Großdemo gegen Stuttgart 21

Zehntausend gegen Bahnchef Grube auf der Straße


 

Seit rund 15 Jahren wollen die Stadt Stuttgart, das Land Baden-Württemberg, der Bund und die Bahn den Stuttgarter Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof ersetzen, samt ICE-Bahnhof am Flughafen und über 30 Kilometer Tunnelstrecken. Dagegen hat es schon zahlreiche Proteste gegeben, aber so viele wie am 29. Januar haben noch nie demonstriert. Anlass war ein Vortrag von Bahnchef Grube in der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), direkt neben dem Stuttgarter Hauptbahnhof.

von Wolfram Klein, Mitglied im Vorstand der Partei DIE LINKE in Stuttgart-Bad Cannstatt

Der Protest begann mit einem Sternmarsch vom Stöckach, dem Berliner Platz und dem Rathaus zum Hauptbahnhof, der anders als die Kundgebung am Hauptbahnhof nicht angemeldet war. Trotzdem war die Polizei für Stuttgarter Verhältnisse kooperativ. Beim Rathaus wollten sie einen Verantwortlichen genannt bekommen, dem sie eine Demo-Route zuweisen wollten. Die DemonstrantInnen ließen sich darauf aber nicht ein, sondern versuchten, zur Königsstraße, der Stuttgarter Haupteinkaufsstraße, zu gelangen. Die Polizei versuchte das zu verhindern, konnte aber auf dem Schlossplatz die DemonstrantInnen nicht mehr von ihr fernhalten. Daraufhin versuchten sie, die Königsstraße selbst abzusperren, aber ein Teil der DemonstrantInnen konnte die Polizisten umgehen oder zwischen ihnen durchschlüpfen und zog dann Sprechchöre rufend über die Königsstraße zum Bahnhof. Der Großteil der DemonstrantInnen zog parallel zur Königsstraße über die Lautenschlagerstraße zum Bahnhof.

Bahnchef Grube hielt ein „Grußwort“

Die Kundgebung zwischen Nordausgang des Hauptbahnhofs und der LBBW begann mit einer Überraschung. Bahnchef Grube erschien persönlich, um den GegendemonstrantInnen ein „Grußwort“ zu halten. Er erklärte alles zu einem Kommunikationsproblem und versprach einen Dialog. Offenbar will er aber nicht ernsthaft den Argumenten der GegnerInnen widersprechen, sondern wollte den DemonstranInnen nur Honig ums Maul schmieren, in dem verzweifelten Versuch, dem Widerstand den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn inhaltlich hatte er nichts zu bieten, sondern machte auf der Veranstaltung in der LBBW deutlich, dass das Projekt auf Biegen und Brechen durchgezogen werden soll.

Da uns seit 15 Jahren die Stadt Stuttgart, CDU und SPD samt FDP und Freien Wählern und die beiden großen Stuttgarter Tageszeitungen Stuttgart 21 schmackhaft zu machen versuchen, aber die Opposition der Bevölkerung immer mehr gewachsen ist, ist die Vorstellung abgeschmackt und arrogant, dass die Ablehnung durch die Mehrheit der Bevölkerung an dem mangelnden kommunikativen Engagement von Grubes Vorgängern von Dürr bis Mehdorn liege – und nicht an den überzeugenden Argumenten der GegnerInnen.

Gegenargumente

Auch am 29. Januar gab es wieder neue Argumente: Ein Blinder schilderte, dass Blinde und stark Sehbehinderte sich in einem Kopfbahnhof viel leichter orientieren können. Er erwähnte auch, dass ein barrierefreier Kopfbahnhof auch für RollstuhlfahrerInnen besser ist. (Die Befürworter von Stuttgart 21 behaupten ernsthaft, dass ein Durchgangsbahnhof mit seinen Rolltreppen und Aufzügen für RollstuhlfahrerInnen komfortabler sei. Wenn diese Herren, die das Schicksal der Bahn bestimmen, selbst Zug fahren würden, statt sich in Dienstwagen chauffieren zu lassen, fiel ihnen vielleicht auf, wie oft die Aufzüge auf Bahnhöfen kaputt sind. Aber selbst, wenn Behinderte es auf den Bahnsteig schaffen – wie sollen sie es in den Zug schaffen, der auf dem Bahnhof mit nur noch acht statt sechzehn Gleisen nur noch ein bis zwei Minuten halten soll?)

In einem anderen Beitrag wurde mit Zitaten aus dem Planfeststellungsbescheid die massive Lärmbelastung beim Bau dargestellt: 3500 Betonpfähle sollen mit jeweils 135 Schlägen in den Boden gerammt werden. Dazu kommt die Belastung durch den Abtransport von Abraum etc.

Zugleich wurden die alten zentralen Gegenargumente wieder aufgefrischt, vor allem die explodierenden Kosten. Stadt und Land kürzen bei sinnvollen Ausgaben und auch die Bahn hat vor kurzem sinnvolle Projekte auf die lange Bank geschoben – damit für das Wahnsinnprojekt die Finanzierung steht.

Zwei Tage vor dem Protest hatte der Chef der Stuttgarter Jungen Union, Völkel, über die „überhebliche Verhinderungspolitik der Alten gegen Stuttgart 21“ gewettert, die „meiner Generation die Zukunft“ verbauen würden. Es stimmt, dass bei den Montagsdemos der letzten Wochen der Anteil von älteren Menschen recht hoch war. Aber bei der Kundgebung am 29. Januar waren alle Altersgruppen vertreten und bestimmt ein Viertel oder ein Drittel der TeilnehmerInnen waren jüngere Menschen.

Profitinteressen

Die Grünen versuchen sich im Protest gegen Stuttgart 21 breit zu machen. Sie wollen sich offenbar profilieren, weil ihr Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hofft, die nächste Stuttgarter OB-Wahl gegen CDU-Amtsinhaber Schuster zu gewinnen. Aber bei der letzten OB-Wahl hatte Palmer bereits kandidiert und im zweiten Wahlgang zur Wahl Schusters aufgerufen. Die baden-württembergischen Grünen sind bekannt dafür, dass sie schon seit Jahren eine Koalition mit der CDU anstreben

Der Einfluss der Grünen kann nicht verhindern, dass in den Beiträgen immer wieder deutlich wurde, dass hinter Stuttgart 21 Profitinteressen stecken – der Immobilien- und Bauwirtschaft etc. Die Fakten sprechen eine zu deutliche Sprache: Wenn z.B. der Tunnelbaumaschinenhersteller Herrenknecht sich in der „Financial Times Deutschland“ zum neuen Jahr die Schlagzeile wünscht „Herrenknecht Technik baut bei Stuttgart 21 mit!“ und zugleich für den Wahlkampf der CDU spendet und Ex-Ministerpräsidenten Lothar Späth als Aufsichtsratsvorsitzenden hat – dann sind die Profitinteressen und die Mauschelei zwischen Konzernen und Politik unübersehbar.

Pseudo-Baubeginn und Protest-Perspektiven

Für den 2. Februar ist offiziell der Baubeginn angekündigt – in Form der Entfernung eines Prellbocks von einem Gleis, das früher für Rangierfahrten diente, aber schon längst nicht mehr gebraucht wird. Auf der Kundgebung wurde dieser feierliche Baubeginn zu Recht als Monty-Python-Nummer verspottet. Offenbar hofft die Stuttgart-21-Mafia, der Protest werde zusammenbrechen, wenn der Bau „beginnt“.

Aber wie auf der Kundgebung richtig gesagt wurde: Man kann nicht fünfzehn Jahre lang in der Stuttgarter Innenstadt ein Großbauprojekt gegen den Willen der Bevölkerung durchziehen. Für den März wurde ein Training für zivilen Ungehorsam angekündigt, um das Besetzen von Bäumen zu üben, wenn im Stadtpark 250 Bäume gefällt werden sollen. Es wurde auch an die erfolgreichen Proteste von Wyhl und Wackersdorf erinnert, wo in den 1970er und 1980er Jahren der Bau eines Atomkraftwerks und einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage durch Massenproteste verhindert wurden.

Die Bereitschaft eines Teils der Stuttgart-21-GegnerInnen zu entschiedeneren Protestformen ist begrüßenswert. Leider fehlt eine zweite Schiene: die Verbindung mit anderen sozialen Protesten und besonders Arbeitskämpfen. Nachdem die Gewerkschaften mehrheitlich jahrelang – in Treue fest zur SPD – Stuttgart 21 unterstützt haben, hat sich inzwischen der DGB in der Region Stuttgart und auf Landesebene gegen Stuttgart 21 ausgesprochen. Das ist erfreulich, aber Resolutionen sind zu wenig. Die SAV hat schon seit vielen Jahren bei ihrer Intervention in Bildungs- und andere Proteste und Streiks die Verbindung zu Stuttgart 21 hergestellt und wird das auch jetzt wieder tun bei einer Protestkundgebung bei der Firma Behr und dem Warnstreik im Öffentlichen Dienst.