Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst
Der Chef des Verbands der Kommunalen Arbeitgeber (VKA), Thomas Böhle, droht mit Stellenabbau und Privatisierungen, sollten die Gewerkschaften bei ihren „maßlosen“ Forderungen bleiben (gefordert werden fünf Prozent im Gesamtvolumen). Doch der angedrohte Kahlschlag steht so oder so auf der Agenda der Arbeitgeber.
von Angelika Teweleit, Berlin
Aufgrund großer Einnahmerückgänge zücken viele Kommunen bereits den Rotstift. Doch „das ist erst der Anfang, es wird noch weitere Verschlechterungen geben“, sagt zum Beispiel der Kämmerer der Stadt Wuppertal, der aktuell die Schließung des Theaters, mehrerer Schulen, Jugendtreffs und Bäder durchsetzen will.
Um so nötiger ist es, gerade jetzt Stärke zu zeigen. Denn schwache Belegschaften, die sich nicht wehren, werden schneller angegriffen als starke. Die Tarifrunde 2010 könnte Ausgangspunkt für breiten Widerstand durch Beschäftigte und NutzerInnen gegen die Kürzungspläne im Öffentlichen Dienst sein.
Kassen wurden geplündert
Es stimmt: Deutschland wurde von der tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten erfasst. Aber warum soll die arbeitende Bevölkerung dafür zahlen – während für die Ackermänner Bankenrettungsaktionen laufen?
Es stimmt: Die Kassen sind leer. Das liegt aber vor allem daran, dass Geld umverteilt wurde. Allein seit dem Jahr 2000 wurden den Unternehmen durch Steuersenkungen 200 Milliarden Euro geschenkt.
Es stimmt: In der Krise sanken die Vermögen. Trotzdem besitzen die reichsten zehn Prozent immer noch gigantische 2,6 Billionen Euro (wipo.verdi.de).
Geld ist also vorhanden. Darum müssen wir gegen die von den Arbeitgebern verlangten Nullrunden und Sparmaßnahmen entschlossen Widerstand leisten.
Ganze Kampfkraft nutzen
Notwendig ist es, die Warnstreiks von Anfang an flächendeckend zu organisieren. Wenn ErzieherInnen, Krankenhauspersonal, Müllwerker, Beschäftigte an Flughäfen, Verwaltungsangestellte, BusfahrerInnen gemeinsam streiken, kann eine große Kraft entstehen. Die Androhungen der Arbeitgeber müssen mit Urabstimmung und Streik beantwortet werden. Ein Erfolg der zwei Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen wäre auch eine Ermutigung für die KollegInnen in der Privatwirtschaft.
Wofür kämpfen?
Die gewerkschaftliche Forderung von fünf Prozent im Gesamtvolumen (also Verlängerung der Altersteilzeit, Übernahmeregelung für Azubis und Entgeltsteigerung in unbestimmter Größe) ist völlig unzureichend. Die Umsetzung der Forderung soll laut Arbeitgebern fünf Milliarden Euro kosten. Das ist etwa die Hälfte von dem, was Bund und Kommunen nach dem Tarifergebnis von 2008 aufbringen mussten.
In der Tarifrunde vor zwei Jahren sprang die ver.di-Führung als Tiger los und landete als Bettvorleger. Dieses Mal startet sie als Schmusekatze. Die jetzige ver.di-Führung zeigt keinen Weg auf, wie verhindert werden kann, dass die Krisenlasten mit voller Wucht auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Darum ist es nötig, eine inhaltliche und personelle Alternative zu dieser Führung aufzubauen. Dies hat sich auch das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ auf die Fahnen geschrieben.
Öffentlicher Dienst: Für welche Forderungen kämpfen?
Bei der letzten Tarifrunde 2008 beteiligten sich hunderttausende KollegInnen. ver.di-Chef Frank Bsirske sagte damals, er habe in den letzten 35 Jahren noch nie so viel Wut und Kampfbereitschaft gesehen. Jedoch mobilisierte die ver.di-Führung nicht für einen Vollstreik, mit dem die Durchsetzung der ursprünglichen Forderungen möglich gewesen wäre.
von Dorit Wallenburger, ver.di-Betriebsgruppenvorsitzende, Krankenhaus Dresden Neustadt*
Im letzten Jahr beteiligten sich zehntausende KollegInnen am Kita-Streik. Viele von ihnen waren das erste Mal an einem Arbeitskampf beteiligt. Diese und andere Auseinandersetzungen zeugen davon, dass immer mehr Menschen erkennen, dass sie Verbesserungen in ihren Arbeits- und Lebensbedingungen nur durch gemeinsame kraftvolle Aktionen erreichen können. Wie nutzt die ver.di-Spitze dieses Potenzial nun für die beginnende Tarifrunde im Öffentlichen Dienst?
Das Argument der leeren Kassen
In den Argumentationshilfen von ver.di werden Zahlen und Fakten verwendet, die unschlagbar sind: dass unsere Realeinkommen stetig sinken, während die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen zwischen 2002 und 2008 gewaltig gestiegen sind. Dennoch ergeben sich die meisten Gewerkschaftsoberen in der Praxis den Argumenten der Arbeitgeber: es sei kein Geld da…
Das hat zur Folge, dass das Forderungspaket weit hinter dem zurück bleibt, was notwendig wäre. Es gibt nicht mal eine bezifferte Lohnforderung. Damit ist die Gefahr groß, dass die Forderung von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nach einer Nullrunde Wirklichkeit wird. Stattdessen müssen endlich die Reallohnverluste der letzten Jahre ausgeglichen werden. Daher brauchen wir eine konkrete Forderung nach einer Entgelterhöhung: Die von der ver.di-Führung völlig vage allgemein aufgestellten fünf Prozent sind das Minimum, was wir allein schon an Lohnerhöhung benötigen, mindestens aber 200 Euro pro Monat.
Darüber hinaus muss die von den Arbeitgebern in die Diskussion gebrachte Ausweitung des Leistungslohns klar abgelehnt werden.
Arbeitsplätze schaffen statt streichen
In der Frage der Übernahme sollte die Gewerkschaft eine Forderung aufstellen, die den Jugendlichen tatsächlich eine Zukunft bietet. Anstatt einer Übernahmeregelung von nur 24 Monaten, wie von ver.di gefordert, brauchen die Azubis eine Berufsaussicht fürs Leben: also unbefristete Übernahme im erlernten Beruf.
Überall fehlt es an Personal – bei Wohnungsämtern, Kindertagesstätten, Winterdiensten, Krankenhäusern und so weiter. Mit einer Forderung nach Ausbau des Öffentlichen Dienstes und der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen könnten sich die Streikenden der Unterstützung in der Bevölkerung sicher sein.
Noch nie war die Produktivität so hoch wie in den letzten Jahren. Also warum sollen eigentlich immer weniger Menschen mit immer weniger Lohn und verlängerten Arbeitszeiten schuften, während andere arbeitslos sind? Gerade jetzt in der Krise müssen die Gewerkschaften eine Antwort auf die steigende Massenarbeitslosigkeit geben. Die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst könnte eine Vorbildfunktion haben. Nötig wäre eigentlich die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
Die Kraft der Beschäftigten kann sich nur entfalten, wenn Forderungen aufgestellt werden, für die es sich wirklich lohnt zu kämpfen. Und nur wenn alle gemeinsam aktiv werden, erreichen wir eine Stärke, die im Kampf für richtige Verbesserungen nötig sein wird. Das muss die grundlegende Aufgabe der Gewerkschaften sein: Solidarität herstellen! Alle oder keiner!
*Angabe der Funktion dient nur zur Kenntlichmachung der Person
Vorschläge zur Konkretisierung und Verbesserung des Forderungskatalogs von ver.di:
Fünf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro Festgeld bei zwölf Monaten Laufzeit
Zurückverwandlung der bisherigen Leistungsbezahlung in feste Tarifbestandteile
Verlängerung der Altersteilzeit, aber ohne Abschläge von Leistungen
Unbefristete Übernahmegarantie für alle Auszubildenden im erlernten Beruf
Tariflich garantierte Ausbildungsquote von zehn Prozent
Statt steigender Arbeitslosigkeit: 35 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich