten, Balkenende, dessen Stellung nun geschwächt ist, und dem Vorsitzenden der Partij van de Arbeid (PvdA), Bos. Für die SP wird angenommen, dass sie von den bisherigen 25 Parlamentssitzen abfällt auf elf. Ihre Fraktionsvorsitzende Agnes Kant ist nach den Kommunalwahlen zurückgetreten.
Der niederländischen Arbeiterbewegung stehen schwere Zeiten bevor. Die Gewerkschaftsführung lehnt es ab, ernsthaften Widerstand gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre zu organisieren und ignoriert damit verschiedene Anträge von Mitgliederversammlungen der großen Gewerkschaften. Der Vorsitzende der Freiheitspartei, Geert Wilders, der bei den Kommunalwahlen eine Menge an Stimmen einheimsen konnte, ruft immer wieder zu national-ethnischer und religiöser Diskriminierung auf, verlangt von der Polizei, auf DemonstrantInnen zu schießen, und fordert einen „Heiligen Krieg“ gegen den Islam sowie die Ausweisung von Millionen von Menschen aus Europa.
Wie ist es möglich, so fragen viele Kommentatoren, dass die niederländische Sozialistische Partei, die „Vorkämpferin bei den Protesten“ und die „Stimme der ArbeiterInnen“ (die Partei nämlich, die das Referendum gegen die EU-Verfassung im Jahr 2005 maßgeblich bestimmte und es schließlich für sich entschied und die 2006 bei den Kommunalwahlen beachtlich und bei den Parlamentswahlen im selben Jahr enorm zulegen konnte) in Mitten der schwersten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren so viel an Unterstützung verloren hat?
Die niederländische herrschende Elite hofft auf eine stabile Mehrheit nach den Parlamentswahlen am 9. Juni, damit die von ihr als „unvermeidbar und notwendig“ bezeichneten, weitreichenden Kürzungen umgesetzt werden können. Jedwede neue Koalitionsregierung wird schon bald äußerst unbeliebt sein. Aber die etablierten Parteien, die die neue Regierung stellen werden, hoffen, dass sie dem Sturm standhalten können und bis zu den folgenden Wahlen am Ruder bleiben werden, die dann wieder 2014 stattfinden. Alle Parteien – außer der SP – kommen mit der üblichen neoliberalen Kürzungslogik und anderen Angriffen auf die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen daher. Alle etablierten Parteien meinen, dass die 100 Milliarden Euro, die von der Regierung zur Bankenrettung ausgezahlt wurden, aus den Portemonnaies der ArbeiterInnen zurückgeholt werden müssen. Die eine Partei zieht es vor, bei Entwicklungshilfe, Kulturförderung und Bildung zu kürzen. Die andere ruft zu Einsparungen beim Verteidigungshaushalt auf. Und eine dritte möchte lieber in den Bereichen Bildung und Gesundheit kürzen als bei der Polizei. Gemein ist allen, dass sie alle weitreichende Kürzungen durchführen wollen!
Warum verliert die Socialistische Partij an Unterstützung?
Die Socialistische Partij ist die einzige Partei, die diese neoliberale Logik formal nicht akzeptiert. Die großen Verluste bei den Kommunalwahlen jedoch (der Stimmenanteil der SP wurde in vielen Regionen halbiert) und der hastige Rücktritt der SP-Fraktionsvorsitzenden Agnes Kant (sie hat sich komplett aus der Politik zurückgezogen) haben der Socialistische Partij schweren Schaden zugefügt.
Der vormalige Fraktionsvorsitzende der SP, der ehemalige Fabrikarbeiter Jan Marijnissen, wurde weithin als Politiker betrachtet, der die „Sprache der Arbeiter“ sprach. Agnes Kant hingegen arbeitete an einer Universität und stand wiederholt unter medialem Druck. Für Kant war es nahezu unmöglich, erfolgreich in die Fußstapfen des beliebten Marijnissen zu treten. Allerdings ist es für den nun neuen Fraktionsvorsitzenden der SP, Emile Roemer, noch schwieriger, sich in den vor den Parlamentswahlen verbleibenden drei Monaten zu etablieren. Es besteht die Gefahr, dass die SP von derzeit 25 Sitzen (das Parlament hat 150 Sitze) auf rund 10 oder noch weniger abzufallen (wie Umfragen voraussagen). Für die Hoffnungen, die viele Menschen aus der Arbeiterklasse in die SP gesetzt haben, wäre das ein enormer Rückschlag.
Dennoch war Agnes Kant natürlich nicht der Hauptgrund für die Verluste der SP bei den Kommunalwahlen. Diese müssen vielmehr der gesamten Parteiführung zugeschrieben werden, die ihre ganze Energie darauf verwandt hat, auf mögliche Koalitionen mit pro-kapitalistischen Parteien hinzuarbeiten. So unterstützte sie vollkommen unkritisch die riesigen Summen, die für Bankenrettungen ausgegeben wurden. Zudem ist das Ergebnis zurückzuführen auf die fehlende Initiative der SP, Widerstand gegen die Folgen der Wirtschaftskrise zu organisieren. Während die WählerInnen der SP den Rücken kehrten (und SozialistInnen sogar aus der Partei ausgeschlossen wurden!), blickte die Führung der Partei lieber nach rechts oder ignorierte die bestehenden Möglichkeiten, eine führende Rolle im Kampf der ArbeiterInnen und Jugendlichen gegen die Kürzungen einzunehmen.
Die niederländische sozialdemokratische PvdA unterstützte nahezu alle von der Regierung in jüngster Zeit durchgeführten Kürzungen. Dass sie die niederländische Militärintervention in Afghanistan nicht mehr unterstützen wollte (der Grund für den Bruch der Regierungskoalition von vor zwei Wochen), war nicht ihrer politischen Überzeugung geschuldet (kurz zuvor noch hatte die Parteispitze einer Ausweitung der Mission zugestimmt), sondern war der Versuch, die Partei vor einer schweren politischen Niederlage zu bewahren. Die Partei GroenLinks (grüneLinke; Erg. D. Übers.), die bei den Kommunalwahlen etwas hinzugewinnen konnte, unterstützte die umweltpolitischen Maßnahmen der Regierung, zog es aber auch vor Gesetzte zu befürworten, die es den Arbeitgebern erleichtern, Beschäftigte zu entlassen und das Renteneinstiegsalter heraufzusetzen.
Den arbeitenden Menschen und Jugendlichen haben weder GroenLinks noch die PvdA etwas zu bieten
Die Freiheitspartei von Geert Wilders (der vergangene Woche das House of Lords [Oberhaus, eine der beiden Kammern des brit. Parlaments; Anm. d. Übers.] in London besuchte und damit Proteste auslöste) versucht, die ArbeiterInnen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft zu spalten und hat damit einigen Erfolg gehabt. Geringer Widerstand, mangelnde Organisationsfähigkeit und fehlende Ideen auf der Linken und seitens der Gewerkschaften sowie der SP und die Tatsache, dass die PvdA und GroenLinks nichts anzubieten haben, bedeuten ein großes politisches Vakuum, das momentan herrscht. Wer wird die Interessen der ArbeiterInnen vertreten? Die Freiheitspartei nutzt die Situation für ihre Zwecke aus. Wilders spielt mit der Frustration der arbeitenden Menschen gegenüber der herrschenden Elite, die danach strebt, den Wohlfahrtsstaat zu attackieren. Die Freiheitspartei hat es zu einem bestimmten Maß und zeitweilig geschafft, die allgemeine, durch Wut und Frustration gekennzeichnete Stimmung aufzugreifen und „Proteststimmen“ gegen die etablierten Parteien und das Establishment für sich zu gewinnen.
Wahlergebnis ist eindeutiger Rückschlag für die etablierten Parteien
Der Ausgang der Kommunalwahlen zeigt, dass die meisten Menschen die etablierten Parteien ablehnen. Hunderttausende Stimmen sind Parteien gegangen, die nur in einzelnen Orten bestehen – oder an die Freiheitspartei. Viele WählerInnen haben das Gefühl, dass sie von den bestehenden politischen Parteien nicht ernst genommen werden. Die SP erzielte eine beträchtliche Anzahl an Stimmen in Orten, in denen sie zum ersten Mal antrat. Das reichte aber nicht, um sich von den Städten abzuheben, in denen man die großen Verluste einfuhr.
Für die SP wird die nächste Zeit entscheidend sein. die Führung der Partei hat viel Zeit und Energie dafür verwendet, mögliche Koalitionen mit anderen Parteien auszutarieren. Doch ist es nicht eine Koalition mit der PvdA oder GroenLinks, was die ArbeiterInnen brauchen. Diese Parteien wollen auch nur, dass die Arbeiterklasse die Rechnung für die Krise des Profitsystems bezahlen soll. Jüngsten Umfragen zufolge wären solche Koalitionen rein rechnerisch auch gar nicht möglich.
Wenn die SP mit halbherziger Herangehensweise vorgeht und die „Kürzungslogik“ akzeptiert, dann wird sie in eine gefährliche Falle treten. Damit wäre es noch wesentlich schwerer für die SP, ihre Position als „Protestpartei“ wieder zu erlangen, die es der Partei ermöglichte, bei den Wahlen von 2005 und 2006 beachtliche Erfolge zu feiern.
Die einzig realistische und gangbare Perspektive für die Socialistische Partij – soll ein weiteres Wahldesaster und ein möglicher unumkehrbarer Niedergang verhindert werden – besteht darin, nach Unterstützung von den arbeitenden Menschen, den Erwerbslosen und Jugendlichen zu streben, indem man Kürzungen und der Abschaffung des Wohlfahrtsstaats entschieden entgegenwirkt. Dem muss eine eindeutige sozialistische Alternative entgegen gestellt werden: Arbeitsplätze für alle, angemessen finanzierte Bildung und Gesundheitsversorgung, angemessener und bezahlbarer Wohnraum, gegen den Krieg in Afghanistan und so weiter. Nur wenn die Großbanken und die Stützen der Wirtschaft in öffentliches Eigentum überführt und unter demokratische Kontrolle und Geschäftsführung der arbeitenden Menschen gestellt werden, werden die enormen Ressourcen der Gesellschaft dafür eingesetzt, die Bedürfnisse der Menschen aus der Arbeiterklasse zu genügen. Außerdem muss sich die SP radikal wandeln, wenn sie Erfolg haben will. Sie muss offene und demokratische Strukturen haben, will sie attraktiv sein für neue Schichten von ArbeiterInnen und Jugendlichen.
Eine mutige sozialistische Politik und entschiedener gewerkschaftlicher Widerstand gegen die Kürzungen kann die giftigen Lügen der Freiheitspartei durchkreuzen und ihrer wachsenden Unterstützung den Boden entziehen. Dabei ist es essentiell, dass jenseits von ethnischen und religiösen Unterschieden zur Arbeitereinheit aufgerufen wird!