ArbeiterInnen und indigene Bäuerinnen und Bauern müssen mobilisieren und revolutionär-sozialistische Maßnahmen ergreifen.
Evo Morales und die Partei Bewegung zum Sozialismus (MAS) haben es geschafft, der rechten Opposition bei den bolivianischen Präsidentschafts- und Kongresswahlen am 6. Dezember eine verheerende Niederlage zu bereiten.
von Alternativa Socialista Revolucionaria (CWI in Bolivien)
Morales erreichte 63,46 Prozent der Stimmen und liegt damit unglaubliche 36 Prozentpunkte vor seinem nächsten Mitbewerber ums Amt. Verglichen mit den letzten Wahlen 2005 legte er um fast 10 Prozent zu. In den westlichen Landesteilen, die der MAS traditionell nahe stehen, schlug er die Opposition vernichtend: In La Paz kam er auf 80 Prozent, auf 79 Prozent in Oruro und 78 Prozent in Potosí. Während in Cochabamba und Sucre 66 Prozent bzw. 56 Prozent errungen wurden, konnte Morales sein Maß an Zuspruch in den Hochburgen der Opposition im Osten des Landes ausbauen. So gewann er in Tarija 51 Prozent und erreichte in Pando mit 45 Prozent einen respektablen zweiten Platz. In Santa Cruz kam er auf 41 Prozent und in Beni auf 38 Prozent.
Genauso bedeutend ist, dass die MAS 85 der insgesamt 130 Sitze im Abgeordnetenhaus sowie 25 von 36 Sitzen im Senat für sich verbuchen konnte. Mit der damit feststehenden absoluten Mehrheit im Abgeordnetenhaus und einer Zweidrittelmehrheit im Senat ist es der MAS-Regierung nun möglich, jedes Gesetz und jede Verfassungsänderung durchzusetzen, die sie durchzusetzen willens ist. Die beeindruckende Mehrheit, die Morales und die MAS gewinnen konnten, bedeutet, dass es ab sofort keine Ausrede mehr gibt, die notwendigen Schritte zur Bekämpfung des Großgrundbesitzes und des Kapitalismus nicht zu ergreifen. Die rechten, konterrevolutionären Kräfte sind auf der Wahlebene zerschlagen worden. Es darf ihnen keine Zeit und Möglichkeit gelassen werden, sich zu reorganisieren und zurück zu schlagen.
Unabhängig von der jeweiligen Betrachtungsweise stellt dies einen weitreichenden Wahlsieg für Morales und die MAS-Regierung dar. Was darüber hinaus aber noch bedeutsamer ist, ist das gewaltige Verlangen nach fundamentalem Wandel unter den bolivianischen Massen und die grandiose Möglichkeit, die nun besteht, um mit dem Kapitalismus zu brechen und den revolutionär-sozialistischen Wandel einzuleiten.
In Teilen erkannte Morales die Bedeutung des Wählerauftrags für grundlegenden Wandel an, als er in seiner Rede nach dem Wahlsieg erklärte: „Wir haben die Verantwortung, diesen Prozess zu forcieren. Dass wir mehr als zwei Drittel der Abgeordneten und SenatorInnen stellen, ist für mich der Auftrag, diesen Prozess des Wandels verstärkt umzusetzen“. Er blieb allerdings auch verhalten und ergänzte versöhnlerisch: „Wir sind eine Regierung des Dialogs und der Übereinkünfte“. Damit nahm er Bezug darauf, dass er gewillt ist, die eben erst bezwungene Opposition in den Prozess des Wandels einzubeziehen. Das ist eine Warnung für die Massen, nicht darauf zu warten, dass Morales von oben agiert. Die machtvollen Organisationen der ArbeiterInnen, indigenen Bäuerinnen und Bauern und der Armen, die die sozialen Bewegungen bilden, müssen die treibende Kraft für sozialistischen Wandel in Bolivien sein und die nötigen Schritte tun, um die Revolution voranzutreiben und den Großgrundbesitz und den Kapitalismus zu zerschlagen.
Diese Organisationen sollten auf Grundlage eines sozialistischen Programms mobilisieren, um das Land der Großgrundbesitzer, der Konzerne und der Industrieunternehmen, der multinationalen Unternehmen und der bolivianischen reichen Elite zu übernehmen. ArbeiterInnen, indigene Bäuerinnen und Bauern und die arme Bevölkerungsmehrheit sollten die demokratische Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen, um den enormen Reichtum Boliviens an Naturreserven dazu zu benutzen, die Produktion und Verteilung des Reichtums auf Grundlage einer demokratischen, sozialistischen Planung zu organisieren, die die Bedürfnisbefriedigung der ganzen Bevölkerung zum Ziel hat.
Es sollten demokratisch organisierte Verteidigungskomitees eingerichtet werden, um die Arbeiterschaft, die indigene Bauernschaft und die verarmten Gemeinden auf lokaler, Provinz- und Landesebene miteinander zu vernetzen. Auf diese Weise können dann Besetzungsaktionen demokratisch von unten organisiert werden, und man kann sich gegen Angriffe der rechten Opposition wappnen. Alle gewählten VertreterInnen der Verteidigungskomitees müssen der permanenten Wähl- bzw. Abwählbarkeit unterliegen und – sollten sie Einkommen beziehen – nicht mehr als den Durchschnittslohn der ArbeiterInnen, indigenen Bäuerinnen und Bauern und der GemeindebewohnerInnen verdienen, die sie repräsentieren.
Die sozialen Bewegungen können sich außerdem auf keinen Fall leisten, das konterrevolutionäre Potential zu ignorieren, das das Militär darstellt. Rechtsgerichtete Offiziere müssen umgehend abgesetzt und Soldatenkomitees sollten einberufen werden, damit die unteren Ränge ihre Offiziere demokratisch wählen können. Die Soldatenkomitees müssen wiederum mit den Verteidigungskomitees vernetzt sein, um sicherzustellen, dass die Kontrolle über das Militär bei der Bevölkerung liegt.
Nach der Überwindung des Kapitalismus sollten die Verteidigungskomitees dann die Basis für einen demokratisch, sozialistischen Staat der ArbeiterInnen und der indigenen Bäuerinnen und Bauern schaffen und die demokratische Planung der sozialistischen Ökonomie Boliviens organisieren.
Vollständiges Versagen des neoliberalen Kapitalismus in Bolivien
Der neoliberale Kapitalismus war in Bolivien über 25 Jahre an der Macht. Er hat jämmerlich versagt, und die Massen leiden immer noch an den Auswirkungen, die diese Zeit ihnen bereitet hat. Obwohl in Bolivien die an Ertrag reichsten Bergwerke, einer der fruchtbarsten Böden und die größten Gasreserven der Welt vorzufinden sind, ist die Bevölkerung des Landes die ärmste in ganz Südamerika.
Die Zahlen sprechen für sich: In Bolivien leben Schätzungen zu Folge 58 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit zwei US-Dollar oder sogar weniger am Tag in Armut, während gut 30 bis 36,5 Prozent mit einem US-Dollar oder noch weniger ihr Dasein in extremer Armut fristen. Für das tägliche Leben bedeutet das, dass viele Dinge der Grundversorgung eines Menschen für einen Großteil der Bevölkerung unerreichbar ist: 70,8 Prozent weisen nicht ausreichende Wohnverhältnisse auf, 58 Prozent mangelt es an sauberem Wasser, 43,7 Prozent leiden unter mangelhafter oder fehlender Stromversorgung, 52,5 Prozent sind von angemessener Bildung ausgeschlossen und für 37,9 Prozent gilt, dass sie nur eine ungenügende oder gar keine Gesundheitsversorgung erhalten.
Auch die Ungleichheit ist in Bolivien extrem: Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung bekommen 35,4 Prozent des Nationaleinkommens, während für die ärmsten 40 Prozent nur 15,1 Prozent übrig bleiben. Laut Xavier Nogales, dem Minister für wirtschaftliche Entwicklung, verdient eine wohlhabende Person in Bolivien 90 Mal mehr als eine arme Person.
Die indigene, bäuerliche Bevölkerung hat unter dem Versagen des Kapitalismus in Bolivien am meisten zu leiden. Angaben der UNO-Sonderorganisation FIDA (Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung) zu Folge hat Bolivien mit 97 Prozent, die in Armut, und 69 Prozent, die in extremer Armut leben, buchstäblich die ärmste bäuerliche Bevölkerung weltweit. Das ist die direkte Folge der halbfeudalen Landstrukturen, die zu einer der am meisten von Ungleichheit gekennzeichneten Besitzverhältnisse über Grund und Boden in der ganzen Welt geführt hat. Großgrundbesitzer, die nur rund sieben Prozent der Bevölkerung ausmachen, besitzen 87 Prozent des Bodens (28 Millionen Hektar), während die Gesamtheit der bäuerlichen Landbevölkerung gezwungen ist, sich mit den verbleibenden 13 Prozent (vier Millionen Hektar) zu begnügen.
Die Arbeiterklasse quält ebenfalls Armut, Instabilität und ein gänzlich von Leid geprägtes Leben. Nur 20 Prozent der bolivianischen Erwerbstätigen sind gewerkschaftlich organisiert, während 57 Prozent bis 63 Prozent im informellen, ungeschützten Sektor und damit ohne Arbeitsrechte arbeiten. Ein sicherer Arbeitsvertrag oder irgendeine Form von Arbeitsplatzgarantie existiert für sie nicht. Der durchschnittliche Monatsverdienst liegt bei rund 89 US-Dollar – und für Frauen bei nur 59 US-Dollar.
Errungenschaften und Grenzen der Reformen während der vergangenen vier Jahre MAS-Regierung
Jegliche Versuche, in Bolivien im Rahmen des kapitalistischen Systems grundlegenden Wandel zu bringen, sind zum Scheitern verurteilt. Die MAS-Regierung kann Reformen durchbringen, die das Leid der Massen zeitweilig geringfügig lindern. Sie kann aber nicht die fundamentalen Probleme namens Armut und Ungleichheit lösen. Unterdessen wird die rechtsgerichtete Opposition ihre ökonomische, politische und gesellschaftliche Macht ausschöpfen, um die MAS-Regierung und die sozialen Bewegungen schonungslos anzugreifen, damit der Boden für ihre Rückkehr in der Zukunft bereitet ist. Jede Form der Rückkehr der Rechten bedeutet unweigerlich auch brutale Unterdrückung der sozialen Bewegungen verbunden mit dem Zurückdrängen der Veränderungen der letzten Jahre. Die Reorganisierung ihrer Kräfte kann nur verhindert werden, wenn man sich nach dem Sturz von Großgrundbesitz und Kapitalismus auf die unmittelbare Antwort darauf vorbereitet.
Es ist nicht zu leugnen, dass Morales und die MAS-Regierung in den vergangenen vier Jahren für wichtige Errungenschaften stehen. Die Teilverstaatlichung der Gasindustrie im Mai 2006 unterstellte einen maßgeblichen Teil der Industrie der staatlichen Kontrolle und ließ die Steuerabgaben der multinationalen Ölkonzerne auf 82 Prozent ansteigen, was die staatlichen Einnahmen aus dem Gasgeschäft von 300 Millionen US-Dollar im Jahr 2005 auf 1,6 Milliarden US-Dollar 2007 ansteigen ließ. 2003 machte die Kohlenwasserstoff verarbeitende Industrie 4,5 Prozent des BIP aus und bis 2006 ist dieser Anteil auf 14,7 Prozent angestiegen.
Die MAS-Regierung hat die Einahmen dazu genutzt, um die Staatsausgaben für Sozialprogramme massiv zu steigern. Sie führte ein Jahreseinkommen ein, das sogenannte Juancito Pinto, das 2008 dafür sorgte, dass 1,8 Millionen Schulkindern Unterstützung zu Teil wurde. Durch die Renta Dignidad wurde die Zahlung an Sozialleistungen für Menschen über 60 ausgeweitet und die Juana Azurduy sorgte dafür, dass die Kindersterblichkeit durch die Auszahlung eines Einkommens an schwangere und stillende Frauen sowie Frauen, die in ärztlicher Behandlung sind und an einem Programm für vorgeburtliche Planung teilnehmen, zurückging. Mehr als 1,5 Millionen Menschen kamen in den Genuss des Alphabetisierungsprogramms Yo Si Puedo, was die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, UNESCO, 2008 dazu bewog, Bolivien offiziell als „Land ohne Analphabetismus“ zu erklären. Hinzu kommt, dass die Regierung Programme aufgelegt hat, Jugendlichen einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und diejenigen mit fließendem Wasser zu versorgen, die selbiges bisher entbehren mussten.
All dies sind begrüßenswerte Errungenschaften, die die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit verbessert haben und von SozialistInnen zu unterstützen sind. Dennoch sind auch sie weit davon entfernt, die allgemeine Armut zu beenden, von der die Menschen in Bolivien weiterhin betroffen sind. Bezug nehmend auf die regierungseigenen Zahlen, ist die Armutsrate in den vergangenen vier Jahren zurückgegangen – allerdings nur um drei Prozent, von 60 Prozent auf jetzt 57 Prozent. Auch die extreme Armut konnte bekämpft werden – jedoch nur minimal, sodass sie von 38 Prozent auf 31 Prozent sank.
Die Erfahrung in Venezuela heute zeigt, dass die Reformprogramme jederzeit umkehrbar sind oder der Gefahr unterliegen, außer Kraft gesetzt zu werden, wenn diese Reformen nicht verbunden sind mit der Bekämpfung des Großgrundbesitzes und des Kapitalismus und der Einführung eines demokratischen und sozialistischen Produktionsplans.
Mehr noch: Wenn die Gewinne und die Einflusssphäre der multinationalen Konzerne auch zurückgefahren werden konnten, so sind sie immer noch dabei, Boliviens Naturreserven auszuplündern, enorme Profite außer Landes zu schaffen und nur einen geringen Teil davon über Steuern und Abgaben übrig zu lassen – und umgekehrt weiterhin für erhebliches Leiden zu sorgen. Nirgends wird dies deutlicher als in den Minen. Von 2006 bis 2009 haben die multinationalen Bergbaukonzerne nachweislich 4,4 Milliarden US-Dollar an Profiten aus Bolivien rausgeholt (die Regierung nimmt an, dass die wirkliche Zahl einschließlich der illegalen Ausfuhren tatsächlich bei rund acht Milliarden US-Dollar anzusetzen ist). Im selben Zeitraum zahlten diese Konzerne erbärmliche 220 Millionen US-Dollar an Steuern an den bolivianischen Staat, rund fünf Prozent der nachweisbaren Profite.
Morales und die MAS-Regierung haben für positive Veränderungen gesorgt. Aber sie haben Halt gemacht, lang bevor es zu revolutionären Veränderungen gekommen ist, die nötig sind, um die massiven systemischen Probleme zu überwinden, denen die Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung ausgesetzt ist.
Unnachgiebige Rechts-Opposition trotz demokratischer Unterstützung für Morales
Während Morales und die MAS-Regierung moderate Reformprogramme durchgeführt haben, hat die rechte Opposition sie jedes Mal böse zu bekämpfen versucht. Sie hat die unter ihrer Kontrolle befindlichen Kommunikationsmittel benutzt, um zu versuchen die MAS-Regierung mit Lügen und der Verzerrung der Wirklichkeit nieder zu ringen. Sie hat ihre Mehrheit im Senat dazu benutzt, um fortschrittliche Gesetzte zu blockieren und ihre ökonomische Kontrolle über die Industrie, um Aussperrungen zu organisieren, Straßen zu blockieren und die Preise für Waren des Grundbedarfs anzuheben. Schließlich hat sie auch noch unter dem Deckmantel eines Kampfes für Autonomie eine separatistische Bewegung organisiert und bewaffnete, gewalttätige „Stoßtrupps“ aufgestellt.
Je mehr die MAS-Regierung klargestellt hat, dass sie die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit hat, desto aggressiver wurde die Rechts-Opposition. Im August und September 2008, nur ein paar Wochen nachdem Morales in einem Referendum 67 Prozent an Unterstützung erhalten hatte, erreichte das seinen Höhepunkt. Die Opposition organisierte eine gewaltbereite Sezessionsbewegung, übernahm die staatlichen Institutionen und Gasreserven in den an Öl und Ressourcen reichen östlichen Landesteilen und metzelte derweil schätzungsweise 20 unbewaffnete indigene Bäuerinnen und Bauern im Bundesstaat Pando nieder.
Die sich als konstant und entschlossen erweisende rechte Opposition ist trotz der Tatsache auf den Plan getreten, dass Morales und die MAS-Regierung eine nicht konfrontative Gangart gewählt haben, von der sie sich weiterhin erhoffen, dass sie es ihnen ermöglichen wird, eine „friedliche und demokratische Kulturrevolution“ durchzuführen. Fakt ist, dass die MAS-Regierung für eine Atmosphäre wirtschaftlicher und politischer Stabilität gesorgt hat, von der niemand zu träumen gewagt hätte, als die neoliberalen Regierungen die Kontrolle ausübten. Selbst der IWF hat die Regierung Morales dafür gelobt, 2008 die höchste Wachstumsrate in ganz Lateinamerika erreicht zu haben – eine Leistung, die in einem Umfang von 2,8 Prozent auch für 2009 erwartet wird.
In Wirklichkeit weiß die kapitalistische Klasse, dass die MAS-Regierung an und für sich keine ernsthafte Bedrohung für das System darstellt. Ihr Widerstand resultiert aus einer Sterbensangst, dass Morales und die MAS-Regierung durch positive Veränderungen auf Grundlage von Verstaatlichungen und unter Einsatz einer sozialistischen Rhetorik die Massen inspirieren könnten, dass ihnen die Situation außer Kontrolle gerät und die moderaten Reformprogramme dazu führen, dass sich eine flügge werdende revolutionär-sozialistische Bewegung entwickelt. Wenn die MAS-Regierung eine ernsthafte Bedrohung für die kapitalistische Klasse darstellte, würde letztere alles in ihrer Macht Stehende tun, um sich dagegen zu wehren. Ganz egal, wie viel an demokratischer Unterstützung Morales und die MAS genießen.
Lehren aus „Chile 1973“ und dem Venezuela unter Hugo Chávez
Aus der tragischen Erfahrung der Volksfront-Regierung Salvador Allendes von 1970 bis 1973 in Chile können die bolivianischen Massen wichtige Schlüsse für heute ziehen. Auch Allende genoss demokratische Unterstützung und setzte ein Programm von Verstaatlichungen und Landreformen durch, wenn auch in weit größerem Umfang. Wie Morales sprach auch Allende von einer „friedlichen, demokratischen Revolution“ und glaubte – ungeachtet bösartiger Attacken, die kapitalistische Opposition würde sein demokratisches Mandat letztendlich anerkennen. Diesen Illusionen blieb er bis zum bitteren Ende verhaftet. Sogar noch, als Teile des Militärs ihn warnten, es gäbe Pläne für einen Putsch, und 500.000 ArbeiterInnen und Bäuerinnen in Richtung Präsidentenpalast marschierten und Waffen zur Verteidigung ihrer Revolution und der Allende-Regierung verlangten. Am 11. September führte Armeegeneral Agosto Pinochet einen Militärputsch an, ließ erst den Präsidentenpalast unter Beschuss nehmen, ermordete Allende und hetzte dann die mordlüsterne Reaktion auf soziale Bewegungen und die Armen. Wie zu viele andere in Lateinamerika war auch diese „friedliche und demokratische Revolution“ beendet, mit der Ermordung und dem Verschwinden Tausender und der Folter jeder/s zehnten ChilenIn, so Schätzungen. Leo Trotzki würde gesagt haben, die Pinochet-Diktatur war, wie viele andere reaktionäre Diktaturen, der Preis, der von der Arbeiterklasse dafür bezahlt werden musste, dass man die Macht aufgrund einer falschen Politik der Führung nicht übernommen hatte, als die Möglichkeit dazu bestand.
Die bolivianischen Massen sollten auch aus dem komplexen Prozess, wie er sich in diesem Moment in Venezuela darstellt, ihre Lehren ziehen. Nachdem sie eine Reihe von Veränderungen eingeleitet hat, die ganz im Sinne der Massen sind, und eine ganze Serie von Angriffen seitens der kapitalistischen Opposition (darunter auch ein Putschversuch im Jahr 2002) vereitelt hat, sieht sich die Regierung Hugo Chávez, die jetzt über 10 Jahre im Amt ist, einer ganzen Reihe von Hürden und Widersprüchen gegenüber. Diese rühren aus dem Unwillen, mit dem Kapitalismus brechen zu wollen. Die Wirtschaftskrise und der Fall der internationalen Ölpreise haben den Programmen von Chávez, die für die Armen gestrickt wurden, die Basis entrissen. Unterdessen sind Inflation und Kriminalität außer Kontrolle geraten. Das von oben herab Regieren eines Hugo Chávez hat den Grundstock gelegt für die Entwicklung einer Bürokratie, die zunehmend zum Hemmschuh für seine „Bolivarianische Revolution“ geworden ist. Es ist eine „Boli-Bourgeoisie“ entstanden, die aufgrund ihrer Kontakte in Regierungskreise und des Geldflusses nach Venezuela aus dem Ölgeschäft unheimlich reich geworden ist. Getoppt wird dies dadurch, dass der Kapitalismus und die Armut und Ungleichheit, die damit einhergehen, in Venezuela weiterhin und lebhaft Bestand haben. Hinzu kommt, dass Chávez eine Reihe von politischen Fehltritten vorzuweisen hat. So etwa sein gescheiterter Versuch die Verfassung zu ändern, um seine neuerliche Wiederwahl möglich zu machen. Zudem sind sämtliche dafür nötigen Voraussetzungen vorhanden, um von weit verbreiteter Frustration und Desillusionierung unter den Massen und der zurückgekehrten Gefahr durch eine Rechts-Opposition sprechen zu können, die vor wenigen Jahren noch vielen unmöglich erschien. Für eine tiefer gehende Analyse zu Venezuela siehe: A New Phase and Greater Dangers.
Ohne unabhängige Schritte der sozialen Bewegungen in Bolivien, die zum Bruch mit dem Kapitalismus und dem Beginn des Sozialismus führen, wird Evo Morales und die MAS-Regierung ein ähnliches Schicksal wie in Chile 1973 oder in Venezuela heute ereilen.
Der Ansatz der MAS: eine pluralistische Ökonomie
Während die alternativlose Notwendigkeit und auch die massenhafte Unterstützung für fundamentalen sozialistischen Wandel mehr als deutlich sind, haben Morales und die MAS-Regierung darin versagt, dahingehende durchgreifende Schritte zu unternehmen. Einer politischen Ideologie namens „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ folgend, die auch von anderen linksgerichteten Regierungen in Lateinamerika – wie etwa der von Hugo Chávez in Venezuela und Rafael Correa in Ecuador verfolgt wird – hoffen sie, das aufzubauen, was sie „einen plurinationalen Staat und eine pluralistische Ökonomie“ nennen.
„Plurinationaler Staat und pluralistische Ökonomie“ meint, dass der Versuch unternommen wird, einen Staat zu kreieren, der allen indigenen Gemeinschaften zum ersten Male volle Rechte und Selbstbestimmung einräumt. Ökonomisch wird dabei angestrebt, eine sozialistische Wirtschaft (basierend auf der Verstaatlichung strategisch wichtiger Industrien) mit einer kapitalistischen Wirtschaft (basierend auf Privatbesitz) und einer indigenen Wirtschaft (basierend auf Gemeindebesitz des Landes der Indigenen) zu kombinieren. Im Programm der MAS für die Zeitspanne von 2010 bis 2015 ist ausgeführt: „Mit dem Modell der pluralistischen Ökonomie wird der Staat verfassungsgemäß damit beauftragt, aktiv in den Markt einzugreifen und die Wirtschaft zu steuern […], um die gleiche Verteilung des Reichtums zu realisieren […]“. Dann folgt jedoch die Erklärung, wonach „der Staat private und ökonomische Aktivitäten fördert, Impulse und rechtliche Sicherheit gibt, die zum Wachstum des Landes beitragen.“
Im Folgenden erklärt das Programm detailliert einen ambitionierten Plan zur Nutzung der Ressourcen durch Verstaatlichung der Kohlenwasserstoffindustrie, um einen „großen Sprung im Industriebereich” zu machen. Zuerst im Bereich der Kohlenwasserstoffindustrie und danach – neben anderen – beim Lithium, Baustoffen, Bergbau, Landwirtschaft und der Petrochemie. Für die Ressourcen, die durch die Industrialisierung frei werden, haben Morales und die MAS-Regierung ähnlich detaillierte und ambitionierte Pläne zur Ausweitung der im Sinne der Armen ausgerichteten Sozialprogramme, wobei sie nahezu jeden Aspekt, der die bolivianische Gesellschaft betrifft, anschneiden: Bildung, Gesundheit, Wohnungsbau, Beschäftigung, Wasser, Elektrizität, Gas etc. Indem sie fast exakt dieselben Worte benutzen wie Salvador Allende, hoffen Morales und die MAS-Regierung damit eine „demokratische und friedliche Kulturrevolution“ zu kreieren.
Friedfertige Koexistenz von Kapitalismus und Sozialismus ist unmöglich
Während oberflächlich das Versprechen einer demokratischen und friedlichen Revolution gegeben wird, kann ein Programm, das auf der friedlichen Existenz von Kapitalismus und Sozialismus basiert, nicht erfolgreich sein. Ruchlose Angriffe – politische, ökonomische und gewalttätige – werden letztendlich zum Kollaps der sozialen Bewegungen führen, wenn sie nicht damit beginnen, revolutionären Maßnahmen zu ergreifen. Hinzu kommt, dass moderate Reformen oder eine teilweise Kontrolle über die Wirtschaft nicht genug Reichtum schaffen können, um die Mehrheit der Bevölkerung aus der Armut zu holen. Das gilt insbesondere für neokoloniale Länder wie Bolivien, wo halbfeudale Strukturen auf dem Land und extreme Armut und Ungleichheit vorherrschen. Dies gilt insbesondere im Kontext der Weltwirtschaftskrise, welche die Preise von Erdgas und anderen Bodenschätzen, deren Verkauf 75-80% des bolivianischen Staatseinkommens ausmacht, in den Keller fallen ließ
Eine wahrhafte Lösung der Probleme in Bolivien und eine realistische Strategie zur Abwehr der rechten Opposition kann nur in der Mobilisierung der sozialen Bewegungen, der Überwindung des Kapitalismus und dem Aufbau eines sozialistischen Boliviens liegen.
Für ein sofortiges Ende des Großgrundbesitzer-Systems und demokratische Kontrolle über das Land!
Zuerst sollten die sozialen Bewegungen mobilisieren, um das System des Großgrundbesitzes ein für allemal zu beenden. Die Organisationen der indigenen Bäuerinnen und Bauern – die am besten organisierten und schlagkräftigsten Kräfte im ganzen Land – sollten das Land besetzen und es unter die demokratische Kontrolle der indigenen bäuerlichen Bevölkerung stellen.
Mittels einer sozialistischen Wirtschaft, basierend auf der demokratischen Kontrolle über den Boden, können wir dieses kranke System beenden, das Profit vor den Menschen stellt. Indigene Bäuerinnen und Bauern können mit der gesamten Bevölkerung zusammenarbeiten, um einen Plan auszuarbeiten, wie das reiche Land genutzt werden muss, um genug Lebensmittel zu produzieren und zu verteilen, damit die Bedürfnisse der Gesamtbevölkerung befriedigt werden.
Für demokratische Kontrolle durch ArbeiterInnen und die Gemeinschaften über die Wirtschaft Boliviens
Auch der Jahrhunderte währende Diebstahl bolivianischer Rohstoffe, der mit den spanischen Kolonisatoren begann und mit den multinationalen Konzernen heute weitergeht, muss beendet werden. ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen sollten ihre Kräfte mobilisieren, um die Industrien zu besetzen, die sich heute noch im Besitz der multinationalen Konzerne und der elitären Geschäftswelt befinden und diese unter demokratische Kontrolle durch ArbeiterInnen und die Gemeinschaften und Gemeinden stellen, damit die Menschen in Bolivien entscheiden können, wie die Ressourcen genutzt werden können und ihre Leben gesichert sind.
Damit die Menschen in Bolivien in den Genuss der Früchte des Reichtums ihres Landes kommen, müssen die ArbeiterInnen in den verarbeitenden, Bau-, Kommunikations-, Finanz-, Banken-, Transport-, Elektrizitäts-, Gas- und Wasserbranchen die Macht haben, die Produktion gemeinsam mit den Gemeinden demokratisch planen zu können. Diese müssen in die Lage versetzt werden, ihren Bedarf auf demokratische Weise ausdrücken zu können. Nur auf der Basis einer sozialistischen Ökonomie ist es möglich, sich verarmte Gemeinden von ArbeiterInnen und indigenen Bäuerinnen und Bauern in Bolivien vorzustellen, die in den Genuss kommen, uneingeschränkten Zugang zu Lebensmitteln, Wohnraum, Bildung, Gesundheitsversorgung und sämtlichen Leistungen des Grundbedarfs zu haben.
Für ein sozialistisches Bolivien als ersten Schritt in Richtung einer sozialistischen Konföderation der lateinamerikanischen Staaten
Beginnend mit dem „Cochabamba Wasser-Krieg“ und in Folge dessen mit dem „Gas-Krieg“ und der Wahl von Evo Morales haben sich die bolivianischen Massen wieder und wieder an die Spitze des globalen Kampfes gegen Imperialismus, Neoliberalismus und das kapitalistische System an sich gestellt.
Mit dem Erdrutschsieg von Evo Morales und der MAS-Regierung bei den Wahlen vom 6. Dezember haben die sozialen Bewegungen einen weiteren begeisternden Sieg errungen, den nicht nur die ArbeiterInnen, die indigenen Bäuerinnen und Bauern und die Armen in Bolivien, sondern auch in ganz Lateinamerika und sogar im Weltmaßstab miteinander teilen.
Weltweit wird hunderten Millionen zunehmend klar, dass es sich beim Kapitalismus um ein gescheitertes System handelt, dass ersetzt werden muss. Doch bis jetzt haben sie keine konkrete Alternative gefunden. Als Speerspitze im globalen Kampf gegen den Kapitalismus, haben die bolivianischen Massen die Möglichkeit, für eben diese Alternative zu sorgen, die darin besteht, den Kapitalismus zu überwinden und einen ehrlichen Sozialismus einzuführen.
Ein sozialistisches Bolivien kann für sich allein genommen allerdings nicht überleben. Ein bewusster Appell muss an ArbeiterInnen, arme Bäuerinnen und Bauern sowie die unterdrückten Massen in ganz Lateinamerika und der Welt gerichtet werden, dem Beispiel zu folgen, den Kapitalismus zu Fall zu bringen und den Sozialismus in ihren eigenen Ländern aufzubauen. Erster Schritt dahin sollte sein, eine demokratisch-sozialistische Föderation zwischen Bolivien, Venezuela, Kuba und Ecuador zu etablieren, deren Staatsführer behaupten, den Sozialismus aufzubauen. Ein solcher Schritt würde es den Volkswirtschaften dieser Länder erlauben, miteinander verbunden und demokratisch geplant zu sein und damit ein Beispiel für ganz Lateinamerika abzugeben.
Nur auf Basis einer globalen sozialistischen Revolution, die den enormen naturgegebenen Reichtum und das Produktionspotential dieser Welt unter die demokratische Kontrolle der ArbeiterInnen, Bäuerinnen und Bauern und der „einfachen“ Menschen stellt, können wir den Bedürfnissen der ganzen Bevölkerung gerecht werden und die gravierenden Probleme lösen, mit denen die menschliche Gesellschaft aktuell konfrontiert ist. Indem wir so vorgehen, wird die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung zum ersten Mal vom animalischen Kampf ums Überleben befreit und in die Lage versetzt sein, ein würdiges Leben in einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft zu führen.