Offener Brief an die Mitglieder und den Koordinierungskreis Antikapitalistischen Linken (AKL)

Für eine Re-Organisierung der kritischen Linken in der Partei DIE LINKE


 

10. Februar 2010

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir wenden uns mit diesem offenen Brief an Euch, weil die Partei DIE LINKE – in der Mitglieder von AKL und SAV mit dem Anspruch aktiv sind eine antikapitalistische Perspektive und Programmatik zu vertreten – vor den NRW-Wahlen und dem Bundesparteitag in Rostock und nach dem Rückzug Oskar Lafontaines aus der Bundespolitik an einer Weggabelung steht.

Die Personal- und Richtungsentscheidungen haben große Auswirkungen auf die Zukunft der Partei. Die sich stellende Frage ist: wird DIE LINKE zu einem machtvollen politischen Instrument, die Interessen der Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Benachteiligten durchzusetzen oder entwickelt sie sich zur fünften Partei in der Bundesrepublik, die auf parlamentarische Verwaltung des Kapitalismus setzt? Wir sind der Meinung, dass die Linken in der LINKE gemeinsam dafür kämpfen müssen, dass letzteres verhindert wird.

Die Antikapitalistische Linke ist die stärkste Strömung in der Partei, die den Anspruch vertritt, keine Verwaltung des Kapitalismus in Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen anzustreben, sondern die Partei zu einem Instrument für die sozialistische Veränderung der Gesellschaft ausbauen zu wollen. Euch kommt deshalb in den aktuellen Debatten eine besondere Verantwortung zu. Dies gilt umso mehr aufgrund der starken Stellung der AKL im Landesverband Nordrhein-Westfalen.

Die im Januar von Euren Gruppen in NRW, Bayern und dann von Eurem bundesweiten Koordinierungskreis veröffentlichten Erklärungen werden dieser Verantwortung aus unserer Sicht nicht nur nicht gerecht, sie entwaffnen die Linken in der LINKE auch politisch und verzichten angesichts einer zugespitzten programmatischen und strategischen Debatte in der Partei auf eine sozialistische Perspektive und das Eintreten für innerparteiliche Demokratie.

Der Genosse Thies Gleiss hat in seiner Erklärung zurecht darauf hingewiesen, dass die Personaldebatten in letzter Konsequenz Ausdruck der programmatischen Debatte sind. Ihr scheint Euch in der Personaldebatte für eine Verteidigung des status quo entschieden zu haben – und malt diesen auch noch roter an, als er ist.

„Links bleiben“ titelt Euer Koordinierungskreis seine Erklärung, spricht von der „erfolgreichen Politik, für die Oskar Lafontaine steht“ und fordert für das Grundsatzprogramm die bekannten roten Haltelinien, die in der Realität der Partei weder in Berlin, Brandenburg noch bei den geplanten Regierungsbeteiligungen im Saarland und Thüringen eine Rolle gespielt haben. Auch Lafontaine hat die katastrophale Beteiligung der Berliner LINKEn am dortigen Senat niemals grundsätzlich in Frage gestellt.

Ihr behauptet, Oskar und DIE LINKE „setzen die Eigentumsfrage auf die Tagesordnung“ und „kämpfen für eine andere Wirtschaftsordnung“, die AKL NRW spricht sogar davon, dass Lafontaine „die Macht der großen Banken und Konzerne brechen“ wolle. Wir fragen uns, ob wir in den letzten zwei Jahren der größten Weltwirtschaftskrise seit 80 Jahren in einer anderen Partei waren.

DIE LINKE und ihre beiden Vorsitzenden haben es in diesem Zeitraum versäumt, eine demokratisch-sozialistische Alternative zum Kapitalismus zu formulieren und zu propagieren. Die Forderung nach Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen setzt nicht die Eigentumsfrage auf die Tagesordnung. Gerade in Zeiten der Krise würde ein solches Modell, das im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse umgesetzt würde, die Krisenlasten sogar noch mehr auf den Rücken der Belegschaften legen. Vor allem aber sollte gelten, dass eine Änderung der Eigentumsverhältnisse (die jedoch qualitativer Natur sein müsste und deshalb nicht bei 49 Prozent stehen bleiben dürfte) nur die Grundlage für eine Veränderung der Produktionsverhältnisse, oder nennen wir es Wirtschaftsordnung, sein könnten. Entscheidend bleibt die Frage: Produktion für den Profit durch in Konkurrenz zueinander stehender Unternehmen oder kooperative und demokratische Produktion zur Befriedigung der Bedürfnisse von Mensch und Umwelt?

Einige von Euch mögen der Meinung sein, dies sei nicht die Zeit solche Fragen aufzuwerfen und es gehe darum, den Vormarsch derjenigen in der Partei zu stoppen, die bedingungslos in Regierungsbündnisse mit SPD und Grünen eintreten wollen. Aber wann, wenn nicht in Zeiten der tiefsten Wirtschaftskrise; wann, wenn nicht in Zeiten der anstehenden Kürzungsorgien, Lohndrückerei und Massenentlassungen; wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit angebrochen als sozialistische Partei auch mit sozialistischer Politik in die Offensive zu gehen. Wie soll denn auf vierzig Prozent Überkapazitäten in der Autoindustrie politisch geantwortet werden, wenn nicht mit der Forderung der Überführung der gesamten Branche in öffentliches und demokratisch verwaltetes Eigentum zur planmäßigen Umstellung der Produktion auf sinnvolle und gesellschaftliche gebrauchte Produkte?

Eure inhaltliche Positionierung kommt einer Selbstbeschränkung auf vermeintlich realistische Tagesfordeurngen gleich, die aber in Zeiten der Krise nicht funktionieren kann, weil die Klassenwidersprüche tatsächlich die Frage des Eigentums und der Produktionsverhältnisse, also die Systemfrage, auf die Tagesordnung setzen. Die Tatsache, dass es noch kein massenhaft verbreitetes sozialistisches Bewusstsein gibt, darf eine sozialistische Partei nicht davon abhalten alles dafür zu tun, ein solches zu fördern.

Der Gedanke den status quo in der Partei erhalten zu können, während sich die Welt draußen weiter dreht und die schärfsten Klassenauseinandersetzungen seit Jahrzehnten auf die Tagesordnung setzt, ist eine Illusion. Die Offensive der Parteirechten muss mit einer scharfen inhaltlichen Positionierung durch die Parteilinke begegnet werden.

Personalfragen und Fragen der Entscheidungsfindung in einer Partei sind politische Fragen. Die AKL NRW hat aus unserer Sicht korrekt einen demokratischen Willensbildungsprozess in allen Landesverbänden zur Frage der neuen Parteispitze gefordert. Die AKL Bayern hat Gregor Gysi als neuen Vorsitzenden gefordert – ausgerechnet den Mann, der in den letzten Wochen alle demokratischen Strukturen der Partei ignoriert und lächerlich gemacht hat, indem er sich selber zum Bonaparte der LINKE aufgeschwungen und alles an sich gerissen hat. Und Euer Koordinierungskreis begrüßt nun den völlig undemokratisch zustande gekommenen Personalvorschlag und verkennt dabei, dass dieser Vorschlag in seiner Gesamtheit erstens zweifellos eine Stärkung des "Regierungsbeteiligungs-Lagers" darstellt, zweitens das Machtzentrum der Partei massiv in Richtung Bundestagsfraktion verschiebt und drittens mit Gesine Lötzsch jemand vorgeschlagen ist, die im Berliner Landesverband niemals ein Ende der Koalition mit der SPD gefordert hat und mit Klaus Ernst jemand vorgeschlagen ist, der sich seit der Gründung der WASG durch einen autoritären und bürokratischen Führungsstil ausgezeichnet hat.

Klaus Ernst hat nicht einmal die uneingeschränkte Unterstützung des bayrischen Landesverbandes. Der bayrische Landessprecher Franc Zega wurde zu der Beratung der Landesvorsitzenden über das Personaltableau nicht einmal eingeladen, damit kritische Stimmen nicht zu Wort kommen. Nur 15 von 45 Kreisvorsitzenden in Bayern haben eine Erklärung für Ernst unterzeichnet. Klaus Ernst hat schon zu WASG-Zeiten mehrmals versucht MarxistInnen, insbesondere uns SAV-Mitglieder aus der Partei zu drängen. Er hat auch mit seinem persönlichen Einspruch gegen die Mitgliedschaft von zehn SAV"lerInnen in der Partei DIE LINKE ein Demokratieverständnis an den Tag gelegt, das in der Partei keinen Platz haben sollte – das aber auch durch den Schiedsspruch der Bundesschiedskommission in allen Punkten zurück gewiesen wurde. Fragen der innerparteilichen Demokratie und des Führungsstils sind für eine linke Partei nicht zweitrangig. Das Erscheinungsbild der Partei hat sich in den letzten Wochen wenig von anderen Parteien unterschieden: es geht um Posten, Macht und Intrigen. Das untergräbt die Unterstützung in der Bevölkerung statt sie auszubauen. Und: Es sind schon zu viele kritische Mitglieder seit der Fusion von WASG und Linkspartei/PDS in die Passivität gedrängt worden, weil sie die bürokratische Atmosphäre in der neuen Partei nicht mehr ertragen haben. Die Wahl von Ernst zum Parteivorsitzenden ohne eine Kritik aus der Parteilinken ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich dem bürokratischen Führungsstil von Ernst in der Vergangenheit entgegen gestellt haben. Wir befürchten, dass die AKL sich überflüssig macht, wenn sie zu solchen Fragen aufgrund von vermeintlich taktischen Überlegungen schweigt.

In diesem Zusammenhang wollen wir an Euch die Frage stellen, wie Ihr es tatsächlich mit Pluralität in der Partei und im Jugendverband haltet. Erst jetzt ist uns aufgefallen, dass der Genosse Haimo Stiemer zum AKL-Koordinierungskreis gehört. Haimo gehört auch zu den UnterzeichnerInnen einer mit Verleumdungen und Unwahrheiten gespickten Briefes mit dem Titel „Raus aus der SAV“, in dem sich faktisch gegen eine Zusammenarbeit mit SAV"lerInnen im Jugendverband ausgesprochen wird und SAV-Mitglieder aufgefordert werden, die SAV zu verlassen. Wir sind überrascht, dass ein Mitglied Eures Koordinierungskreises in einer solch unsolidarischen und antipluralistischen Weise agieren kann, ohne dass ein Wort der Kritik aus der AKL laut wird.

Wir teilen die Sorge von Thies Gleiss, dass die AKL sich durch die von Eurem Koordinierungskreis vorgenommene Positionierung in eine gefährlich Schieflage begibt und ihre Existenz als linkes Gegengewicht zur dominierenden Politik in Partei- und Fraktionsführung bedroht ist.

Unserer Meinung nach verlangt die entstandene Situation nicht nach einem Kuschelkurs der Linken in der Partei mit den BefürworterInnen von Regierungsbeteiligungen, sondern nach einer Debatte der kritischen Kräfte über ein gemeinsames Eingreifen in die Programm- und Personalauseinandersetzungen. Eine Re-Organisierung derjenigen Kräfte, die – über AKL, SAV und andere Strömungen hinaus – für innerparteiliche Demokratie, eine prinzipielles Nein zu Regierungsbeteiligungen mit Sozialabbau-Parteien und für eine sozialistische Politik hier und heute eintreten, ist nötig.

Mit sozialistischen Grüßen

Ursel Beck, Mitglied im Vorstand DIE LINKE Stuttgart-Bad Cannstatt

Daniel Behruzi, Mitglied DIE LINKE Frankfurt/M.

Heino Berg, Mitglied DIE LINKE Bremen

Anne Engelhardt, Bezirksverordnete DIE LINKE Berlin-Mitte

Beate Jenkner, Abgeordnete Bezirkstag Oberbayern für DIE LINKE

Claus Ludwig, Sozialistischer Stadtrat, DIE LINKE.Köln

Lucy Redler, SAV-Bundessprecherin

Michael Schilwa, Mitglied DIE LINKE Berlin

Sascha Stanicic, SAV-Bundessprecher

Marc Treude, ehem. Mitglied des Rates der Stadt Aachen, Mitglied im Vorstand DIE LINKE Aachen-Ost

Links:

Erklärung Koordinierungskreis AKL

Erklärung AKL NRW

Erklärung AKL Bayern

Erklärung Thies Gleiss