Kritik an Tarifeinigung im Berliner Öffentlichen Dienst

Mitglieder der Partei DIE LINKE melden sich zu Wort


 

Wir dokumentieren hier eine Erklärung von Berliner Mitgliedern der Partei DIE LINKE zur Tarifeinigung im Berliner Öffentlichen Dienst:

Tarifeinigung im Berliner Öffentlichen Dienst: "Tarifperspektive“ oder weitere sieben Jahre Lohnabsenkung?

In der aktuellen Tarifrunde für die öffentlichen Bediensteten des Bundes und der Kommunen steht die Bundespartei DIE LINKE mit Solidaritätserklärungen und Aktionen an der Seite der Gewerkschaften und der Beschäftigten.

Das ist gut so, aber die Frage, die sich uns in Berlin aufdrängt, lautet:

Gilt das nur, solange DIE LINKE nicht in der Regierung sitzt ?

In Berlin hat sich der Landesparteitag der Partei DIE LINKE Ende November 2009 für eine spürbare „Einkommensverbesserung in allen Bereichen, mehr Beschäftigung und Beschäftigungssicherung“ ausgesprochen. Das Tarifergebnis sieht völlig anders aus.

Für LINKE-Landeschef Lederer ist die erzielte „Tarifperspektive“ „ein gutes Zeichen für die Beschäftigten“.

Das dürften viele der ca. 50.000 Landesbediensteten nach Betrachtung des Ergebnisses anders sehen:

* Im Mittelpunkt stehen eine eineinhalbjährige Nullrunde bis August 2011, ab dann sollen die Bezüge auf 97 % des Niveaus der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) angehoben werden, erst nach sieben Jahren – Ende 2017 (!) – sollen auch in Berlin 100 % des TdL-Niveaus gezahlt werden.

* Während das Land Berlin „beabsichtigt“ bis zum 31.12.2011 wieder Mitglied der TdL zu werden, gilt für ver.di, GEW, GdP und IG BAU bis zu diesem Zeitpunkt die Friedenspflicht.

* Ab August 2011 beträgt die Wochenarbeitszeit in ganz Berlin 39 Stunden. Damit wird zum einen die Arbeitszeitverkürzung aus dem Jahr 2003 von 40 (Ost) bzw. 38,5 (West) auf 33,88 bzw. 36,8 Stunden rückgängig gemacht und zusätzlich die Arbeitszeit für die Westbeschäftigten um eine halbe Stunde auf 39 Stunden ohne Lohnausgleich verlängert. Allein die halbe Stunde Mehrarbeit entspricht einer Nominallohnsenkung von knapp 1,3 %.

Mit der Verlängerung der Arbeitszeiten droht massiver Stellenabbau. Bereits im Doppelhaushalt 2010/2011 ist die Vernichtung von 8000 Stellen vorgesehen.

* Zehntausende Beamtinnen und Beamte gehen komplett leer aus und bekommen auf absehbare Zeit keine Lohnerhöhung.

*Ebenfalls ab August 2011 gilt die Unkündbarkeit auch im Osten von Berlin.

Erinnern wir uns an 2003:

Nach dem Austritt Berlins aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband und der folgenden Tarifauseinandersetzung kam es nach einem Spitzengespräch zwischen ver.di-Chef Bsirske und dem Regierenden Bürgermeister Wowereit zum so genannten „Solidarpakt“ (Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich beim Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2009), der den Beschäftigten dramatische Einkommensverluste von 8 – 12 % bescherte.

Anschließend erklärte Bsirske:

„Am Ende seiner Laufzeit , also 2009, wird „Geld gegen Freizeit“ automatisch wieder zurückgetauscht, also „Zeit gegen Geld“.

Davon ist nun keine Rede mehr, im Kern müssen sich die Landesbeschäftigten die Zusagen von 2003 bzw. diesbezügliche Absichtserklärungen des Senats mit einer erneuten Nullrunde „erkaufen“ ! Darüber hinaus droht mit einer erneuten Arbeitszeitverlängerung die Vernichtung von Stellen. Und das vor dem Hintergrund, dass seit 1991 in Berlin 100.000 Stellen im Öffentlichen Dienst abgebaut bzw. ausgegliedert wurden. Viele KollegInnen sind bereits jetzt stark überlastet. Der erhebliche Personalmangel hat schon jetzt zur Folge, dass Berliner und Berlinerinnen in einigen Bezirken beispielsweise mehr als fünf Monate auf ihr Wohngeld warten müssen.

Wir rufen die KollegInnen auf, bei der von den Gewerkschaften durchgeführten Mitgliederbefragungen mit Nein zu stimmen und fordern von der Berliner LINKE-Führung sich endlich auf die Seite der Kolleginnen und Kollegen zu stellen und gegen Stellenabbau und Lohnverzicht im Öffentlichen Dienst zu kämpfen.

Die mittelfristige Finanzplanung des Landes Berlin sieht bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt vor und damit keine Netto-Neuverschuldung mehr.

Um das zu erreichen, sind schon nach den bisherigen Planungen – also ohne Einkalkulierung der dramatischen Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise (sinkende Steuereinnahmen, steigende Sozialausgaben) – Kürzungen bei den so genannten „Primärausgaben“ (alle Kosten abzüglich Schuldendienst, also vor allem Personalkosten) vorgesehen. Der Doppelhaushalt 2010/2011 sieht so bereits einen weiteren Abbau von 8000 Stellen vor.

Anders formuliert:

Der Berliner Haushalt ist mit oder ohne vernünftige Bezahlung der öffentlichen Bediensteten absehbar nicht „konsolidierbar“, wenn das Geld nicht dort geholt wird, wo es sich befindet: bei den Reichen und Konzernchefs.

Man muss also kein Prophet oder Schwarzseher sein, um weitere Angriffe auf die Beschäftigten zu erwarten, etwa die Abpressung eines weiteren „Solidarpaktes“ mit der Drohung betriebsbedingter Kündigungen.

Weitere „Nullrunden“ sind nicht nur unzumutbar für die Beschäftigten, sondern beschädigen auch die Glaubwürdigkeit des gesamten, bundesweiten Projekts DIE LINKE.

Wie sollen unsere GenossInnen im Rest der Republik Länderfinanzministern und kommunalen Kämmerern, die den (vermeintlichen) Sachzwang der „leeren Kassen“ wie eine Monstranz vor sich hertragen, plausibel entgegen treten, wenn die eigenen Leute in Berlin genau mit diesem Argument immer wieder Lohnzurückhaltung predigen ?

Die Interessen der beschäftigten wie erwerbslosen LohnarbeiterInnen werden aber nicht durch mehr oder weniger kluge Regierungs-/Koalitionstaktik entschieden, sondern in den Klassenkämpfen selbst.

Die LINKE muss sich auch in Berlin endlich entscheiden, auf welcher Seite sie in diesen Kämpfen steht, weshalb eine Diskussion über den Ausstieg aus der Berliner Landesregierung in der Partei auf die Tagesordnung gehört. Das Tarifergebnis ist für uns genauso wie die geplante Teilausschreibung der Berliner S-Bahn ein erneuter Beleg dafür, dass DIE LINKE in der Regierung mit der unsozialen SPD nicht die Interessen von Erwerbslosen, Beschäftigten und Jugendlichen durchsetzen kann, sondern sich für den Sozialabbau mitverantwortlich macht und den Widerstand gegen die Politik der Regierung schwächt.

Gerade in der Krise ist es die Aufgabe der LINKEN für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu kämpfen, um zu verhindern, dass Stellen abgebaut werden und damit neue Stellen geschaffen werden können.

Unterzeichnende:

Angelika Teweleit, Mitglied Bezirksverband Berlin-Neukölln und Sprecherin für Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di

Anne Engelhardt, Bezirksverordnete Berlin-Mitte Fraktion DIE LINKE

Jens Carlberg, Mitglied Bezirksverband Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf

Michael Schilwa, Mitglied Bezirksverband Berlin-Tempelhof-Schöneberg

Monika Merk, Sprecherin LINKE-Spandau

Viktor Frohmiller, Mitglied Bezirksverband Berlin-Neukölln und Jugend- und Auszubildendenvertreter bei der BVG (in eigener Person)

Piotr Luczak, Mitglied Bezirksverband Berlin-Spandau