Ein Bericht aus Stuttgart
100.000 StraßenbahnfahrerInnen, Erzieherinnen, Krankenpfleger, Müllwerker und Beschäftigte in den Verwaltungen beteiligten sich an Warnstreiks in der ersten Februarwoche. Aufgerufen waren nicht alle Beschäftigten bei Bund und Kommunen, sondern nur in einem Teil der Bundesländern. Für heute sind Warnstreiks in den nördlichen Bundesländern geplant.
von Ursel Beck, Stuttgart
Von den 10.000 Streikenden in Baden Württemberg am 4. Februar streikten allein 5.000 im Bezirk Stuttgart. Damit wurden die Erwartungen der bezirklichen Streikleitung weit übertroffen. Erwartet worden war eine Streikbeteiligung von 2.500 Beschäftigten. Zu der Demonstration durch die Innenstadt waren auch Delegationen aus dem Schwarzwald und Landkreisen aus anderen Regionen in Baden Württemberg gekommen. Aber auch hier wurden die Erwartungen übertroffen und es kam zu dem seltenen Fall, dass ver.di die Zahl der DemonstrationsteilnehmerInnen mit 4.000 angab, während die Polizei eine Teilnehmerzahl von 5.000 meldete. Das größte Fragezeichen bei der Streikbeteiligung gab es im Vorfeld bei den Erzieherinnen. Sie hatten im letzten Jahr monatelang für eine Bezahlung über BAT-Niveau gekämpft, dafür wochenlang gestreikt und am Ende das Streikziel verfehlt. Der Unmut über den Abschluss war gerade in Stuttgart besonders groß. Dennoch erreichte der ver.di-Bezirk bei den Kitas mit 1.056 Erzieherinnen (Angaben der Stadt Stuttgart) eine gute Beteiligung. Von 183 blieben laut Jugendamt 95 Einrichtungen ganz und 21 teilweise geschlossen. Sichtbarste Auswirkung des eintägigen Warnstreiks waren die Staus auf allen Einfalls- und vielen Nebenstraßen. Von 80 Müllwagen verließen nur zwei die Depots. Am Klinikum Stuttgart beteiligten sich 500 von 6.400 Beschäftigten und es konnten nur 40% der OPs durchgeführt werden. Alle städtischen Bäder blieben geschlossen. Eine Kollegin der Stuttgarter Straßenbahn, die Streikposten stand erklärte gegenüber der Stuttgarter Zeitung: „Die Resonanz der Bürger war Spitzenklasse“.
Streik am Bürgerhospital
Früh um 5.30 Uhr beginnt die Streikvorbereitung am Bürgerhospital. Vier Personalräte und ver.di-Vertrauensleute treffen sich im Personalratsbüro. Streiks organisieren gehört hier inzwischen zur Routine. Entsprechend locker geht man hier ans Werk und jeder weiß, was zu tun ist: Plakate mit der Aufschrift „Heute Warnstreik“ an die Eingangstüren hängen, Fahnen und Transparente an die Pforte, ein Riesen-Transparent mit der Aufschrift „STREIK“ am obersten Balkon des Bettenhauses befestigen, Streikposten an der Pforte stehen. Die ersten Kolleginnen und Kollegen gesellen sich zu den Streikposten. Jede/r bekommt eine Streikweste. Andere Kolleginnen gehen rein. Sie sagen sie seien zum Notdienst eingeteilt. Kein einziger Beschäftigter spricht sich gegen den Streik aus. Manche sagen, die Forderung sei zu niedrig. Es gibt Skepsis, dass am Ende was dabei rüber kommt. Das seien wieder die üblichen Rituale, Warnstreik, ein bisschen Getöse und dann am Ende ein fauler Kompromiss. Dies scheint die allgemeine Stimmung zu sein. Wenn es denn anders kommt und die Arbeitgeber weiter provozieren, dann kann die Streikbeteiligung nach oben gehen – so die Einschätzung von Streikleiter Dieter Janssen. Und dass es noch anders kommen kann, ist nicht ganz ausgeschlossen. Zumindest die Arbeitgeber der Krankenhäuser fahren in den bisherigen Verhandlungen eine harte Linie. Die berechtigten berufsspezifischen Forderungen der Krankenhausbeschäftigten lehnen sie rigoros ab. Sie behaupten sogar, die KrankenpflegerInnen seien durch den TVöD zu hoch eingruppiert und verlangen eine Abgruppierung von EG 7a in EG 5. Das wäre ein Verlust von 92 Euro im Monat. Dieter Janssen berichtet davon bei der Streikversammlung in der Kantine. Er berichtet weiter, dass die Arbeitgeber in der zweiten Verhandlungsrunde nur eine Erhöhung des Leistungslohns angeboten hätten. Ver.di fordere, dass das Leistungsgeld bei 1% bleibe. Aber die ver.di-Betriebsgruppe am Klinikum wolle sie ganz weg haben, weil das eine Nasenprämie sei. Der Streikleiter am Bürgerhospital erklärt weiter, dass man in jedem Fall streiken müsse, wenn man etwas Annehmbares durchsetzen wolle und es sei eine falsche Vorstellung, dass man mit einer niedrigeren Forderung ohne Streik eher etwas erreiche. Bei der Forderung nach einer sozialen Komponente für die unteren Lohngruppen fehle die Konkretisierung wie sie von den Vertrauensleuten im Klinikum mit 150 Euro eingebracht worden sei. Auf das Argument der leeren Kassen erwidert Dieter Janssen, dass die öffentlichen Kassen gewollt leer seien und weiter geleert würden. So habe die Stadt Stuttgart fast eine Milliarde zum Ausgleich der Spekulationsverluste der LBBW aufgebracht und wolle sich mit einer weiteren Milliarde am Bau von Stuttgart 21 beteiligen. Vor diesem Hintergrund gäbe es für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst keinen Grund zur Bescheidenheit, und auf einen groben Klotz gehöre ein grober Keil. Mit einem Bild vermittelte Dieter Janssen das Verhältnis zwischen aktiven Gewerkschaftern im Betrieb, die für den Warnstreik mobilisieren und der ver.di-Führung: „Ich stell mir vor, ich bin ein Autoreifen, ver.di ist das Fahrzeug und die ver.di-Führung sitzt am Steuer. Wenn die Gas geben und gleichzeitig Bremsen, dann dreh ich durch“. An der Reaktion der ca. 40 TeilnehmerInnen der Streikversammlung wurde deutlich, dass damit der Nagel auf den Kopf getroffen wurde. Auch der Schlusssatz fand allgemeine Zustimmung: „wenn wir was erreichen wollen, dann müssen wir streiken. Und wenn wir Streiken, dann richtig“.
Zwischenkundgebung am Klinikum
Nach der Streikversammlung im Bürgerhospital hieß es Abmarsch zum Katharinenhospital, wo sich alle Streikenden der verschiedenen Standorte des Klinikums zu einer Zwischenkundgebung versammelten. Viele Beschäftigten des Bürgerhospitals waren direkt hier hergekommen und so konnte festgestellt werden, dass mit über 100 Kolleginnen und Kollegen eine gute Streikbeteiligung zustande gekommen war. Hier hielt Ellen Paschke vom ver.di-Bundesvorstand die Hauptrede. Sie verteidigte unter großen Beifall der ca. 500 Beschäftigten des Klinikums die berufsspezifischen Forderungen für die Krankenhausbeschäftigten: höhere Zeitzuschläge für Nachtarbeit, höhere Bezahlung für Bereitschaftsdienste, Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte.
Nach der Kundgebung am Klinikum gab es einen Demonstrationszug zum Gewerkschaftshaus. Fast alle Krankenhausbeschäftigten mit Streikwesten hatten auf ihre Streikwesten einen Aufkleber gegen Stuttgart 21. Eine Kollegin meinte, die Demo müsste heute eigentlich mit einer Zwischenkundgebung am Bahnhof vorbeigehen, um den Zusammenhang zu Stuttgart 21 herzustellen.
Streikversammlung DGB-Haus
Das Gewerkschaftshaus in der Willi-Bleicher-Straße war am 4. Februar wieder zentrales Streiklokal und platzte aus allen Nähten. Bezirksgeschäftsführer, Bernd Riexinger, erklärte, dass viele, auch in ver.di-Führung, einen kurzen Arbeitskampf mit akzeptablem Schlichterspruch erwarteten. Es sei möglich, dass es so komme. Aber seit 1992 hätten die Arbeitgeber alle Schlichtersprüche abgelehnt. Bei ihrer gegenwärtigen harten Haltung könne das wieder so kommen und es dann einen größeren Streik geben. Bernd Riexinger sprach auch den Kolleginnen und Kollegen bei Behr, die gegen die in Stuttgart-Feuerbach gegen die Vernichtung von 440 Arbeitsplätzen kämpfen, die Solidarität von ver.di aus.
Der neue DGB-Bezirksvorsitzende von Nord-Württemberg, Bernhard Löffler, hielt ein Grußwort und machte darin unter anderem für die Aktion am 20. März Werbung.
Ein türkischstämmiger Kollege berichtete von dem Streik bei Tekel gegen Privatisierung und den Solidaritäts-Generalstreik in der Türkei am selben Tag. Er erklärte, dass eine Niederlage bei Tekel eine Niederlage für die gesamte türkische Arbeiterklasse und eine Niederlage für die türkische Arbeiterklasse auch eine Niederlage für die deutsche Arbeiterklasse sei. Bernd Riexinger wies ergänzend darauf hin, wie schwierig die Gewerkschaftsarbeit in der Türkei unter anderem wegen der großen staatlichen Repression sei und wie bewundernswert daher das Engagement der GewerkschafterInnen dort ist und stellte eine kurze Solidaritätserklärung vor, die angenommen wurde.
Eine Kollegin erklärte, welche Bedrohung Stuttgart 21 für die Stadt Stuttgart und die öffentlichen Kassen sei und forderte dazu auf, zu den wöchentlichen Montagsdemos zu kommen und auf die Parkschützer-Website zu gehen und sich dort einzutragen.
Dazwischen zeigte Giovanni, „der singende Müllmann“, der schon 2006 gestreikt und gesungen hat, sein musikalisches Können mit Liedern von „O sole mio“ bis „Bella Ciao“.
Cuno Hägele versuchte, die KollegInnen in Stimmung zu bringen und ihnen mit dem Argument, dass fünf Finger eine Hand, aber auch eine Faust sind, die Tarifforderung schmackhaft zu machen.
Demozug durch die Stuttgarter Innenstadt
Um 11.00 Uhr bewegte sich ein kämpferischer Demozug durch die Stuttgarter Innenstadt.
Bei der Abschlusskundgebung erklärte Ellen Paschke, dass die Arbeitgeber ein höheres Leistungsgeld für Führungskräfte bei den Verhandlungen damit verteidigt hätten, dass die Führungskräfte dann netter zu den Kolleginnen und Kollegen wären und dadurch alle was davon hätten. Bei der Verlängerung der Altersteilzeit wollen die Arbeitgeber nur noch eine Kann-Regelung und statt 83% nur noch 70%.
Mit Verweis auf die zu niedrigen Löhne im öffentlichen Dienst und den gesellschaftlichen Reichtum erklärte Bernd Riexinger unter großem Beifall der tausenden DemoteilnehmerInnen: „Wir haben alles Recht der Welt um für unsere Interessen zu kämpfen“.
Die SAV Stuttgart war an diesem Tag im Einsatz mit Unterstützung der Streikorganisation am Bürgerhospital, mit dem Verkauf der Februar-Ausgabe der „Solidarität“ (wobei 32 Stück verkauft wurden, so viele wie seit Menschengedenken nicht bei einem Warnstreik in Stuttgart), mit dem Verteilen von Aufklebern und Flyern zu den Montagsdemos gegen Stuttgart 21, mit dem Verteilen von Mobilisierungszeitungen der LINKEN für eine Veranstaltung am Abend mit dem designierten Parteivorsitzenden, Klaus Ernst, mit der Mobilisierung für die Blockade des Nazi-Aufmarsches in Dresden am 13.2.10 und Unterschriftensammeln für den Jugendaufruf von „Generation Krise schlägt zurück“.