Der Internationale Währungsfonds will die Politik in Island diktieren
Interview mit Skúli Jón Kristinsson, CWI in Island
In letzter Zeit haben wir einiges an wütendem Protest und Demonstrationen in den Straßen von Reykjavik gesehen. Was sagst du zu diesem „Parlament der Straße“?
Die Leute in Island sind sehr wütend darüber, dass sie die Finanzelite des Landes auszahlen sollen, indem ihnen deren Auslandsschulden aufgebürdet werden. Außerdem ist man einigermaßen entrüstet darüber, wie das Land von den Institutionen des globalen Kapitalismus gemobbt wird. Die Art und Weise, wie Regierungen einzelner EU-Staaten mit dem Disput um die insolvente Bank (Erg. d. Übers.) „Icesave“ umgegangen sind, hat dazu geführt, dass unter den IsländerInnen die Unterstützung für eine EU-Mitgliedschaft stark zurückgegangen ist. Es hat sich ein Klima aus Wut und Misstrauen unter den IsländerInnen gegenüber Institutionen wie der EU oder dem IWF gebildet. Ein weiterer wichtiger Faktor ist für viele Haushalte der Arbeiterklasse und der Mittelschicht ist der monströse Anstieg ihrer Hypothekenlast seit Zusammenbruch des Bankensystems und dem Verfall der Landeswährung. Ein großer Teil der IsländerInnen steht nun vor ernsthaften Problemen, da sie die Hypotheken bedienen und über die Runden kommen müssen. In Island sind die Schulden an die Inflation gekoppelt, und Folge davon ist, dass viele Haushalte vor dem Bankrott stehen oder nicht in der Lage sind, nach dem Schuldendienst noch bis zum Monatsende zu kommen.
Ein große Schicht unter der Bevölkerung ist daher verzweifelt und fühlt sich hilflos. Die Regierung hat so gut wie nichts dafür getan, diesen Menschen zu helfen. Während Milliarden isländischer Kronen für Bankenrettungspakete zur Verfügung gestellt wurden, wurde zur Lösung dieser, die einfachen Menschen betreffenden Probleme keine Schritte unternommen. Aus diesem Grund existiert jetzt in der isländischen Gesellschaft das sehr starke Verlangen nach diesbezüglichen Maßnahmen wie etwa einem Schuldenerlass.
Seit Dezember letzten Jahres rufen TeilnehmerInnen von Demonstrationstreffen zum Erlass von Hypothekenschulden auf und protestieren dagegen, die Schulden der Bankiers zahlen zu müssen. Seit Januar finden diese Demonstrationen in kürzeren Abständen und mit zunehmend mehr TeilnehmerInnen statt. Es scheint sich eine neue Protestbewegung zu entwickeln und auszuweiten. Beim sogenannten „Parlament der Straße“ handelt es sich um eine neulich erst gegründete Dachorganisation der verschiedenen Aktions- und Basisgruppen, die sich zusammengetan haben, um wöchentliche Demonstrationen im Zentrum Reykjaviks zu organisieren. Dazu gehören die isländische Sektion von attac, die Organisation zur Verteidigung der Haushalte, „Das Rote Bündnis“, die Isländische Humanistische Assoziation und eine Gruppe, die für die Interessen Behinderter eintritt.
Die von ihnen vorgebrachten Forderungen sind: für zumindestens den teilweisen Erlass von Schulden auf Hypotheken und Haushalte, Abschaffung des Schulden-Index, Schuldenerlass bei drohender Privatinsolvenz, IWF raus aus dem Land, die „Risikoinvestoren“, die das Land in den Ruin getrieben haben, sollen für ihre Aktionen verantwortlich gemacht werden, menschliche Werte müssen vor Profiten stehen und mehr Möglichkeiten für die Allgemeinheit, darüber mitsprechen zu können, wie die Gesellschaft funktionieren soll. Die erste Demonstration, die diese Bündnis organisierte, fand vergangenen Samstag statt, dem Tag, an dem das Referendum abgehalten wurde. Es kamen mehr als 600 Menschen, um gegen den „Icesave”-Deal zu protestieren. Du konntest den Anwesenden anmerken, wie groß die Wut und Empörung gegenüber dem Mobbing ist, das momentan gegen Island durchgeführt wird.
Um was ging es genau bei dem „Icesave-Referendum“ am Sonntag, dem 7. März 2010?
Wir stimmten über das vom isländischen Parlament angenommene Gesetz ab, das garantieren sollte, dass SteuerzahlerInnen die enormen Schulden zurückzahlen würden, welche gegenüber den Staaten Großbritannien und den Niederlanden aufgrund von isländischen Bankiers bestanden. „Icesave“ war der Name der Internet-Banken, die von Landsbanki in Britannien installiert wurde, eine der drei größten Banken Islands. Als die isländischen Banken im Oktober 2008 zusammenbrachen, brachte die Regierung ein Not-Gesetz durch, um ihre Einlagen zu retten. Allerdings waren die außerhalb Islands nicht darunter. Es schritten also die Regierungen Großbritanniens und der Niederlande ein und zahlten 3,8 Milliarden Euro, um die SparerInnen in ihren Ländern auszuzahlen. Danach versuchten sie, das Geld von Island zurück zu verlangen.
Die Parlamentsmehrheit aus Sozialdemokratie und der Links-Grünen Partei akzeptierte das und nahm das „Icesave“-Gesetz an. Die Opposition, die rechts-konservativen Parteien, lehnen die Zahlung nicht generell ab, sondern argumentieren nur, dass ein besserer Vertrag mit den Regierungen Großbritanniens und der Niederlande möglich wäre.
Aber der Präsident Olafur Ragnar Grimsson unterzeichnete das Gesetz nicht. Wenn seine Position auch weitestgehend symbolischer Natur und mit wenig Macht ausgestattet ist, muss er sämtliche Gesetzesvorhaben unterzeichnen, die das Parlament durchlaufen. Gemäß Verfassung, kann er es ablehnen ein Gesetz zu unterzeichnen und wenn dies der Fall ist, führt das zu einem Referendum. Dennoch ist es das erste Mal überhaupt, dass es dazu gekommen ist. Das „Icesave“-Gesetz ist äußerst unbeliebt und umstritten. Grimsson lehnte es also ab zu unterschreiben und präsentierte sich selbst als wirklichen Vertreter der „Demokratie“. Doch aufgrund seiner bisher von ihm vertretenen Politik wurde er eher als Vertreter der Bankiers gesehen.
Was kam bei dem Referendum heraus?
93 Prozent sagten „Nein“ zu diesem Gesetz und die Wahlbeteiligung lag mit 62 Prozent wesentlich höher als erwartet. Das bedeutet für die Regierungspolitik einen deutlichen Rückschlag. Die Menschen, die mit „Nein“ gestimmt haben, taten dies aus einer Reihe von Gründen. Einige lehnen es grundsätzlich ab, überhaupt irgendwas von diesem Geld zu bezahlen. Andere hofften auf eine bessere Vereinbarung mit der britischen und niederländischen Regierung.
Der Premierminister und der Finanzminister sagten, dass das Ergebnis sie nicht überrascht hat, weil sie wussten, dass diese Frage unbeliebt ist. Sie behaupteten aber auch, dass dieses Referendum ohne Bedeutung ist, weil neue Verhandlungen mit der britischen und niederländischen Regierung bereits begonnen haben, bevor das Referendum stattgefunden hat! Sie wollen eine baldige neue Vereinbarung mit der britischen und der niederländischen Regierung.
Der 5. Oktober 2008 machte aus Island, einem der reichsten Länder, einen bankrotten Staat. Was hat die Regierung unternommen?
Sie hat besagte Not-Gesetzgebung vorangetrieben und den IWF ins Land geholt. Der IWF verlangt, dass der isländische Staat seinen „Auslandsverpflichtungen“ nachkommen müsse, darunter auch das Zahlen der sogenannten Schulden an die Regierungen Britanniens und der Niederlande. Diese Schulden wurden aber von der isländischen Finanzelite verursacht und die IsländerInnen aus der Arbeiterklasse und der Mittelschicht sollten dafür nicht geradestehen müssen. Der IWF verlangt, dass die Landesbank die Leitzinsen senkt und will, dass sie die für Währungshandel bestehenden Regulierungen sowie andere ökonomisch-technische Maßnahmen aufhebt. Der Landesbank gehen jetzt allmählich die Währungsfonds aus.
Wenn Island das Geld wie vom IWF gefordert an die Staaten Großbritannein und Niederlande zahlt, wären das pro Kopf und IsländerIn 48.000 Euro im Verhältnis zur isländischen Bevölkerung. Um das tun zu können, hat die Regierung damit begonnen, die Lebensstandards unter Beschuss zu nehmen und führt Kürzungen in den Bereichen Gesundheit und Bildung durch.
Die Ratingagentur „Moody’s“ hat damit gedroht, Island auf ihrer Rangliste zu sogenannten „junk bonds“ herabzustufen. Was für Auswirkungen hätte dies?
Viele Menschen befürchten genau dies. Viele haben Angst davor, dass Island im weltweiten Rahmen den Außenseiter-Status verliehen bekommt, sollten wir es ablehnen, die volle Summe zurück zu bezahlen. Auf der anderen Seite fürchten die Menschen die Folgen für Wirtschaft und Lebensstandards, sollten wir die Schulden begleichen. Ich denke, dass es noch zu früh ist, um sagen zu können, was genau passieren wird. Aber ich denke auch, dass das Zahlen der sogenannten Schulden schwerwiegendere Konsequenzen für ArbeiterInnen und Jugendliche in Island hätte als wenn wir aufhören würden, uns von den Institutionen des globalen Kapitalismus mobben zu lassen. Ich habe keinerlei Illusionen in die Regierung oder die neuen Verhandlungen. Das Beste wird sein, die Menschen jetzt für eine verallgemeinerte Massenbewegung gegen die Zahlung dieser Schulden und gegen die Macht von Finanzinstitutionen wie „Moody’s“ zu mobilisieren.
Die Gewerkschaften verhalten sich äußerst passiv. Die offiziell linken Parteien, wie die Sozialdemokratie und die Links-Grüne Partei, sind keine Parteien der Arbeiterklasse. Wir müssen also versuchen, die Gewerkschaften als Mittel für den Kampf im Interesse der ArbeiterInnen wieder zu gewinnen und eine neue Arbeiterpartei aufbauen. Das wird Zeit und Kraft kosten, aber es ist die einzig plausible Alternative.
Die Regierungen Schwedens und Finnlands haben angedeutet, dass sie ihre finanzielle Hilfe im Falle eines „Nein“ beim Referendum für Island einstellen könnten. Welche Auswirkungen hätte das?
Die schwedische und die finnische Regierung leihen Island Geld über den IWF. Leider können dieser Art Drohungen dazu führen, dass die Menschen davon abgehalten werden, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Der IWF handelt nicht, um Island dabei zu helfen, seine Gesundheitsversorgung aufrecht zu erhalten oder die Lebensstandards zu verteidigen. Die Kredite des IWF sind nur dazu da, die Währungsfonds der Landesbank zu erweitern und die Währung wieder zum Laufen zu bringen. Soweit ich das überblicke, ist der IWF das Hauptproblem: Er versucht, die Politik des Landes zu diktieren.
Die ehemalige Regierung musste nach Protesten im Januar 2009 zurücktreten. Nach den Wahlen im April 2009 wurde eine Regierung aus Sozialdemokraten und der Links-Grünen Partei gegründet. Hat sich etwas verändert?
Nicht wirklich. Zu Anfang gab es große Hoffnung und Illusionen. Die neue Regierung setzte die Attacken auf die Lebensstandards und den öffentlichen Dienst fort, aber präsentierte dies auf gemäßigtere Art und Weise. So wollen sie im Falle des Gesundheitssystems zum Beispiel mit kleineren Schritten die Kürzungen durchsetzen als die Vorgängerregierung. Alles sollte ein wenig hinausgezögert werden. Durchgeführt werden, sollten sie aber dennoch. Die Regierungspolitik hat sich kaum geändert. Der „linksGrüne“ Finanzminister Steingrimur Sigfusson hat die Banken jetzt re- privatisiert, was bedeutet, dass er verantwortlich zeichnet für die größte Privatisierung in der Geschichte Islands!
Als die Menschen im vergangenen Jahr auf die Straße gingen, forderten sie den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen. Außerdem verlangten sie den Rücktritt des Vorstands der Landesbank. Heute sind viele Menschen enttäuscht, weil sich – nachdem diese Ziele erreicht wurden, nichts wirklich verändert hat. Das Problem war, dass diese Bewegung sehr spontan handelte. Sie hatten keine langfristigen Ziele. Dabei verhielten sich die Gewerkschaften sehr passiv. – Sie waren faktisch gar nicht vorhanden. So brachte die Bewegung zar die Regierung zu Fall, es folgte jedoch kein gesellschaftlicher Wandel. In Island und auch überall sonst sollten wir uns selbst fragen, welche Veränderungen wir denn überhaupt wollen? Weil die Regierung die ArbeiterInnen und Jugendlichen nicht unterstützt, sollte die Debatte nicht nur darüber gehen, ob wir die Regierung unterstützen oder nicht.
Und, welche Veränderungen willst du?
Ich bin für an die Inflation gekoppelte Löhne. Für die Haushalte der arbeitenden Menschen sollte ein Schuldenerlass durchgeführt werden. Island sollte damit aufhören, sämtliche Auslandsschulden zu bezahlen und das Gesundheits- und Bildungssystem verteidigen. Die Geschäftsbücher der Finanzinstitutionen sollten offengelegt werden. Wir wollen wissen, wo das Geld hingegangen ist. Nötig ist die Vergesellschaftung der Fisch- und Aluminiumindustrie unter der Kontrolle und Geschäftsführung der ArbeiterInnen, um den Reichtum des Landes im Interesse der ArbeiterInnen und Jugendlichen zu nutzen. Die Banken sollten unter Kontrolle der Beschäftigten rückverstaatlicht werden.
Wie kann das erreicht werden?
Die einzige Alternative besteht darin, die Regierung unter Druck zu setzen und mit Straßendemonstrationen, Streiks und anderen Protestformen gegen sie anzukämpfen. Wir sollten die Kürzungsorgien beenden und kämpfen, dass der IWF aus dem Land verschwindet.
Am wichtigsten ist, dass Island – sollte es ablehnen, für das Icesave-Geld herzuhalten, als Modell des Widerstands für andere Länder der neokolonialen Welt oder andere europäische Länder wie Griechenland dienen kann, die von ähnlichen Problemen und Mobbing betroffen sind. Wir brauchen eine globale Perspektive miteinander und über Landesgrenzen hinweg verknüpfter Kämpfe.
Die Arbeiterklasse und die Jugend sollten nicht für die Krise des kapitalistischen Systems zahlen müssen. Wenn wir zusammen kämpfen – europaweit und international, dann können wir unseren Lebensstandard gegen die Angriffe der Kapitalisten verteidigen.